Es ist schon ein besonderes Jahr: Nicht nur feiert Prophecy Productions 25jähriges Jubiläum, auch zwei der treuesten und größten Zugpferde veröffentlichen neue Alben: nach EMPYRIUM nun also DORNENREICH. 20 Jahre ist es her, dass die Österreicher mich Jungspund mit ihrem Meisterwerk „Her von welken Nächten“ zu geradezu delirialen, jugendlich-überschwänglichen Textproduktionen hingerissen haben, da servieren sie mir mit „Du wilde Liebe sei“ ein nicht minder passendes Opus zum Erwachsensein.
Ja, es ist wenig originell, aber geschrieben werden muss doch über das Erwachsenwerden, wenn die Zeit verstreicht. Wie damit umgehen, viele Jahre experimentiert zu haben, um dann doch beim alten Sound zu landen? Doch Moment mal, DORNENREICH überraschen in dieser Hinsicht ja: „Du wilde Liebe sei“ ist beides – klassisch und modern, wild und zahm, altmodisch und mutig. Es wäre vermutlich ein leichtes gewesen, die Songstrukturen wieder primitiver zu machen und zum Metal zurückzukehren, aber das soll hier nicht der Weg sein.
„Du wilde Liebe sei“ Black Arcane Rock
Stattdessen also „Black Arcane Rock“, so die neue, selbst gewählte Stilbezeichnung. Die einzelnen Elemente sind alles andere als neu, aber der Begriff passt: Schon auf „Hexenwind“ ging es in Richtung Rock; hier nun gehen DORNENREICH zwar – quasi als Antithese zu diesem Album – perkussiv ungemein verspielt zu Werke, die Songstrukturen jedoch sind oft Rockmusik pur und erinnern teilweise („Liebes dunkle Nacht“) gar an Kollegen aus dem Mainstream.
Doch das Geheimnisvolle war immer ein Teil von DORNENREICH und verhindert den Sturz in die Bedeutungslosigkeit: Ich weiß nicht, wie Eviga es macht, aber seine Stimme kann noch dem banalsten Kitsch-Reim Bedeutung schenken, und Inves Violine ist einfach ein Traum. Das Schwarze hingegen hatte bei Werken wie „Freiheit“ oder dem herzlich-folkigen „In Luft geritzt“ noch manch einer vermisst, aber als Stimmung ist es hier nun zurück: Nicht nur in „Dein knöchern Kosen“, dem härtesten Stück des Albums, schwingt eine gewisse finstere Doppelbödigkeit mit, die verhindert, dass DORNENREICH den Abflug Richtung Eso-Happening machen.
DORNENREICH liefern ein beeindruckendes künstlerisches Statement ab
Große Euphorie, einen Hit gar, kann ich auf „Du wilde Liebe sei“ leider nicht ausmachen („Das Sehnen von Mond und Sonne“ könnte einer sein, versandet aber dann leider), dafür ist die Musik bei aller Verspieltheit doch zu konstruiert, zu erwachsen, und das ist letztlich mein einziger Kritikpunkt: Pack noch ein-zwei schamlos kindliche Ohrwürmer auf dieses Album, und all die Schwere gewinnt noch mehr an Gewicht (welche Wucht hatten etwa die Avantgarde-Akustik-Stücke auf „Her von welken Nächten“ zwischen all dem Metal-Bombast!).
Letztlich bin ich glücklich mit diesem Album. Es ist ein beeindruckendes künstlerisches Statement, eine Ode an das Zwischenmenschliche, das Sehnen und Lieben. Wenn es doch etwas leichter wäre…! Aber allein für Stimme und Percussions und das wunderbar kathartische Ende sei „Du wilde Liebe sei“ allen empfohlen, die zu faszinierend zärtlicher und ungewöhnlicher Musik über ihre Liebe reflektieren wollen.
Spielzeit: 45:06 Min.
Veröffentlichung am 11.06.2021 auf Prophecy Productions
DORNENREICH – „Du wilde Liebe sei“ – Tracklist
1. So ruft sie wach das Sehnen
2. In Strömen aus Verwandlung ein flackerloses Licht
3. Dein knöchern Kosen
4. Liebes dunkle Nacht
5. Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten
6. Sie machen Mangel zum Geschenk
7. Das Geheimnis des Quellkosters
8. Das Sehnen von Mond und Sonne
9. Dem Kühnen in der Stille
10. Freiheit erlösen