DEINE LAKAIEN: Geschichten über Froschschenkel und das richtige Händchen

Ernst erzählt Anekdoten aus Alexander Veljanovs Vergangenheit, Geschichten über Froschschenkel oder beschwert sich über die Jugend.


„April Skies“, das neue DEINE LAKAIEN-Album, war Anlass für ein Gespräch mit Ernst Horn. Aber auf das neue Album möchten wir gar nicht so sehr eingehen, vielmehr erzählt uns Ernst Anekdoten aus Alexanders Vergangenheit, Geschichten über Froschschenkel oder beschwert sich über die Jugend.

Wir würden gerne gleich mit dem Titel eures neuen Albums anfangen. „April Skies“. Es gibt eine Band die so heißt, aber ich glaub nicht, dass da ein Zusammenhang besteht.

Nein, ich hab vorher in Google nachgeschaut, stimmt, dass ist so eine amerikanische Band, nicht wahr?!

Ja genau, aber wir dachten uns, das passt nicht so ganz.

Nein. Habt ihr das auch in der Suchmaschine gesehen, oder?! Es ist ja auch ein Song von JESUS AND THE MARY CHAIN.

Nun, das war eine Idee von Alexander. Er hatte den Eindruck, das Album sei emotional gesehen so eine Art Berg- und Talfahrt und im Vergleich fiel ihm dann der Himmel im April ein.

Das war auch der Gedanke, auf den wir gekommen sind. Dieses Wechselhafte fasst DEINE LAKAIEN ja auch ein wenig zusammen. Es ist von jeder älteren Platte ein bisschen was dabei, es gibt eher die elektronische Ecke, akustische Sachen und mehr mit klassischen Instrumenten. Habt ihr darauf geachtet, eurer Linie treu zu bleiben?

Zum Teil kommt so etwas von selbst, weil wir natürlich unsere Art und Weise haben, wie wir unsere Stücke anlegen, wie wir unsere Stücke bauen. Alexanders Stimme ist so wie sie ist – und wir versuchen den Songs schon im Vorfeld eine Linie zu geben. Natürlich auch in dem Sinn, dass wir wieder etwas anders machen. Nach der sehr ruhigen „White Lies“, einem eher introvertiertem Album, wollten wir nun eher etwas heftigeres machen und Gefühle offensiver ausleben.

Mit „Vivre“ habt ihr wieder einen Song gemacht, der nicht englischsprachig ist, sondern in dem Fall französisch. Es gibt ja auch deutsche Songtitel…

Alexander hat ja auch mal mazedonisch bei seinem Soloprojekt RUN RUN VANGUARD gesungen. Die Entscheidung, dem Song einen französischen Text zu geben, hat weniger mit dem Inhalt sondern mehr mit der Musik an sich zu tun. Als der Song schon ziemlich fertig war, hörte Alexander ihn sich an und wollte was französisches drauf versuchen. Ich nehme an, dass er im Hinterkopf schon lange so etwas machen wollte. Er ist ein alter Chanson- und Jacques Brel Fan,und hat in seiner Jugend schon viel in dieser Richtung gesungen. Ich hab ihn so noch nie singen hören und war gespannt. Er war sich auch nicht so ganz sicher bei der Geschichte, aber es war von Anfang an klar, dass das auffallend gut passt und dass er anscheinend auch wirklich die Stimme für so was hat. Es war wahrscheinlich auch eine heimliche Liebe von ihm, die er jetzt mal ausleben konnte und für die er jetzt von überall her Lob bekommt.

Zu diesem Song passt der franzöischsprachige Text sehr gut, hat vielleicht auch etwas mit so einer Art Sprachmelodie zu tun…

Ja, kann sein. Seine Stimme ist kräftig und seine Gesangstechnik anscheinend wirklich gut geeignet.

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Nach der sehr ruhigen White Lies veröffentlichen Alexander Veljanov (li.) und Ernst Horn (re.) mit April Skies nun ein etwas heftigeres Album, bei dem Gefühle offensiver ausgelebt werden.

