Auf „Shining“ lernten sie voriges Jahr das Loslassen. Nun aber strecken SWALLOW THE SUN wieder die Hand aus, um der Zuversicht in diesem neuen Kapitel ihrer Bandgeschichte auch Taten folgen zu lassen. Nach zwei emotional niederschmetternden Alben hat das Quintett wieder Mut gefasst, ja möglicherweise sogar das Licht wiederentdeckt. Es ist ein Prozess der Selbstfindung, an dem uns die Finnen teilhaben lassen und den im Münchner Backstage selbst an einem regulären Werktag wie diesem Mittwoch eine überraschend große Anhängerschaft begleiten möchten.
Dass es zu Beginn des Abends noch ein wenig überschaubarer zugeht, liegt derweil in der Natur der Sache. Dennoch hat der freundliche Verkäufer am Merchandise bereits vor Showbeginn alle Hände voll zu tun, um diverse Artikel der nordeuropäischen Delegation an den Fan zu bringen. Neben den Headlinern haben sich schließlich mit BEFORE THE DAWN und STAM1NA weitere Gesandte aus dem Land der 1000 Seen angekündigt.
STAM1NA
Damit es gar nicht erst zur Langeweile kommen kann, setzt das Tourpaket gleich zu Beginn auf ein Kontrastprogramm. Gegenüber der Melancholie ihrer Mitstreiter wirken die spritzigen STAM1NA trotz bald 30-jähriger Bandgeschichte wie das blühende Leben. So lassen Bassist Kai-Pekka Kangasmäki und die beiden Gitarristen Pekka Olkkonen sowie Veli Antti Hyyrynen das Haupthaar quasi pausenlos kreisen – mal individuell, mal perfekt synchron, als habe man heimlich im Proberaum geübt.
Irgendwo zwischen Heavy Metal und Thrash mit belebenden Synthesizern würden wir den Stilmix der Finnen verorten, dem dank der Texte in Landessprache auch eine dezent exotische Note anhaftet. Stürmisch wie melodisch holt uns „Vereen piirretty viiva“ zum Auftakt ab, bleibt aber nicht das einzige Ass im Ärmel STAM1NAs. Mit Groove und zwingender Riffarbeit, kreisen die Mähnen bald nicht nur auf, sondern auch vor der Bühne: eine Art Aufwärmprogramm, das sich schon bald zum Moshpit steigern kann.
Der spritzige Auftritt STAM1NAs gleicht einer kleinen Wundertüte
Viel nachhelfen müssen die Musiker dafür nicht – es reichen ein paar aufmunternde Worte, bis man sich auch in der Backstage Halle wieder „wie 19 fühlen“ darf. Den harmonischen Leadgitarren im Refrain von „Taivas“ stellen STAM1NA derweil ein paar rotzige Akzente im KVELERTAK-Stil entgegen, so dass der schmissige Auftritt bis zum Ende einer kleinen Wundertüte gleicht. An dessen Boden hat sich schließlich mit „Sirkkeli“ ein Thrash-Brecher versteckt, der zwischendurch sogar SLAYER und damit folgerichtig einen Circle Pit auf den Plan ruft. „Kreissäge“ heißt der Titel zu Deutsch – passender kann man einen solch fiesen Abschluss wohl nicht betiteln.
Fotogalerie: STAM1NA











BEFORE THE DAWN
Kein Sägen, aber ein wummerndes Dröhnen begleitet den folgenden Changeover. Die Audiountermalung mag gewöhnungsbedürftig sein, sorgt aber im Anschluss für ein erleichtertes Jauchzen, als BEFORE THE DAWN endlich startklar sind. Einen Hauch Melancholie kann man dem Melodic Dark / Death Metal im Folgenden kaum absprechen, doch der Stimmung im Backstage tut dies keinen Abbruch.
Dank des satten und klar abgemischten Sounds ist die Einstiegsschwelle gering: Die geballten Fäuste reckt das Backstage in „Faithless“ im Takt gen Himmel, während Juho Räihä die Haare nahezu pausenlos kreisen lässt. Dass der Gitarrist gemeinsam mit Kollege Pyry Hanski am Bass den Großteil des Stageactings schultern muss, fällt interessanterweise jedoch kaum ins Gewicht.
Der Auftritt BEFORE THE DAWNs vergeht wie im Flug
Frontmann Paavo Laapotti klammert sich die meiste Zeit des Sets zwar fest an seinen Mikrofonständer, legt mittels beeindruckend tiefer Growls und seiner emotionalen Gesangsperformance dennoch genug Gefühl in die Darbietung. Vielleicht sitzt im Laufe der 50 Minuten nicht jeder Ton perfekt, die hohen Passagen der neuen Single „As Above, So Below“ meistert Laapotti jedoch souverän.
Zwischen stampfendem Midtempo à la „Chains“ und den melodisch-verspielten Gitarren von „Winter Within“ bleibt somit nicht viel Spielraum für schlechte Laune. Da BEFORE THE DAWN ihr Set zielgerichtet auf den doppelten Höhepunkt „Death Star“ und „Deadsong“ zusteuern lassen, vergeht der Auftritt des Quartetts letzten Endes wie im Flug.
BEFORE THE DAWN Setlist – ca. 50 Min.
1. My Darkness
2. Faithless
3. Dying Sun
4. As Above, So Below
5. Chains
6. Downhearted
7. Winter Within
8. Monsters
9. Wrath
10. Deathstar
11. Deadsong
Fotogalerie: BEFORE THE DAWN











