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WYTCHCRAFT: Grenzgänger

Als echte Grenzgänger erweisen sich die Ruhrpott-Doomer WYTCHCRAFT, die mit ihrer ersten eigenproduzierten Full-Length-CD “I taste your Fucking Tears of Sorrow” ein sehr abwechslungsreiches Werk abgeliefert haben, das aber nicht bei allen Doom-Jüngern auf Gegenliebe stößt. Darauf kommt es der Truppe aber auch gar nicht unbedingt an, stattdessen vertraut man lieber dem eigenen Gefühl und liegt somit für Freunde der Band definitiv richtig.

Als echte Grenzgänger erweisen sich die Ruhrpott-Doomer WYTCHCRAFT, die mit ihrer ersten eigenproduzierten Full-Length-CD “I taste your Fucking Tears of Sorrow” ein sehr abwechslungsreiches Werk abgeliefert haben, das aber nicht bei allen Doom-Jüngern auf Gegenliebe stößt. Darauf kommt es der Truppe aber auch gar nicht unbedingt an, stattdessen vertraut man lieber dem eigenen Gefühl und liegt somit für Freunde der Band definitiv richtig.

Mit eurem ersten Full-Length-Album dürftet ihr so einige Leute überrascht haben und das bereits mit der Optik der CD beginnend. Doom-Metal werden hinter dieser Verpackung wohl die allerwenigsten erwarten. Aber das scheint durchaus eine grundsätzliche Herangehensweise von euch an euer eigenes Schaffen zu sein, oder?

Daniel: Das könnte man so sagen, ja. Wir mögen es einfach die Leute zu überraschen und lassen uns nicht gerne durch Vorgaben von außen beschränken in dem, was wir tun – sowohl musikalisch als auch die Verpackung betreffend. Es ist keinesfalls so, dass wir mit dem klassischen Doom Metal auf Kriegsfuß stehen würden. Wir mögen diesen Sound sogar sehr, und wenn uns danach ist, wird man in unserer Musik und natürlich auch in den Texten und der Verpackung Elemente davon wieder finden. Wir versuchen also nicht, uns auf Teufel komm raus vom Doom zu distanzieren. Das wäre ja auch Unsinn, schließlich sehen wir uns selbst immer noch als Doom-Band im weitesten Sinne und fühlen uns in dieser Szene auch im Großen und Ganzen sehr wohl.

“Im Großen und Ganzen” hört sich jetzt aber auch schon wieder etwas nach den ein oder anderen Vorbehalten an…

Daniel: Stimmt. Wir können mit dieser True Doom-Diskussion, die von einigen Leuten geführt wird, einfach nichts anfangen. Das ist teilweise echt albern und einfach nur engstirnig. Natürlich kann jeder seine eigene Auffassung davon haben, was Doom ist und was nicht. Deswegen muss man sich aber noch lange nicht als Szene-Wächter aufspielen. Im Grunde ist es mir aber egal, ob eine Band nun von irgendwelchen Leuten als wahrer Doom bezeichnet wird oder nicht, denn das ist ja kein Qualitätsmerkmal. Worauf es ankommt, ist doch allein, ob es sich um gute Musik handelt oder nicht.

Auch der Titel des Albums ist äußerst ungewöhnlich ausgefallen und sorgt für Aufmerksamkeit. So hundertprozentig kann man aber auch da den Zusammenhang nicht so richtig schaffen. Eure Musik strahlt nicht unbedingt die Atmosphäre aus, die der Titel des Albums implizieren könnte. Wie kam es zur Titelwahl?

Daniel: Man sollte den Titel nicht allzu ernst nehmen, das tun wir selbst auch nicht. Letztlich ging es uns bei der Wahl des Titels auch nicht darum damit für Aufmerksamkeit zu sorgen – wir fanden ihn einfach cool. Es handelte sich dabei ursprünglich um den Arbeitstitel des Songs, der dann später zum Titelstück des Albums wurde, und wenn man sich den Text anschaut, dann macht er durchaus Sinn. Da wir ihn alle ganz witzig fanden, haben wir ihn dann auch so gelassen und sogar zum Albumtitel auserkoren. Um unserer Stilvielfalt gerecht zu werden, hätten wir das Album vielleicht “Grenzgänger II” nennen sollen…

Kai: Und nur weil die Musik sehr negativ klingt, heißt das nicht, dass wir alle ausschließlich Trübsinn blasend in der Ecke sitzen. Das Titelstück hat ja durchaus auch eine aggressive Komponente, wozu die entsprechende Benennung durchaus passt. Vom Text her geht es darum, seiner Aggression völlig freien Lauf zu lassen und – während man sich dabei quasi selbst beobachtet – zu fragen: “Was zur Hölle machst du da eigentlich gerade?”