Wir wollen jetzt ein Paar allgemeinere Fragen Stellen, als nur Fragen zum aktuellen Album. Ich bin auf ein Zitat von HENRY MILLER gestoßen, das heißt:

„Ein Theaterstück, selbst ein zorniges, ist unter anderem immer auch ein Liebesbrief, gerichtet an die Welt, von der sehnsüchtig eine liebevolle Antwort erhofft wird.“

Das ist sehr poetisch. Und sehr, ach wie soll ich sagen? Na ja, wenn man so was macht, oder gemacht hat, dann mag man gar nicht so hochtrabend über seine eigenen Sachen reden, das ist eher ein bisschen peinlich.

Aber es ist schön, klar. Man möchte immer Leute, mit dem was man macht, ansprechen, stimmt schon. Irgendwie ist das so eine Art Dialog. Ich glaube, das ist auch das, was ein Musiker braucht. Von daher ist Erfolglosigkeit als Künstler eher an sich deprimierend als von der finanziellen Seite. Wenn man sein ganzes Leben lang in einen Wald reinschreit und es kommt kein Echo zurück, ist das sicher nicht angenehm.

Wenn du sagst, dass Kunst für dich so eine Art Dialog ist, lässt du dich auf deinen Dialogpartner ein?

Ja, ich weiß was du meinst. Ach ja, das ist ein altes Thema, also…

Ich meine es so, dass man sich als Künstler vielleicht eher eingeschränkt fühlt, wenn man eben einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat und auch in eine bestimmte Ecke gestellt wird.

Ja, schwierig. Also ich versuch das ehrlich zu beantworten, denn das ist so eine Frage, da bekommt man wahrscheinlich von den meisten diese Gaga-Antwort: Ich mach nur das, was ich will.

Wenn man lange so ein Projekt macht, dann gibt es, ob man will oder nicht, einen Erwartungsdruck von außen. Es ist jetzt gar nicht unbedingt so, dass ich sag: Ja, da müssen wir alle Kohle rausziehen. Es sind Leute aus unserem geschäftlichen Umfeld, also Plattenfirma, Verlag oder sonst was, die wahnsinnig nette Leute sind und die man einfach nicht enttäuschen will. So etwas schleicht sich sicher ein. Und es schleicht sich sicher auch in den Kopf ein, dass du das ein oder andere Stück gemacht hast, das dir sehr gut gefallen hat, das aber ganz böse abgelehnt wurde. Ich denke schon, dass sich so etwas eingräbt. Was die Sache dann rettet, also diese reine Erwartungshaltung befriedigen zu müssen, ist die Tatsache, dass man wirklich Monate lang quasi alleine an der Musik sitzt. Da hockt man vor dem Bildschirm und schneidet, macht und überlegt sich was könnte passen und was könnte gut sein. Diese Welt draußen mit den Erwartungen und dem Erfolg oder der Erfolglosigkeit ist dann weit, wirklich ganz weit weg und das ist die große Hilfe dabei.

Wenn du sagst monatelang, gibt es so eine Art Blaupause wie ein DEINE LAKAIEN Song entsteht? Kann man so eine Art roten Faden im Entstehungsprozess finden, oder ist das ganz unterschiedlich?

Nicht so unbedingt. Es gibt schon verschiedene Ansätze, also manchmal hat man nur so eine ganz allgemeine Idee von irgendwas, mal hat man auch einen Textfetzen, den man verwenden möchte und manchmal ist es auch eine Melodie. Wenn man am Klavier sitzt und ein bisschen rumspielt entstehen auch manchmal Ideen, es entstehen aber auch Sachen, wenn man am Computer oder Synthesizer sitzt, irgendwelche Soundfolgen oder Kürzel sind meist das Resultat. Aber die Elektronik fließt eher später ein. Ich habe am Anfang eine Art Materialsammlung, also keine direkten Ansätze für einen neuen Song. Und dann gibt es natürlich auch noch die Zusammenarbeit zwischen Alexander und mir, die dann auch wieder ganz anderes aussieht, als wenn ich alleine einen Song mache. Manchmal bin ich mit einem Song ziemlich weit, und er möchte dann einen Text drauf machen. Oft ist ein Stück auch relativ offen gestaltet, dann wird die Melodie nach Gutdünken gemacht. Auch schon vorgekommen ist, dass Alexander mit einem Text kam, mir den vorgesungen hat und ich die Melodie dazu gemacht habe. Das ist also ganz unterschiedlich.

