Manchmal kommt alles anders, als man denkt. Eigentlich wollten WHILE SHE SLEEPS auf ihrer Europatournee gleich zwei Shows im Münchner Backstage spielen, bevor sich die Briten plötzlich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert sahen: Da Shouter Loz kurzfristig in die Heimat zurückreisen musste, um einer guten Freundin das letzte Geleit zu geben, stand der Zusatz-Gig der Metalcore-Band zwischenzeitlich kurz vor dem Aus.
Doch wer das Quintett aus Sheffield kennt, kann sich das Ende der Geschichte vermutlich bereits vorstellen. Die „Sleeps-Familie“ sei mehr als nur die fünf Kernmitglieder, ließ man über die sozialen Kanäle verlauten: Den vakanten Posten am Mikro fülle man an jenem Abend mit Rückendeckung aus dem Freundeskreis aus. Tatsächlich können WHILE SHE SLEEPS dank Anthony Diliberto (RESOLVE), Alex Taylor und Konan Hall (beide MALEVOLENCE) auf gleich drei Retter in der Not zählen. Eine kompetente Riege also, die auf dem Papier selbst mit unseren Zweifeln aufräumen kann. So stehen wir schlussendlich mit mehr Neugier als Skepsis im zunächst noch recht spärlich gefüllten Backstage Werk: Der vergleichsweise frühe Beginn an einem Werktag macht sich vor allem für den Anheizer bemerkbar.
RESOLVE
Von einer halb vollen Halle lassen sich RESOLVE glücklicherweise nicht verunsichern. Auch nicht vom zunächst trägen Publikum, das dem modernen Sound der Franzosen zwar nicht abgeneigt scheint, aber seine Konzertlaune offenbar noch nicht gefunden hat. Für Sänger Anthony Diliberto ist ein solcher Status quo freilich nicht zufriedenstellend: Es braucht nicht nur klare Worte, sondern eine Extraeinladung, bis in der Arena endlich Bewegung einkehrt.
Bis in den Fotograben kämpft sich der Frontmann vor, um die Münchner:innen bei der Ehre zu packen: Verdient ist der anschließende Circle Pit in „Death Awaits“ somit allemal, die Stimmung ab jenem Augenblick im steten Aufwärtstrend. Schlussendlich dürfen RESOLVE somit nach einer knappen halben Stunde positive Bilanz ziehen. Ob der Frontmann in „Smile“ selbst zur Gitarre greift oder im abschließenden „Older Days“ um gesangliche Unterstützung bittet – dank unerwartet kraftvollem Live-Sound holt uns das Material der Modern Metalcore-Band heute deutlich mehr ab als auf Platte in den heimischen vier Wänden.
RESOLVE Setlist – ca. 30 Min.
1. Human
2. Bloodlust
3. Death Awaits
4. Molotov
5. Sandman
6. Smile
7. Older Days
Fotogalerie: RESOLVE
THROWN
Zehn Songs in gut 25 Minuten – lange gefackelt wird mit THROWN sicherlich nicht. Stattdessen setzt das Quartett auf tief gestimmte Gitarren und satte Grooves, die auch im Backstage ihre Wirkung zeigen. Zum drückenden Sound von „Backfire“ geht es im Zentrum bald drunter und drüber, während die Schweden auf den Brettern ihrerseits keinen Stein auf dem anderen lassen.
Weil THROWN ihr Publikum auf diese Weise schnell aktivieren und in Bewegung halten können, entpuppen sie sich einmal mehr als durchaus effektive Support-Band, welche dieser Rolle gegenwärtig jedoch kaum entwachsen kann. Zu monoton, zu eindimensional ist der Ansatz des Gespanns, welcher sich immer wieder auf dieselben Stilmittel bezieht. Das nutzt sich selbst über die kurze Distanz schnell ab, wenngleich zumindest der größte Hit „On The Verge“ umjubelt aufgenommen wird und die geschickt platzierten Snare-Bombs in „Grayout“ zum Ende hin kraftvoll durch die Halle schallen.
