TRISTANIA: Fettiges Essen, norwegische Geografie und gute Musiktips

Keyboarder Einar läßt sich vom Rachendrachen quälen mit Fragen zu lauter Themen, zu denen er eigentlich gar nix sagen will.

Mit World of Glass ist der norwegischen Gothic Metal-Band um Goldkehlchen Vibeke Stene der endgültige Schritt heraus aus dem Windschatten ihrer geographischen wie musikalischen Nachbarn THEATRE OF TRAGEDY gelungen. TRISTANIA haben ihren eigenen Weg entdeckt und diesen zudem mit gelungenen modernen Einschüben als auch mit bombastischen Chören sehr schön ausgepflastert. Der sympathische Keyboarder Einar Moen stehet Rede und Antwort zu den Entwicklungen im TRISTANIA-Lager…

Hallo, Einar, zunächst würde mich mal interessieren, wie es zu dem moderneren Gesamtbild der Musik auf World of Glass gekommen ist. Wurden Keyboardsounds und Loops bewusst zu einer Modernisierung eures Sounds eingesetzt?

Nun, ich glaube nicht, dass man es Absicht nennen kann. Es kam einfach dazu, als wir im Studio an den Songs gearbeitet haben. Wir gingen ohne eine festgelegte Vorstellung von der zukünftigen Ausrichtung der Band an die Sache ran. Wir richteten uns im Studio schlicht und einfach nur danach, was uns gefiel und was nicht.

Besonders auffällig sind die mächtigen Chöre. Wurden sie alle von Vibeke und Gastsängern eingesungen oder kamen auch Samples zum Einsatz?

Samples haben wir keine benutzt, was man hört, sind alles Vibeke und Chorsänger, die wir für die Aufnahmen angeheuert hatten.

Woher stammt die Inspiration für solche klassisch anmutenden Choreinsätze? Beschäftigt ihr euch öfters mal mit klassischer Musik?

Es gab mal eine Zeit, in der ich mir sehr viel Klassik angehört habe. Inzwischen hat das aber fast ganz aufgehört. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Inspirationsquellen so genau festmachen kann. Was mir an klassischer Musik gefällt, sind die breitgefächerten Harmonien und der Bombast.

Wer waren denn Deine favorisierten Komponisten?

Orff ist natürlich einer von ihnen, Bach ebenso. All die bekannten haben letztendlich etwas besonderes in ihrer Musik. Beethoven zum Beispiel…Carl Orff ist aber auf alle Fälle mein bevorzugter Komponist.


Besitzt jemand von euch dann selbst eine klassische Ausbildung an seinem Instrument?

Vibeke ist die einzige bei uns, die einen klassischen Background hat.


Wer schreibt dann die Noten für die Chöre?

Das mache ich.


Hast Du Dir das selbst beigebracht?

Ja, so ist es. Ich helfe mir da mit den Keyboards und einem Sequencer.


Was kannst Du mir zu den Texten auf World of Glass erzählen?

Die Lyrics sind diesmal weitaus vielseitiger als noch auf Beyond The Veil. Persönliche Traumata stehen im Mittelpunkt der meisten Texte, aber immer auf eine verschiedene Art und Weise. Jeder Text erzählt sozusagen eine ganz eigene Geschichte. Depressionen und auch Hass kommen sehr oft darin vor. Sehr finstere Lyrics allesamt.


Mich würde besonders interessieren, was der Hintergrund der Texte von Selling Out, dem Titeltrack World of Glass und Tender Trip On Earth ist…

Hm, gerade die habe ich nicht geschrieben…Ich würde es auch vorziehen, nicht zuviel über die Texte zu sagen. Du hast vermutlich die Texte bei der Promo-Kopie nicht dabei…Mir widerstrebt es trotzdem sehr, mich über die Lyrics zu äußern, worüber sie sind und was sie bedeuten sollen. Es soll dem Hörer bzw. Leser überlassen bleiben, sich seine eigenen Gedanken dazu zu machen. Was den Albumtitel angeht, so bezieht er sich auf das Zerbrechliche in unserer Welt. Auf gewisse Weise könnte eigentlich jeder der Songs World of Glass betitelt sein. Darum haben wir auch den Titel ausgewählt.




Welche Lyrics stammen denn von Dir?

Ich habe Deadlocked und auch einen Teil von Shining Path verfaßt…und einen Teil von Crushed Dreams ebenso. Ein paar Zeilen in den anderen Liedern kommen außerdem von mir.


Ihr habt euch also auch zusammen an die Texte gesetzt?