Wie arbeitest du an einem Song? Die Songs hören sich nach sehr viel Detailarbeit an.

Ja Gott, ich bin jetzt natürlich ganz schön schnell geworden. Ich arbeite jetzt schon sieben Jahre mit demselben System. Es ist halt sehr viel Schnippelarbeit. Speziell jetzt mit den akustischen Instrumenten, die wir drauf haben. Aufnahmen richtig zu verlegen und so weiter – dabei bin ich jetzt recht flott zu Gange. Der gravierende Unterschied ist einfach, ob es ein schnelles oder eine langsames Stück werden soll. Speziell bei Alexanders Stimme ist ein schnelles, hartes Stück viel mehr Arbeit, weil ich darauf Rücksicht nehmen muss, dass er eine Stimme hat, die schon in alle Nuancen rüberkommen muss. Dass man nicht nur Geschrei hört, das sich gegen die Gitarrenwände durchzusetzen versucht. Auf der anderen Seite muss aber auch Druck von Sound her herrschen. Das ist schon schwer. Also ich würde generell sagen, wenn ich jetzt mal vom Texten und von den Melodien und Harmonien absehe, benötige ich um eine Stück fertig zu machen, etwa zwischen vier, fünf Tagen und zwei Wochen. Aber wie gesagt, das Songwriting und der Sound sind vorher schon fertig. Also alles in allem haben wir vor zwei Jahren sechs Wochen oder zwei Monate als reine Arbeitszeit veranschlagt. Dieses Mal brauchten wir noch zusätzlich ein halbes Jahr, also insgesamt acht Monate.

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Würde gerne mal was zusammen mit APOCALYPTICA machen: Ernst Horn.

Ich habe mal gelesen, dass du gerne etwas mit APOCALYPTICA gemacht hättest, oder gerne machen würdest.

Hab ich das mal gesagt?! Immer, gerne!

Ist das für dich also immer noch aktuell?

Ich kenn die ja, aber ich hab sie nie gefragt. Und die mich auch nicht.

Das wäre natürlich spannend.

Es würde auf jeden Fall gut zu Alexander passen. Das wäre mal das Allererste. Mit seiner Stimme würde das sehr gut zusammen gehen, weil das eine ähnliche Klangfarbe ist. Und ich selber – ja, mir würde es eher Spaß machen, einfach mal was zu schreiben. Also wie ein Komponist. APOCALYPTICA sind drei Musiker, und für sie eine eigene kleine Komposition, mit den einzelnen Stimmen festlegen, Noten schreiben und so weiter, wäre schon spannend. So kann man vielleicht was ganz schönes machen.

Ist ja auch nicht so abwegig, zumal sie ja mehr und mehr mit andern Musikern zusammenarbeiten. Sie sind jetzt ja auch vollkommen weg von diesem rein instrumentalen…

Es sind ja auch sehr nette Typen. Ich hab sie kennen gelernt, und auf Festivals sieht man sich ja auch ständig. Außerdem sind wir bei derselben Konzertagentur da sieht man sich ja automatisch.

Du sagst, du würdest gerne einen richtigen Song komponieren. Kannst du dir, als studierter Musiker, den Unterscheid zwischen der Art, wie man heute komponieren kann und wie man noch vor zwei, dreihundert Jahren komponiert hat, vorstellen?

