Mit „Tod und Teufel“ hat KARIN RABHANSL ihr viertes Album veröffentlicht. Und da sich die bayrische Liedermacherin darauf deutlich rockiger und kantiger zeigt und wir sie als äußerst sympathischen und interessanten Menschen kennen lernten, haben wir sie in Nürnberg besucht, um über ihr aktuelles Album und Musik an sich zu reden.
Hallo Karin, wie fühlt sich „Tod und Teufel“ nach nun etwa sechs Wochen nach der Veröffentlichung an?
Bislang hatte ich nach vier Wochen immer die Phase, in der ich mir dachte, dies hätte ich anders machen können oder das gefällt mir nicht mehr – und das ist bis jetzt noch nicht eingetreten. Es hat also vier Alben gedauert, bis ich mit dem Ergebnis auch nach der Veröffentlichung noch rundum zufrieden bin.
Das Album hat ja nun auch eine andere Schlagseite und geht musikalisch in eine andere Richtung als die poppigeren Sachen zuvor. Wie war dieser Wechsel denn für die Band?

Es ist ja schon beim letzten Album „Anna“ losgegangen, wo ich meine Gitarre schon ein bisschen verzerrt habe und in eine rockigere Richtung gegangen bin. Davor war es sehr poppig. Ich habe mir selbst aber die Frage gestellt, warum mache ich eigentlich nicht die Musik, die auch auch selbst gerne höre. Weil die lustigen und klamaukigen Sachen aber gut funktioniert haben, habe ich das weiter gemacht. Irgendwann hatte ich aber keine Lust mehr darauf. Die Band war am Anfang skeptisch, ich könne doch nicht einfach alles über den Haufen schmeißen. Aber ich werde eh nicht reich damit und verdiene meinen Lebensunterhalt mit Musikunterricht, deshalb mache ich musikalisch jetzt das, was ich machen will. Ich neige dazu, es allen recht machen zu wollen und habe das nun einmal nicht getan. Am Anfang fand das die Band auch überhaupt nicht gut.
Tatsächlich? Wie bist du das dann angegangen?
Bei einem der ersten rockigeren Stücke, das ich geschrieben hatte, dass ich eine Basslinie und ein Gitarrenriff hatte und den Jungs sagte, ihr spielt das jetzt. Am Anfang waren sie skeptisch und meinten das spielt man so doch nicht, ich wollte es aber rumpeliger, kantiger und nicht so „schön“. Ich will weg von diesem Perfektionismus. Alles ist so klinisch und sauber, da hab ich keine Lust mehr drauf. Mehr Lofi statt Hifi!
Und dann?
Am Anfang war es für sie schwierig, den eigenen musikalischen Anspruch runter zu schrauben, da sie alle sehr sehr gute Musiker sind. Nur weil die „Chefin“ meint, es müsse jetzt alles härter, krasser und rumpeliger klingen. Aber inzwischen sind sie ganz glücklich damit, wobei mein Bassist Basti „Haut“ und „Sie“ immer noch zum Kotzen findet. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die beiden Nummern vom Album geschmissen. „Wenn i doad bin“ haben sie alle aber relativ schnell gefeiert. Sie haben gemerkt, das ich es ernst meine und dass ich mir hundert Prozentig sicher bin, dass ich es genau so haben will.
Wobei „Sie“ mit seiner Prog Rock-Schlagseite für mich mit das stärkste Lied auf dem Album ist…
Das ist halt immer Geschmacksache. Für ihn ist das so Pseudo-Metal und er findet es scheiße. Die Meinung darf er haben, das ist jetzt aber einfach so.
Das Album würde ich jetzt auch nicht als rumpelig oder Lofi bezeichnen, ich finde, es hat einen sehr guten Sound.