Ja. Manche der Lyrics haben mehrere von uns zusammen geschrieben. Das liegt daran, dass es im Studio diesmal ziemlich hektisch zuging, alles musste sehr schnell gehen. Doch manchmal fehlt einem einfach die zündende Idee, wie ein Text weitergehen könnte. Und so halfen wir uns gegenseitig aus, wenn einer mal beim Schreiben ins Stocken geriet.


Selling Out klingt für mich nach einer Anklage gegen die Oberflächlichkeit in der Gesellschaft. Kann man das als eins eurer Hauptziele bezeichnen, Oberflächlichkeit zu bekämpfen?

Das kann man in dem Fall schon so sagen. Das ist einer der finstersten Texte, er behandelt das Aufgeben von Idealen. Was wir jedoch beim Verfassen der Lyrics nicht im Hinterkopf haben, ist eine politische Aussage. Wir schildern lediglich Emotionen, die aus uns selbst stammen. Wir befinden uns nicht auf einer Mission, irgendetwas zu bekämpfen oder so. Der Ausdruck unserer Gefühle ist das zentrale Element für uns, und sie zugleich anderen Leuten begreiflich zu machen.


Nun gut, nachdem Du über eure Texte nicht so gerne redest, lass uns zu etwas anderem kommen. Auch wenn Du es vermutlich schon satt hast: Erkläre doch kurz die Hintergründe vom Ausstieg eures Sängers und Gitarristen Morten.

Nun, ich habe es noch nicht satt, das zu erklären, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich es noch in keinem Interview breitgetreten habe. Wir haben beschlossen, darüber nicht außerhalb der Band zu reden. Es klappte einfach nicht mehr, er verließ die Band. Das ist alles, was wir zu dem Thema sagen wollen. Es ist eine persönliche Sache. Morten wollte was neues beginnen. Wir sehen keine Notwendigkeit darin, mit Außenstehenden über seinen Ausstieg zu diskutieren.


Es war also sein Entschluss, die Band zu verlassen?



(lacht gequält) Das war…Nein, ich will nichts dazu sagen.


Na, dann erzähle mir dafür mal von den zwei neuen Musikern, die ihr an seiner Stelle in die Band geholt habt.

Da wäre zunächst Osten Bergoy, der für die cleanen Vocals zuständig ist. Er half uns schon bei einigen Stellen von Widow´s Weeds aus und war auch auf Beyond The Veil zu hören. Nun ist er ein volles Mitglied der Band. Auf dem neuen Album hat er ungefähr so viel wie zu Beyond The Veil beigetragen. Der andere Neue in der Band ist unser Hauptsänger, der für die extremen Gesänge zuständig ist. Er heißt Kjetil Ingebrethsen. Etwas schwerer Name, hehe…Wir kennen ihn schon ganz schön lange und hatten schon Kontakt zu ihm, als er noch in einer anderen Band spielte. Auf der aktuellen CD ist er aber noch nicht zu hören, er kam erst danach zu uns. Auf World of Glass ist ein Sessionsänger zu hören.


Und wo habt ihr den aufgetrieben?

Er ist der Sänger von TRAIL OF TEARS. Die beiden Neuen kennen wir schon seit langer Zeit, ich weiß gar nicht mehr, wie wir sie anfangs kennenlernten. Von unserem neuen extremen Sänger wussten wir schon lange, dass er eine starke Stimme hat, er hat damals aber noch eher was in die Hardcore-Richtung gemacht mit seiner eigenen Band. Wir wussten aber, dass er ein riesiges Potential hat. Außerdem bezieht er viele Einflüsse aus unserer Art von Musik. Also beschlossen wir einfach, ihn auszuprobieren, und es klappt wunderbar.


Lange brauchtet ihr also nicht zu suchen…

Nein, überhaupt nicht. Wir dachten sogar darüber nach, ihn gleich im Studio noch ins kalte Wasser zu schmeißen, aber das war uns dann doch zu riskant. Morten verließ uns im Januar, und der Studiotermin war schon Anfang Februar. Wir wollten das Risiko einfach nicht eingehen, falls es mit ihm als neuem Bandmitglied nicht geklappt hätte. Wir suchten also nach jemandem, der den Job sehr gut und professionell erledigen konnte in der Kürze der Zeit. Und so gerieten wir an den TRAIL OF TEARS-Sänger. Wir waren mit ihnen schon getourt, so dass wir wussten, dass er ein hervorragender Sänger ist.


Gastmusiker sind auf euren CDs fast schon eine Tradition. Wer war diesmal, abgesehen vom TRAIL OF TEARS-Sänger, mit von der Partie?