SWALLOW THE SUN
Wenn wir an das letzte Münchner Gastspiel zurückdenken, hat sich im Jahr 2025 für SWALLOW THE SUN doch einiges gewandelt. Nicht nur ist mit dem zuversichtlichen „Shining“ etwas mehr Licht und Farbe in die Live-Show der Melodic Doom Death / Dark Metal-Band zurückgekehrt, auch vor den Brettern ist es nun ungleich kuschliger geworden. Woher der Publikumszuwachs kommt, ist wohl kaum an einem Faktor festzumachen; dass selbst unter der Woche in der Backstage Halle nun volles Haus herrscht, gönnen wir der Band allerdings von Herzen.
Dabei bricht das Quintett nicht mit allen Gepflogenheiten: Wie in der Vergangenheit dient ein eigener Song als vorgeschaltetes Intro. „Velvet Chains“ leitet diesmal den Abend ein, bevor das schick ausgeleuchtete „Shining“-Artwork das heutige Motto auch visuell hervorhebt. Dessen Opener „Innocence Was Long Forgotten“ entfaltet sich live ähnlich gefühlvoll, wenngleich etwas zurückgenommen, so dass die Riffwände des folgenden „What I Have Become“ umso mächtiger einschlagen.
SWALLOW THE SUN legen großen Wert auf die richtige Atmosphäre
Ein wenig präsenter könnte der melancholische Gesang Mikko Kotamäkis in diesen Anfangsminuten sein, durch Mark und Bein geht das teils konsternierte Material der Band dennoch. Dazu trägt auch die schicke visuelle Gestaltung bei, die mittels zusätzlicher LED-Leisten eine verträumt-romantische Atmosphäre in die Halle zaubert. Das wirkt auch deshalb wie aus einem Guss, weil SWALLOW THE SUN nötige Stimmpausen mittels eingespielter Spoken-Word-Interludes überbrücken. Textfragmente geben auf diese Weise einen Ausblick auf das bevorstehende Material, das zuvorderst in eine von zwei Kategorien fällt.
Die nachdenklich-melancholischen Stücken wie „Under The Moon & Sun“, die wahlweise zum entrückten Dahinschwelegn oder Mitklatschen einladen, kontrastiert die Band mit walzenden Doom-Death-Brocken à la „These Woods Breathe Evil“ oder dem Refrain von „Don’t Fall Asleep“, wo besonders die Leadgitarre schöne Akzente setzt. Unerwartet ist derweil der Verzicht auf Material des letzten Studiowerks „Moonflowers“ (2021), wohingegen „When A Shadow Is Forced Into The Light“ (2019) mit dem intensiven Titeltrack bedacht wird.
Aus dem Konzept bringen lassen sich SWALLOW THE SUN durch kleinere Unzulänglichkeiten nicht
Die niederschmetternden Arrangements des Songs begleitet Gitarrist Juha Raivio mit ausschweifender Gestik, hebt mal beide Hände zur Brust, nur um sie anschließend in symbolischer Art und Weise den Anhänger:innen in der ersten Reihe zu reichen. Dort wiederum wird altem wie neuem Material in gleicher Weise Wertschätzung entgegengebracht, wobei die Jubelschreie während der ersten Töne der eingängigen Single „MelancHoly“ schon in auffallend hoher Lautstärke durch den Club hallen.
Kleinere technische Komplikationen mit den Monitor-Boxen wiederum überspielen SWALLOW THE SUN professionell, während die Crew eifrig über die Bretter huscht. Keine Frage, man ist natürlich viel zu erfahren, um sich wegen solcher Unzulänglichkeiten aus dem Konzept bringen zu lassen. Auch uns reißt während des 75-minütigen Sets nur eine kleine kreative Entscheidung aus der Trance, als Anette Olzons (ex-NIGHTWISH) Gastgesang in „Cathedral Walls“ der Einfachheit halber als Backing Track mitläuft.
SWALLOW THE SUN gelingt der Aufbruch in ein neues Bandkapitel auch im Live-Format
Es ist letztlich nur ein kleiner Makel einer sonst rundum stimmigen Show, die mit einem Ausflug in die Vergangenheit gekrönt wird. „No more clean singing“, kündigt Mikko Kotamäki für das Finale an, das in Form des Klassikers „Swallow“ kraftvoll und selbstbewusst endet. Frei von Selbstzweifeln und mit neuem Selbstverständnis gelingt SWALLOW THE SUN somit mit dem „Shining“-Zyklus auch im Live-Format ein Neuanfang, welcher Vergangenheit mit Gegenwart gewinnbringend zu balancieren weiß.
Losgelassen haben die Finnen offenbar nur den mentalen Ballast, der jahrelang schwer auf den Schultern lag. Verbannt sind jene Erfahrungen natürlich nicht, doch richtet sich der Blick jetzt wieder nach vorne: Schön, dass die vielen langjährigen Fans aus der bayerischen Landeshauptstadt auch diesen Weg mitgehen möchten.
SWALLOW THE SUN Setlist – ca. 75 Min.
1. Innocence Was Long Forgotten
2. What I Have Become
3. When A Shadow Is Forced Into The Light
4. Under The Moon & Sun
5. Don’t Fall Asleep (Horror Pt. 2)
6. Cathedral Walls
7. Charcoal Sky
8. New Moon
9. MelancHoly
10. These Woods Breathe Evil
11. November Dust
12. Swallow (Horror Pt. 1)
Fotogalerie: SWALLOW THE SUN










Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)