Ja, auf jeden Fall. Auch, weil Sven Peks, der auch schon mit TURBONEGRO arbeitete, meiner Meinung nach ein Genie ist. So gut habe ich mich noch nie mit einem Produzenten verstanden. Wo ich früher ein „das ist zu krass, das können wir so nicht machen“ gehört habe, hat er mich noch angefeuert. Bei manchen Parts, bin ich stimmlich an meine Grenzen gegangen und hab mir im wahrsten Sinne die Seele aus dem Leib geschrien. Als ich mir die Aufnahmen später angehört habe, ist mir klar geworden wo er mich hinbringen wollte und was der Plan war.
Hast du ein Beispiel dafür?
Zum Beispiel der Schrei am Schluss bei „Sie“. Den bekomme ich live wahrscheinlich auch nicht mehr so hin. Da habe ich das Letzte rausgeholt, aber er meinte, komm, da geht noch was. Irgendwann war aber gut, ich wollte mir nicht die Stimmbänder ruinieren.
Bei manchen Bands und Alben denke ich mir, der Sänger ist ne arme Sau, den Schrei muss er live über Jahre immer und immer wieder bringen…
Du brauchst halt eine gute Technik. Atmung ist alles. Wenn dir die Luft ausgeht, hast du immer ein Problem. Vor allem bei langen Tönen. Wenn du nicht gut stützt, bekommst du ein Problem. Für mich war das auch eine Herausforderung, in die extremere Richtung zu gehen, ohne, dass ich nach einer Show gleich heiser bin.
Erzähl noch ein bisschen von den Aufnahmen, ihr seid ja in ein entlegenen Haus zum Aufnehmen gefahren..?

Ja, genau. Das Audiolodge von Sven Peks ist mitten im Wald, du fährst ewig dort hin und bist dann abgeschnitten von der Außenwelt. Wir hatten dort eine total familiäre, schöne Atmosphäre. Ich habe mich mit der Band zwei Mal für vier Tage eingemietet. Wir haben relativ viel live eingespielt. Zum Beispiel die B-Seite der 7-Inch-Vinyl-Single “Auseinander” ist ein kompletter Live-Take und auch „Hoam“, das letzte Stück auf dem Album, ist komplett live eingespielt, wir haben dann nur noch ein paar Overdubs aufgenommen.
Bei den Alben davor kam an einem Tag der Basser und hat seine Spuren eingespielt, am Tag drauf der Gitarrist und so weiter. Das war bei „Tod und Teufel“ ganz anders. Zum Teil waren die Songs auch noch nicht fertig arrangiert, das ist dann erst im Studio passiert. Wir haben da noch viel diskutiert und uns zusammengesetzt. Du kochst und isst zusammen und bist die ganze Zeit in der Thematik und bist voll fokussiert. Ich würde auch nie wieder anders aufnehmen, das war so total schön.
Das hört man auch am Ergebnis.
Wir kennen uns jetzt auch schon lange Zeit als Band und es ist schön zu sehen, dass das so funktioniert und dass man sich nicht auf die Nerven geht, wenn man mal ein paar Tage aufeinander hockt. Wir wissen, wie wir uns nehmen müssen und dass keiner beleidigt ist oder man auf Befindlichkeiten Rücksicht nehmen muss, weil wir sehr offen miteinander kommunizieren können. Schön war auch, dass wir uns für manche Entscheidungen Zeit nehmen konnten. „Dieses Heulen“ wollten die Jungs erst schneller spielen, bestimmt 20 BPM. Wir haben dann lange diskutiert und uns für die langsamere Variante entschieden. Jetzt passt der Text und das, was ich damit ausdrücken möchte, viel besser rein. Es ist einfach schön, wenn für so etwas Zeit hat.
Du hast vorhin den Produzenten Sven Peks angesprochen. Wie wichtig ist der Einfluss eines Produzenten bei den Aufnahmen tatsächlich?

