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DARK TRANQUILLITY: The Mind’s I

Zwischen “The Gallery” und “Projector” wirkt der foklussierte Ansatz von “The Mind’s I” auf den ersten Blick weniger auffällig. Doch auch zweieinhalb Dekaden später beweist das Drittwerk DARK TRANQUILLITYs durch kreatives Songwriting und eine stürmische Art Zeitlosigkeit.

Manchmal brauchen wir vor allem zwei Dinge, bevor wir etwas wirklich zu schätzen lernen. Etwas Distanz und Zeit waren es schließlich auch, die Mikael Stanne letztendlich selbst umstimmten: Wie der DARK TRANQUILLITY-Frontmann im Vorwort des neu gemasterten Re-Releases (2021) von „The Mind’s I“ (1997) anmerkt, war er seinerzeit alles andere als glücklich mit der Produktion des dritten Studioalbums. Nach dem ausgiebigen Tour-Zyklus zum Meilenstein „The Gallery“ (1996) wollte man für den Nachfolger noch einen draufsetzen: Songs, die im Live-Setting glänzen, die technisch fordern und sich nicht zu sehr auf übliche Schemata verlassen. Das alles habe man erreicht, nur der Sound war dem Sänger am Ende zu klar, zu puristisch – eine persönliche Einschätzung, die „The Mind’s I“ allerdings kaum bremsen konnte.

Und doch wird das Album ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen oftmals gerne übersehen: Eingebettet zwischen dem geradezu legendären „The Gallery“ (1996) und dem experimentellen „Projector“ (1999) wirkt der fokussierte und teils stürmische Ansatz des Drittwerks auf den ersten Blick vielleicht nicht bieder, aber doch weniger auffällig. Zu Unrecht, wie ein genauer Blick schnell offenbart: DARK TRANQUILLITY verschwenden mit „Dreamlore Degenerate“ keine Zeit, sondern starten mit hoher Geschwindigkeit und dem für diese Zeit typischen Göteborg-Riffing durch, nur um ebenso bald das Tempo wieder rauszunehmen.

Das Material auf “The Mind’s I” wirkt auch zweieinhalb Dekaden später noch frisch und unverbraucht

In diesem Spannungsfeld aus aggressivem, ja fast zügellosem Melodic Death Metal und atmosphärisch-melodischen Breaks bewegen sich die Schweden eine gute Dreiviertelstunde lang, ohne je berechenbar zu werden. Tatsächlich sorgen zahlreiche Wendungen und Haken im Songwriting dafür, dass „The Mind’s I“ anfangs nicht so leicht zu packen ist wie beispielsweise das spätere Hit-Album „Damage Done“ (2002), dafür jedoch auch zweieinhalb Dekaden später noch frisch und unverbraucht wirkt.

Den designierten Albumhit „Zodijackyl Light“ mit seinem hochmelodischen und dabei kaum weniger bissigen Riffing kramen DARK TRANQUILLITY nicht umsonst immer wieder für ihre Live-Shows aus der Kiste, während gesetztere Tracks der stürmischen Seite der Band einen angenehmen Gegenpol spendieren. „Insanity’s Crescendo“ darf dank seiner Akustikgitarren und Sara Svenssons warmer Stimme gar als eine der Blaupausen für die später im Genre oft und viel zitierte ‚Beauty and the Beast‘-Formel angeführt werden, während „Hedon“ – wo sogar Anders Fridén (IN FLAMES) im Hintergrund zu hören ist – zwischen Anklage, Resignation und Melancholie allein durch sein Arrangement eine Geschichte zu erzählen weiß.

DARK TRANQUILLITY wollen sich auf “The Mind’s I” nicht im Sekundentakt wiederholen

Das ist – zumindest in Teilen – natürlich auch ein Verdienst von Sänger Mikael Stanne, der bereits damals in der Lage war, seine harschen und rohen Screams bei Bedarf akzentuiert und variabel an das Songmaterial anzupassen, wenn etwa im Finale von „Constant“ regelrechte Verzweiflung aus der Lunge des Frontmann zu bersten scheint. Dank Sundins und Johanssons Gitarrenarbeit bleiben derweil selbst eher klassischere Melodeath-Tracks à la „Dissolution Factor Red“ oder „Still Moving Sinews“ kurzweilig: Statt auf eingängige Refrains setzen DARK TRANQUILLITY auf variable Leads, Soli sowie eine Vielzahl an Riffs.

Das Quintett will sich nicht im Sekundentakt wiederholen, was „The Mind’s I“ selbst 25 Jahre später noch zugutekommt – aber eben gleichzeitig zu dem Preis, in der Diskografie der Skandinavier jenseits des Rampenlichts Platz nehmen zu müssen. Die zwölf Tracks fordern einerseits und schenken dafür unverbrauchtes Songwriting vom wilden Auftakt bis zum seltsam beruhigenden Instrumental „The Mind’s Eye“ – bei weitem keine Selbstverständlichkeit, was man angesichts des hochkarätigen Backkatalogs DARK TRANQUILLITYs leicht übersehen kann. Das weiß auch Mikael Stanne selbst, als er erst 24 Jahre später den Klang des Albums zu schätzen lernt. Er spricht von einer rohen Energie und einer vergleichsweise reinen Produktion, die untypisch ist für die Veröffentlichungen der Göteborger Veteranen – und die trotz allem genau das verkörpern, was „The Mind’s I“ zu diesem Zeitpunkt sein musste.

“The Mind’s I” ist ein zeitloses Album

Eine Erkenntnis Sängers, die zugegebenermaßen etwas gedauert hat. Doch manchmal braucht es eben Zeit und Distanz, um wirklich jede Facette einer Platte schätzen zu lernen – umso besser, wenn selbige auch nach 25 Jahren bzw. einem Vierteljahrhundert noch so zeitlos wie relevant ist.

Veröffentlichungstermin: 21.04.1997

Spielzeit: 46:35

Line-Up

Mikael Stanne – Vocals
Niklas Sundin – Gitarre
Fredrik Johansson – Gitarre
Martin Henriksson – Bass
Anders Jivarp – Schlagzeug

Produziert von DARK TRANQUILLITY und Fredrik Nordström

Label: Osmose Productions / Century Media (Re-Release)

Homepage: https://www.darktranquillity.com/
Facebook: https://www.facebook.com/dtofficial

DARK TRANQUILLITY “The Mind’s I” Tracklist

1. Dreamlore Degenerate
2. Zodijackyl Light
3. Hedon
4. Scythe, Rage And Roses
5. Constant
6. Dissolution Factor Red
7. Insanity’s Crescendo
8. Still Moving Sinews
9. Atom Heart 243.5
10. Tidal Tantrum
11. Tongues
12. The Mind’s Eye

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