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GENGHIS TRON: Unsere Tage sind gezählt

Mit „Dream Weapon“ melden sich GENGHIS TRON überraschend zurück, nachdem sie im Jahr 2009, kurz nach ihrem zweiten Album „Board Up The House“, von der Bildfläche verschwanden. Mit neuem Line-Up und neuem Stil sorgt das US-amerikanisch-kanadische Quartett für eine große Überraschung: Statt hysterisch-melancholischem Mathcore, ist das neue Werk eine gefühlvolle, progressive Synth-Rock-Platte geworden, die mehr als nur einen Gänsehautmoment bietet. Wir haben einen Schwung Fragen an Gitarrist Hamilton Jordan geschickt, der viel zu erzählen weiß.

Hallo Hamilton! GENGHIS TRON lagen die ganzen 2010er Jahre auf Eis. In der Zwischenzeit sind in der Szene und dem Musikbusiness viele Veränderungen passiert. Wie denkst Du über die Szene, verglichen mit 2008?

Ehrlich gesagt fühle ich mich momentan von der Musikszene ziemlich abgeschnitten. In den vergangenen zehn Jahren haben Michael und ich unsere Besessenheit für Musik zwar aufrecht erhalten, aber wir waren für das drumherum nicht so richtig aufgeschlossen. Das war nicht bewusst, wir haben uns einfach auf andere Sachen fokussiert. Dafür ist es jetzt unwirklich und aufregend zugleich, in diese Welt zurück zu kehren, von der wir so lange weg waren.

Was ist in den letzten zehn Jahren passiert? Klassiker wie Job und Kinder oder war da noch etwas anderes?

Ja, das ist es so ziemlich. Ich bin ein paar Mal umgezogen, Michael und ich haben neue Jobs bekommen und wir haben uns auf unsere Familien konzentriert. Aber wir haben an keiner Musik außerhalb von GENGHIS TRON gearbeitet.

Es war schon eine kleine Sensation, als ihr eure Rückkehr vergangenes Jahr angekündigt habt. Was hat euch wieder angetrieben?

Es gab genau einen Grund, und der ist einfach. Wir wollten wieder Musik zusammen schreiben und aufnehmen. Wir hatten immer vor, ein weiteres Album zu machen, und wir mussten einfach warten, bis die richtige Zeit für uns kam, damit wir wieder beginnen konnten. Das ist auch wirklich der einzige Grund, warum wir wieder aktiv sind.

“GENGHIS TRON wollen nicht stagnieren – wir versuchen mit jeder Veröffentlichungen etwas Neues.”

Board Up The House“ ist ein moderner Klassiker und ein wegweisendes Album, das die Hysterie aus dem Synth-Mathcore in ausgezeichnetes Songwriting, Melodien und Ernsthaftigkeit überführt hat. Kam es euch damals so vor, als wäre eure Mission erfüllt gewesen?

Nein, ich war sehr stolz auf „Board Up The House“ und bin es immer noch. Aber als es fertig war, wussten wir, dass wir noch etwas Besseres machen können. Ich glaube, das ist recht normal für Musiker, die oft Platz für Verbesserungen in ihrem Material finden. Obwohl der Großteil von „Dream Weapon“ in den vergangenen Jahren geschrieben wurden, haben wir direkt nach der Veröffentlichung von „Board Up The House“ mit dem Songwriting begonnen. Ein bisschen was von dem Titelsong des neuen Albums wurde bereits im Mai 2008 geschrieben.

blankSeit einigen Jahren ist Synthwave ein ziemlich großes Ding in Europa, das auch von der Metalszene gefeiert wird, siehe PERTURBATOR und CARPENTER BRUT. Seid ihr euch als Wegbereiter für diese Szene?

Ich kann nicht sagen, dass ich uns als Wegbereiter für irgendeine Szene sehe. Wenn wir andere Künstler beeinflusst haben, ist das cool, aber ich bezweifle, dass das der Tatsache entspricht. Ich kannte vor diesem Jahr weder PERTURBATOR noch CARPENTER BRUT, aber ich finde, dass beide Künstler recht coole Musik machen.

In eurem Line-Up ist Tony Wolski als neuer Sänger dabei, nachdem Mookie Singerman ausgestiegen ist. Tonys Stimme klingt seinem Vorgänger immerhin ein bisschen ähnlich. Habt ihr ihn deshalb mit an Bord geholt?