Außer den Chorsängern wäre da lediglich noch Pete Johansen an der Violine. Er war ja auch schon auf Widow´s Weeds und Beyond The Veil zu hören. Bei THE SINS OF THY BELOVED war er eine Zeitlang auch mal fester Geiger. Von ihm stammt ebenfalls einer der Texte. [Unter dem Pseudonym THE SCARR hat er zudem derletzt ein absolut hörenswertes Soloalbum eingespielt, siehe Review – Anm. d. Verf.]


Lass uns mal zu etwas anderem kommen: Für viele Fans ist Vibeke das klar im Vordergrund stehende Mitglied der Band als die hübsche Sängerin im Rampenlicht. Kommt ihr anderen damit klar?

Uns ist das sogar ganz recht so. Wir haben ja schließlich auch die Promotion oft auf Vibeke hin ausgerichtet. Sie ist eine sehr natürliche Frontfrau für uns, so dass wir damit absolut zufrieden sind.


Und wie empfindet sie das selbst, so im Mittelpunkt zu stehen?

(lacht) Nun, ich glaube, ihr gefällt das ganz gut! Sie hat damit kein Problem.




Aber gab es nicht auch schon mal negative Erlebnisse mit zu fanatischen Verehrern?

Naja, das ist schon mal vorgekommen. Nichts schlimmes, manche Fans reisten halt wegen ihr uns 15 Konzerte lang und so hinterher…


Ich konnte euch letztes Jahr bei eurem Auftritt auf dem Metalfest in Los Angeles live sehen. War das euer erster Gig in den Staaten?

Ja, das war unsere Livepremiere da drüben. Davor hatten wir noch eine Show irgendwo in Mexiko. Diese beiden Auftritte waren bislang unsere einzigen Gastspiele auf der anderen Seite des Planeten…


Wie gefiel es euch denn da drüben?

Wir mochten es, aber gerade der von Dir angesprochene Auftritt in L.A. war sehr stressig. Die Bühnenelektronik funktionierte nicht so, wie sie sollte. Der Adapter für die europäischen Netzkabel fehlte, was wegen der niedrigeren Spannung in den Staaten ein Riesenproblem war. Der Auftritt verzögerte sich mehr und mehr, wir mussten letztlich zwei Songs streichen. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte an dem Abend eine gute Zeit auf der Bühne gehabt. Ich konnte mich keinen Zentimeter weit bewegen, weil ich immer knapp davor war, auf eine der Verteilerboxen zu treten. Ich hatte ständig Panik, dass ich uns dadurch wieder den Saft abdrehen würde. Das war also leider nicht gerade eins unserer besten Konzerte, fürchte ich. Der Trip an sich war aber sehr cool, nur die Gigs hätten besser für uns laufen können.


Konntet ihr also noch ein bisschen was außerhalb der Venues besichtigen?



Anders, unser Gitarrist, ich und unser damaliger Sessiondrummer verbrachten im Anschluss eine Woche mit Faulenzen in Venice Beach, da hatten wir viel Spaß, hehe.


Am Morgen nach dem Gig traf ich ein paar von euch bei Denny´s, einer Restaurantkette, in der die Cholesterin- und Fettwerte pro Mahlzeit sicherlich nur noch in Tonnen gemessen werden können…wie schmeckte euch denn das Essen dort?

Naja, war schon ziemlich fettig, der Fraß, hehe. Ich bin nun nicht gerade der Gesundheitsfreak, der nur Müsli in sich reinschaufelt, aber ich weiß nicht…wenn das Fritierfett von wirklich allem, was Du anfasst, runtertropft…wir sind nicht verhungert in Amerika, es gab schon viele essbare Leckereien, aber ich kann nur allen raten, die Finger von den ganz fettigen Sachen zu lassen, hehe. [Frevel 😉 ! – Anm. d. absolut Denny´s-fanatischen Verf.]


Wie ist es sonst auf Tour? Bekommt ihr was von all den Städten zu sehen, in denen ihr spielt?

(lacht) Normal nicht, da wir meistens noch verkatert sind, solange es draußen hell ist. Es läuft meistens so, dass wir soundchecken, nochmal ein paar Stunden Schlaf nachholen und dann auf die Bühne gehen. Angesehen von den Auftritten und den Partys danach haben wir kein Leben auf Tour. Klar, wenn man sich den Wecker früh am Morgen stellen würde, könnte man ein wenig die Städte erkunden, aber für uns ist das nichts. Wir schlafen lange und sehen so selten was von der Stadt, in der wir uns gerade befinden. Oftmals ist das eigentlich sehr schade, aber wir kriegen einfach nicht die Kurve.


