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Quo Vadis, Prophecy Productions? Eine Diskussion um den Umgang mit Künstlern und ihren Aussagen

Ab und an glimmt eine kleine Diskussion auf: Wie geht man mit Künstlerinnen und Künstlern um, deren Aussagen dem rechtsradikalen Spektrum zugeordnet werden können. „Künstler und Werk trennen“, einfach ignorieren und totschweigen, kritisch hinterfragen oder publik machen und eine Diskussion anstoßen? Wir haben uns für die Diskussion entschieden  – und unsere Gedanken rund um das Label Prophecy Productions und Künstler wie Rich Walker von SOLSTICE oder Dan Capp von WOLCENSMEN gemacht. Zu Wort kommt dabei auch Martin Koller, Gründer des Labels und Veranstalter des Prophecy Fest.

Recherche & Kommentare: Christoph & Andreas
Zusammenstellung: Andrea

Kommentar von Christoph

In diesem aufgeheizten Klima in Deutschland 2024, 79 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, 35 Jahre nach der Wiedervereinigung, 30 Jahre nach brennenden Asylheimen, zehn Jahre nach der Gründung von Pegida, sind rechte Positionen salonfähiger denn je. Patriarchale Strukturen wanken mehr  als in den 10.000 Jahren zuvor, konservative Menschen – Männer wie Frauen, eben alle, vom Patriarchat geprägten Individuen – fürchten um die Ordnung, in der sie ihr Leben zugebracht haben und flüchten sich in immer extremere rechte Positionen.

Dass genau zu jener Zeit eine Pandemie die Welt erschütterte, war vielleicht der Tropfen auf den heißen Stein für viele Menschen, die sich in der Welt eh schon unsicher wähnten. Dass gesellschaftsübergreifend eine Spaltung da ist, lässt sich seit langem nicht mehr leugnen. Nun ist es nur allzu logisch, dass diese Spaltung auch innerhalb der romantisiert-verklärten Metalszene passiert. Oder ist es viel mehr so, dass einfach über viele Jahre nicht beachtet wurde, was eigentlich offensichtlich war?

Quo vadis, PROPHECY PRODUCTIONS? So viele gemischte Gefühle gehen mit diesem Label einher. Auf der Habenseite sind essentielle Alben von GREEN CARNATION, TENHI, KLIMT 1918, THE THIRD AND THE MORTAL, BETHLEHEM, DORNENREICH, ALCEST, EMPYRIUM und DISILLUSION  aus dem Stall von PROPHECY PRODUCTIONS, andererseits war da schon immer eine Tendenz in Richtung man-kann-und-sollte-uns-auch-mal-missverstehen. Gerade die Annäherungen an Neofolk hatten seit jeher immer mal einen Hauch DEATH IN JUNE-Flair. Wobei ja jeder weiß, dass die gar nicht rechts sein können, weil Douglas Pearce ja nur nen homoerotischen Uniformfetisch hat. Die Grenzen verschwimmen schon hier, weil ein David Tibet, der auch mit Pearce ausgiebig kooperierte, eigentlich über jeden Zweifel erhaben ist.

Nun wollen wir aber gar nicht mit Political Correctness langweilen. Ich (Christoph) höre auch manche Band, mit der ich mich auf politischer Ebene nicht zu 100% befinde, links wie rechts, und eigentlich ist es auch gesund, andere Ansichten zu hören – und wenn es nur zur Untermauerung der eigenen Position ist, oder dass eine kritische Reflexion mit anderen Positionen gefördert wird. Und ja, bei mancher Band bin ich auch insgeheim froh, nicht zu wissen, was die Musiker privat so von diesem und jenem Thema halten – und das nicht nur im Black Metal! Generell ist diese strikte Links-Rechts-Denke schon auch ein sehr deutsches Ding, und leider muss es im Angesicht unserer Geschichte auch so sein. Dass Deutschland da weniger Spaß versteht als Finnland oder die USA, mag den Fall von PROPHECY auch so schwierig machen. Musik ist natürlich auch so eine super-emotionale Sache. Bei Musik wird eine Verbindung zwischen Künstler und Rezipient aufgebaut und dieses starke Band kann natürlich leiden, äußert sich ein*e Musiker*in nicht so, wie wir es erwarten. Das mündet gar in richtigen Schockzuständen.

