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EARTH: A Bureaucratic Desire For Extra-Capsular Extraction

Eine faszinierende Geschichtsstunde in Sachen Drone.

Wäre ich ein Quizmaster und würde den Kandidaten fragen würde, welche musikalische Revolution in den frühen Neunzigern in Seattle angezettelt wurde, fünfundneunzig Prozent der Kandidaten würde falsch antworten. Natürlich, Grunge war die anfangs wilde und herrliche Ablehnung der Glam Rock-Dekadenz der Achtziger, aber es geht hier um etwas anderes, etwas das noch immer Bestand hat und zu einer Subkultur wurde, wie sie ihresgleichen sucht. Drone ist der pure Minimalismus, die totale Ablehnung des Traumes von Sex, Drugs und Rock and Roll – auch wenn diese drei Komponenten sicherlich ihre Rolle in der Entstehung des Drone, respektive der Entwicklung von EARTH, spielten.

Das Ganze entstand mehr oder weniger per Zufall, auf dem großartigen Album Earth 2, das 1993 über SUBPOP heraus kam und den eigentlich ultimativen kommerziellen Selbstmord darstellt. Dass viele Bands dies aufgegriffen haben und fälschlicherweise SUNN o))) als Urheber all dessen verantwortlich machen, schreit nach Richtigstellung. EARTH sind der Urschleim des Drone, doch auch diese Band musste erst ihren Weg finden. Was also geschah vor Earth 2 in Seattle? Ein junger Musiker namens Dylan Carlson und der spätere MELVINS-Bassist Joe Preston machen sich gemeinsam mit Dave Harwell daran, die Grenzen des Rock auszuloten, setzen bei GODFLESH und BLACK SABBATH an und dehnen all das in die Weite des Kosmos allem Entschleunigten aus. Die erste offizielle EP von EARTH hört auf den Namen Extra-Capsular Extraction, was in drei Worten den vorherigen Sätze bestens zusammenfasst. Darauf vertreten ist das zweigeteilte Stück A Bureaucratic Desire For Revenge, das die 7-Single zierte und das um das monströse Ouroboros Is Broken in der CD-Version erweitert wurde. Dies sind Songs, die mit ihrem boshaften, hoffnungslosem Riffing und dem brachialen Bass auch noch mehr als zehn Jahre später, häufig von SUNN o))) und Konsorten zitiert werden. Der schleppende Alesis HR-16-Drumcomputer erschafft dazu eine kalte, surreale Atmosphäre, das reduzierte, selten angefügte Geschrei und Geheule von Gastsängerin Kelly Canary und Meister Carlson geht durch Mark und Bein. Dass sich Ouroboros Is Broken am Ende minutenlang mit nur einem hypnotischem, ultratiefen und verstörenden Riff hinzieht, ist ein Novum im Jahr 1992.

Nun gehen wir noch weiter zurück in die Vergangenheit, wenn auch nur ein Jahr. EARTH haben ihr erstes Demo parat, dass sie stilistisch in der gleichen Richtung zeigt, das aber immerhin etwas mehr groovt. Diese Tracks finden sich auf auf einem Re-Release von Sunn Amps And Smashed Guitars Live wieder, sind aber nur auf A Bureaucratic Desire For Extra-Capsular Extraction neu von Mell Dettmer neu gemastert. Sämtliche Aufnahmen knarzen und krachen aber dennoch sehr undifferenziert, klingen ähnlich wie im Jahr 1990 und sind unbequem und roh. Auch hier ist der Einfluss von GODFLESH allgegenwärtig, monolithische Riffs bahnen sich ihren Weg durch den Schlick und in diesen vier Songs, die vom ersten Demo der Band stammen, ist die Musik noch etwas abwechslungsreicher, aber noch nicht ganz so faszinierend, wie das was kurz darauf aus ihr wurde. Immerhin, Geometry Of Murder, German Dental Work und Dissolution I haben genügend Potenzial, gewisse Albträume zu erschaffen. Besonders interessant ist allerdings das Stück Divine And Bright, nicht nur aufgrund seiner außerordentlichen Kürze von nur drei Minuten, sondern auch da ein gewisser Kurt Cobain, einer der besten Freunde Carlsons, sich um den Gesang kümmert.

Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Albums Angels Of Darkness, Demons Of Light I, ist A Bureaurocratic Desire For Extra-Capsular Extraction eine schöne Gelegenheit für Fans der jüngeren EARTH-Geschichte zu sehen, wo diese Band her kommt, und was sie in jungen Jahren bereits alles für die extreme Musik geleistet hat. Zusammen mit einem schönen, neuen Artwork, mit kurzen, aber interessanten Liner-Notes und eben wegweisender, aber noch sehr ungeschliffener Musik, die eine ganze Generation von Musikern beeinflusst hat, ist dies eine Zeitreise in ein Seattle, das nicht aus Skandalen über Kurt und Courtney bestand, sondern in ein Seattle, in dem ein paar Kids im Keller eine musikalische Revolution anzettelten. Diese Aufnahmen sind nicht so wegweisend wie Earth 2 oder mein persönlicher Favorit Hex – Or Printing In The Infernal Method, aber sie sind immens wichtig, um das Phänomen EARTH zu begreifen. Insofern ist diese Stunde Musik, zusammen mit Earth 2, eine Pflichtlektüre für alle, die den Drone und dessen Ursprung entdecken wollen.

Veröffentlichungstermin: 24. Dezember 2010

Spielzeit: 55:03 Min.

Line-Up:

Dylan Carlson – Guitar, Vocals
Dave Harwell – Bass
Joe Preston – Bass, Percussion

Gäste:
Kelly Canary und Kurt Cobain

Produziert von EARTH
Label: Southern Lord Recordings
MySpace: http://www.myspace.com/earthofficial

Tracklist:

1. A Bureaucratic Desire For Revenge, Part 1
2. A Bureaucratic Desire For Revenge, Part 2
3. Ouroboros Is Broken
4. Geometry Of Murder
5. Geman Dental Work
6. Divine And Bright
7. Dissolution I

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