Während NIGHTWISH mit der Suche nach einer neuen Sängerin und den Vorbereitungen für das erste Album ohne Tarja Turunen beschäftigt sind, veröffentlicht die finnische Erfolgsband nun die Live-DVD/Doppel-CD/3-fach-LP End Of An Era. Der erstklassige Mitschnitt des letzten Konzerts der Once-Tour in Helsinki wurde Ende April der Presse präsentiert. Danach unterhielt ich mich mit Schlagzeuger Jukka Nevalainen über das Abschlusskonzert, die Fans und die laufende Frontfrausuche. Dabei kamen auch Flughäfen, Pyros und Humppa zur Sprache.
Wie weit wart ihr an der Entstehung der DVD beteiligt, abgesehen davon, dass ihr beim Konzert auf der Bühne standet?
Wir hatten eine Vorbesprechung mit dem Regisseur Antti Jokinen und wir unterhielten uns darüber, was für eine Art von DVD wir wollen und woran er bei der Produktion denken sollte. Wir ließen ihm im Grunde genommen freie Hand beim Schneiden und Zusammenstellen. Wir bekamen dann natürlich eine erste Rohfassung zur Kontrolle. Wir machten dann Bemerkungen und äußersten Änderungswünsche.
Was für Bemerkungen?
So Sachen wie mehr Nahaufnahmen, mehr Publikumsszenen. Es waren alles nur kleine Änderungen. Für den Sound war Mikko Karmila zuständig, der auch unsere Alben abmischt. Da wussten wir bereits, dass er den Sound hinbekommt, den wir gerne hätten. Er konnte also auch selbstständig arbeiten. Wir hörten uns nur die Endversion an und es war perfekt. Was das Drumherum angeht – Menütafeln, Titelbilder und dergleichen -, haben wir ständig Ideen beigesteuert und die jeweils aktuellen Versionen angeschaut und kommentiert.
Das aktuelle NIGHTWISH-Werk End Of An Era. Jukka über das aufgezeichnete Abschlusskonzert: Das war für uns vermutlich die beste Show der Once-Tour. |
Nun hast du das Endergebnis erneut gesehen…
Wahrscheinlich zum 100. Mal!
Hängt es dir inzwischen zu den Ohren raus?
Ich denke zumindest, dass es so qualitativ hochwertig ist, dass man es immer wieder anschauen kann. Aber ich habe es inzwischen wirklich 100x gesehen, weshalb es mich persönlich nicht mehr vom Hocker reißt. Es gibt mir trotzdem ein gutes Gefühl und ich denke, es ist wirklich eine schöne Live-DVD-Veröffentlichung.
Wie ist es für dich, plötzlich die Gesichter der restlichen Band auf der Bühne zu sehen und nicht nur ihre Hinterköpfe?
Es ist toll, alles aus der Publikumsperspektive zu sehen. Ich sehe sonst immer nur den Ausblick vom Schlagzeugpodest.
Wie findest du End Of An Era im Vergleich zu euren früheren DVDs?
Wir haben uns als Künstler weiterentwickelt und verbessert, würde ich behaupten. Aber auch die Live-Show an sich ist besser geworden. Wir haben mehr Pyros und benutzten erstmals Videoleinwände. Als wir From Wishes To Eternity machten, war ich mit meiner Leistung überhaupt nicht zufrieden. Das war eine Enttäuschung.
Bei der Hartwall-Show, die auf End Of An Era zu sehen ist, wusste ich direkt nach dem Konzert, dass es eine tolle DVD werden würde. Das war für uns vermutlich die beste Show der Once-Tour. Alle sind dieser Meinung, also muss es wirklich etwas Besonderes gewesen sein.
Tarja wechselt mehrmals während dem Konzert ihre Garderobe. Warum machst du das nicht auch?
Ja, mein Outfit ist immer dasselbe: Jeans und ein ärmellose, schwarzes Hemd. Was würde es bringen, ein schwarzes Hemd gegen ein anderes zu tauschen?
Du könntest mal ein rotes oder ein gelbes probieren.
Ja, vielleicht auf der nächsten Tour. Mal sehen.
Was hast du gemacht, während Tarja beim Konzert alleine die finnische Ballade singt?