PROPHECY sind 2024 allerdings nicht nur einmal einen Schritt zu weit gegangen. SOLSTICE-Frontmann Rich Walker äußerte sich schon während der Pandemie mit äußerst kruden, aber letzten Endes doch sehr stereotypen Verschwörungstheorien und baute seine Band so um, dass die restlichen Musiker in sein Weltbild passen. Es ist jetzt nicht so verwunderlich, dass Walker nach einem Interview, das jede*r googeln kann, hier aber explizit nicht verlinkt wird, mit seinen Aussagen konfrontiert wurde, was in der ältesten aller Opferinszenierungen mündete. Neusänger Dan Capp, dessen Neofolkband WOLCENSMEN natürlich auch im erweiterten PROPHECY-Stall steht, wurde auch schon häufig auffällig, besonders in oben genanntem Interview. Und genau diese SOLSTICE, die die Rolle des Mannes bedroht sehen und fiebrig von LBGTIQ*-Ideologie faseln, werden 2024 nicht nur auf das PROPHECY-Festival gebucht, sie bekommen auch einen Vertrag mit PROPHECY.

Warum gibt es kaum Gegenwind in der Szene?

Das, was ich tatsächlich am schwierigsten finde, ist, dass aus der Szene zu wenig Gegenwind kommt – auch kein konstruktiver Gegenwind. Ein Diskurs, der von vorneherein abgewürgt wird. Und daran machen sich auch diejenigen schuldig, die PROPHECY jetzt von vornherein canceln. Die Fronten sind verhärtet, die einen haben keinen Bock auf Politik in der Musik, die anderen legen wert auf eine saubere Umgebung ohne rechtsextremes Gedankengut (was eigentlich Standard sein sollte) und wieder andere freuen sich, dass ihr neugewonnener oder schon immer in ihnen schlummernder (nett gesagt) reaktionärer Konservatismus jetzt offen geteilt werden darf. Dass sich PROPHECY offiziell gegen Rechtsextremismus aussprechen, mag löblich erscheinen. Das in den sozialen Medien gelöschten ORPLID-Interview auf dem Schweizer Sender „Kontrafunk (autsch) – die Stimme der Vernunft“ (Doppelautsch), wo die Neofolker nun rechtsextreme Positionen verlautbaren lassen – hat ja nun auch nicht wirklich überrascht, oder? – wird von PROPHECY schlicht bagatellisiert:
„Wir haben den Orplid-Post gelöscht, weil dieser nicht als ein politisches Statement gedacht war. Leider hat er zur Spaltung geführt. Wir haben das Interview gepostet, weil es uns um den Künstler ging. Wir sehen aber auch, dass sich die Diskussion nur noch um das Medium dreht. Wenn wir etwas teilen, stellt dies keine Empfehlung oder Zustimmung zu den Positionen des Künstlers, des Autors oder des Mediums dar. Prophecy Productions ist eine offene Gemeinschaft für alle, die an unseren Künstlern und deren Werken Freude finden.“

Und unter dem Kommentar eines Users schreiben sie: „Rechtsextremismus ist bei uns schon immer tabu. (Wir haben hier offensichtlich divergierende Definitionen, was „rechtsextrem“ ist und was nicht […]“ Äh, OK. Meint ihr hier vielleicht die Antifa? Oder sind Martin Koller und der Rest von PROPHECY einfach nur so naiv, dass sie es nicht hinterfragen, wenn alte Weggefährten in bedenkliche Gefilde abrutschen? Nein, natürlich nicht. Sonst hätte dieses Label nicht SOLSTICE und WOLCENSMEN gesignt bzw. gebucht.

Ein weiterer schmerzlicher Punkt: Viele Künstler, gerade neu gesignte wie HEXVESSEL, DOLD VODE ENS NAVN  und WHISPERING VOID fallen so irgendwie schuldlos in ein schlechtes Licht. Und die Dachgesellschaft SPKR macht auch den Vertrieb für andere Labels wie HOUSE OF MYTHOLOGY (ULVER, STIAN WESTERHUS, DANIEL O’SULLIVAN) oder Kunsthall (PAYSAGE D’HIVER). Ich gehe schwer davon aus, dass den meisten dieser Künstler bewusst ist, in welche Richtung sich PROPHECY derzeit entwickelt. Aber ehrlich gesagt, ich sehe es auch nicht primär als deren Aufgabe an, streng Buch zu führen. Der Service den SPKR bietet, ist nämlich wirklich ausgezeichnet und in diesem Business ist eine derartige Professionalität selten.

„Ich würde mir wünschen, dass die Medien, die es ernst meinen, auch mit PROPHECY in Diskurs gehen und sie damit konfrontieren“

Vielmehr ist es die Aufgabe derer, die über Musik schreiben, in die Diskussion zu gehen – nicht im „Verhärtete-Fronten-Troll-Modus“, sondern um in die Tiefe zu graben. Doch irgendwie reicht der Status des Labels aus, damit sich viele Medien, die eigentlich klar gegen rechts positioniert sind, all das ignorieren und PROPHECY weiter hofieren. Ich würde mir wünschen, dass die Medien, die es ernst meinen, auch mit PROPHECY in Diskurs gehen und sie damit konfrontieren. Und ich würde mir wünschen, dass PROPHECY auch Statements liefert, die nicht so ausweichend formuliert sind wie obige Beispiele, damit klar ist, was sie eigentlich wirklich wollen. Derzeit fühlt es sich jedoch leider so an, als wollten sie ihr altes Publikum trotz neuer Ideologie nicht verlieren und als hätten viele Medien Angst in die Konfrontation zu gehen.