Ja klar. Das war doch eine ganz andere Welt. Die hatten Notenpapier und da wurde dann was draufgeschrieben. Ganz früher hat man ja sowieso nur ungefähre Angaben gemacht, die dann von dem Ensemble vervollständigt und teilweise auch improvisiert wurden. Wenn man die Zeit ab Johann Sebastian Bach nimmt, also ab der Barockmusik, wurden Noten geschrieben und mehr oder weniger alles auskomponiert. Da hat sich dann jemand hingesetzt und Noten geschrieben. Das war vielleicht der Komponist selber, wenn er Lust dazu hatte, oder andere Leute haben das dann später übernommen, als sie die Stücke aufgeführt haben. Das war eine andere Arbeitsteilung als heute, wo man im Voraus schon mit der Technik zu tun hat, und als fertiges Produkt eine CD präsentieren kann. Die dann vielleicht mal gecovert oder geremixed wird, aber alles in allem ist die CD für die Gruppe das fertige Produkt. Das ist einerseits ganz reizvoll für die Musiker, weil eben diesen eigenen Sound zu kreieren eine ganz interessante Sache ist und weil man ihn so gestalten kann, wie man es wirklich will. Anderseits hat es den großen Nachteil, dass man sich festlegt und so wahnsinnig viel Zeit vertut, die Musiker früher zum komponieren verwendeten. Hinzu kommt, dass sie früher meistens auch handwerklich besser waren als heute, weil sie einfach als Kinder schon besser waren. Sie sind viel mehr daran gesessen, haben viel mehr gearbeitet und haben nicht tausend andere Sachen gemacht. Die mussten nicht zum Taekwondo gehen, sich in der Schule durchkämpfen oder als erfolgreiche Musiker dann die weltweite Promotour machen, und hier und dort noch ein bisschen, da noch einen Remix fürs Autoradio und all so was. Das war damals alles viel effektiver.

Ich habe mal in einem Interview mir Ritchie Blackmore gelesen, dass er viel von der heutigen Musik, was Tonfolgen und ähnliches betrifft, auf die Musik der Renaissance zurück führt, auch seine eigenen, alten Sachen.

Kann ich jetzt bei ihm nicht sagen, ich kenn seine Sachen zuwenig. Ich weiß es nicht. Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob das nicht eine Pose von ihm ist. Die Pose des Herren mit einer Feder im Hut, der nur noch auf Burgfestivals spielt. Das tut er ja, und ob er sich in dieser Rolle gefällt oder ob das musikalisch fundiert ist, kann ich dir ehrlich nicht sagen. Aber auf Burgen zu spielen hat überhaupt nichts mehr mit der Renaissance zu tun, in dieser Zeit sind gar keine Mittelalterburgen mehr gebaut worden. Das waren vielmehr stadtähnlichere, globalere Zivilisationen in denen die Komponisten damals gelebt haben.

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Ernst Horn, chemisch verbunden mit dem Mittelalter?

Das Mittelalter ist ja eine Epoche, mit der du ja auch zu schaffen hast, oder die du mit deinen anderen Projekten wie HELIUM VOLA in die Gegenwart transportierst, was ist die Faszination daran?

Einerseits ist es eine ganz persönliche Vorliebe. Die ist vielleicht angeboren, ich weiß auch nicht so genau. Das ist so eine Empfindung von etwas, das noch unberührt ist, das ganz weit weg ist. Ich kann es ganz, ganz schwer sagen, warum ich das so mag. Es hat ja jeder einen Musikstil zu dem er eine chemische Neigung hat, und bei mir ist das so ein ähnliches Gefühl.

Was die Verbindung mit der Elektronik so reizvoll macht, ist die Harmonik dabei, alles basiert auf dem Moment. Die nicht allzu ausgefüllten Akkorde, es sind ja oft nur zwei Töne, leere Quinten vertragen sich mit allen Arten von verzerrtem Sound viel besser, als ausgefüllte Akkorde.

Es ist wirklich schwer zu sagen, weil ich ja eigentlich keine Ausbildung in dieser Richtung hab. Ich habe Klassikmusik gelernt und das ist ja viel später, und eigentlich auch eine ganz andere Welt. Ich hätte nie das Bedürfnis, Lieder von Schubart elektronisch zu bearbeiten, oder eine Klaviersonate von Beethoven mit einem Synthesizer zu arrangieren. Es gibt genügend Bands die solche Lieder verhunzen. Bei HELIUM VOLA haben wir auch wenig Coverstücke. Eigentlich sind das fast nur Sachen, die ich selber geschrieben habe, die sich zwar an diese melodische, harmonische Atmosphäre anlehnen, aber an und für sich sind sie auch wieder ganz anders sind.

Hast du als klassischer Musiker ein anderes Verhältnis zu Coverversionen, als ein Pop-Musiker? In der klassischen Musik wird ja überwiegend nachgespielt, in der Popmusik hingegen heißt es doch häufig, es sei ein guter Song, aber eben ein Cover.