THROWN Setlist – ca. 25 Minuten
1. Guilt
2. Dwell
3. Backfire
4. Parasite
5. Dislike
6. New Low
7. On The Verge
8. Bloodsucker
9. Nights
10. Grayout
Fotogalerie: THROWN
MALEVOLENCE
Wirkten MALEVOLENCE trotz Engagements 2023 auf der großen Bühne des Zenith etwas verloren, so befinden sie sich nun unbestreitbar in ihrem Element. Mit wie viel Einsatz die Meute schon in „Life Sentence“ dabei ist, imponiert den Briten genauso wie uns: Vor allem Shouter Alex freut sich über den regen Zuspruch, als sich die Münchner Fanbasis sogar bei der neuen Single „Trenches“ erstaunlich textsicher zeigt.
Sympathisch und nahbar zeigt sich das Quintett über eine Dreiviertelstunde, bringt die Arena in „Still Waters Run Deep“ kollektiv zum Springen, bevor im energischen „Karma“ die Wall of Death gleich im Doppelpack serviert wird. Ausdauer hat man ja genug: Immerhin durften die Fans im ruhigen „Higher Place“ kurz zuvor im Lichtermeer der eigenen Smartphone-Geräte durchschnaufen, während Gitarrist Konan für ein paar Minuten den Lead-Gesang übernahm.
MALEVOLENCE sparen sich ihren größten Hit für den Schluss auf
Jener veredelt auch sonst ab und an die Refrains der Formation, die sich natürlich den Hit „On Broken Glass“ für den Schluss aufgehoben hat. Auf Circle Pit und Crowdsurfer-Alarm folgt abschließend nur die einzig logische Konsequenz: Zugaberufe für den Special Guest – sicherlich Balsam für die Seele, auch wenn der Zeitplan letztlich keine Dreingabe hergibt.
Fotogalerie: MALEVOLENCE
WHILE SHE SLEEPS
“Lasst uns das Beste aus einer schlechten Situation machen.“ Noch bevor das Intro ertönt, erklimmt Gitarrist Mat Welsh die Bühne, um den Anwesenden den Stand der Dinge zu erörtern. Nicht alle mögen zum gegenwärtigen Zeitpunkt schließlich von der heutigen Ausnahmesituation gehört haben: Ohne Frontmann Loz, doch dafür mit einer ganz besonderen Show will man den Abend dennoch in eine schöne Erinnerung verwandeln. Hilfe erhalten WHILE SHE SLEEPS dabei von ihren eigenen Vorbands: Anthony Diliberto (RESOLVE) schnappt sich zum Auftakt das Mikro, um diesmal vor einem insgesamt gut gefüllten Backstage Werk die Früchte seiner frühabendlichen Arbeit zu ernten.
Ohne Frage sind die Münchner:innen zum Showbeginn schon auf Betriebstemperatur, stürzen sich im verbissenen „Leave Me Alone“ in den Moshpit und verwandeln die Halle im folgenden „Anti-Social“ in eine geradezu verrückte Szenerie. Weil die Briten heute trotzdem voll bei der Sache sind und auch die Aushilfsshouter ihren Job hervorragend machen, funktioniert eine SLEEPS-Show offensichtlich auch ohne Rampensau Loz ganz ordentlich.
Auch WHILE SHE SLEEPS-Gitarrist Mat Welsh übernimmt zeitweise die Lead-Vocals
So dürfen sich die Fans bereits in „Rainbows“ für die erste Wall of Death in Position bringen, bevor Bassist Aaran Mckenzie während „Self Hell“ einen Ausflug in die springende Meute wagt. Ausgebremst wird die grandiose Feierlust nur durch die häufigen Pausen zwischen den Songs, welche aber Nebenprodukt der Ausnahmesituation sind. Die regelmäßigen Sängerwechsel erfordern schlicht etwas Zeit, die wir WHILE SHE SLEEPS aber gerne zugestehen möchten.