Kommentar von Andi Holz

Ich war 2021 zum dritten und letzten Mal beim PROPHECY FEST, habe damals – zum 25. Jubiläum des Labels – einen leidenschaftlichen Text darüber hier verfasst; und auch darüber, wie Prophecy Productions und seine Künstler mich als Jugendlicher so tief berührt haben wie nichts anderes: Dieses Märchenhafte, der Welt Entrückte, Naturromantische, das habe ich damals gebraucht und brauche es angesichts einer Welt, in der es so viel Schrecken gibt, bis heute. Dass dieses Label nun, das einem großen Teil von mir lange Zeit eine emotionale Heimat geboten hatte, ein so wundervolles Festival in so wunderschöner Umgebung in der Nähe meines Zuhauses etablierte – es war einfach zu schön, um wahr zu sein.

Denn im Märchen als Spiegel der Wirklichkeit gibt es auch das Böse. Wo ich 2021 noch Prophecy geradezu als Musterbeispiel für Weltoffenheit gelobt hatte, hat sich nun herausgestellt, dass diese Weltoffenheit für Prophecy auch und gerade bedeutet, sich zu Künstlern aus dem Spektrum der Covid-Pandemie-Leugner und des völkischen Heidentums zu bekennen. Dan Capp z.B., Layouter und Merch-Hersteller zahlreicher Metal-Bands aus dem Prophecy-Stall (und darüber hinaus), ist nicht nur in dem berüchtigten gemeinsamen Interview mit Rich Walker auf der Covid-Schwurbel-Metal-Seite „Swallowed In Black“ negativ aufgefallen; er ist ein seit Jahren sehr umtriebiger Polit-Aktivist aus dem völkisch-nationalen Spektrum des Heidentums in UK. Er verbreitet völkisch-nationalistische Narrative, Impfgegner-Mythen und Verschwörungserzählungen, vor allem, aber nicht nur zu COVID; kürzlich hat er z.B. seine Follower dazu aufgerufen, ihre Kinder aus den staatlichen Schulen zu nehmen, weil dort wegen der rechtsextremen Aufmärsche in England jetzt mehr gegen Verschwörungsquatsch, Extremismus und Fake News getan werden soll. Aktuell hat er eine Podcast-Seite gestartet mit ein paar Kameraden – er weitet seinen Aktivismus also wieder aus -, und er betreibt in einer Initiative völkische Landkauf- und Siedlungspolitik. Das alles und noch mehr ist öffentlich einsehbar unter dem Namen „The Fyrgen“ – eine direkte Verbindung zu WOLCENSMEN -, es ist keine Interpretation von mir, es ist einfach so.

Der Schoß ist fruchtbar noch

Christoph hat viel Bedenkenswertes zu der ganzen Causa schon geschrieben, ergänzen oder vielmehr einwänden zum Thema „Rechtsruck (im Metal)“ möchte ich jedoch: Ich glaube, dass faschistoide Vorstellungen – etwa vom Recht des Stärkeren, von der Macht des völkischen Kollektivs oder vom Nutzen starker Führungsfiguren bzw. einer starken Nation als Ganzes, die für einen da sein soll – einfach immer schon sehr weit verbreitet sind in einer kapitalistischen, auf Nationalstaaten basierenden Gesellschaft (und natürlich auch in der Metal-Szene und in der Musik und den Texten vieler unserer Lieblingsbands), unter dem Eindruck globaler Krisen und Bedrohungen für das eigene kleine private Glück (ein Heiligtum in dieser Gesellschaft, in der alle radikal auf eigene Rechnung leben und arbeiten!) nun aber offener zutage treten. Oder anders: „DAS WIRD MAN DOCH WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN!“ bedeutet eigentlich: „JETZT SAGE ICH ES ENDLICH MAL!!!“ Es fällt leicht, einer Ideologie zu verfallen, die in der herrschenden Gesellschaft bereits angelegt ist: Der demokratische Schoß ist und war in dieser Hinsicht immer schon ein fruchtbarer.