Ja, das ist aber albern. Ein gutes Stück ist ein gutes Stück. Sicher wird auch in klassischer Musik niemand anzweifeln, dass die Leistung des Komponisten – er ist ja Irgendwo der Chef – höher zu bewerten ist, als die des Interpreten. Aber wenn es gut ist, dann ist es gut. Das Selbe trifft auch bei Rockmusik zu. Nur bei Rockmusik hat der Schöpfer eben schon selbst die endgültige Fassung, wie er es sich vorgestellt hat, abgeliefert. Wenn es ein Stück ist, das erfolgreich war, dann legt es natürlich auch die Leute total fest. Sie sind es so gewohnt und wollen es in dieser Art hören. Wenn es jemand dann anders macht, ist es automatisch schlecht, aber das stimmt so halt überhaupt nicht. Es gibt manchmal Kompositionen die einfach gut sind und wenn die später dann von einer anderen Band neu aufgenommen und neu gestaltet werden, kann das unter Umständen durchaus besser sein als das Original, warum denn auch nicht?! Aber das bekommt man in die Köpfe nicht rein.

Es ist ja einfach auch so, dass die Rezension von klassischer Musik und Populärmusik sehr unterschiedlich ist. Bemerkst du das auch, dass du als Musiker bei DEINE LAKAIEN anders wahrgenommen wirst, weil du eben eine klassische Ausbildung hast?

Es gibt schon Zeiten, in denen sich das rauskristallisiert. Manche Leute haben einen ziemlichen Respekt vor einem – aber ach Gott – uns gibt es jetzt schon so lange, und die Angriffsfläche liegt dann eher auf dem was wir machen, und nicht auf dem was wir als Hintergrund haben.

Es ist aber auch so, dass ihr sehr viel Presse außerhalb der typischen Musikpresse bekommt. Da gab es Artikel in der Welt oder in der Süddeutschen Zeitung

Ab und an, ja. Aber das ist gar nicht so viel. Es kommt halt immer drauf an, was gerade Hip ist. So ein bisschen Elektronik, R´n`B oder irgendein Songwriter mit Gitarre, der einen Song mit deutschem Text gemacht hat, was eben gerade angesagt ist. Sagen wir mal so, die orientieren sich mehr an Trends und von daher sind wir bei denen oft auch außen vor, nur haben wir gelegentlich auch mal einen Punkt weil wir eben auch andere Sachen machen, oder weil sie uns auf Grund der Bekanntheit wahrnehmen. Wir haben einen Kultstatus, stimmt schon, aber ich hatte schon immer das Gefühl, dass es damit nicht besonders weit her ist.

Die spielten auf der Documenta steht in unserer Bio, seit dem wir 1992 dort mal gespielt haben – das ist Schmarren! Irgendein örtlicher Veranstalter hat damals Rockkonzerte gemacht und auf der Documenta gibt es eben abends auch Konzerte. Die Leitung von der Documenta hatte uns vielleicht noch im Presseverteiler, kann schon sein, aber im Grunde war es ein stinknormales Konzert in Kassel. Da heißt es immer die spielten auf der Documenta wie wenn wir sonst wer wären, das ist wirklich Schmarren.

DEINE LAKAIEN sind durch das fast 20jährige Bestehen und den eigenen, schwer zu kopierenden Stil eine besondere Band. Man kann nachvollziehen, dass DEINE LAKAIEN auf eine andere Ebene gehoben werden, als viele andere erfolgreiche Popgruppen.

Ja, hoffen wir, dass es sich in der Richtung mehr durchsetzt.

Was bedeuten denn Live-Konzerte für dich? Ihr habt ja sehr lange überhaupt nicht live gespielt, und es gibt auch schöne Interview-Zitate. Zum Beispiel: Wir wollen nicht wie eine gewöhnliche Rockband mit Schlagzeug und Bass klingen. Gibt es eine neue Entwicklung, dass ihr sagt zur nächsten Tour vielleicht doch?