Wie viel von dem Ganzen ist denn nun also ein Spiel mit Klischees und Erwartungshaltungen?

Wytchcraft Interview 2005 - Das Coverartwork zu I taste your Fucking Tears of Sorrow
Das Coverartwort zu “I taste your Fucking Tears of Sorrow” ist ein kleines Experiment, keinesfalls aber ein Versuch in der Gothic-Szene Fuß zu fassen.

Daniel: Ca. 34.788 %, haha. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir uns nicht hingesetzt haben und von Anfang an geplant haben, so mit Erwartungshaltungen zu spielen, wie es nun im Endeffekt der Fall ist. Der Titel ist einfach, bedingt durch den Text des entsprechenden Songs, entstanden. Als er dann aber erstmal im Raum stand, kamen schnell die ersten Ideen für das Cover-Foto auf. Wir lieben Klischees, und damit zu spielen, hat sich als sehr reizvoll herausgestellt. Man könnte das Ganze auch als kleines Experiment betrachten, keinesfalls aber als einen Versuch, nun in der Gothic-Szene Fuß zu fassen. Spätestens, wenn die Musik im CD-Player landet, wird schließlich klar, dass wir da musikalisch nicht wirklich reinpassen.

Gleichzeitig steckt darin ja sogar in der im Großen und Ganzen toleranten Doom-Szene eine Gefahr. Eure bewussten Grenzüberschreitungen könnten auch negativ bewertet werden. Gibt es da irgendwelche Befürchtungen?

Daniel: Ein Teil der Doom-Szene ist vielleicht nicht so tolerant wie man meinen könnte. Es gibt doch viele Leute, die gegenüber allem, was nicht deutliche SABBATH– oder SAINT VITUS-Referenzen aufzuweisen hat, verschlossen sind. Diese Personen werden sehr wahrscheinlich auch von unserem Album-Cover abgeschreckt und uns gleich in eine ihrer zwei Schubladen stecken, nämlich die “Nicht-Doom-Schublade”. Solche Leute werden aber mit unserer Musik vermutlich eh nichts anfangen können. Auf der anderen Seite gibt es aber auch in der Doom-Szene eine breite stilistische Streuung und Leute, die von REVEREND BIZARRE über CANDLEMASS bis zu WINTER oder avantgardistischen Bands wie MAR DE GRISES alles zu schätzen wissen und auch gerne mal über den Tellerrand schauen und Musik aus ganz anderen Genres hören. Diese Leute dürften mit unseren bewussten Grenzüberschreitungen keinerlei Probleme haben. Den Reaktionen nach zu urteilen sind es sogar gerade diese Grenzüberschreitungen, die von diesen Leuten geschätzt werden. Insofern gibt es von uns keine Befürchtungen, dass wir mit unserer Art in der Doom-Szene anecken könnten. Wir wissen, dass wir dies bei einem Teil der Szene tun, sind aber auch nicht bereit, uns zu verbiegen, um deren Vorstellungen von Doom gerecht zu werden. Wer mit Scheuklappen durchs Leben rennt, wird von uns nicht gut bedient, da ist schon eine gewisse Offenheit erforderlich und ein Sinn für Humor.

Kai: Wir spielen keine Musik, um irgendwelche Szenegänger zu bedienen, sondern vor allem, weil wir selbst auf die Art von Musik stehen, die wir schreiben. Natürlich kommt dabei etwas rum, was irgendwie unter Doom eingeordnet wird, weil das wohl der einzige Stil ist, den wir alle hören und lieben.

Wytchcraft Interview 2005 - Promobild der Band aus dem Jahr 2005
“Wir spielen keine Musik, um irgendwelche Szenegänger zu bedienen, sondern vor allem, weil wir selbst auf die Art von Musik stehen, die wir schreiben.”