Das kann schon wertvoll sein, wenn du da gerade dein eigenes Süppchen kochst und dir die Außensicht fehlt. In der Vergangenheit, als ich noch nicht so richtig wusste, wo es genau hingehen soll, ist es mir schon passiert, dass ich mir da zu viel hab reinreden lassen und das Ergebnis dann zu glattpoliert klang. Zum Glück hat das nicht so gut funktioniert, so habe ich jetzt die Legitimation, es anders zu machen. Es ist aber schon cool, wenn du einen Produzenten hast, der in erster Linie versucht, den Song geil zu machen und nicht nur sich selbst ausleben oder seinen Stempel aufdrücken möchte. Deswegen ist es wichtig, jemanden zu haben, der schaut, was dem Song gut tut. Wenn du so jemanden hast, ist es cool.
Hat er auch Einfluss auf euren „neuen“ Sound gehabt?
Bei uns im Proberaum hat sich die Richtung schon entwickelt, Sven hatte dann beim Aufnehmen aber noch gute Ideen, wie man die Songs noch weiterentwickeln könnte. Bei einem Stück war es eine doppelt so schnell gespielte Hi Hat, bei einem anderen das Gitarrensolo, dann stand da noch eine Hammond-Orgel im Studio herum… Das war schon ein gutes Miteinander.
Ich finde gerade den Gitarrensound so klasse. Die Gitarren klingen richtig lebendig. Wie habt ihr die aufgenommen?
Die Amps standen im Keller und waren bis zum Anschlag aufgedreht. Ich bin da mal rein, als ich etwas Footage Video Material aufgenommen hab, und ich dachte danach, ich hör nie wieder was. Das war unfassbar laut.
Schlagzeug und Bass haben jeden Song zusammen aufgenommen, meistens auch gleich eine Rhythmusgitarren-Spur. Gesang ging nicht, das war einfach zu laut im Raum. Vom Sound her hatte Sven einfach eine gute Vision. Er ist großer Schlagzeug-Fan und wir haben super viel Musik zusammen gehört, zum Beispiel alte SOUNDGARDEN-Platten oder FUGAZI. Da haben wir dann zwar gemerkt, das ist es nicht ganz, so haben wir uns aber an den Sound ran getastet und wir haben uns viel über Musik unterhalten, bis wir eine gemeinsame Vision hatten, wie das Album klingen soll.
Das Mastering habt ihr aber wo anders gemacht?
Es ist das erste Mal, dass ich ein Album habe mastern lassen. Wir waren bei Ludwig Maier bei GKG Mastering. Er hat was richtig tolles draus gemacht. Wir haben die Mixes in der Band rumgeschickt und dann konnte jeder noch seinen Senf dazu geben. Er hat da richtig gute Arbeit gemacht.
Ihr habt ja nun stilistisch einen großen Sprung gemacht. Hast du eine Idee, wie es weiter geht?
Ich denke, es bleibt so. Die Richtung gefällt mir so sehr gut und ich merke, wie viel Spaß das macht. Ich habe keine Lust mehr, nette Popsongs zu spielen. Live kann es natürlich sein, dass man den ein oder anderen alten Fan vor den Kopf stößt, aber da müssen sie durch.
Und wenn es nicht klappt, du spielst ja noch Schlagzeug in einer Punk Band und Gitarre in einer Stoner Rock Band.
Haha, ja genau. Wer meine ruhigeren Sachen lieber mag, kann ja gerne meine Solo-Sachen schauen kommen, da trete ich alleine mit Akustikgitarre auf. Mit Band ist jetzt einfach auf’s Maul. Das ist ja auch das schöne, du bist nie fertig mit deiner Entwicklung. Ich weiß nicht, wo es noch hingehen wird.
Mich hat ein bisschen gewundert, dass du gleich zwei Coversongs auf dem Album hast. Und, dass du mit einem Coversong anfängst.
