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NEAL MORSE: Mike Portnoy ist schuld

Neal Morse redet über den Einfluss von Mike Portnoys iPod auf das neue Album, die Wünsche von japanischen Plattenfirmen und den Unterschied zwischen Gottesdiensten und Pubkonzerten.

Mit Sola Scriptura hat Neal Morse nicht nur eins seiner härtesten, sondern auch eins seiner schlüssigstes Werke abgeliefert. Knapp 80 Minuten lang zelebriert er mit Hilfe von Mike Portnoy (DREAM THEATER), Randy George (AJALON) und Paul Gilbert (RACER X) erstklassigen, stimmungsvollen Progressive Rock und erzählt dabei von Martin Luther und dessen Widerstand gegen die korrupte Kirche der damaligen Zeit.

Viele Teile auf dem neuen Album sind sehr Moll-lastig und eher düster. Spiegelt das deine Stimmung beim Komponieren wider?

Nein, eigentlich nicht. Ich dachte dabei an die Zeit und Martin Luther und an das, was er durchgemacht hat bzw. was ich glaube, dass er durchgemacht hat. Es gab viele Spannungen und dunkle Machenschaften der Kirche zu der damaligen Zeit. Es gibt aber auch eine ganze Reihe positiver Momente dabei – es gibt auch ein paar Dur-Klänge und hoffnungsvolle Sachen wie die Restauration der Kirche. Die Leute werden diese Dinge hoffentlich ebenfalls erfassen.

Die Basictracks wurden letzten Sommer aufgenommen, dem Studiotagebuch auf deiner Homepage zufolge ohne Klimaanlage. Welche Rolle haben die Beleuchtung und die Temperatur bei den Aufnahmen gespielt.

Das hatte ich ganz vergessen. Das stimmt. Die Ventilatoren sind nicht groß genug. Wenn man sie laufen lässt, machen sie zu viel Lärm. Bei den Schlagzeugaufnahmen mussten wir die Klimaanlage deshalb ausstellen. Dadurch wurde es ein richtig heißes Album! Nein, ist nur ein Witz.

Wie wichtig sind für dich die Demoaufnahmen, wenn du derart epische Stücke schreibst?

Das ist wirklich wichtig. Dort mache ich die ganzen Versuch-und-Irrtum-Geschichten durch. Beim abschließenden Aufnahmeprozess machen wir mit Mike und Randy manchmal auch noch dran rum und überarbeiten Sachen, schmeißen vielleicht den ein oder anderen Teil raus, der nicht ganz so aufregend klingt oder nicht so recht reinpasst. Aber beim Demoprozess nehme ich die ganzen Sachen mit dem Sequencer am Computer auf. Dann nehme ich dazu den Gesang mit einem Kassettenrekorder oder etwas anderem auf, damit ich nichts vergesse. Denn ich neige dazu, die Ideen zu vergessen. Am nächsten Tag höre ich es mir dann an. Manchmal gefällt es mir und manchmal finde ich, dass es mir bis ungefähr hier gefällt. Dann schneide ich den Teil aus und füge irgendwo viel später im Stück ein oder so. Wenn ich beschließe, es zu benutzen, kann ich es nehmen und zurückholen. Wenn man so an einem fortlaufenden Musikstück arbeitet, ändert jeder nächste Schritt die komplette Ausrichtung des Stücks. Manchmal komme ich gar nicht mehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt zurück. Ich arbeite aber beim Demoprozess aber kontinuierlich daran. Es ist eine wunderbare Reise. Ich liebe es!

Was motiviert dich dazu, einige deiner Demos zusammen mit Liveaufnahmen und anderen Sachen auf deinem eigenen Label herauszubringen; früher im Rahmen der From The Vaults-Serie, heute über deinen Inner Circle?

Einer der Gründe ist natürlich finanzieller Natur. Geld muss reinkommen, das Haus muss in Schuss gehalten werden, all so Sachen, die ich als gute Vater und Ehemann bewerkstelligen muss. Mir gefällt es aber auch eine Verkaufsmöglichkeit für die Sachen zu haben, die sich nicht unbedingt für eine Veröffentlichung auf breiter Front eignen. Mir ist bewusst, dass es ein paar Leuten gefällt. Ich meine, magst du die From The Vault-Sachen?

Es ist nicht so wie bei deinem letzten Album, dass man 80 Minuten großartige Musik geboten bekommt, aber dafür kommt man in den Genuss von Songs wie Into Fire. Ich weiß nicht, wie so etwas auf ein reguläres Album gepasst hätte, aber es ist ein toller Track. Als Musiker ist es außerdem interessant, einen Einblick in den Arbeitsprozess zu bekommen.