Daniel, du hast gesagt, dass ihr wisst, dass ihr bei einem Teil der Szene aneckt. Hat sich das schon mal direkt gezeigt? Und worin siehst du bei euch die humoristische Seite, von der du gerade gesprochen hast?

Daniel: Das zeigt sich eigentlich immer dann, wenn man Rezensionen erhält, in denen darauf herum geritten wird, dass wir ja überhaupt keine Doom-Band seien, sondern allenfalls eine Power Metal-Band, die etwas langsamer spielt. Da herrschen bestimmte Muster vor, wie eine Doomband zu klingen hat, und wer davon abweicht, der wird nicht akzeptiert. Unsere humoristische Seite zeigt sich aktuell vor allem im Titel und Cover des Albums. Da gibt es Leute, die unseren Humor teilen und den Albumtitel entsprechend cool finden, während andere offenbar glauben, wir würden das alles todernst nehmen und Titel und Cover wegen ihrer Klischeehaftigkeit kritisieren. Allgemein nehmen wir uns selbst und alles drum herum nicht allzu ernst. Das kann dann auch schon mal in einigen sehr gewagten musikalischen Experimenten enden, die im Proberaum immer wieder für Lacher sorgen.

Würdet ihr dann jetzt schon den Titel eurer Debüt-Mini als festes Bandkonzept betrachten?

Daniel: Ja, der Titel beschreibt sehr gut, worum es uns in der Band geht, das war auch einer der Gründe, warum wir uns dafür entschieden haben, die Mini so zu benennen. An den Grenzen zwischen verschiedenen Genres zu wandeln ist ganz zentral für unseren Sound.

Aber gleichzeitig muss es dabei immer einen Kern geben, von dem aus man sich den Grenzen nähert. Ist das bei euch letztendlich die Doom-Basis oder würdet ihr sagen, dass das tragende Element eurer Musik etwas ganz anderes ist?

Daniel: Das ist schon die Doom-Basis. Doom ist irgendwo in jedem unserer Songs vorhanden, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt.

Selbst dieser Kern unserer Musik ist allerdings schon recht vielfältig. Das kann mal epischer Doom sein, mal Death-Doom, aber auch mal richtig traditioneller Doom.

Die Stilvielfalt eures Albums ist bei genauer Betrachtung enorm. Von Gothic über Folk-, Viking-, Prog bis Death-Metal-Einflüssen ist eigentlich alles zu finden. Wie schwer fällt es euch, in diesen Fassettenreichtum eine klare Linie reinzubringen? Erfreulich ist ja, dass genau die nämlich stets zu erkennen ist.

Daniel: Vielen Dank für das Kompliment! Genau das ist uns natürlich schon wichtig. Diese klare Linie entsteht aber bei uns von ganz alleine. Jeder Musiker hat ja, wenn er nicht ausschließlich ein Vorbild kopiert, einen eigenen Stil entwickelt, bestimmte Spielweisen, die er gerne einsetzt oder Vorlieben für bestimmte Harmonien oder Skalen. Das ist bei uns nicht anders. Alleine dadurch entsteht bei uns meiner Meinung nach schon eine klare Linie, so dass jeder WYTCHCRAFT-Song auch schnell als solcher zu erkennen ist, ob er nun folkloristische Einflüsse hat oder progressive Elemente enthält. Manchmal ist es sogar schon vorgekommen, dass bestimmte Harmonien, die ich vorgeschlagen habe, von den anderen abgelehnt wurden, weil sie schon zu typisch für uns sind. Da besteht ja dann auch die Gefahr, dass man sich zu sehr wiederholt. Schließlich hat Kai natürlich auch eine sehr eigenwillige Stimme, durch die unser Sound zusammen gehalten wird.

Wytchcraft Interview 2005 - Live auf dem Doom Schall Rise 2003
Ob live oder beim Songwriting: eine klare Linie ist stets vorhanden.”

Wie spontan oder unspontan entstehen eure Stücke?

