Dornenreich: Her von welken Nächten - CD-Cover

DORNENREICH: Her von welken Nächten

DORNENREICH dringen mit ihrem dritten Werk in Welten vor, die jeder Beschreibung spotten. Wunderschöne, intensive und vor allem hochemotionale Musik, die sich jeglicher Konventionen entzieht und sie doch ganz erfüllt. Schlichtweg genial!

Das neue DORNENREICH-Album mit Worten zu beschreiben, ist im Grunde sinnlos. Keine Worte dieser Welt werden “Her von welken Nächten” adäquat oder auch nur ansatzweise beschreiben können, denn solche Musik ist phantastisch, also unnahbar und, wie das Wort schon sagt, nur in der Phantasie zu erfassen. Sobald das beschwörerisch geflüsterte “Was zieht her von welken Nächten?” über den Umweg über das Gehirn tief hinein in die Seele – nein, eigentlich direkt in die Seele – geflossen ist, verschwimmen Zeit und Raum zu einem Ort, an dem sowohl Zeit als auch Raum keinen Platz mehr haben und nur noch eines zählt: Musik.

Wer nach diesen einleitenden Worten jetzt den Kopf schüttelt, braucht gar nicht erst weiterzulesen. Ich werde versuchen, mich mit einem Werk aueinanderzusetzen, das ich persönlich für sehr wichtig erachte, und dessen Kraft und Intensität für die Ohren eines wahren Musikliebhabers eine Wonne ohnegleichen sein werden. “Her von welken Nächten” entzieht sich dabei jeglicher musikalischer Konventionen und erfüllt sie doch ganz. Innerhalb der einzelnen Stücke, die ein großes Ganzes bilden, sind mitunter einzelne Versatzstücke, ja, sogar ganze Stücke, die eigentlich höchst konventionell sind, die aber, bedingt durch die ungemein variable und vor allem schier wahnsinnig emotionale Stimmendarbietung der beiden Sänger und durch diese wunderschönen Melodien, in einem Maße eigenständig und neu sind, dass man ausrufen möchte: Endlich wahre Künstler! Endlich eine Band, die es vermag, sich selbst in einem völlig eigenen Licht zu sehen und auszudrücken!

Der künstlerische Ausdruck DORNENREICHs kennt keine Grenzen

Es ist tasächlich so: Obwohl DORNENREICH sich der Mittel von Gothic und Black Metal bedienen, sind sie weder das eine noch das andere; obwohl “Wer hat Angst vor Einsamkeit?” durch seinen wunderbaren Refrain von Gothics sogar als tanzbar angesehen werden könnte, erscheint es im Rahmen dieses Werks als kleines Kunstwerk in einem großen, das schlicht und einfach aus irgendeinem Grund eben *kein* normaler Gothic-Song ist. Und das gilt für alle hier vertretenen Stücke. Jedes ist in gleichem Maße eingängig wie vielschichtig, alt wie neu – es mutet an wie eine wundersame Verknüpfung bekannter Silmittel mit einem mutigen intellektuellen und hochemotionalen Freigeist, dessen künstlerische Ausdrucksweise keine Grenzen kennt.

Besonders deutlich wird dies, wie bereits angemerkt, bei der Stimmendarbietung der beiden Hauptcharaktere Valnes und Eviga, wobei besonders der geflüsterte, gekrächzte oder geschriene Gesang des letzteren noch stärker als auf dem Vorgänger “Bitter ist’s dem Tod zu dienen” in den Vordergrund getreten ist. Valnes’ feinsinnige Gesangsstimme wird neuerdings fast ausschließlich für die hochmelodiösen Refrains der Stücke verwendet, und das in einer deutlich tieferen Tonlage als noch auf dem letzten Werk der Band. War ich anfangs darüber sehr enttäuscht (ich liebe den klaren, hymnischen Gesang auf “Bitter ist’s dem Tod zu dienen“), erkannte ich im Laufe der vielen Hördurchgänge, dass diese neue Variante des klaren Gesangs durchaus seinen Reiz hat, und mehr noch: Mittlerweile liebe ich diesen Gesang gar und habe erkannt, dass ein hymnischer Bombast-Gesang wie auf dem Vorgänger für “Her von welken Nächten” nicht passend wäre, was schlicht und einfach an der Atmosphäre dieses Werks, die nach einer tieferen Tonlage verlangt, liegt.