Ihr konzentriert euch also mehr darauf, das örtliche Bier genauer kennenzulernen, hehe?

Ja, genau, hehe, das Bier und die Kneipen vor Ort…


Na, wie unser Boxi schon immer sagt: Rock´n´Roll ist kein Lehnstuhl, hehe…Themenwechsel: Ihr kommt aus Stavanger, richtig?

Ja, gewissermaßen. Wir wohnen etwas außerhalb, aber Stavanger stimmt schon. Mit der Fähre ist es etwa eine halbe Stunde ins Zentrum…Stavanger liegt auf einer Halbinsel, die Fähre ist da der kürzeste Weg, mit dem Auto alleine würde man ein paar Stunden rund um den Fjord fahren müssen.

Würdest Du sagen, dass Stavanger oder auch Norwegen generell einen Einfluss darauf haben, wie TRISTANIA klingen?

Hm, ich denke schon, aber frage mich nicht, wie genau. Wir werden hauptsächlich sowieso mehr von der Musik beeinflusst, die wir mögen und oft hören, und auch von Sachen, die wir sehen oder lesen. Allzu viel hat Norwegen also nicht mit unserem Sound zu tun.


Naja, der Grund für meine Frage war hauptsächlich, dass viele Leute euch immer wieder all die Jahre über mit THEATRE OF TRAGEDY verglichen haben, die ja auch zum Großteil in Stavanger leben…wie denkt ihr denn über den Vergleich?

Anfangs hat mich das schon gestört. Nach Beyond The Veil gingen die Vergleiche aber zurück, und das war auch gut so. Ich kann es inzwischen nachvollziehen, dass zu Beginn einige Kritiker uns in die Nähe von THEATRE OF TRAGEDY rückten. Sie hatten sicher nicht ganz unrecht. Unsere Absicht war es natürlich nie, nach THEATRE zu klingen, aber wir waren in der gleichen Szene und Generation wie sie, und die Szene war eben auch sehr klein, so dass es sich vermutlich nicht verhindern ließ, dass die beiden Bands sich ähnlich anhörten. Ich denke aber nicht, dass wir von ihnen geklaut haben, wir spielten damals lediglich eine ähnliche Art von Musik. Heutzutage stört uns das nicht mehr im geringsten, da wir uns musikalisch als sehr verschieden von ihnen empfinden.


Wie sieht´s denn mit der berühmt-berüchtigen norwegischen Black Metal-Szene aus, hältst Du Dich diesbezüglich auf dem laufenden?

Ich behalte eigentlich nur ein paar Bands aus der Richtung im Auge, während es auch so viele…naja, um ehrlich zu sein: meiner Meinung nach gibt es sehr viele beschissene Bands in Norwegen, gerade, wenn es in Richtung Black Metal geht. Es gibt wenige wirklich gute Acts und viel Schund. Ich beschränke mich darauf, den Werdegang der wenigen guten Bands zu verfolgen. Ich kaufe Platten jedenfalls nach dem Kriterium, ob sie gut sind, und nicht, ob sie aus Norwegen stammen.


Was hörst Du Dir sonst so an normalerweise?

In den letzten Monaten habe ich besonders viel RADIOHEAD und MUSE gehört, also eher ruhige Musik. Aber das ändert sich bei mir immer wieder…


Konntest Du schon in die neue ANATHEMA-Scheibe reinhören? Die klingt auch ziemlich nach RADIOHEAD…

Nein, leider nicht…Wir sind ja vor einiger Zeit mit ihnen auf Tour gewesen. Da sagten sie schon, dass sie vorhaben, etwas mehr in die RADIOHEAD-Richtung zu gehen. Danny meinte das zumindest. Ich werde mal reinhören…wie findest Du sie denn?


Ich bin absolut begeistert von dem Album! Ich bin mir sicher, dass Dir ihr neues Album gefallen wird, wenn Dir RADIOHEAD zusagt.

Geht es mehr so in Richtung neuere RADIOHEAD oder klingt es nach O.K. Computer?


Na, O.K. Computer, würde ich mal sagen…wobei man schon noch deutlich hört, dass es ANATHEMA ist.


Hast Du schon mal was von MUSE gehört?


Nö, eher weniger…

Dann höre Dir mal ihr neues Album Origin Of Symmetry an, das ist wirklich eines der besten Alben des Jahres! Es klingt auch ein wenig nach RADIOHEAD, ist aber rockiger, nicht so lasch. Geniale Mucke!


Und mit dieser Empfehlung [der ich mich mittlerweile nur anschließen kann] verabschiedet sich Eina…

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