Daniel: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Einige der Stücke auf dem Album stammen noch aus einer Zeit, als die Band nur aus Paze, der ja seit ein paar Jahren nicht mehr dabei ist, und mir bestand. Zu der Zeit wurden die Songs von uns beiden jeweils alleine zuhause bis ins kleinste Detail ausgetüftelt, sei es nun mit Partituren oder mit einem Sequenzer. Mittlerweile entstehen die meisten Stücke deutlich spontaner. Einer von uns hat eine Idee, und dann wird auf dieser Basis gejammt. Wenn man gerade inspiriert ist, kommt dabei etwas Gutes heraus. Das ist dann aber fast immer eine sehr unfertige Sammlung von Riffs und Passagen, die mal mehr, mal weniger gut zusammenpassen. Der spontane Teil des Songwritings ist damit erst einmal beendet. Aus diesem Rohwerk einen guten Song zu machen, das ist dann größtenteils Kopfarbeit, bei der einem musiktheoretische Kenntnisse sehr helfen können.

Kai: Und wenn ein Lied dann so halbwegs steht, nehme ich es mir meistens mit nach Hause. Die besten Ideen kommen mir beim Autofahren, deshalb entstehen dabei fast alle Gesangslinien, und wenn ich die zusammen habe, schreibe ich den Text.

“Partituren”, “musiktheoretische Kenntnisse” – das hört sich ja jetzt doch schon sehr bedeutend an. Wie stark arbeitet ihr denn wirklich damit?

Daniel: Mit Partituren arbeiten wir mittlerweile gar nicht mehr. Das haben wir wirklich nur gemacht, als die Band noch aus zwei Leuten bestand und die Songs von einer Person komplett zuhause geschrieben wurden. Was die musiktheoretischen Kenntnisse angeht, so bin ich wahrscheinlich der einzige, der diese mit einbringt. Ich hatte einfach einen sehr theorielastigen Gitarrenunterricht. Wenn ich mir eine zweite Stimme überlege für die Gitarre, dann hilft es natürlich schon, zu wissen, was ich tue. Das bewegt sich aber alles auf einem ganz normalen Level und ist keine hohe Kunst, verglichen mit dem, was unser Produzent beim Arrangieren der Keyboards an musiktheoretischen Kenntnissen eingebracht hat. Da habe ich nicht immer alles sofort nachvollziehen können, was er gesagt und gemacht hat.

Wytchcraft Interview 2005 - Promobild von Daniel Westheide aus dem Jahr 2005
Gitarrist Daniel Westheide hat WYTCHCRAFT 1999 gemeinsam mit Paze Kestner als Duo gegründet und zu dem Zeitpunkt noch jedes Detail im stillen Kämmerchen ausgetüftelt – sei es mit Partituren oder mit einem Sequenzer

Und gleichzeitig scheint für euch sehr wichtig, das Ganze nicht zu übertreiben, wenn man auf der anderen Seite hört, dass ihr zunächst jammt und Kai seine Ideen spontan beim Autofahren ausarbeitet….

Daniel: Genau. Wichtig ist, dass der Song an sich spontan entsteht, sonst wirkt es einfach nur kalt und konstruiert. Die Kopfarbeit beginnt dann, wenn Übergänge zwischen einzelnen Parts holprig sind oder weitere Stimmen ausgearbeitet werden. Das, was den Song ausmacht, entsteht aber fast immer spontan und nicht am Reißbrett.

Ihr habt grad euren Produzent erwähnt. Inwiefern hat er denn dann noch Einfluss auf eure Songs genommen und wie hat sich das mit euren eigenen Ideen der Songs vertragen?

Daniel: Es war so, dass wir von Anfang ins Studio gegangen sind mit einer ungefähren Vorstellung davon, in welchen Songs wir noch Keyboards einsetzen wollten und wie diese in etwa klingen sollten. Im Studio haben wir unserem Produzenten dann grob gesagt, was wir uns vorstellen und ihn dann einfach mal machen lassen. Das, was er dann gezaubert hat, entsprach nicht immer genau unseren Vorstellungen und ging oft sogar weit darüber hinaus. Von den meisten Ideen waren wir dann aber so begeistert, dass wir sie letztlich auch übernommen haben – wenn einige von uns auch zunächst etwas daran zu knabbern hatten, wie sehr sich bestimmte Passagen durch diese Arrangements verändert hatten. Die Lieder sind dadurch einfach musikalisch wertvoller geworden. Im Übrigen hatte unser Produzent auch bei den Arrangements der mehrstimmigen Gesangspassagen seine Hände im Spiel, die von uns vorher noch gar nicht ausgetüftelt worden waren.

Speziell Teile aus “Winterland” erinnern mich enorm an die Österreicher SOULSEARCH. Sind diese Verbindungen eher ein Zufall?