 

Daher rührt dann auch meiner Meinung nach die neue Offenheit von Prophecy. Prophecy Productions hat sich immer schon im Dunstkreis völkischer, neopaganer Bewegungen und Künstler aufgehalten – neu ist aber, dass das Label nun Künstler hofiert und fördert, die sich nicht nur am Lagerfeuer in alte Zeiten träumen, sondern die sich explizit politisch äußern, politisch aktiv sind und mit rechtsradikalen Polit-Aktivisten vernetzt sind. (Wer tiefer in diesen Sumpf hinab steigen will, der erhält hier, hier und hier weitere Informationen.) Das war eine schmerzhafte Überraschung, hatte ich doch geglaubt, dass das Label sich viel zu wohl fühlt am Lagerfeuer und den Weg ans Rednerpult nicht beschreiten würde. Dumm gelaufen, mein Fehler.

Friedliche Kameraden, wohin man schaut

Wie aber war es denn nun beim Prophecy-Fest? Nun, zahlreiche Festival-Berichte ziehen postiv Bilanz, SOLSTICE äußern sich auf Facebook sehr positiv über die herrliche „Kameradschaft“ hinter der Bühne, und das Label wird nicht müde zu betonen, wie unfassbar friedlich und störungsfrei das Fest abgelaufen sei – während sich Besucherinnen und Besucher im Kritik-Thread bei Prophecy auf Facebook darüber beschweren, dass auf dem Campingplatz bis morgens um 4 rechtsextreme Musik (ABSURD) abgespielt worden sei. Die Geister, die man rief, sie sind dann halt auch gekommen.

Weniger friedlich ging es anderswo im Netz her: Im Forum vom Deaf Forever z.B. stellten zahlreiche User schon im Vorfeld des Festivals ihre linksliberale Empörung über SOLSTICE und Co. zur Schau – ohne freilich in die Tiefe zu gehen und mal zu hinterfragen, ob Rich Walker nicht immer schon ein ausgesprochen problematischer Geselle war und die Texte und Inhalte von SOLSTICE wie auch von (Epic) Metal als Ganzem nicht generell etwas kritischer betrachtet werden könnten. Ich fasse mir auch da an die eigene Nase – Verklärung von kollektivem Abschlachten, Führer- und Heldenkult, „die Natur“ als Leitbild, generell Eskapismus und Naturverklärung, das ist doch, seien wir ehrlich, alles hoch problematisch, und der Schritt zum Faschismus ist kein großer mehr. Ich weiß das. Ich hör die Scheiße trotzdem, und ich fühle sie auch. Was ich tun kann, ist, das zu reflektieren und bei aller emotionalen Weltverlorenheit und allen kindischen Gewaltfantasien die realen politischen Machtverhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und immer wieder zu kritisieren, und zwar von links, mit der Perspektive auf eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der Solidarität und kollektives Wirtschaften für alle und mit allen die Leitprinzipien sind. Ohne Führer, Volk und Vaterland und Blut und Boden, aber mit gesundem Menschenverstand und Vertrauen in Wissenschaft und Technik und den Menschen an sich, denn nur damit wird es gehen.

Klar haben Menschen verschiedene kulturelle Hintergründe und Geschichten, klar hat man mit dem einen mehr gemeinsam als mit jenem – aber daraus eine Ideologie zu machen, nach der der Fortbestand der Menschheit davon abhängig sei, diese Kulturen voneinander zu trennen und archaische Geschlechterbilder zu leben, das mag für Leute sinnvoll erscheinen, die aufgrund ihres Unverständnisses der Komplexität des Wesens „Mensch“ ständig nach Erklärungen in dem suchen, was sie für Biologie halten, oder eh schon immer ihr Heil in der Nation als positivem Bezugspunkt für den eigenen Erfolg gesucht haben; für alle anderen sollte klar sein, dass ein friedliches Zusammenleben nur dann möglich ist, wenn es möglichst wenige Schranken – geistiger oder materieller Art – zwischen den Menschen (und möglichst wenige persönliche Entwicklungshindernisse, z.B. durch zu wenig Geld) gibt.

Aber so ist es leider nicht. Und obwohl ich nicht den Anspruch habe, dass alle Menschen in meiner Umgebung oder alle Künstler, die ich mag, meine politischen Einstellungen teilen, muss ich angesichts einer in ganz Europa erstarkenden faschistischen Bewegung da eine klare Trennlinie ziehen, wo die Inhalte dieser Bewegung nicht mehr nur verklausiliert dargeboten, sondern explizit politisch vorangetrieben werden. Vielleicht war ich naiv, aber ich hatte gehofft, dass die Expansion und Öffnung, die das Label in den letzten 10 Jahren betrieben hat, ein Zeichen dafür war, dass man sich vom rechten Rand verabschiedet hat. Das war offensichtlich ein Irrtum.


