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AS I LAY DYING: Shaped By Fire

„Liegt die Wahrheit in dem, was du wahrnimmst, oder in dem, was ich sage?“, fragt Tim Lambesis gleich zu Beginn. Es sind die Worte eines Mannes, der in seiner Vergangenheit große Fehler begangen, dafür bezahlt hat und sich nun den Dämonen seiner Vergangenheit stellt. Wobei Dämonen nicht ganz richtig ist, denn Lambesis muss seinem eigenen Selbst entgegentreten, um die Tat aufzuarbeiten, die im Jahr 2013 die komplette Metalcore-Szene in die Fassungslosigkeit stürzte.

Dass dies überhaupt unter dem Banner von AS I LAY DYING geschehen kann, ist keine Selbstverständlichkeit, lange Zeit sah es sogar so aus, als wären die Metalcore-Ikonen Geschichte. Warum sich die verbliebenen Musiker nach diesem Schock Jahre später doch wieder mit Tim Lambesis an einen Tisch setzten, hat viele Gründe.

Einer davon ist natürlich Zeit: nach der vorzeitigen Haftentlassung suchte der einstige Frontmann das Gespräch mit seinen ehemaligen Bandkollegen, um Stück für Stück das verlorene Vertrauen wiederaufzubauen. Der gewichtigste Faktor ist jedoch der offene Umgang des Sängers mit seinen Taten: Er versteckt sich nicht mehr hinter Ausflüchten, sondern spricht offen über seine Emotionen sowie die Fehler, die ihn hierherbrachten. Es ist diese Haltung von Reue und Demut, die „Shaped By Fire“ seinen Charakter gibt.

“Shaped By Fire” klingt so selbstbewusst, als wären die vergangenen sieben Jahre nie geschehen

Zwischen all den Abgründen, die sich im Verlaufe des siebten Studioalbums der US-Amerikaner auftun, blitzt jedoch immer Hoffnung auf. Lambesis hat sich nicht aufgegeben – und dass „Shaped By Fire“ so selbstbewusst erklingt, als wären die vergangenen sieben Jahre nie geschehen, ist ein kraftvolles Statement, dass der Fronter in AS I LAY DYING einen neuen alten Stützpfeiler hinter sich weiß.

In der Tat schließt die Platte nahezu nahtlos an den Vorgänger „Awakened“ an und bedient sich auch sonst munter bei den Trademarks, die AS I LAY DYING groß gemacht haben. Die Gitarren sind verspielt wie eh und je, ohne die Durchschlagskraft zu vernachlässigen, während Drummer Jordan Manciano dank munterem Doublebass-Einsatz seine Mitstreiter regelrecht in den nächsten Breakdown zu treiben sucht. In „Blinded“ erinnern die Gitarren bisweilen gar an „Shadows Are Security“-Zeiten, bevor Bassist und Sänger Josh Gilbert einen dieser unwiderstehlichen Refrains aus dem Ärmel schüttelt, die uns nicht selten tagelang im Kopf herumschwirren.

AS I LAY DYING bescheren uns ein aufrüttelndes Gefühl der Nostalgie

Eine nie dagewesene Offenbarung ist „Shaped By Fire“ rein musikalisch betrachtet also nicht, aber das haben wir auch nicht erwartet. Dass wir im Prinzip mehr von dem bekommen, was wir von AS I LAY DYING gewohnt sind, ist nach jahrelanger Durstrecke gar nicht so schlecht. Plötzlich fühlen wir uns wieder jung; es ist eine Art aufrüttelnde Nostalgie, der wir uns nur schwer entziehen können, wenn Tim Lambesis uns mit der titelgebenden Zeile in „Redefined“ kopfvoran in einen Breakdown laufen lässt.

Bemerkenswert ist daran insbesondere, dass AS I LAY DYING sich musikalisch keinerlei Blöße geben. „Shaped By Fire“ ist sicher kein kommerzieller Schnellschuss, ansonsten würde die Rhythmusfraktion nicht wie eine gut geölte Maschine laufen, die designierte Hits wie „Torn Between“, „My Own Grave“ oder das moshtaugliche und doch befreiende „The Toll It Takes“ mit seinen dezenten Synthesizern augenscheinlich wie am Fließband produziert. Dass der Anteil an Klargesang im Vergleich zu „Awakened“ gefühlt noch Mal etwas zugenommen hat, ist dank Josh Gilberts Melodiegespür allerdings kein Nachteil.

Die inhaltliche Auseinandersetzung ist für “Shaped By Fire” essentiell

Das alleine vermag uns bereits zufriedenzustellen und trotzdem erreicht „Shaped By Fire“ seinen wahren Wert erst durch die inhaltliche Auseinandersetzung. Für Lambesis ist das Album sicherlich sein persönlichstes Werk und auch für seine Band haben die zwölf Tracks wegweisenden Charakter, wie „The Wreckage“ zu entnehmen ist. Die Art und Weise, wie der Sänger den Wiederaufbau aus den Trümmern metaphorisch umschreibt, ist Sinnbild für die Wiedervereinigung AS I LAY DYINGs.

Im brutalen „Gatekeeper“ mit seinen Thrash-Einflüssen scheint der Frontmann mit seinem vergangenen Ich abzurechnen, um schließlich nach vorne zu blicken. Zuvor erkannte Lambesis in „Undertow“, dass nicht sein Umfeld für sein Los verantwortlich war. Die Narben und die Lehren daraus bleiben jedoch, daher der Titel „Shaped By Fire“.

Worin also die Wahrheit liege, wollte Tim Lambesis eingangs wissen. Wir möchten uns nicht anmaßen, darüber zu urteilen. Allerdings wissen wir eines mit großer Bestimmtheit: Die Botschaft, welche „Shaped By Fire“ zu Grunde liegt, ist von unserer Wahrnehmung so weit nicht weg.

Veröffentlichungstermin: 20.9.2019

Spielzeit: 44:04

Line-Up:

Tim Lambesis – Vocals
Nick Hipa – Gitarre
Phil Sgrosso – Gitarre
Josh Gilbert – Bass, Gesang
Jordan Mancino – Schlagzeug

Produziert von AS I LAY DYING, Adam Dutkiewicz (Additional Production) und Joseph McQueen (Mix) / Adam Getgood (Mix “My Own Grave”)

Label: Nuclear Blast

Homepage: https://www.asilaydying.com/
Facebook: https://www.facebook.com/asilaydying/

AS I LAY DYING “Shaped By Fire” Tracklist

1. Burn To Emerge
2. Blinded (Video bei YouTube)
3. Shaped By Fire (Video bei YouTube)
4. Undertow
5. Torn Between
6. Gatekeeper
7. The Wreckage
8. My Own Grave (Video bei YouTube)
9. Take What’s Left
10. Redefined (Video bei YouTube)
11. Only After We’ve Fallen
12 . The Toll It Takes

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