Irgendwie war das so der perfekte Übergang von der alten Karin in das etwas düsterere, rockigere. Deshalb hab ich mit der Coverversion von „If it makes you happy“ – „Wenn’s Dir a Freid mocht“ angefangen, weil es noch etwas leichtere Kost ist im Vergleich zu dem, was da noch alles kommt. Wenn wir jetzt mit „Haut“ angefangen hätten, wär das wohl zu hart gewesen. So ist das ein schöner Übergang. Ich hab früher schon immer viel SHERYL CROW gehört. Sie war schon immer eine Sängerin, die nicht nur gut aussieht und a bissl singt. Sie hat schon immer eigene Songs geschrieben, Gitarre und Bass gespielt schon immer produziert, das fand ich schon immer cool. Ihr neuestes Werk finde ich zu glatt produziert, die ersten beiden Alben finde ich aber sehr sehr gut.
KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN habe ich 2015 entdeckt und das Lied „60 Watt Sonne“ habe ich bestimmt hundert Mal am Stück im Auto gehört, die ganze Zeit.
So geht’s mir mit deiner Version. Einer der besten Coversongs, den ich kenne.

Haha…. ok, cool. Das hat mich so gepackt. Du siehst diesen Typen vor dir. Jeder kennt wohl solche Menschen, die einfach so vor sich hin vegetieren und nichts mehr auf die Reihe kriegen. Das Lied hat mich so erwischt, das musste ich einfach covern. Wenn du dann live merkst, wie die Leute reagieren, plötzlich ist Stille… Diese ganze Mainstream-Befindlichkeits-Scheiße macht mich aggressiv. Da möchte ich einen Gegentrend schaffen. Ich möchte da hintreten, wo es weh tut. Dieses seichte Geblubber und Gejammer, das sich die Kids da rein ziehen… Warum wollen alle denn nur so normal sein, so schön, so nett. Das ist doch nicht die Wahrheit.
Offenbar ist es für viele erstrebenswert, so zu sein wie alle anderen auch.
Ja, schlimm. Alle wollen gleich aussehen und ja nicht auffallen, ja nicht anders sein, ja nicht anecken.
In wie weit spielt da der Dialekt bei dir eine Rolle? Das ist in dem Genre auch eher ungewöhnlich.
Das fühlt sich für mich total natürlich an. Manche Songs funktionieren auch nur im Dialekt. Ich habe mache Songs ins Hochdeutsche umgeschrieben, aber das funktioniert null, dann geht die Seele des Songs verloren. Im Dialekt ist es direkter und derber. Hochdeutsch ist feiner, lyrischer. Das mache ich schon seit Jahren so. Manche Dinge funktionieren so besser, mache so. Aber ich möchte mich da auch gar nicht festlegen.
Hast du bestimmte Erwartungen an das Album?
Ich glaube es wäre gelogen, wenn man sagen würde, es ist mir egal! Dann bräuchtest du deine Musik nicht auf Vinyl pressen lassen. Für mich war das Album ein Freischwimmen aus dem Alten, es war eine Art Befreiungsschlag. Ich bin total froh, dass ich das machen konnte und auch jemanden wie den Johannes Stahl gefunden habe, der dieses fantastische Cover gezeichnet und geschnitzt hat.
Er arbeitet ja auch mit MANTAR zusammen. Wie bist du auf ihn gestoßen?

Er hat bei Ultra Comix in Nürnberg, einem der großartigsten Comicläden weltweit, ausgestellt und ich bin zufällig vorbeigekommen. Zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass das Album „Tod und Teufel“ heißen wird und ich habe seinen Linolschnitt entdeckt, der ja perfekt passt. Unabhängig davon hab ich von mehreren Leuten gehört, frag doch mal den Johannes Stahl, der macht dir das perfekte Cover. So hat sich das ergeben.
Das Cover passt auch perfekt zu deiner Musik.
Ja, das ist eine sehr traditionelle Technik, die vor allem zum Dialekt sehr gut passt. Es ergeben sich aber immer wieder solche Zufälle. Die Idee zum Albumtitel hatte ich beim Joggen. An Zufälle glaube ich aber nicht so wirklich, ich denke, dass sich viele Dinge ergeben, wenn man einen Plan hat, wie man es machen will.
