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THEATRE OF TRAGEDY: Listeningsession zu ´Assembly´

Liv und Co. präsentieren einen Vorgeschmack auf ihr neues Album.

Studioreports ist die grundsätzliche Problematik eigen, dass man die neuen Songs einer Band nach ein-, zweimaligen Hören in aussagekräftige Worte fassen muss, noch dazu, nachdem die Band einen mit Knabberkram und Getränken wohlgesonnen zu stimmen versuchte. Was tun, wenn sich das neue Material saft- und kraftlos entpuppen würde? Nun, THEATRE OF TRAGEDY machten es einem in dieser Hinsicht mehr als einfach, indem sie elf neue Tracks laufen ließen, die die Band durch die Bank weg kräftiger, härter und in allen Belangen verbessert erscheinen ließen. Unter dem Vorbehalt, dass die Stücke noch den test of time bestehen müssen, will ich mich zu der Aussage hinreißen lassen, dass Assembly den vorläufigen Höhepunkt der Band darstellen wird. Nach den Gothic Metal-Anfängen und dem krassen Stilwechsel hin zu elektronischen Sounds auf Musique vereinen sich nun die unterschiedlichen Einflüsse zu einer harmonischen Mischung, die alle Stärken von THEATRE OF TRAGEDY widerspiegelt. Die zumindest über die Studioboxen fett wirkende Produktion von Hiili Hiilesmaa, der seine sonst so dominanten Trademarks zugunsten der Homogenität und Eigenständigkeit des neuen THEATRE OF TRAGEDY-Albums zurückgestellt hat, tut ein übriges, um Assembly zu einem echten Hörgenuss zu machen. Doch zu den Songs im einzelnen, stets natürlich mit der Einschränkung, nach mehreren Hördurchläufen vielleicht zu einem anderen Schluss zu gelangen:

Automatic Lover

Der einsetzende Gesang im ersten Vers läßt mich erst einmal fragend aufschauen. Ist das Livs Stimme??? Hingebungsvoll, mit einem Quentchen Aggressivität und vor allem sehr tief angesiedelt, all das waren doch bislang nicht unbedingt die Prädikate, die man ihren Vocals verleihen konnte! Doch sie hat ihr Spektrum enorm erweitert – angesichts der Tatsache, dass sie ihre Gesangsspuren in gerade mal drei Tagen inklusive Experimente im Kasten hatte, fast unglaublich. Automatic Lover hört man jedenfalls deutlich an, was Liv selbst als Stimmbruch bezeichnet: Sie hat ihre Bandbreite enorm vergrößert und stellt ihre Vocals auf die jeweilige Stimmung im Song hervorragend ein. Der Song überrascht des weiteren mit heftiger Rhythmik, die von bratenden Gitarren unterstützt wird. Ein wenig fehlt mir bei diesem Song noch der eingängige Refrain, was aber schon beim nächsten Song anders werden sollte…

Universal Race

Der Refrain ist der absolute Ohrwurm, zumindest ertappte ich mich auf dem Heimweg mehrmals beim Summen der Melodie, und das nach gerade einmaligem Hören. Gleichzeitig präsentieren sich da aber auch wieder die Aggressivität und die maschinelle Härte in perfekter Symbiose. Universal Race ist ein treibender Song, der alle Stärken von THEATRE OF TRAGEDY auf sich vereint. Hier klingt Livs Stimme auch wieder erkennbarer nach früheren Werken.

Superdrive

Vergleichsweise ruhig, aber dennoch alles andere als sanft kommt Superdrive daher. Hier nehmen die von Sänger Raymond übernommenen Programmierungen das Heft in die Hand, futuristische Keyboardsounds sind das dominierende Element. Dass er es inzwischen sehr gut versteht, mit der Technik umzugehen, wird bei diesem Song deutlich. Ansonsten hält er sich gesanglich eher im Hintergrund, Drummer Hein Frode schätzte die Gesangsanteile auf 70% Liv, 30% Raymond. Das tut der Band gut, gerade angesichts des gewachsenen Stimmumfangs der Frontfrau.