Ich habe einfach hinter Bühne relaxt. Wir haben an diesem Tag die gesamte Show zweimal gespielt. Nachmittags filmten wir dabei einige Nahaufnahmen. Beim abendlichen Konzert konnten wir mit den Kameras nicht dicht genug an die Musiker heran. Als dann die Ballade kam, war ich folglich ziemlich geschafft. Zwei komplette Konzerte sind harte Arbeit. Also ging ich einfach hinter die Bühne und legte mich hin. Ich trank Wasser und bemühte mich, bei Bewusstsein zu bleiben.
An diesem Abend habt ihr auch Creek Mary´s Blood live gespielt. Ich fand den Song in dieser Fassung wesentlich heavier als die getragene Fassung auf CD. Habt ihr bewusst versucht, euch vom Original zu lösen?
Die Live-Version ist im Prinzip identisch. Sie klingt nur etwas anders, weil live alle Songs den gleichen Sound haben. Man kann nicht für ein Lied alle Einstellungen ändern. Beide Fassungen klingen großartig. Als wir das Stück für Once aufnahmen, hätten wir nie gedacht, dass wir es einmal live spielen würden. Wir es haben im September 2005 erstmals live ausprobiert mit den Flöten und dem Gesang vom Band. Für die letzte Show kam John (Two-Hawks – Anm. d. A.) dann live auf die Bühne und es war einfach großartig! Es lief noch besser, als wir gehofft hatten.
In der Dokumentation auf der DVD sieht man euch bei den Vorbereitungen zu dem Song in einer Art Proberaum. Was für ein Raum ist das genau?
Das ist das Pyrotechniklager, eine sehr nette Arbeitsumgebung.
Rauchen verboten?
Ja, drinnen ist rauchen verboten.
Ebenfalls in der Dokumentation meint Tarja, dass sie in Zukunft gerne auch älteres Material für die neuen Fans spielen würde. Werdet ihr das nach ihrem Rauswurf vielleicht trotzdem machen? Ich persönlich würde euer neueres Material bevorzugen, aber es gibt immer Fans, die die alten Klamotten hören wollen.
Ja, viele Leute würden gerne Sachen aus unserer Anfangszeit hören. Wir haben uns öfters darüber unterhalten. Es gibt mehrere Gründe, warum wir es bislang nicht gemacht haben und warum wir es vermutlich auch in Zukunft nicht machen werden. Seit den letzten drei Alben arbeiten wir live mit Unterstützung vom Band. Der Unterschied zwischen den alten Sachen, bei denen lediglich die Band spielt, und dem Material von Once und Century Child ist zu groß. Man müsste sie überarbeiten und ich weiß nicht, ob das möglich ist. Vielleicht spielen wir irgendwann auch Sachen von Angels Fall First und Oceanborn. Ich weiß es nicht. Wir werden sehen, was passiert.
Man sieht auf der DVD einige Nahaufnahmen von der ersten Reihe. Sind dort eigentlich bei vielen Konzerten immer die selben Gesichter?
Es gibt schon einige bekannte Gesichter in der ersten Reihe.
Wer ist der größte IRON MAIDEN-Fan in der Band?
Das ist eine gute Frage, weil jeder von uns IRON MAIDEN mag; kann ich schwer sagen.
Wer ist der größte PINK FLOYD-Fan in der Band?
Keiner von uns ist ein richtiger PINK FLOYD-Fan. Aber jeder zollt den großartigen Lieder, die sie geschrieben haben, Anerkennung und bewundert die bahnbrechenden Sachen, die sie gemacht haben. Wir haben den PINK FLOYD-Song (High Hopes – Anm. d. A.) ins Live-Programm genommen, nachdem wir eine ganze Reihe von Optionen durchgegangen waren, die allesamt nicht funktionierten. Wir haben es probiert und es klappte tadellos.
Kann es sein, dass sie einen gewissen Einfluss auf eure Show hatten, gerade was die Beleuchtung angeht?
Ja, unser Lichttechniker ist ein großer PINK FLOYD-Fan und übernimmt viele Ideen aus deren Live-Show. Da gibt es sicherlich einen Bezug. Aber das stammt nicht von uns; das ist unser Lichttechniker. Er erzählt immer davon, dass PINK FLOYD diese Lichter und jene Laser haben, und dass wir das auch brauchen. Bitte gebt mir mehr Geld, dann bringe ich das hin!