War das auch so beim Video zu „Wenn i doad bin“?
Haha ja, das war klasse. Die Idee dazu hatte ich schon lange. Ich wollte mal was bombastisches machen und kannte die Leute von der flashfabrik und wusste, wenn jemand das so völlig überzogen darstellen kann, dann der Patrick von der flashfabrik. Wir haben uns dann mal getroffen und ich habe ihm ein Skript geschrieben, was ich mir so vorstelle. Er hatte bislang meistens mit so Gangster Hip Hop Leuten gearbeitet, dann kommt da so eine, die bayrische Rockmusik macht, das war für ihn auch ganz spannend.
In Nürnberg gibts das Cult, einem Nachtclub, in dem auch Konzerte stattfinden. Da wollte ich einfach ein paar Leute und Partypeople reinstellen und ein Video drehen. Und das war dann auch total witzig, weil das alles Freunde und Musikerkollegen sind. Ich hatte nur Zweifel, ob die so auf Kommando eine wilde Drecksauparty feiern. ich dachte mir, selbst wäre ich dazu wahrscheinlich zu verklemmt. Ich war dann kurz auf dem Klo, komme zurück und es war der völlige Wahnsinn. Paule, der in meiner Lieblingskneipe „Grosse Freiheit“ bedient und der auch mitspielt, war plötzlich bei meiner Sporttrainerin und sie stand auf seinem Rücken, irgendwelche Leute „koksen“ das Mehl weg, der eine hatte fünf Brillen auf und einen nackten Oberkörper, der andere stand nur noch in Boxershort und Bademantel da und alle gehen voll ab, das war total cool. Später kam dann noch meine Band für die Band-Szenen und die dachten sich nur, was ist denn hier los!
Ist doch geil, dass das funktioniert.
Ich habe hier die besten Freunde in Nürnberg, die man sich nur vorstellen kann und die so einen Blödsinn mitmachen. Und auch Arno, der Teufel, hat einen super Job gemacht. Ich hatte mir vorher überlegt, wenn nimmst du da, weil diese tragende Rolle gut besetzt sein muss, sonst funktioniert es nicht. Arno hat eine Psychobilly Band The Seizures und steht da immer völlig wahnsinnig auf der Bühne und er hat das richtig gut gemacht.
Ich hab einfach ein tolles Team, allen voran der Stefan, der mich super unterstützt und der viele Ideen hat. Wenn ich nicht so einen Partner hätte, der das so feiert, wäre das so in dem Stil auch gar nicht möglich und das ist schon sehr sehr cool. Sonst funktioniert das auch nicht. Entweder bist du Musiker oder nicht. Ganz oder gar nicht.
Ich habe mir noch ein paar Notizen zu deinen Songs gemacht. Vielleicht magst du ein, zwei Sätze dazu sagen?
Zu „Dieses Heulen“ habe ich mir ‚ungewöhnlicher Gesang‘ notiert. Du bist ja selbst Gesangslehrerin. Aber wie übst du selbst solche Passagen?
Ich mache viel aus dem Bauch heraus. Da ich viele Gesangsschüler habe und viel Wert darauf lege, dass sie gut eingesungen sind, übe ich da auch immer mit. Wenn du siehst, was die Schüler so falsch machen oder wo sie sich schwer tun und du ihnen dann helfen kannst, lernst du selber auch am meisten. Das ist für mich eine super Übung. Ich singe mich auch vor den Shows ein und Atmung ist für mich so eine Baustelle, weil ich immer bis an die Grenze gehe. Das ist das krasse an der Musik, du bist nie fertig. Und das geht auch so schnell wieder weg. Wenn du dir etwas hart erarbeitet hast und machst es eine Weile nicht, fängst du wieder von vorne an.
„Der Leiermann“ – da hab ich mir nur drei Fragezeichen notiert?