Uns war klar, dass eine neue Stimme einen deutlichen Unterschied machen würde, deshalb haben wir es nicht darauf angelegt, jemanden auszusuchen, der wie Mookie klingt. Aber ich finde dennoch, dass Tonys Gesang etwas mit Mookie gemeinsam hat. Sie sind beide gut darin, düstere, emotionale Gesangsmelodien zu singen, die im Kopf bleiben. Gleichzeitig erschafft Tony auch etwas wirklich Neues und Anderes auf diesem Album. Er hatte Ideen, die Michael und mich sehr überrascht haben und perfekt zu den neuen Songs passen.

Ich war aus dem Häuschen, als ich gehört habe, dass Nick Yacyshyn (BAPTISTS / SUMAC) als Drummer dabei ist. Er ist ein Monstrum hinter dem Drumkit und hat für komplexe wie unwiderstehliche Rhythmen auf „Dream Weapon“ gesorgt – darin ist er wirklich ein Meister. Wie kam es zur Zusammenarbeit? War er schon früher Fan und stand Gewehr bei Fuß, als es wieder losging?

Nick kannte unser früheres Material nicht wirklich. Und eigentlich, basierend auf dem, was er wusste, fand Nick es nicht besonders interessant mit uns zu spielen, weil er kein Projekt wollte, das mathy, metallisch und technisch war. Aber nachdem er unsere Demos gehört hatte, freute er sich auf unsere neue Ausrichtung. Nick ist einer meiner Lieblingsschlagzeuger, und seit ich ihn 2017 zum ersten Mal live sah, wusste ich, dass er super zu unserer Musik passen würde. Kurt Ballou hat uns 2019 einander vorgestellt, und dann haben wir Nick die ersten Demos geschickt. Daraufhin sagte er zu. Wir sind wirklich begeistert, dass er unserem Projekt für „Dream Weapon“ beigetreten ist.

Auch wenn da eindeutig GENGHIS TRON spielen und der Charakter der Band nach wie vor derselbe ist, die Musik auf „Dream Weapon“ ist ein großer Schritt nach vorne. Die Synthesizer nehmen den meisten Raum ein, die Gitarren wurden zurückgefahren, ihr arbeitet strukturierter und weniger chaotisch. In anderen Worten, „Dream Weapon“ klingt recht erwachsen. Kommt das daher, dass ihr euch als Personen auch entwickelt habt?

Ja sicher, ich denke Alter und persönliche Entwicklung haben einen natürlichen Einfluss auf unseren künstlerischen Prozess. Unsere Geschmäcker haben sich im Laufe der Zeit geändert und die Musik reflektiert das. Ich höre mir nach wie vor viel schnelle, verrückte und brutale Musik an, aber derzeit fühlt es sich nicht nach einem authentischen Ausdruck der Interessen von Michael oder mir an, so etwas selbst zu spielen. Wer weiß, vielleicht machen wir wieder verrückteres Zeug in der Zukunft! Aktuell wollten wir uns selbst (und die Hörer) mit etwas völlig Anderem herausfordern. Und obwohl sich „Dream Weapon“ verglichen mit unserem früheren Material etwas unterscheidet, finde ich, dass es sehr zu dem passt, wie wir immer an die Dinge herangegangen sind. GENGHIS TRON wollen nicht stagnieren – wir versuchen mit jeder Veröffentlichungen etwas Neues.

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“Es gab genau einen Grund, und der ist einfach. Wir wollten wieder zusammen Musik machen.” So einfach kann es sein.

 

Setzt Du die Gitarren eigentlich auf dem ganzen Album so wenig ein, nur recht versteckt und mit seltsamen Effekten versehen, oder gibt es tatsächlich nur wenige davon auf „Dream Weapon“ zu hören?

Abgesehen von Track eins sind Gitarren auf jedem Stück des Albums zu hören. Aber es stimmt, in vielen Songs sind sie eher unauffällig, subtil oder im Mix versteckt. Bei dem Stück „Alone in The Heart of The Light“ gibt es bis zwei Minuten vor dem Ende gar keine Gitarren und dann spielen sie auch nur eine Note. Als wir das Album geschrieben haben, hatte mein Ego kein Problem damit. Es hat einfach nicht mehr Gitarren in allen Teilen der Songs gebraucht. Ich wollte viel mehr, dass jedes Lied alle Elemente beinhaltet, die wichtig waren, aber nicht mehr – also keine unnötigen Schichten. Und obwohl die Gitarre mein Hauptinstrument ist, habe ich auf „Dream Weapon“ auch mit ein paar Synthesizern gearbeitet.