Stellungnahme von Martin Koller

Wir wollen vorab auch Prophecy die Möglichkeit geben, ihre Sicht der Dinge darzulegen und stellten dem Label folgende Fragen, die Martin Koller, Gründer von Prophecy Productions und Organisator des Prophecy Fest, beantwortet hat.

Auf unsere Fragen hin bat uns Martin Koller um folgendes: „Welche Aussagen der beiden genannten Künstler sind Eurer Meinung nach als rechtsextrem zu bezeichnen? Kannst Du mir diese bitte konkret nennen, um eine Stellungnahme möglich zu machen?“ Wir sind dieser Aufforderung nachgekommen und wollen dies auch hier dokumentieren, du findest die detallierten Belege am Ende des Textes.

Mit SOLSTICE ist bei Prophecy eine Band unter Vertrag1 und wurde auch für das diesjährige Prophecy Festival gebucht2, deren Mitglieder Rich Walker und Dan Capp durch verschiedene Aussagen, die man durchaus als rechtsextrem bezeichenen kann, auffällig geworden sind345.  Diskutiert wird das Thema unter anderem im Forum des Deaf Forever6. Auch ORPLID haben in einem Interview mit Schweizer Sender „Kontrafunk (autsch) – die Stimme der Vernunft“ rechtsextreme Positionen vertreten. Der Post mit einem Hinweis auf das Interview auf Facebook wurde nach kritischen Kommentaren wieder gelöscht.7

 

Wie definiert Prophecy Rechtsextremismus?

Martin Koller: Ich finde die Definition des Verfassungsschutzes passend: „Rechtsextremisten unterstellen, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide. Dieses Werteverständnis konterkariert zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und steht damit in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz.“

Wie steht Prophecy zu ORPLID, SOLSTICE und den Personen Rich Walker und Dan Capp, der auch mit WOLCENSMEN auf dem Prophecy Fest 2024 spielte? 

Martin Koller: Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich seit Langem ein Fan von WOLCENSMEN bin, sie jedoch nicht bei Prophecy Productions unter Vertrag stehen. Das Label Prophecy Productions wird von mir persönlich kuratiert. Ich wähle die Künstler ausschließlich nach meinem eigenen Geschmack aus. Politische Überzeugungen spielen dabei keine Rolle. Das Ergebnis meiner Arbeit ist ein vielseitiges Spektrum von Künstlern aus aller Welt, und das spiegelt sich auch in unserer Fangemeinde wider. So besuchen jedes Jahr Menschen aus fast 50 Ländern das Prophecy Fest – das ist eine Vielfalt von kulturellen Hintergründen, die unsere Gemeinschaft so einzigartig macht. Die Grundhaltung, Politik außen vor zulassen, habe ich als damals junger Idealist bereits im Jahr 1994 bei der Labelgründung für mich festgelegt. Ich bin dahingehend nie  Kompromisse eingegangen und werde auch zukünftig daran festhalten.

Wichtig ist: Wir machen uns die Ansichten unserer Künstler nie zu eigen. Die Aussagen der Musiker geben ihre persönlichen Meinungen wieder. Sie entsprechen keiner ideologischen Linie des Labels und formen auch keine. Das wäre bei der Vielfalt an sehr verschiedenen  Künstlern und deren Meinungen ohnehin unmöglich. Wir würden uns damit ständig selbst widersprechen. Künstler, Fans und Label verbindet der gegenseitige Respekt und die Liebe zur Musik. Die diversen Ansichten und Positionen, die unsere Künstler vertreten, sind letztlich Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft und bilden die Realität der Gegenwart ab. Prophecy Productions versteht sich als Plattform für kreative Freiheit und sieht es als seine Aufgabe an, Kunst und Musik unabhängig von politischen Dogmen zu fördern. Wir sind eine offene Gemeinschaft für alle, die Freude an unserer Musik und unseren Künstlern finden.

Persönlicher Einblick

Ich wurde schon im Alter von 11 Jahren zum Metal-Fan, als mit jemand im Jahr 1988 eine AD/DC/Iron Maiden Musikkassette überspielte. In kürzester Zeit „radikalisierte“ ich mich zum Sodom Fanclub-Mitglied, um kurz darauf nur noch Growls für akzeptabel zu halten. Nichts konnte für mich extrem genug sein. Dann lernte ich die Napalm Death EP „Mentally Murdered“ kennen und hielt die Band für das Extremste und Härteste musikalisch mögliche. Ich dachte, diese Musik sei dermaßen extremer Underground, dass sie nur wenigen Auserwählten bekannt sei. Doch dann tauchte eine Band auf, die Napalm Death verächtlich machte und sie als „Kapitalistenschweine“ und „Verräter“ bezeichnete. Das war so schräg und abgedreht, dass es sogar mich schockiert hat. Sore Throat – der Kopf dieser Band war Rich Walker. Sore Throat vereinte die Aufrührer der britischen Underground-Szene – wie Paul von Peaceville Records und Mitglieder der Band Doom. Ihre Songs trugen Titel wie “Bomb the White House”, “Scream Bloody Trout” und “We’ll March Against the Nazis”. Seit fast 30 Jahren bin ich nun schon Fan von Solstice, und der grantelnde Nonkonformist Rich Walker ist noch immer genauso völlig maßlos und wild in seiner furiosen Ablehnung von allem, was ihm gefühlt von „denen da Oben aufgezwungen wird“, wie er es damals war.