DORNENREICH berühren das Innerste der Seele

Um diese massive Atmosphäre zu beschreiben, kann ich eigentlich nichts sagen, denn das muss man selbst erleben. Ich für meinen Teil habe so etwas noch nie erlebt – beim vor Intensität strotzenden Schlussteil von “Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz” etwa nahm mich die Musik so dermaßen mit, dass ich durch den Raum sprang, mich auf mein Bett schmiss und was weiß ich noch alles anstellte, nur, um der Kraft, mit der mich diese Musik erfüllte, irgendwie Freiheit zu gewähren. Das darauffolgende “Trauerbrandung” brachte mich dann fast völlig um den Verstand – noch nie habe ich einen solch kraftvollen Metal-Song gehört, und allein die musikalische Umsetzung der Worte

“Doch dies bitterwonnige Beben

Ist mein Puls für inniges Leben”

reicht aus, um mich mit einer solchen Kraft zu erfüllen, dass ich am liebsten aufspringen, weinen, lachen und schreien möchte, und alles zur gleichen Zeit. Wie gesagt, ich habe so etwas noch nicht erlebt, und es ist wahrscheinlich der pure Wahnsinn. Wären da nicht die drei rein akustisch (wunderbarer Einsatz von Violine und Cello!) und beinahe schon meditativ gehaltenen, aber nichtsdestotrotz immer auch sehr intensiven Stücke, die zum Ausruhen und stillem Fiebern einladen, ich täte wahrscheinlich beim Hören dieses Albums irgendetwas, was ich nachher bereuen würde. Wer braucht schon Drogen, wenn er solche Musik hören kann?

“Her von welken Nächten” verfolgt ein interessantes lyrisches Konzept

Wenn ihr, liebe Leser, meinen Ausführungen bis hierher gefolgt seid, ist es nun an der Zeit, sich mit dem lyrischen Gehalt von “Her von welken Nächten” zu beschäftigen. Dichter Eviga, der sämtliche Texte verfasst hat, befasst sich in diesen mit der Menschwerdung und der Selbsterkenntnis eines Menschen. Zu Anfang erwacht das Menschwesen vor der Kulisse der welken Nacht und steht nun vor dem Problem des sich selbst Erkennens. Später versinkt es in Einsamkeit, nur um dann, dem Rat einer inneren Stimme folgend, sich selbst als Person zu akzeptieren und seine Einsamkeit in einem fast schon narzisstischen Sinne zu lieben. Das ist natürlich nur sehr gerafft wiedergegeben, was in neun Gedichten erzählt wird, aber ich möchte hier ja auch bei aller Liebe zum Detail keine Doktorarbeit schreiben. Es sei aber noch erwähnt, dass trotz des hohen intellektuellen Anspruchs und des zusammenhängenden Konzepts dieser Texte manche auch einzeln stehen könnten – so bringt “Trauerbrandung” in sich gesehen das Gefühl zum Ausdruck, dass wohl jeder Mensch, der die schwarze Szene innig lebt, mit tiefer Passion fühlt – “Trauerbrandung – Ich trinke Tränen, ich schöpfe Kraft”.

Um aber noch einmal auf das Konzept zurückzukommen: So genial die Umsetzung auch ist, sie ist mir etwas zu allgemein gehalten. Das ist auch der einzige Kritikpunkt, den ich hier habe, denn Menschen sind wir ja alle, und jeder erlebt seine Selbsterkenntnis anders, so dass sich mir nicht ganz erschließt, weshalb Eviga diese allgemeine Form gewählt hat, so als wäre der Mensch an sich immer dazu verdammt, seine Entwicklung genau in dieser Form zu erleben. Dem ist ja nicht so. Trotzdem verdient eine solche Konzeption für ein Album natürlich Hochachtung, und es ist für philosophisch interessierte Menschen auch höchst interessant zu lesen, wie Eviga die Menschwerdung betrachet und darstellt. Zwar ist die Sprache manchmal ein wenig wirr und unverständlich (was wohl ein Stilmittel darstellt), aber zum Glück befindet sich auf meinem Texblatt zu jedem Stück jeweils eine Erläuterung, die dann hoffentlich später auch im Booklet zu finden sein wird.

“Her von welken Nächten” ist ein Album für alle Musikliebhaber:innen

Und nun, zum Abschluss dieser Rezension möchte ich noch einmal sagen, dass “Her von welken Nächten” eins der größten und besten Werke ist, die ich jemals gehört habe; ein Muss für intellektuelle Freigeister, Träumer, Schwärmer, Romantiker, oder auch schlichtweg für diejenigen Menschen, die frei sind von festgefahrenen Konventionen, und die sich schlicht Musikliebhaber nennen. Denn für alle gilt:

“Was zieht her von welken Nächten?

Fühle nun selbst, was diese Dir brächten,

was sie dir bringen… sie schon brachten.”

VÖ: 19.02.2001

Spielzeit: 58:00 Min.

Line-Up:

Eviga – Voice, elctric & acoustic guitars, bass
Valnes – Vocals, synth
Gilvan – Drums, percussion

Produziert von Markus Stock
Label: Prophecy Productions

DORNENREICH “Her von welken Nächten”

1. Eigenwach
2. Ich bin aus mir
3. Wer hat Angst vor Einsamkeit?
4. Grell und dunkel strömt das Leben
5. Innerwille ist mein Docht
6. Hier weht ein Moment
7. Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz
8. Trauerbrandung
9. Mein Publikum – Der Augenblick

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