Nein, das waren verschiedene Grundsatzüberlegungen speziell am Anfang. Wenn man alles wirklich von Grund auf umgeworfen hätte, und wir wirklich mit Schlagzeuger und Bassist rangegangen wären, dann wäre es meiner Meinung nach auch sinnvoll gewesen, den Sequenzer weg zu lassen und die Elektronik wirklich sparsam einzusetzen. Man hätte dann eben gesagt, LAKAIEN live ist eine Rockband. Das wäre eine der Möglichkeiten gewesen. Der ursprüngliche Gedanke warum wir nicht auf die Bühne wollten war der, dass wir nicht das machen wollten, was die typischen Synthie-Duos damals gemacht haben. Ein Keyboarder stellt sich mit Keyboard zum Publikum, schmeißt mit der rechten Hand den Kassettenrecorder an und tut so als ob er mit der linken Hand spielen würde, und vorne steht der Sänger, der sich einen abzappelt. Das fand ich schon immer ein bisschen blöd. Ein Konzert sollte sich immer elementar von der CD unterscheiden. Beim Konzert kann man einfach viel weiter gehen, kann viel radikalere Sachen machen, weil wirklich nur der Moment zählt. Wenn das Publikum dann mitzieht, kann man wirklich woanders hingehen. Würde man bei einer Platte solche Sachen machen, würde man nach dem zehnten oder zwanzigsten mal hören denken, nee, das ist einfach zu viel, das ist aus den Fugen – das Mark nicht mehr in dem Stück. Deshalb versuchen wir live Sachen komplett umzugestalten, einfach noch mal neu zu denken und investieren viel Zeit für den Instrumentalteil. Die Live-Sachen sind ja meistens auch ein gutes Stück länger als die von der Platte.

Es ist jetzt aber dennoch The Concert That Never Happened Before geplant – da wollte ihr zu zweit auftreten.

Ach jetzt, ja. Das war erst mal ein großes Trubeltrubel weil es eine Idee von der Plattenfirma war. Inzwischen Zeit hab ich mich auch angefreundet mit dem Gedanken, weil es ganz witzig ist, aber es wird wohl eher so eine Augen-Zu-Und-Durch-Geschichte. Es ist etwas ganz Nostalgisches. Wir spielen Nummern von der „Deine Lakaien“, „Dark Star“ und vielleicht noch ein paar Lieder von der „1987“. Naja, das würde schon eher diesem Klischee entsprechen mit Plattenspieler und so. Mal schauen ob ich noch irgendwo eine Dieter Bohlen Jacke finde – das Umhängekeyboard habe ich ja noch von der White Lies-Tour mit dem wir dann „Stupid“ gespielt haben. Ich glaub das wird eine ganz nette Geschichte.

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Beim Konzert kann man einfach viel weiter gehen, kann viel radikalere Sachen machen, weil wirklich nur der Moment zählt.

Bei der letzten Tour hatte man den Eindruck, dass eine gewisse Dramaturgie vorhanden ist. Von elektronisch über akustisch zu rockig.

Das war damals eine ganz bewusste Dreiteilung. Es sollte als ganzes ein Konzept geben. Wir werden das dieses Mal auf jeden Fall auflösen. Die Stücke werden mehr ineinander gehen und es wird ganz, ganz stark Wert auf das Musikantische gelegt. Instrumentell wird einiges abgefordert werden, und dadurch, dass wir eine so gut eingespielte Truppe sind, wird die Konzentration absolut auf die Musik gelegt. Wir werden dieses mal auch kein visuelles Konzept haben, also nicht so wie früher als wir eine Videoleinwand dabei hatten, ich glaube das machen wir dieses mal nicht. Der Lichtmann wird natürlich da sein, aber inhaltlich wird es nichts geben.

Kann man diese Dramaturgie ein Stück weit auch auf die Discographie übertragen?

Nein, nicht direkt. Es ist einfach die Konsequenz aus der Zusammenarbeit der sechs Leute, dass man gesagt hat, wir versuchen jetzt soweit es geht, alles ineinander zu verzahnen.

Du sagtest mal, es sei ein Traum von dir eine Mischung aus Oper und Musical zu machen.

Aha, wo hab ich das denn erzählt, ist das schon länger her?

Das stand in der Frankenpost.

Ja, klar. Klar wäre es schön, natürlich!

Aber da liegt jetzt noch nichts Konkretes in der Schublade, oder zumindest Teile davon?

Nein, das ist eine Zeitfrage. Ich muss eben Zeit zum Arbeiten haben. Das ist im Moment überhaupt nicht absehbar, und auch dann muss ich mich erst mal hinsetzten und schauen ob ich ein verwertbares Ergebnis habe. Da reiß ich lieber mal nicht die Klappe auf und hinterher kommt so ein Windei, das ist irgendwie nicht so gut.