Mit Uwe Nolte und Orplid arbeite ich über 25 Jahren zusammen. Uwe ist ein verträumter Poet, der mit unserer Zeit wenig gemein hat. In all diesen Jahren hat er niemals etwas Rechtsextremes gesagt oder getan.

Meiner Meinung nach sollten wir Künstlern, gerade jenseits des Mainstreams, zugestehen, anders sein zu dürfen. Sie sind keine Politiker oder Wissenschaftler, die jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen, und sie sind auch nicht dazu ausgebildet, in der Öffentlichkeit glattgebügelt aufzutreten. Künstler haben meiner Meinung nach das Recht, auch verrückt, kontrovers und einfach anders als von der Mehrheitsgesellschaft gewünscht zu sein. Es gehört untrennbar zur Kunstfreiheit, dass sie auch überspitzt und drastisch darstellen darf – selbst wenn das aus einer objektiven, rationalen  Sicht manchmal schwer erträglich oder nachvollziehbar sein mag. Kunst darf hart anecken und sie muss keine Kompromisse eingehen und keinem Konsens folgen. Es hat in unserem Programm schon immer Künstler gegeben, die von allen Seiten angefeindet wurden. Wenn ich jedes Mal allen Forderungen nachgeben oder Kompromisse eingehen würde, gäbe es dieses Label nicht mehr. Die Freiheit von Kunst und Meinung habe ich auf Prophecy Productions stets hochgehalten und werde sie auch zukünftig verteidigen.

 

Quellen: 

1 https://mailchi.mp/spkr/solstice_sign_deal_with_prophecy_productions?e=73654197b9

2 https://mailchi.mp/spkr/prophecy_fest_2024_new_bands_prophetic_overture_thursday?e=73654197b9

3 https://www.youtube.com/watch?v=bAEDnF6z-DU&t=650s

4 https://www.swallowedinblack.com/solstice-interview/

5 https://hopenothate.org.uk/case-files-the-fyrgen/

6 https://forum.deaf-forever.de/index.php?threads/prophecy-fest-in-der-balver-h%C3%B6hle.21308/

7 https://www.facebook.com/prophecyproductions/posts/pfbid0yE83m6AmJSY4ShNhR3urST1vG6frnoiHQPVAi9GGuKKwTQW73hdBmTmFZVKYf4aCl?rdid=HmMIg1JIqHbRS3JH

 

ERGÄNZUNGEN ZU DEN FRAGEN AN MARTIN KOLLER

Zitate von Rich Walker aus dem Interview mit swallowedinblack.com
Einordnung und Kommentierung der Aussagen von Andi Holz

„Germany is no longer a free democracy but a curious amalgamation of fanaticism and fascism where a ruling elite punish ‘wrong think’ by prison sentences. Not actual physical offences, but ‘thinking the wrong thoughts’ and voicing an opinion that opposes the WEF agenda.“

–> Die Lüge, dass Deutschland als bürgerlicher Nationalstaat nicht mehr existiere, sondern von einer ominösen Elite regiert werde, die die falschen Gedanken mit Gefängnis bestraft und irgendwas mit dem Weltwirtschaftsforum zu tun haben soll, ist ein typisches antisemitisches Narrativ.

“I won’t take a knee, I won’t acknowledge your stupid fucking ‘pronouns’ and your corruption of English and language, and I certainly won’t encourage your sexual fantasies by telling you that by mutilating yourself via surgery you can be a woman. Just to confirm: no we aren’t ‘homophobic”, as our critics may like to believe, just very aware that indoctrination towards a trans humanist agenda uses gender dysphoria as a weapon in school systems by bullying developing children into taking drugs and accepting this as all normal and, worse still, inviting sex offenders into schools to read stories to them. I’m sorry, but this is clearly delusional and dangerous. The people behind this need to be executed. I can safely say that if a 50-year-old man in women’s underwear got his penis out in a school classroom whilst reading Sleeping Beauty because it was considered ‘enlightened’ in front of my daughters, I would quite simply beat him mercilessly, and also the teachers responsible for this farcical perverts party.
“In the ‘80s, we knew exactly what these people were: sick. No matter how much they try to polish the turd that they serve up to the young by inviting the local fetish club in, it is what it is – wrong on every level and not to be tolerated.“

–> Walker äußert hier stumpfe Vernichtungsfantasien gegen vermeintlich kranke Menschen. Beschrieben werden Menschen, die nicht in seine Vorstellung von Männern und Frauen passen. Derartiges wurde im Nationalsozialismus ebenfalls vertreten und auch in die Praxis umgesetzt.