Daniel: Ich denke schon, dass das Zufall ist. Ich habe noch keinen einzigen Ton von SOULSEARCH gehört, muss ich zu meiner Schande gestehen, und ich weiß, dass sich das möglichst bald ändern muss.

Ich gehe aber mal davon aus, dass “Winterland” textlich keine Vertonung des Todes von WINDIRs Valfar ist, oder? 😉

Daniel: Nein, auf keinen Fall. Der Text zu “Winterland” hat schon einige Jahre auf dem Buckel und wurde von Eric geschrieben, als er noch bei TWILIGHT PICTURES gespielt und gesungen hat. Wir haben den Text einfach wieder ausgegraben, als wir merkten, dass wir gerade einen Viking Metal-Song schreiben. Musikalisch hat unser “Winterland” mit dem von TWILIGHT PICTURES übrigens keinerlei Gemeinsamkeiten, die Musik wurde komplett neu geschrieben.

Wytchcraft Interview 2005 - Promobild der Band aus dem Jahr 2005
WYTCHCRAFT (v.l.n.r): Daniel Westheide, Kai Tubbesing, Markus Kratz, Eric Asmussen und Fabian Regmann (unten)

BATHORY würdet ihr für einige Teile aber schon als Einfluss nennen? Wenn ja, inwiefern war es für euch quasi ein Muss, diesen Einfluss nach Quorthons Tod einfließen zu lassen?

Daniel: BATHORY haben einige von uns definitiv beeinflusst, in erster Linie die epische Phase mit den Alben “Hammerheart“, “Twilight Of The Gods”, “Blood On Ice” und auch den “Nordland”-Werken. Wir haben uns allerdings auch schon vor Quorthons Tod von seiner Musik inspirieren lassen, etwa beim Mittelteil von “I Taste Your Fucking Tears Of Sorrow”, der schon einige Zeit vorher entstanden ist. Auch “Winterland” haben wir schon vorher angefangen zu schreiben, aber als Quorthon gestorben ist, war es für uns klar, dass wir ihm diesen Song widmen würden. “Winterland” ist unsere Hommage an Quorthon.

Wytchcraft Interview 2005 - Promobild von Kai Tubbesing aus dem Jahr 2005
“Ich bin mit Sicherheit kein großes, pathetisches Gefühlsungeheuer, das den ganzen Tag damit verbringt, über seine eigenen Emotionen nachzudenken und seine Umwelt damit zu belästigen.”

In fast durchweg allen Reviews wird der Gesang von Kai als “kritisch” betrachtet. Kai, auch ich kann nicht allen Fassetten deiner Vocals etwas abgewinnen, dennoch habe ich auf “I Taste Your Fucking Tears of Sorrow” das Gefühl, als stündest du ganz kurz davor, deinen optimalen Weg gefunden zu haben. Wie stehst du zu den Kritiken an deinem Gesang?

Kai: Wenn es um die reine Kritik am Gesangsstil geht, dann lässt mich das
ziemlich kalt – wie gesagt, ich trage meinen Teil zur Musik vor allem deswegen bei, weil sie mir persönlich genau so gefällt. Aber ich würde auch sagen, dass das nächste Album vom Gesang her in sich stimmiger sein wird. Wir haben auf den bisherigen Veröffentlichungen mehrheitlich Lieder aufgenommen, bei denen im Prinzip auch schon der Gesang feststand, da sie zum Teil sogar aus der Zeit stammten, in der ich noch gar nicht zur Band gehörte – und dass eine Gesangslinie, die nicht hundertprozentig auf meine Stimme geschrieben worden ist, nie so gut rüberkommt wie eine selbst entworfene, ist wohl klar. Meinen Stil behalte ich aber auf jeden Fall bei.

Ich persönlich tu mich speziell mit den aus meiner Sicht etwas dick aufgetragenen pathetischen Stellen schwer. Erzähl mal, wie ist das denn nun mit Kai Tubbesing und dem Pathos?

Kai: Das passt für mich einfach zur Musik. Würden wir weniger verspielte, direktere Lieder schreiben, dann wäre wohl auch der Gesang dementsprechend nicht mehr so “überzogen”. Aber – falls du darauf anspielst – ich bin mit Sicherheit kein großes, pathetisches Gefühlsungeheuer, das den ganzen Tag damit verbringt, über seine eigenen Emotionen nachzudenken und seine Umwelt damit zu belästigen. Ich fülle meine Freizeit lieber mit normalen, völlig pathosfreien Aktivitäten wie Feiern, Musik und alten Autos.