Oh, Into Fire! Die Geschichte dahinter ist die, dass wir in der Anfangszeit bei einer japanischen Plattenfirma namens JBC waren. Sie schickten mir dauernd diese Faxe: Sehr schönes Album. Aber wann macht ihr Heavy Metal-Songs? Wir wollen Heavy Metal-Songs! Deshalb beschlossen wir, ihnen einen Bonustrack zu geben. Für uns war Into Fire eine Art Witz. Es hat ein paar gute Sachen drin. Aber die Texte und der Gesang sind humoristisch gemeint. Solche Sachen – Witziges, Outtakes, Livematerial, das für eine richtige Veröffentlichung nicht gut genug ist – möchte ich gerne mit anderen Leuten teilen.

Die Erwartung ist dann auf alle Fälle eine andere. Noch einmal zurück zu Sola Scriptura: Wie entscheidest du, ob ein episches Stück in einzelne CD-Tracks unterteilt wird oder nicht?

Die Antwort ist recht witzig. Die Wahrheit ist, dass ich sie gerne aufteile wie bei Testimony und Snow. Aber das macht Mike Portnoy völlig wahnsinnig. Er hört meistens auf seinem iPod Musik und dabei wird automatisch eine Pause zwischen den Stücken eingefügt oder etwas in der Art. Er kann es sich jedenfalls nicht so anhören, wie er es gerne würde. Er meinte: Warte, tu das nicht! Mach eine fortlaufende Nummer draus. Wer will schon einen ID-Punkt mitten in Close To The Edge haben? Ich sagte also: Okay, ich lasse diesmal die großen Stücke zusammen – um Mike´s iPods Willen.

Randy
Randy George (l.) und Mike Portnoy (r.) überzeugten Neal Morse (m.), dass es diesmal besser wäre, aus allen Rohren feuernd einzusteigen.

Da das Album von Martin Luther handelt, frage ich mich, ob du mit dem Gedanken gespielt hast, dazu von ihm geschriebene Kirchenmusik aufzunehmen.

Da bist du nicht der erste. Der Mensch, der mich auf die Idee brachte, ein Album über Luther zu machen, schlug vor, dass ich das Album mit einer seiner Hymnen beginne. Ich hatte auf dem Demo auch ein anderes Intro, eine kleine Waldhornmelodie. Aber der Rest der Gruppe fand, dass sich das zu sehr nach etwas anhörte, was ich bereits gemacht hatte, und dass es diesmal besser wäre, aus allen Rohren feuernd einzusteigen.

Du warst also nicht versucht, deutsche Kirchenlieder auf das Album zu packen?

Haha, vielleicht spielen wir bei der Liveversion Mighty Fortress Is Our God.

Du wirst im Mai für zwei Auftritte nach Europa kommen. Warum hängst du nicht eine längere Tour dran, wenn du schon mal hier bist?

Unsere Zeit ist begrenzt. In der Regel ist es so, dass es teuerer wird, je länger ich toure. Geld ist also ein Faktor. Ich versuche, diese Sachen durchzuziehen, ohne dabei all zu viel Miese zu machen. Es ist sehr teuer für jemanden wie mich. Ich bekomme nicht viel Toursupport; man muss die Band und die Crew bezahlen. Es ist deshalb sehr teuer, einen Gig aufzuziehen.

Hast du irgendwelche besonderen Pläne für die anstehenden Konzerte? Ich habe jedenfalls vor, eins zu besuchen.

Klar, du musst kommen! Wir werden einen Haufen Wahnsinnsmusik spielen mit einigen Wahnsinnsmusikern. Es sollte wirklich sehr gut werden. Ich freue mich sehr darauf mit dem Gitarristen Paul Bielatowicz zusammenzuarbeiten. Er ist Gitarrist in der CARL PALMER-BAND. Ich sehr gespannt darauf, wie er die Paul Gilbert-Sachen anpackt.

Kommst du bei deinen musikalischen Aktivitäten überhaupt noch dazu, Musik von anderen anzuhören?

Ich höre nicht so viel Musik, wie ich vielleicht sollte. Zur Zeit höre ich meisten klassische Sachen und Jazz, z.B. Mendelsohns zweite Sinfonie und diverse Jazz-Interpreten. Hin und wieder höre ich also noch Musik. Sonntagmorgens höre ich Gottesdienstmusik und solche Sachen.

NEAL
Ob mit oder ohne Bart – Spock ist präsent im Hause Morse: Mein Sohn und meine Tochter sind begeistert davon. Wir schauen jetzt die ganze Zeit über Star Trek.

Hast du noch einen Überblick über deine eigene Diskographie?

Eher nicht. Du kennst sie wahrscheinlich besser als ich.

Ich frage deshalb, weil es bislang noch keine Best of SPOCK´S BEARD– oder Best of NEAL MORSE-CD gegeben hat. Ich stehe nämlich manchmal vor dem Problem, dass ich jemanden deine Musik empfehle und dann keine CD finde, die das gesamte musikalische Spektrum repräsentiert.