Zumal der Ablauf ansonsten reibungslos funktioniert: Dem leicht heiseren Mat Walsh hören wir die Strapazen in der Stimme zwar an, als er selbst die Lead-Vocals von „You Are We“ übernimmt, stark ist die Performance nichtsdestotrotz. Mit ähnlichem Engagement geht derweil RESOLVE-Frontmann Anthony zu Werke, der sich im Evergreen „Four Walls“ direkt zu einem Bad in der Menge hinreißen lässt. Als einer von dutzenden Crowdsurfern bringt der Aushilfs-Frontmann auch die Security ins Schwitzen, die ansonsten wohl den besten Blick auf das Spektakel im Innenraum haben dürfte.
Für einen Song überlassen WHILE SHE SLEEPS ihrer Crew die Bühne
So lässt MALEVOLENCE-Shouter Alex Taylor die Fans in “Systematic” aus der Hocke springen, während er für den Singalong „Down“ direkt den Hauptgesang übernimmt. Sein eigentliches Gastfeature gibt er an Bandkollege Josh ab, um den Münchner:innen auch hier einen kleinen Überraschungseffekt zuzugestehen. Für einen Weiteren ist Taylor zudem höchstpersönlich verantwortlich: Den Klassiker „Seven Hills“ haben WHILE SHE SLEEPS extra für den Retter in der Not ins Programm genommen – schließlich handele es sich dabei um einen seiner Lieblingstracks, wie wir sodann erfahren. Eine ausgezeichnete Wahl, die nicht nur aufgrund des Circle Pits zum Höhepunkt des Abends wird.
Ebenfalls den Umständen geschuldet ist ein kurzzeitiger Rollentausch: Dass WHILE SHE SLEEPS ihrer Road-Crew für einen Song die Bühne überlassen würden, hätte vorab wohl niemand erwartet. Es ist eine schöne Geste und ein Sinnbild des Familiengedankens, der jedoch einen leicht schalen Beigeschmack erhält. Immerhin hätte man das eher zweckmäßige LIMP BIZKIT-Cover „Break Stuff“ sicherlich auch untergebracht, ohne einen eigenen Song aus der Setlist zu streichen.
Nur die Lightshow bleibt bei WHILE SHE SLEEPS auf Vorband-Niveau
Dafür biegt das Quintett in wechselnder Frontbesetzung mit Vollgas auf die Zielgeraden ein: „Silence Speaks“, das von Konan Hall (MALEVOLENCE) eindringlich vorgetragene „To The Flowers“ und das letztlich mehr oder weniger instrumental gespielte „Sleeps Society“ mischen das Backstage Werk nochmals gehörig auf und lassen die widrigen Umstände für einige Augenblicke vollständig vergessen. Tadel gilt somit einzig und allein der regelrecht miesen Lightshow auf Vorband-Niveau. Beleuchtet werden WHILE SHE SLEEPS anderthalb Stunden lang nur aus dem Hintergrund, was zwischen ermüdenden Stroboskop-Effekten und den teils kaum lesbaren Emotionen in den Gesichtern einer sonst so explosiven Darbietung schlicht nicht würdig ist.
Ein kleiner Makel, den in der bayerischen Landeshauptstadt die überwältigende Mehrheit jedoch ohnehin kaum wahrgenommen hat. Jedenfalls lassen darauf die zufriedenen und nicht selten verschwitzten Gesichter schließen, die Gitarrist Mat Welsh offenbar beim Wort genommen haben. Denn nicht nur war man Teil eines nicht alltäglichen Auftritts, sondern hat darüber hinaus tatsächlich das Beste aus einer unglücklichen Situation gemacht. Und genau dafür, das haben WHILE SHE SLEEPS demonstriert, hat man doch letzten Endes die Familie.
WHILE SHE SLEEPS Setlist – ca. 90 Min.
1. Peace of Mind (Intro)
2. Leave Me Alone
3. Anti-Social
4. The Guilty Party
5. Rainbows
6. You Are We
7. Self Hell
8. Systematic
9. Four Walls
10. Down
11. Seven Hills
12. Enlightenment?
13. WSS-Crew: Break Stuff (LIMP BIZKIT-Cover)
14. Silence Speaks
15. To The Flowers
16. Sleeps Society
Fotogalerie: WHILE SHE SLEEPS
Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)