Neben den normalen Fans, die mit der End Of An Era ein erstklassiges Live-Dokument angeboten bekommen und damit zufrieden sind, gibt es auch beinharte NIGHTWISH-Fans, die nicht genug bekommen können und möglichst viele Live-Mitschnitte sammeln. Das ist natürlich illegal und Bootlegs richten auch einen gewissen geschäftlichen Schaden an. Hast du dessen ungeachtet Verständnis für solche Leute?
Die Leute wollen natürlich immer mehr. Mir geht es genauso. Als ich ein richtig besessener DREAM THEATER-Fan war, wollte ich immer noch mehr haben. Ich bin immer noch Fan, aber früher hörte ich die Alben absolut jeden Tag immer und immer wieder. Hätte es damals das Internet in seiner heutigen Form gegeben, hätte ich wahrscheinlich alle möglichen Live-Sachen runtergeladen. Ich kann das also gut nachvollziehen. Aber ja, es ist und bleibt illegal. Ich weiß nicht, ob die Plattenverkäufe unter Live-Mitschnitten, die im Internet kursieren, leiden. Die Qualität ist in der Regel so dürftig, dass sie offizielle Veröffentlichungen nicht ersetzen. Es eher ein Extra für manche Fans. Ich finde, das ist keine ausschließlich schlechte Sache.
Ich finde deinen Snare-Sound auf End Of An Era ausgesprochen cool. Das habe ich bei den überladenen Albumproduktionen immer vermisst.
Ja, ich habe jetzt auf ein Modell von Tama gewechselt, eine Bellbrass-Snare, glaube ich. Ein richtig schweres Teil. Es wiegt doppelt soviel wie eine gewöhnliche Stahl-Snare. Ich mag die Vorstellung, dass es zusätzlich Wucht verleiht. Aber das hängt auch sehr von der Stimmung und von den Soundmenschen ab. Außerdem hat natürlich Karmilas Mix einen Teil dazu beigetragen.
Bandkopf Tuomas schreibt bereits fleißig am neuen Album. Schlagzeuger Jukka meint dazu: Es muss perfekt werden! |
Bekanntlich sucht ihr momentan eine neue Sängerin. Wie viele ernsthafte Bewerbungen habt ihr bislang erhalten?
Das kommt darauf an, wie du ernsthaft definierst. Wir haben jetzt etwa 400 Demos bekommen und angehört. Immer noch treffen täglich zehn bis 15 Demos ein. Die Vielfalt ist enorm, von nicht so gut bis zu richtig gut. Wir haben bereits ein paar tolle Kandidatinnen im Auge, wollen aber nichts überstürzen. Im September beginnen wir mit den Aufnahmen und der Gesang wird erst irgendwann 2007 an der Reihe sein. Wir haben also noch Zeit, um nach der richtigen Person zu suchen, die in Tarjas Fußstapfen treten wird. Wir werden die endgültige Wahl erst gegen Ende des Sommers oder im Herbst treffen.
Wie ist das Verhältnis zwischen Bewerbungen mit nachgesungenen NIGHTWISH-Liedern und Bewerbungen mit anderem Material?
Es dürfte 50:50 sein. Viele singen NIGHTWISH-Sachen, aber viele singen auch tolle Metal-Songs. Manche singen Lieder von IRON MAIDEN, manche von Sarah Brightman. Man erkennt einen guten Klang, egal, was gesungen wird.
Ihr braucht also keine Angst zu haben, keine passende Sängerin zu finden?
Nein. Es gibt wie gesagt bereits einige vielversprechende Kandidatinnen und wir erhalten immer noch neue Demos. Ich bin sehr optimistisch, dass wir die perfekte Person finden werden. Es wird lediglich eine Weile dauern.
Ich habe den Eindruck, dass die Trennung von Tarja NIGHTWISH nicht in eine Sinnkrise gestürzt hat. Zumindest habt ihr nach dem Hartwall-Konzert nicht sonderlich orientierungslos gewirkt.
Nach der letzten Tour war ich sehr froh über die anschließende Pause. Es war eine lange Tour gewesen und wir waren ziemlich erschöpft von den vielen Auftritten und den Vorgängen innerhalb der Band. Es hat dann nur vier Wochen gedauert, bis ich wieder bereit war weiterzumachen. Es gab glücklicherweise genug zu tun mit der Fertigstellung der DVD und des Buchs, der Suche nach einer neuen Sängerin und den Vorbereitungen auf das nächste Album. Wir waren sehr fleißig.