Dan Capp:

“It fascinates me that adherents of the System can so easily convince themselves that they’re fighting it. It’s likely because the entire identity of the ‘Woke’ crowd necessitates the position of ‘underdog’. They can’t for a moment concede that they are the System because it would shatter their delusions. Whilst local and national government lines every city street with rainbow flags, hands entire hotels over to unproven refugees, and invites perverts to read stories to children, the advocates of such shenanigans still claim to be ‘fighting the System’. The only virus doing the rounds is of the psychological sort.”

–> Capp halluziniert sich hier eine Verschwörung zusammen auf der Basis eines von ihm beobachteten linksliberalen Zeitgeists (Antidiskriminierungspolitik) und einer bürgerlich-demokratischen Flüchtlingspolitik. Er bezeichnet das als Auswüchse eines „psychologischen Virus“. Wer aber ein paar harmlose linksliberale politische Maßnahmen derart verteufelt, wird vermutlich das Gegenteil dieser gut finden: skrupellose direkte Ausweisung von Flüchtlingen, Schließung der Grenzen, ein Ende von Antidiskriminierungsprojekten. Das ist typische rechtsextreme Agenda.

“Whilst I broadly echo Rich’s sense of anger at what’s being done, in answering the question ‘has England fallen?’, I’d have to offer a two-pronged response: England as a historical patch of land with a culturally and genetically homogeneous people is, in my opinion, gone. The majority act as soulless husks now, mindless of the damage done and seeking only the path of least resistance (and least dignity). But where just one battalion of Englishmen still stands, there England lives – upon whichever patch of land that may be.
“Karl Marx once complained that ‘England appears to be the rock on which the revolutionary waves split and disperse and which starves the coming society even in the womb’. He and his odious cohorts knew that the English would never accept an open proposal of Communism (anti-nature), and would defeat any attempt at violent conquest, so they conjured other, more devious means by which to enslave this land to their perverse ideology, and it involved a long march through the institutions. That march is nigh on accomplished now, sadly, because recent generations dropped their guard and the common man was bribed with trends and trinkets.“

–>Hier vertritt Capp eine ebenfalls typisch rechtsextreme antikommunistische Verschwörungstheorie: Die bürgerliche Demokratie sei die eigentliche Verwirklichung des Kommunismus bzw. des Marxismus, und das wiederum sei wider die menschliche Natur. Als „natürlich“ bzw. der menschlichen Natur wird dann in der Regel eine faschistische Ordnung propagiert: Recht des Stärkeren und Blut-und-Boden-Ideologie, mithin das Primat homogener Völker in einem Staat mit einem „Survival of the fittest“ analog zum Tierreich (Stichwort Sozialdarwinismus). Dazu passt auch Capps und Walkers Rede vom „echten Mann“, der am Aussterben sei, weil er sich der „Woke-Ideologie“ gebeugt habe.

“There is still some fire in the English (shared by many of our Celtic and Germanic neighbours, and certainly by our cousins across the Atlantic), but I don’t believe salvation will or even can come by the ballot box. No, this isn’t a call for armed insurrection. The real work is being done on two fronts: those who are learning to detach from the incorporated United Kingdom and returning to the land, and those who are learning to use the laws of this land to preserve some freedom and dignity. The UK is a company, and voting for a new government is akin to voting in a new board of directors. There are fundamental laws that those parasites cannot change, and that’s what people need to learn.”

–> Capp vertritt hier die rechtsextreme These von bürgerlichen Nationalstaaten als Pervertierung der natürlichen Nation. Als Gegenmodelle schlägt er vor, völkische Siedlungen und eigene Staatsmodelle innerhalb dieses „Fake-Staates“ zu bilden und z.B. durch Tricks Steuern zu hinterziehen (dafür gibt er Anweisungen und Tipps in seinem Telegram-Kanal „The Fyrgen“, man suche darin einfach nach dem Begriff „tax“). In Deutschland kennt man solche Denkweisen und Lebensmodelle von den sog. „Reichsbürgern“, aber auch von völkischen Siedlern wie der sog. Anastasia-Bewegung.
Die Bezeichnung von demokratisch gewählten Menschen als „Parasiten“ ist im Übrigen auch ein typisches rechtsextremes und antidemokratisches Narrativ.