Statt Chaos bietet ihr progressiveres, hypnotisches Material auf „Dream Weapon“. Ich liebe das Ende von „Great Mother“ – das ist wie eine Meditation. Ihr wolltet diesen Vibe bewusst erzeugen. Ist es möglich, dass ihr als Kontrast ein völlig anderes, aggressives Album schreiben könntet?

Wie erwähnt, liebe ich nach wie vor Musik, zu der man ausrasten kann, aber das hätte sich nicht wie ein ehrlicher Ausdruck von dem angefühlt, wo unsere Interessen derzeit liegen. Allerdings das könnte sich definitiv wieder ändern. Wir werden sehen!

Der Titelsong ist am ähnlichsten zum Material von „Board Up The House“, vor allem wegen der Gitarren und der Rhythmen. Du erwähntest, dass einige sehr alte Ideen darin stecken.

Seltsamerweise war „Dream Weapon“ der erste Song, an dem wir gearbeitet, aber auch der letzte, den wir fertig gestellt haben. Ein paar Gitarrenriffs ragen zurück in den Mai 2008, aber die Strophen und finalen Arrangements wurden erst im Sommer 2020 fertig gestellt. Und tatsächlich ist es so, dass die super schnellen Strophen erst am Schluss dazu kamen, wohingegen die eher meditative Sektion – also die Bridge – der erste Teil war, den ich geschrieben habe.

“Es wäre toll, wenn wir ein Album wie „Dream Weapon“ an einem Wochenende schreiben könnten! Doch in Wirklichkeit waren das zwei Jahre harter und konstanter Arbeit.”

Ich finde, das Album klingt sehr organisch und natürlich, mit einem geradezu narrativen Fluss. Es wirkt, als wärt ihr ein Wochenende in einer Hütte gesessen und hättet „Dream Weapon“ in einer Session geschrieben. Wie lange hat das Songwriting tatsächlich gedauert?

Es wäre toll, wenn wir ein Album wie „Dream Weapon“ an einem Wochenende schreiben könnten! Doch in Wirklichkeit waren das zwei Jahre harter und konstanter Arbeit. Ich würde nicht sagen, dass Michael und ich Perfektionisten sind, aber wir haben viele Gedanken in jede Entscheidung und jedes Detail gesteckt. Anfänglich war der Prozess des Schreibens ähnlich zu all unseren früheren Veröffentlichungen. Michael und ich teilten diverse kleine Ideen – dabei starten wir für gewöhnlich mit einer Melodie, einem Rhythmus oder einem Riff -, von denen das Meiste dann aber in den Müll kommt. Nachdem wir die eine Idee gefunden haben, dauert es Wochen oder sogar Jahre, um Entwürfe auszutauschen, die Idee aufzubauen und weitere Schichten und Stückchen hinzuzufügen, bis es ein vollständiger instrumentaler Song ist. Dann teilen wir den Song mit Tony, der den Gesang hinzufügt und Nick, der als Demo eine Liveversion der provisorischen, von uns programmierten Drumidee hinzufügt. Manchmal spielt Nick etwas, das recht ähnlich zu dem ist, das wir geschrieben haben, aber manchmal schreibt er die Drums komplett um und macht etwas ganz Neues daraus. Obwohl der ursprüngliche Songwriting-Prozess recht vertraut für Michael und mich war, konnten wir durch die Beteiligung von Tony und Nick neues Terrain betreten.

Ihr habt die Instrumente und den Gesang in unterschiedlichen Studios aufgenommen, der Mix stammt von Kurt Ballou. Dieses Vorgehen ist nicht ungewöhnlich für Bands, die recht verstreut leben. Hättet ihr ohne Pandemie auch so gearbeitet?

Nein. Unser eigentlicher Plan war, dass wir alle gemeinsam in Kurts Studio aufgenommen hätten, aber die Pandemie zwang Nick dazu, in Kanada zu bleiben. Am Ende funktionierte alles perfekt und wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis. JJ Heath, der Nicks Drums aufgenommen hat, leistete großartige Arbeit. Ich hoffe trotzdem, dass wir das nächste Mal, wenn wir aufnehmen, alle gemeinsam in einem Studio sein können.