Let You Down

Dieser wird erneut belegt bei Let You Down, dem nach Einschätzung der Band kommerziellsten Song auf Assembly. Die bisher allen neuen Songs eigene druckvolle Komponente wird mit einem warmen Refrain verbunden, der die Meinung der Band untermauert. Überhaupt fällt auf, dass der Popappeal von Musique mit fetten Gitarren und der immer wieder heftigen Rhythmik aufgepeppt wurde und nun weitaus natürlicher rüberkommt.

Star-Lit

Hier kommt die sanftere, emotionale Seite von THEATRE OF TRAGEDY zum Vorschein. Der Titel ist perfekt gewählt, eine sternklare Nacht ist genau das, was man bei den Synthieflächen und gefühlvollen Melodien vor dem inneren Auge hat. Wie schon bei fast allen Songs bis dahin wird deutlich, dass THEATRE OF TRAGEDY erwachsener und erfahrener geworden sind. Gerade die Arrangements sorgen dafür, dass jeder Track genau auf den Punkt kommt und dennoch alles andere als flach wirkt.


Episode

Zwei Gesicher trägt dieser Song. Eingangs erklingen ruhige, Trip Hop-lastige Beats, die plötzlich in ein Gitarrengewitter münden – und ich bin mir durchaus bewußt, dass Gitarrengewitter bislang nicht unbedingt mit THEATRE OF TRAGEDY assoziiert werden konnte. Heaviness paart sich bei Episode mit einer erhabenen Grundstimmung, heraus kommt der in meinen Ohren vorerst beste neue Song.

Play

Play verdeutlicht einmal mehr die größere Rolle, die Livs Gesang mittlerweile spielt. Doch auch Raymond weiß hier Akzente zu setzen mit coolem Sprechgesang, wie er ihn auf Musique schon des öfteren eingesetzt hatte. Ansonsten dominiert in diesem Song erneut die Rhythmik.

Envision

Dieser Track steigt gleich mit dem straight rockenden Refrain ein, um in einen zurückhaltenden Vers zu münden. Gerade in seiner Einfachheit besticht Envision, die einzelnen Parts passen hervorragend zueinander. Im Mittelteil noch eine abgedrehte Synthiemelodie und fertig ist ein weiterer Knaller, der die gesteigerte emotionale Dichte der neuen Songs am besten widerspiegelt.

Flicker Light

Dieser Song lebt von dem Wechselspiel zwischen einem pulsierenden, gespannt machenden Vers und einem diese Spannung in Harmonie auflösenden Chorus. Die intelligent eingesetzten, vielschichtigen Synthies runden Flicker Light ab.

Liquid Man

Ob Liquid Man der ruhigste Song auf der neuen Scheibe ist, vermag ich im Nachhinein nicht mehr zu entscheiden, das düsterste Lied ist es auf alle Fälle. Gothic Metal in seiner dunklen, modernen Version wird hier geboten, der zwar engstirnige Fans der ersten beiden Scheiben vermutlich nicht zu versöhnen vermag, der aber jeden Freund vielseitiger düsterer Musik begeistern wird.

Motion

Motion stellt gewissermaßen eine Art Outro dar, wobei der starke, bei diesem Song mich enorm an die verschiedenen Gastsängerinnen von DELERIUM erinnernde Gesang von Liv eingangs den Track zu einem vollwertigen Song werden lässt. Moderne Sounds stehen im Vordergrund, mit Breakbeats und Drum´n´Bass-Einflüssen wird sogar kokettiert, so dass nach den zumeist unerwartet heftigen Songs sich eine gewisse verträumte Chillout-Stimmung breitmacht. Ein gelungener Abschluß eines gelungenen Albums.

Zusätzlich präsentierten Liv und Hein Frode dann noch mit Sleep At Night eine KIM WILDE-Coverversion, die jedoch nicht auf dem Album selbst zu finden sein wird, wo sie meiner Meinung nach auch nicht sehr gut hingepasst hätte mit der eher fröhlichen Gesangslinie. Mir ist das Original nicht mehr sonderlich präsent, somit kann ich lediglich feststellen, dass THEATRE OF TRAGEDY dem Song ein interessantes, aber im Vergleich zu den Eigenkompositionen nicht zwingendes Elektro Metal-Gewand verpasst haben.

Abschließend sei gesagt, dass es sich lohnen wird, ein wenig vom übrig gebliebenen Weihnachtsgeld noch aufzusparen, um im Frühjahr – ein genaues Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest – Assembly zu erstehen.

(Foto unten: EastWest)

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