Hast du irgendwelche Vorschläge, was auf eine Best of draufgehört? Es ist schwierig, das zu entscheiden. Wenn man live spielt, ist es das Gleiche: Wie kann man aus dieser ganzen Musik eine gute Auswahl treffen? Es ist eine große Herausforderung.

Was kannst du mir über Thomas Ewerhard erzählen, der seit 1999 zahlreiche CD-Artworks beigesteuert hat? Wie hat sich eure Zusammenarbeit über die Jahre hinweg entwickelt?

Zuerst war er ein freischaffender Künstler und wurde dann zum Hausdesigner bei Inside Out Europa. Und es ist großartig! Immer wenn die Zeit für ein neues Cover gekommen ist, kommt er mit etwas Tollem an. Ich schicke ihm meine Ideen und er setzt sie dann für mich um. Es ist eine wunderbare Zusammenarbeit! Dabei habe ich ihn nur ein paar Mal persönlich getroffen.

NEAL
Neal Morse über Cover-Designer Thomas Ewerhard: Immer wenn die Zeit für ein neues Cover gekommen ist, kommt er mit etwas Tollem an.

In wie weit lassen sich die Gottesdienstauftritte, die du in letzter Zeit in Europa gespielt hast, mit den Pubtouren vergleichen, die du 1999 und 2000 zusammen mit Nick D´Virgilio gespielt hast?

Das unterscheidet sich sehr voneinander. Eine Sache ist aber gleich geblieben: Noch immer fallen den Leuten CDs auf den Kopf – im Auto. Daran erinnere ich mich hauptsächlich, wenn ich an die Nick´n´Neal-Touren mit Nick und Ingrid zurückdenke: Ständig fielen irgendwelche Sachen auf denjenigen, der hinten saß. Bei Gottesdiensten zu spielen unterscheidet sich sehr vom Rockkonzerte geben. Es ist beides auf seine Art intensiv. Wenn ich bei Gottesdiensten spiele, geht es mir in erster Linie nicht darum, Leute zu unterhalten. Ich versuche das zu machen, was ich fühle, dass Gott will, dass ich mache. Das ist also eine komplett andere Sache.

Welches war der ungewöhnlichste Ort bzw. die ungewöhnlichsten Umstände, wo du die Bibel zitiert hast? Also nicht bei einem Gottesdienst, sondern vielleicht im Studio, während du dich gefragt hast, ob diese Gitarrenmelodie Hall braucht…

Ich muss spontan an einen Pubauftritt denken. Manchmal postiert man mich in einer Universitätskneipe und dergleichen, wenn andere Christen sehen wollen, wie ich vor einem weltlichen Publikum spiele und ihm die christliche Botschaft auf eine Art übermittle, die es vielleicht verstehen kann. Ich erinnere mich da an einen Auftritt, als alle dasaßen und einen Akustikauftritt erwarteten und ich auf die Bühne ging und sagte: (singt) I just came to praise Jesus, I just came… – und ich sang dieses alte, schwarze Spiritual. Alle meinten verblüfft: Wow. Ich habe an jenem Abend ein paar Bibelstellen zitiert, mich aber hauptsächlich auf die Musik konzentriert; habe versucht, etwas zu machen, das die Leute auch in sich aufnehmen können.

Hast du in musikalischer Hinsicht schon irgendwelche Zukunftspläne?

Ich arbeite etwas an neuer Musik. Ich weiß noch nicht, wo es hinführen wird. Das versuche ich noch herauszufinden. Ich bin etwas auf der Spur. Folglich weiß ich noch nicht, worauf es hinauslaufen wird.

Hast du schon den Entschluss gefasst, nicht schon wieder ein Konzeptalbum zu machen?

Na ja, das beschließe ich immer. Aber manchmal hat Gott andere Pläne.

Es sind knapp fünf Jahre vergangen, seit du SPOCK´S BEARD verlassen hast. Vermisst du die Fragen über Star Trek?

Haha, die bekomme ich immer noch gestellt! Wir haben bei uns zu Hause einen DVR, einen digitalen Videorekorder, mit dem wir vom Fernsehen aufnehmen können, was immer wir wollen. Da nehmen wir alle Star Trek-Folgen auf, die gezeigt werden. Mein Sohn und meine Tochter sind begeistert davon. Wir schauen jetzt die ganze Zeit über Star Trek.

Du bist also bestens vorbereitet.

Ja, ich kenne zumindest die Namen der Episoden.

Hast du eine Lieblingsfolge?

Das ist selbstverständlich Mirror Mirror. Das ist die, in der Spock einen Bart hat!

Bilder: Plattenfirma

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