Etwas Selbstkritik: was sind für dich die Punkte an deinem Gesang, an denen du besonders hart arbeitest, um darin besser zu werden?

Kai: Ich bin generell nie mit einer Aufnahme zufrieden, sobald sie fertig ist. Auf beiden Veröffentlichungen gab es zwei oder drei Stellen, die nicht ganz sauber eingesungen waren, deshalb wünsche ich mir für das nächste Album vor allem etwas mehr Zeit für meine Aufnahmen, da es sich dabei fast ausschließlich um “first takes” handelt – aber das ist leider vor allem eine Frage des Geldes, und solange wir das alles komplett selbst finanzieren wohl leider nicht zu ändern. Außerdem neige ich dazu, bei höheren Gesangslagen automatisch zu viel mit der Stimme in höheren Tonlagen zu “kicksen”.
Das klingt zwar teilweise ganz nett, kommt jedoch zu oft. Und letztlich möchte ich für das nächste Album an einem kraftvolleren Gesang arbeiten.

Wytchcraft Interview 2005 - Live auf dem Doom Shall Rise 2003
“Die Mittelaltereinflüsse sind für WYTCHCRAFT ein schöner Bonus, letztendlich aber kein zentrales Element der Bühnenshows.

Live versucht ihr etwas mittelalterliches Flair in eure Show zu bringen und das passt ja auch gut zu den Einflüssen in eurer Musik. Werdet ihr dieses Element in Zukunft noch mehr ausbauen oder ist das momentan eher so ein bisschen das Salz in der Suppe, das man auch nicht überdosieren darf?

Daniel: Eher letzteres. Markus und ich haben uns Bühnenoutfits anfertigen lassen und treten damit hin und wieder auf. Dies ist aber kein zentrales Element der Show. Es ist manchmal ganz nett, dies als Gimmick einzusetzen, aber im Grunde wollen wir mit unserer Musik überzeugen. Du spielst aber sicher auch auf den Helm an, den Kai zu Beginn unseres Auftritts beim DOOM SHALL RISE getragen hat, oder?

Auf jeden Fall! War das ein einmaliges Gimmick?

Daniel: Ja, das haben wir danach nicht mehr gemacht. Das war einfach eine relativ spontane Idee, wir fanden das ganz witzig. In den Konzertkritiken des DOOM SHALL RISE kam die Aktion teilweise gar nicht gut an, was für mich mal wieder zeigt, dass einige Leute in der Doomszene einfach keinen Humor besitzen.

Textlich zeigt ihr eine ähnliche Vielfalt, wie ihr das auch musikalisch tut. Dabei fällt auf, dass die Lyrics immer sehr stark an die Musik angelehnt sind. Ich gehe mal davon aus, dass ihr zu den Bands gehört, bei denen ihr die Inspiration für die Texte aus der Stimmung der Kompositionen erhaltet, oder?

Kai: Wie gesagt – Gesanglinien und Texte enstehen erst, nachdem das Lied so gut wie fertig ist. Insofern ist natürlich die Grundstimmung der Musik ausschlaggebend.

Daniel: Bei einigen der alten Songs, bei denen die Texte und sämtliche Musik noch von mir verfasst wurden, war es auch so, dass zunächst einige Textfragmente entstanden und der Text dann zusammen mit den Gesangslinien weiterentwickelt wurde. “Apocalyptic Visions” ist so ein Beispiel, wo die komplette Instrumentierung erst im Anschluss an die Gesangsmelodien und den Text entstand.

Wytchcraft Interview 2005 - Promobild der Band aus dem Jahr 2005
“WYTCHCRAFT – der Titel der Mini-CD “Grenzgänger” ist jetzt schon verinnerlichtes Bandmotto.”

Würdet ihr zustimmen, dass man eure Texte auf dem Album thematisch ungefähr in zwei Lager aufteilen kann: Beziehungen und düstere Fantasiegeschichten?