Das ist ein super Lied. Ich war ja auf der Berufsfachschule für Musik in Dinkelsbühl in und hab dort klassische Gitarre und Rock/Pop Gesang studiert. Bei der Probewoche, wo man sich das alles mal anschauen konnte, saß ich in einer Stunde mit klassischem Gesangsunterricht und da hat einer das Wirtshaus von Schuberts Winterreise gesungen. Das hat mich so ergriffen. Ich finde diesen ganzen Zyklus so schaurig traurig. Am Ende geht er vor lauter Liebestrauer in den Tod und der Leiermann holt ihn dann einfach, das hat mich einfach fasziniert. Ich habe mir die klassischen Gitarrennoten in Nürnberg in der Bibliothek geholt und habe es dann gespielt. Und jetzt passt es natürlich perfekt zum neuen Album „Tod und Teufel“. Es ist eins meiner liebsten klassischen Werke, deswegen musste ich es einbauen.
Also eigentlich noch eine Cover-Version.
Ja stimmt, es sind so gesehen drei Coverversionen.
Eigentlich witzig, dass man bei Klassik nicht von Cover-Versionen spricht.
Ja, die Covern ja eigentlich nur die ganze Zeit! Ich höre mir das auch super gerne an und klassische Sänger leisten so viel, es ist eine Wahnsinnsleistung, so große Häuser ohne Mikrofon zu beschallen, sie haben aber einen ganz anderen Ansatz.

„Lichatal“ – der nächste Song, wo ich drei Fragezeichen hab.
Haha. Ja, das ist die Geschichte, die mein Vater meiner Schwester und mir früher immer erzählt hat als wir noch ganz klein waren. Wenn wir abends wenn es dunkel ist allein in den Wald gehen, dann kommen die Irrlichter und holen uns. Mein Vater hat uns gerne solche Geschichten erzählt, wahrscheinlich war das ein Trauma, das ich jetzt aufgearbeitet hab, haha.
Ich find das cool, auch die Live-Umsetzung neulich in Hamburg hat mich total geflasht. So ein Stück nur mit einem Looper umzusetzen, einem Mikrofon und ein paar Gerätschaften, das war richtig stark. Und es kam gut an.
Haha, ja, sowas bleibt hängen. Die verrückte aus dem Wald mit ihren Irrlichtern. Die Band war ein wenig verwirrt, als ich ihnen das zum ersten Mal vorgespielt hab. Es ist einfach wie eine alte, vertonte Gruselgeschichte. Wir haben bei den Aufnahmen auch echt Spaß gehabt. Im Studio war so eine alte Tür, die gequitscht hat, die haben wir dafür aufgenommen und Papier vor dem Mikro zerknüllt, das war total witzig. Wenn du es hörst, klingt es ziemlich gruselig, der Entstehungsprozess war aber sehr lustig.
Ja und dann kommt mit „Preiskampf“ ein ziemlicher Stilbruch. Für mich die poppigste Nummer?
Stimmt, wobei es so poppig gar nicht ist mit seinem 7/8-Takt, also einer eher krummen Taktart. Die Idee zum Song ist auch schon relativ alt, da hatten wir ins gerade von unserem letzten Keyboarder getrennt, weil es einfach nicht mehr gepasst hat und ich diese Entscheidung treffen musste. Das tat mir alles furchtbar leid und ich bin mir da ein bisschen kalt vorgekommen und habe dann diesen Song geschrieben. Der ist ewig in der Schublade gelegen und ich habe ihn dann zu einem Songwriting-Workshop mitgenommen. Mit ein paar Leuten habe ich daran gearbeitet, so ist diese Fassung entstanden. Mit der Band kam dann zuerst nicht die zündende Idee. Mit dem neuen Schlagzeuger Simon, der dann frischen Wind reingebracht hat, ging’s dann plötzlich.
Wind – eine Ballade. Was bedeuten dir Balladen?