Wäre es für GENGHIS TRON denkbar, ein Album live und ganz ohne Overdubs einzuspielen? Ich stelle mir vor, dass das fantastisch und sehr organisch klingen und euch gut stehen würde.

Wir haben darüber definitiv noch nie nachgedacht. Unsere Musik ist sorgfältig und langsam geschrieben und arrangiert, und in der Regel stellen wir einen Song im Studio fertig, bevor wir ihn zum ersten Mal zusammen spielen. Ich sage somit nicht, dass es unmöglich wäre, ein Album live einzuspielen, aber es ist recht unwahrscheinlich – zumindest in absehbarer Zeit!blank

Die Lyrics setzen an, wo „Board Up The House“ aufhörte. In anschaulichen, distanziert wirkenden Methaphern dreht sich alles um das Ende und wie Mutter Erde uns Menschen los wird. Einige Zeilen berühren mich dabei sehr, wie „Sacred deer / wanders alone / burdened with instinct / trying to find shade“ und “And no more sons / and no more daughters / and no more knowledge / only certainty”. Wie wichtig sind die Texte für euch und wer hat sie geschrieben?

Unsere Lyrics sind uns wichtig, aber wir wollen nicht zu viel davon preisgeben, vor allem nicht die Bedeutung. Wir finden es wichtig, dass die Texte offen für Interpretationen sind. Sie wurden alle von Tony geschrieben, mit etwas Input von Michael und mir bei den umfassenderen Themen. Aber Tony hat definitiv unsere Anerkennung dafür, die Stücke zusammengesetzt zu haben. Ich finde, dass er wirklich unglaubliche Arbeit geleistet hat.

Ihr wechselt die Perspektiven im Verlauf des Albums. Einige Texte scheinen aus der menschlichen Perspektive zu sein, andere wieder aus Sicht der Erde. Stimmt das?

Weil Tony das geschrieben hat, kann ich es nicht sicher sagen – aber ich denke, das ist eine angemessene Interpretation.

“Versteh mich nicht falsch, ich will definitiv nicht, dass die Menschen ausgerottet werden!”

Der Text von „Great Mother“ zeigt Empathie für die Natur, die von der Menschheit geschändet wurde. Das ist so traurig geschrieben, dass man denken könnte, ihr würdet es begrüßen, wenn die Menschheit vom Angesicht der Erde gelöscht würde.

Versteh mich nicht falsch, ich will definitiv nicht, dass die Menschen ausgerottet werden! Das wäre fürchterlich. Aber weil das unausweichlich ist, handelt ein Teil von „Great Mother“ und dem Album im Allgemeinen davon. Und davon, dass wir versuchen müssen zu akzeptieren, dass unsere Tage gezählt sind.

Ich mag das retrofuturistische, minimalistische Artwork von „Dream Weapon“ sehr. Die Struktur erinnert mich ein wenig an „Malina“ von LEPROUS, wenn Du weißt, was ich meine. Die giftgrüne Farbe und das eingestürzte Gebäude zwischen den Felsen hallt dem apokalyptischen Vibe der Lyrics und der Musik nach. Wer hat das Cover gestaltet und seid ihr damit zufrieden?

Ich kenne weder das Album, noch die Band LEPROUS, aber nachdem ich mir das Cover angesehen habe, verstehe ich, warum Du diesen Vergleich gemacht hast. „Dream Weapon“ wurde von einem Künstler namens Trevor Naud aus Detroit gestaltet. Wir sind äußerst zufrieden mit dem Resultat – er hat genau das erreicht, was wir wollten!

Was steht für GENGHIS TRON als Nächstes an? Werdet ihr wieder auf die Bühne gehen, nachdem die Pandemie unter Kontrolle sein wird, oder schreibt ihr schon neues Material?

Dafür ist es noch zu früh. Momentan ist es noch nicht sicher, ob Konzerte für uns überhaupt möglich sein werden. Wir hoffen das zwar, aber wir wissen es noch nicht. Aber egal ob es Shows geben wird oder nicht, es wird definitiv weitere Musik von uns kommen.

Das ist schön zu hören! Vielen Dank für Deine Antworten, Hamilton. Wenn Du noch etwas zu sagen hast, jetzt ist die Gelegenheit dazu.

Eigentlich nicht. Ich denke, Deine sorgfältigen Fragen haben so ziemlich alles abgedeckt. Danke für Deine Unterstützung und die freundlichen Worte zu “Dream Weapon”!

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