THE THIRD AND THE MORTAL, AUTUMNBLAZE, EWIGHEIM & THE LOVELESS, Essen, Zeche Carl, 29.09.2002

Ein wirklich exquisites Paket Musik, das sich hier versammelt hatte und somit ein kurzweiliger und kulturell wertvoller Abend.

Die Zeche Carl in Essen ist ein soziokulturelles Zentrum, in dem Bier in Plastikbechern und für 1,80 € serviert wird. Das ist zwar irgendwo eine Frechheit, aber dafür spielt dort auch regelmäßig die versammelte Metal-Prominenz auf, weshalb man von diesem unschönen Zustand mal abgesehen werden kann. An diesem Sonntagabend hatte sich zudem noch ein wirklich exquisites Paket Musik versammelt, um die leider nicht sonderlich zahlreiche Zuhörerschaft zu erfreuen und in die nächste werktägige Woche zu verabschieden. Es wurde ein schöner Abend, natürlich.

Zunächst begann er allerdings nicht so schön. Der kulturelle Teil des Abends wurde nämlich von Kim Larsen und seinen zwei Mitstreitern von THE LOVELESS eröffnet, die in punkto musikalische Belanglosigkeit leider recht weit oben anzusiedeln sind. Die einzige Bewegung auf der Bühne war die von Larsen, den ich als Musiker eigentlich sehr schätze, zur obligatorischen Bierdose – ansonsten beschränkte man sich darauf, still zu stehen. Nun gut, das paßt immerhin zur Musik, die bodenständig und rockig ausfällt, aber wie gesagt niemanden vom Hocker reißen kann, der wirklich packende Melodien, gute Arrangements und vor allem einen ausdrucksstarken Sänger erwartet. Dieser nämlich ließ jegliches Charisma vermissen und „sang“ meist nur einen Ton, diesen in der Lautstärke variierend. Schade um die guten Ansätze in der Musik, welche ja auf jeden Fall vorhanden sind, z.B. bei dem netten Stück „All The Same“. Alles in allem jedoch in diesem Entwicklungsstadium eine völlig überflüssige Band, die im Windschatten von KATATONIA und Co. nur blaß aussehen kann.

Positiv überrascht wurde ich dann von den nächsten Akteuren des Abends, EWIGHEIM, die sich nicht nur als brillante Entertainer entpuppten, sondern auch bewiesen, daß ihre auf Platte belanglos und albern klingenden Songs live außerordentlich gut funktionieren. Wobei das Wörtchen „live“ nur zur Hälfte stimmt, denn Schlagzeug und Keyboard kamen vom Band. Über diesen Schönheitsfehler mal hinweg blickend mußte ich feststellen, daß Songs wie „Rückgrat“, „Ein böser Scherz“ und besonders „Dein Zweck“ in Verbindung mit dem teils arroganten, teils unheimlich sympathischen Auftreten von Frontmann Allen B. Konstanz eine Wirkung entfalten können, die in der Tat als „morbide Faszination“ ganz gut umschrieben ist. Während des ganzen Auftritts umgab die Band eine einnehmende Natürlichkeit, bei der man jedoch nie wußte, was nun spontan und was einstudiert war, so z.B. als Yantit bei „Ewigheim“ mit singen sollte, sich aber nicht traute. Eine gelungene Abwechslung in diesem Billing also und ein schöner Zeitvertreib. Man könnte auch sagen: ich habe mich prächtig amüsiert.

Dann betraten AUTUMNBLAZE die Bühne, oder zumindest die Live-Version des Projekts. Markus B., Kopf dessen, sagte dann auf der Bühne zwar „Wir sind Autumnblaze“, aber ein Blick in die Booklets sämtlicher Veröffentlichungen belehrt eines Besseren. Halb so wild, denn auf diese Art und Weise gewinnen die Live-Auftritte von AUTUMNBLAZE den Reiz des wirklich besonderen, da sämtliche elektronischen Elemente in den Studioversionen der Songs umarrangiert werden für Gitarre, Bass und Schlagzeug. Und da, das muß ich sagen, hakt es. Zwar ist der Zauber der Musik auch in diesen Versionen zu spüren, aber zumindest in zwei Dingen ist der Wurm drin: erstens wirkt Markus´ phantastische Stimme in Verbindung mit dunkler Elektronik wesentlich besser und tiefer, und zweitens braucht die Live-Band dringend einen zweiten Gitarristen oder eine Gitarristin, um die riesigen Löcher, die sich durch das Fehlen der zweiten Gitarre bei den intensiven, aufbrausenden Elementen der Musik einstellen, zu füllen. Es kann doch nicht sein, daß bei „It never felt like this before“ oder „Can´t Save Anyone“ nur die Oberstimme gespielt wird; das klingt einfach nicht gut und viel zu dünn. Zudem sollte aus meiner Sicht ein anderer verzerrter Gitarrensound generell gewählt werden, da der bei diesem Konzert zu hörende schlicht grausam klang.