Kai: Für die aktuelle Veröffentlichung hast du Recht – das ist aber in keiner Weise irgendeine Art von Bandkonzept, die auf kommenden Alben erhalten bleiben muss. Was schon für die Instrumente gilt, greift hier auch: Keine Selbsteinschränkung. Es werden definitiv auch andere Themenbereiche abgedeckt werden – je nachdem, wozu ich gerade Lust habe. Und “Lass Mich Gehen” ist übrigens nicht – wie vermutlich alle denken, die den Text gelesen haben – ein Lied über eine auseinander gebrochene Beziehung, sondern es geht um Politik. Ansonsten hätte ich den auch nie gesungen, denn wenn man den als Beziehungstext auffassen würde, wäre er schon ein bisschen arg schwülstig…

Interessant. Gab es da einen speziellen Anlass, der ausschlaggebend für den Text von “Lass mich gehen” war?

Kai: Nein, kein spezieller Anlass. Markus, der den Text geschrieben hat, sagt zum Text immer: “Den falschen Menschen geliebt, dem falschen Freund geglaubt, dem falschen Führer gefolgt – abgerechnet wird zum Schluss”. Insofern erhält derjenige, der sich schon die Mühe macht, den Text zu lesen, eine völlig freie Wahl bei der Interpretation. Das Ganze ist also auf diverse historische wie aktuelle politische Systeme anwendbar, aber wenn es denn sein muss irgendwie schon auch auf den Bereich des Persönlichen – das habe ich selbst nur nicht so gern, weil es mir dann, wie gesagt, ein wenig arg schwülstig wird.

Daniel: Manches, was vielleicht wie eine Fantasiegeschichte aussieht, ist im Übrigen gar nicht als solche gedacht. Um mal wieder auf “Apocalyptic Visions” zurückzukommen: bei dem Text ging es mir, als ich ihn schrieb, um das Treiben von Weltuntergangs-Sekten, insbesondere um “Heaven’s Gate”. Durch das Lösen von der irdischen Hülle wollten die Mitglieder eine höhere Ebene der Existenz erreichen, sie glaubten, in einem Raumschiff hinter dem Kometen Hale-Bopp wiedergeboren zu werden und so dem drohenden Weltuntergang entgehen zu können. Und auch sonst stecken hinter unseren Fantasiegeschichten fast immer ein tieferer Sinn oder interessante Gedankengänge.

Also im Sinne von “lass uns diese Idee doch mal weiter spinnen?”

Daniel: Ja, aber insbesondere: “Wie würde sich ein Mensch in einer bestimmten Situation fühlen, welche Gedanken gehen ihm durch den Kopf?” Auf der Mini-CD etwa gab es mit “Under The Surface” einen Text, der vom Fantasy-Rollenspiel Earthdawn inspiririert ist. Wichtig war mir da aber nicht, eine Fantasiegeschichte zu erzählen, sondern ich habe versucht mich in die Leute hinein zu versetzen, die ihr ganzes Leben nur unterhalb der von Dämonen heimgesuchten Erde verbracht haben und das Sonnenlicht, die Sterne und die Natur nur aus Erzählungen kennen, die von ihren Vorfahren überliefert wurden.

Wenn man noch ein bisschen mehr abstrahiert, dann könnte man in der Kombination Texte – Musik auch sagen, dass ihr da eigentlich auf einem recht ähnlichen Pfad wandelt wie MIRROR OF DECEPTION. Was meint ihr?

Daniel: Ich weiß nicht. Wir wurden ja in einigen Rezensionen schon mit MIRROR OF DECEPTION verglichen, da muss ja irgendetwas dran sein. Ich konnte das eigentlich nie verstehen, da wir doch recht unterschiedlich klingen. Wenn man es aber auf einer abstrakteren Ebene betrachtet und auch noch die Kombination Texte – Musik berücksichtigt, kommt das schon hin. “Unorthodoxer Doom Metal” ist auf jeden Fall ein Label, das auch uns sehr gut beschreiben würde.

Und warum glaubt ihr, dass es sich für euer Album besonders verkaufsfördernd auswirkt, diese traurige Musik ausgerechnet auf den Sommer hin zu veröffentlichen? 😉

Daniel: Weil dieser Sommer so verdammt heiß wird, dass die Leute sich alle im Keller verkriechen werden, und was passt da besser, als sich solch düsteren Klängen hinzugeben? Wem es dann immer noch zu heiß ist, der findet mit “Winterland” die nötige Abkühlung.

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