Interviewzitate von ORPLID, Uwe Nolte, aus dem Radio-Interview mit dem Schweizer Sender „Kontrafunk – die Stimme der Vernunft“
Einordnung und Kommentierung der Aussagen von Christoph

Minute 30: Patriotismus, DDR Jugend sucht nach den Wurzeln die in der DDR abgetrennt wurden

Dazu noch ein Kommentar von Christoph:
„Ich persönlich finde Patriotismus schwierig, aber was Nolte beschreibt ist für mich eher die Suche nach Heimat. Ich kann verstehen, dass die kommunistisch erzogene DDR-Jugend sich entwurzelt gefühlt hat und nach einer Art Heimat sucht. Der Podcast-Host sagt selbst, Nolte sucht nach Heimat, hätte sie aber noch nicht gefunden. Auf den Patriotismus wird in diesem Fall nicht eingegangen.

Gleichzeitig litt Nolte unter der Verfolgung Rechtsextremer in den Baseballschläger-Jahren. Wie sich Nolte in der Folge aus der linken Szene verabschiedet hat, beschreibt er indes nicht, der Host spricht von einer Enttäuschung. Diese Einordnung hätte vielleicht noch wichtig sein können. (Kontrafunk – Unter Freunden „Grenzerfahrungen“)

(Als „Wessi“ habe ich selbstredend andere Erfahrungen gemacht und gerade der sehr gute ARD-Podcast „Springerstiefel“ war in dieser Hinsicht äußerst erleuchtend.)

Minute 38: Stellvertreterkrieg Ukraine, gegen Waffenlieferungen, sieht deutsche Soldaten in Russland kämpfen

Minute 42:30: In Deutschland konvertieren Schüler zum Islam, aus Angst vor Gewalt an Schulen –> BILD Artikel, ein nicht namentlich genannter Staatsschützer sagt, dass sich immer mehr Eltern bei Beratungsstellen melden, weil ihre Kinder aus Angst konvertieren wollen, nicht quantifiziert und nur vage Behauptungen

„Im Neofolk finden Russen Deutschland wie es noch weiterlebt, in seinen alten Beständen?“ – „Ja.“ 43:30 „Neofolk-Konzerte wurden untersagt, ich mach sowas nicht mehr. Nicht staatlicherseits, aber da wird ich denunziert. Da werden die üblichen Alarmknöpfe gedrückt…“

Er spricht auch von Konzerten in Russland an Frontstädten zwecks Frieden. Er bezeichnet sich auch als Pazifist und abseits von rechts oder links. Aber die Gesinnung kommt subtil durch.

Im anderen Podcast lehnt Nolte jedes „Wir“-Gefühl ab, begründet es durch seine DDR-Erfahrungen, stellt sich aber auch gegen „Wir schaffen das“ von Angela Merkel. Islamophobie ist deutlich. Außerdem vergleicht er die Corona-Maßnahmen mit dem DDR-Regime.

Noch etwas allgemeines zu Kontrafunk: „Mitarbeiter sind dort u.a. Auch Jasmin Dantas Kosubek (RT DEUTSCH https://de.wikipedia.org/wiki/Jasmin_Kosubek), der libertäre Satiriker Andreas Thiel. Empfohlen wird Kontrafunk unter anderem durch Björn Höcke, Tichys Einblick und die Junge Freiheit: https://uebermedien.de/73663/kontrafunk-ein-radio-fuer-alle-die-an-corona-impfungen-klimawandel-und-allen-anderen-radios-zweifeln/

Wenn ich also eine Interviewanfrage von diesem Sender erhalte, weiß ich ganz genau auf was ich mich einlasse.“

Schwieriger ist der Interviewpartner und Podcast Host: Bernhard Lassahn hat früher Kinderbücher geschrieben und ist jetzt Autor für „Eigentümlich frei“ (libertär, rechtsgerichtet) und „die Achse des Guten“ (Henryk M. Broder).  Andere Gäste bei Kontrafunk – Unter Freunden waren u.a. Stefan Krähe (AFD-naher Liedermacher https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/stefan-kraehe-in-cottbus-trotz-naehe-zu-reichsbuergern-_-der-kuenstler-bekommt-eine-buehne-71239961.html), Cartoonist Bernd Zeller (hat für AFD Kompakt Cartoons gezeichnet) und Liedermacher Esteban Cortez, der auf AFD Familienfesten spielt.

Also, die Aussagen für sich genommen sind unangenehm, aber nicht alarmierend. Und da kann man natürlich argumentieren: Da war doch nichts. Aber man muss schon extrem blind sein, ein Podcastformat namens „Unter Freunden“ (Da wird wohl kein Streitgespräch stattfinden) mit diesem Personenkreis als unproblematisch zu finden.

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