Konntet ihr zu Beginn der Once-Tour bereits abschätzen, welches Ausmaß sie annehmen würde?
Wir begannen Mai oder Anfang Juni 2004 in Kitee. Da wussten wir schon, dass die Tour bis Ende 2005 dauern würde. Wir hätten gerne noch mehr Auftritte gehabt. Aber das ging aus gewissen Gründen nicht. Es war trotzdem eine schöne Tour. Wir hatten etwa 130 Konzerte.
Werdet ihr im Laufe einer Tour wilder und unzivilisierter oder behaltet ihr eure Manieren?
Wir hatten ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir hatten zwei Lager. Das eine war Tarjas Lager, das andere das der restlichen Band, das Management und die Crew. Wir hatten eine tolle Zeit. Es herrschte eine gute Stimmung und wir sind prima miteinander klar gekommen. Die Tour war sehr angenehm.
Welches war der am wenigsten schlimme Flughafen auf der Tour?
Der am wenigsten schlimme? Das ist eine knifflige Frage. Helsinki ist immer unkompliziert. Die Wege sind kurz und der Service gut. Und ich muss sagen, dass Frankfurt der schlimmste ist. Startet man eine Tour von Helsinki aus, muss man fast immer über Frankfurt fliegen. Man verbringt dort also drei Stunden, bevor die Tour losgeht, und drei Stunden, wenn von der Tour nach Hause kommt.
In welchem Land war das Publikum am lautesten?
Grundsätzlich in Südamerika. Allerdings muss ich auch das finnische Publikum beim Abschlusskonzert erwähnen. Gewöhnlich sind die Leute sehr ruhig und schauen sich stumm den Auftritt an. Sie applaudieren nach den Songs, aber drehen nicht durch. Bei Hartwall-Show war das Publikum dagegen wirklich sehr laut. Das hat auch dazu beigetragen, den Auftritt zu etwas Besonderem zu machen.
Noch vor zwei, drei Jahren habt ihr in Hallen mit einer Kapazität von ein- bis zweitausend Leuten gespielt. Jetzt habt ihr letztes Jahr hier in der Schleyerhalle vor 10000 Leuten gespielt und auf der DVD sind es noch mal mehr! Wie habt ihr diesen sprunghaften Anstieg der Zuschauerzahlen erlebt?
Ich kann mich gar nicht genau daran erinnern, wann die Hallen mit zwei- bis dreitausend Leuten zu großen Arenen wurden. Ich schätze, das war nach dem großen Erfolg von Once, als das Album in Europa auf Platz eins war wie hier in Deutschland. Aber wir haben nicht auf einmal gesagt: Jetzt ist es passiert. Jetzt sind wir eine Arena-Band. Es war eher eine natürliche Entwicklung von 1000er-Hallen über 2000-3000er Hallen hin zu den Arenen.
Das Cover der Jukolan humppa-Single: ELÄKELÄISET spielen Nemo von NIGHTWISH. |
Eure Landsmänner von ELÄKELÄISET haben auf ihrem aktuellen Album Nemo durch den Polka-Wolf gedreht.
Ich habe es gehört. Es ist eine tolle Version! Ich mochte ihre Fassungen von Rockhits schon immer. Sie machen das ja schon eine ganze Weile, eine urkomische Band.
Kannst du kurz beschreiben, worum es bei textlich bei Jukolan humppa geht?
Es ist im Prinzip die gleiche Geschichte wie im Original: Jemand ist im Wald auf der Suche nach etwas und hat sich verlaufen. Aber sie wird auf eine etwas andere Art erzählt. Es ist jedenfalls eine sehr gute Version! Es wurde auch langsam Zeit, von ELÄKELÄISET gecovert zu werden, nachdem sie bereits von so vielen Rockklassiker Humppa-Versionen gespielt hatten.
Zum Abschluss noch zwei Fragen zu Tarja: Vermisst du sie?
Was soll ich sagen? Wir haben das ganze letzte Jahr über nicht miteinander gesprochen, abgesehen von einem hallo am Morgen und Das war toll! nach der Show. Also nein.
Was ist ihre beste Eigenschaft?
Sie ist eine tolle Sängerin. Sie war großartig und ich kann gut verstehen, warum die Leute sie lieben.
Tuomas-Foto: Plattenfirma