Abgesehen von diesen Kritikpunkten ist es natürlich immer wieder eine Freude, die sensible und wunderschöne Musik von AUTUMNBLAZE auch live zu hören, zumal Markus sich auf der Bühne noch einmal steigert, sowohl emotional als auch technisch gesehen – was für ein Sänger! Wo bei dem Sänger von THE LOVELESS Charisma an allen Ecken fehlt, besitzt Markus fast schon zuviel davon. Schlicht bewundernswert ist es, wie dieser Mann auf der Bühne Teile seiner Seele offen legt, schreit, jauchzt oder schlicht herzergreifend singt. Und das, selbstverständlich, ohne kitschig zu wirken, auch wenn manche Menschen das anders sehen mögen. Seine Band unterstützte ihn dabei nach Kräften, sie spielte engagiert und sehr gut zusammen, so daß ich mich fragen muß, warum Markus nicht mit ihr eine Platte aufnimmt. Die jetzt erscheinende Mini-CD „Lighthouses“ jedenfalls wäre doch eine perfekte Möglichkeit gewesen, da die darauf enthaltenen Songs sowieso hauptsächlich aus Gitarre, Bass und Schlagzeug bestehen. Wie dem auch sei, der Auftritt endete in einem ungemein intensiven Finale zunächst mit „Bleak“ und dann mit „Shells & Butterflies“, das Markus nach den Worten „Tonight I Save You“ mit „Danke und gute Nacht“ beendete – ein schöner Abschluß, und ein passender dazu.

Nach diesem stellenweise ergreifenden Auftritt war ich sehr auf THE THIRD AND THE MORTAL gespannt, die ich bis dato überhaupt nicht kannte – weder die alten Sachen noch die neueren. Und dementsprechend begeistert war ich dann auch, als die Band begann. Das ganze klang wie der perfekte Soundtrack zu einem Film Noir, düster, jazzig, groovig und rockig zugleich und dabei vor allem immer eines: cool. Die fünf Musiker, die am Anfang auf der Bühne standen, begannen mit einem Instrumental. Über den Köpfen der Akteure spielten sich Filmszenen ab, die wunderbar zur Musik paßten, und alles wirkte ungemein agil und stimmig, was sich im weiteren Verlauf des Konzerts fortsetzte. Die Band war eine Einheit, perfekt aufeinander abgestimmt, technisch atemberaubend gut und mit enormer Spielfreude gesegnet. Besonders der riesige Bassist fiel ins Auge, nicht nur wegen seiner stattlichen Körpergröße und seines fast kahlen Kopfes, sondern weil er die schiere Inkanation des Begriffes „Rhythmus“ zu sein schien; in absoluter Eintracht mit dem Instrument vereint, bewegte dieser Mann sich in der Musik wie ein Fisch im Wasser – großartig. Fünf Musiker also, aber nicht die ganze Zeit, stellenweise waren acht Menschen auf dieser Bühne und bildeten immer noch diese Einheit von Auftritt, Musik und Film, so daß eine Atmosphäre entstand, die nur noch als beeindruckend zu bezeichnen ist. Insbesondere Sängerin und Sänger hinterließen Eindruck, nicht nur durch ihre Fähigkeiten, sondern auch durch ihr gesamtes Auftreten – man muß es gesehen haben, auch wenn die Mittel einfach sind. Die Musik nun, eine Mischung aus Elektronik, Jazz, Rock und David Bowie, wußte ebenfalls ungemein zu faszinieren, obwohl ich sie hier zum ersten Mal hörte. Wenn dieser Auftritt einen Wehmutstropfen hatte, dann den, daß er zu kurz war – aber das waren die davor auch schon gewesen. Am Ende blieben also Eindrücke, Emotionen von einem schönen Musikabend. Und natürlich Geld beim Merchandise-Stand für die Tonträger, mit denen die Sammlung notgedrungen aufgefüllt werden mußte – man gönnt sich ja sonst nichts.

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