Das ist für mich die poppigste Nummer. Der Hass-Song von meinem Schlagzeuger. Die Uhuu uhuuus machen ihn wahnsinnig, haha. Ich schreibe aber unglaublich gerne Balladen. Ich höre auch gern traurige Musik. Es gibt natürlich gute Popmusik, aber alter Indie wie RADIOHEAD war eine meiner ersten großen Lieben, das ist ja eher weniger fröhliche Musik. Oder JONI MITCHELL natürlich, die Ober-Balladen Königin. Sie hat glaube ich keinen einzigen fröhlichen Song. Ich bin riesen Fan von ihr. Traurige Musik berührt mich einfach mehr. Bei fröhlicher Musik neigt man dazu, dass es zu albern oder zu affig wird…
Und das ist die perfekte Überleitung zu „Erwachsen“. Das Lied klingt total jung und unbeschwert. Von der Stimmung her denke ich da am ehesten an FARIN URLAUB oder DIE ÄRZTE.
Ich komme ja aus dem tiefsten niederbayrischen Wald. Da ist es ganz normal, dass du mit Anfang zwanzig zusammen kommst, dir ein Haus kaufst, Kinder hast, so diese ganze typische Step by Step Geschichte. Ich war da schon immer eher so der Alien, der nie richtig in dieses Raster gepasst hat. Was meine Eltern auch niemals von mir erwartet hätten, die haben mich immer voll unterstützt. Dieser gesellschaftliche Druck und die typische Erwartungshaltung war im Umfeld aber schon zu spüren. Wenn’s dir nicht gut geht, will das keiner hören, kuppelmäßig am Start sein geht dann aber schon. Das Thema zieht sich durch einige von meinen Songs. Für mich war es aber tatsächlich ein Wackelkandidat für’s Album, weil es doch ein bisschen aus dem Rahmen fällt. Es lockert das Album aber ein wenig auf. Es ist nicht meine stärkste Nummer, ich mag aber den Mittelteil sehr gerne.
Das war jetzt auch schon wieder eine fast perfekte Überleitung zu „Sie“. Ich habe „Prog Rock Inferno“ und „geiler Sound“ dazu notiert.
Ja, voll. Das war auch die Nummer, wo ich zu meinem Gitarristen gesagt hab, wir brauchen hier mehr Wahnsinn. Der Typ im Song lauert ihr auf, der ist echt krank. Er will irgendwas mit ihr anstellen. So muss das Solo sein.
Gute Ansage an einen Gitarristen, haha.
Ja, und das hat er dann echt gut umgesetzt. Wir haben ihn immer weiter angestachelt bis er meinte, ich geb’s euch jetzt richtig! Und das Solo ist dann richtig gut geworden. Es ist eins meiner Lieblingssolos vom Chris, das hat er sehr sehr gut gemacht.
„Haut“ – „düstere Rock Nummer, klingt amerikanisch“
Jaaa stimmt, weil es so in diese Prog Rock Richtung reingeht. Die Gitarre ist auf D Moll runtergestimmt. Ja, amerikanisch, kann man so sagen. Das Stück spaltet die Leute ein bisschen. Manche mögen es sehr, manche kommen nicht so damit klar.
„Hoam“. Eine traurige Nummer. Finde ich krass, diese als Rausschmeißer zu nehmen.
Eine tragische Liebesgeschichte. Für viele ist es ein Mann, der in der Kneipe sitzt, obwohl das gar nicht so beschrieben ist. Ich drehe gerne diese Geschlechter-Klischees. Der Text ist ein bisschen von meinem Bekanntenkreis beeinflusst, wo die ein oder andere Beziehung in die Brüche gegangen ist. Manche schießen sich lieber die Lichter aus, als dass sie sich mit ihren Problemen befassen.
Schwere Kost zum Abschluss.
Es gibt genug Platten, die lustig oder ohne Aussage sind und das wollte ich nicht haben. So bin ich halt einfach, da kann man wohl nichts dagegen machen.