Hast du eine Erklärung dafür, dass DEINE LAKAIEN so ein breites Publikum ansprechen?

Ich würde sagen, das ist eine reine Alterserscheinung. Wir machen das jetzt ja auch schon wirklich lange genug, natürlich sind wir relativ zugänglich, klar. Wenn man uns mit DAS ICH vergleicht, da ist der Gesang viel radikaler – da steht der Ausdruck als Selbstwert noch ganz extrem im Vordergrund, wir sind einfach melodiöser. Ach weiß der Kuckuck. Marius Müller-Westernhagen macht für eine größere Anzahl von Menschen Musik – wir stecken da halt irgendwo dazwischen.

DEINE LAKAIEN sind ja nicht nur zugänglich. Musik die nur zugänglich ist, ist die musikalische Fastfoodnummer, eben etwas das schnell passiert, mit dem man sich schnell anfreundet und man weiß was man hat. DEINE LAKAIEN haben ja dennoch eine ganz große Tiefe. Ist es ein Spagat oder arbeitet ihr bewusst darauf hin, dass es auf der einen Seite eingängig ist und auf der anderen detailliert?

Ja, man will es dem Hörer ja auch nicht zu leicht machen.

Oder zu einfach, es beinhaltet beides.

Einfachheit, in die man dann noch etwas versucht reinzupacken. Da könnt schon was dran sein. Ja. Ja. Ja, sicher. Ja, vielleicht doch, ja. Sicher, ja. Allzu sehr sollte man natürlich nicht daran denken, das zu paaren. Wenn man einen Artikel in der Zeitung bekommt, erhöhen sich die Verkäufe. Das ist schon eine arg verwirrende Sache. Aber sicher, so wie du das meinst, kann man das im Prinzip sehen.

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Ernst Horn: Klassische Musik ist zeitlose Musik die letztendlich über allem steht.

Ihr habt den Bogen zwischen Kunst und Politik auch schon geschlagen mit Songs wie „Death Raft“, oder speziell du mit deinen Hörspielen „The Skies Over Baghdad“. Siehst du es als Aufgabe von Kunst und Kultur nicht nur zum Beispiel Gefühlszustände zu thematisieren?

Würde ich für andere Leute nicht einfordern. Von mir persönlich ist es einfach ein Teil von einem Mitteilungsbedürfnis. Das sind Sachen die mich umtreiben und dann möchte ich auch meinen Senf dazu rausposaunen. Wir haben sogar ziemlich viel in dieser Richtung gemacht, da ist noch einiges unveröffentlicht – was eine Schande ist. Irgendwie haben wir auch ein Talent dazu, das ausgerechnet die Texte in dieser Richtung nicht besonders gute Stücke werden, was natürlich ärgerlich ist. Unser „Facist Groove Thing”-Cover von HEAVEN 17 wurde damals ganz schwer verrissen, fast niemand mochte den Song. Wir haben da einfach kein Händchen dafür.

Ist es dann so, dass du sagst Kunst kann auch ein Ventil sein? Dass man sich bestimmte Dinge von der Seele schreibt?

Ja, aber natürlich! Klar.

Wie persönlich könnt ihr werden, ohne das Gefühl zu haben, nackt dazustehen?

Achso, wenn es einen selbst betrifft, oder wie?

Es ist bestimmt manchmal schwierig für einen Künstler, weil er das was er macht ehrlich macht, denn man hört es, wenn ein Stück am Reißbrett nach Schema F entworfen ist. Aber als interessierter Hörer versucht man natürlich auch Rückschlüsse auf die Person hinter der Musik zu ziehen.

Ab einem gewissen Stadium verselbständigt sich so was. Wenn man die Texte macht und dabei eine spezielle Person im Hinterkopf hat, wird es ganz schnell nicht mehr eins zu eins. Man versucht einen guten Text zu machen und bemerkt, dass man noch das ein oder andere Element hinzufügen muss, und dann wird es schnell allgemeiner. Es schleichen sich auch immer andere Personen ein. Dann wird es doch ein Song über mehrere Situationen in meinem Leben oder meinem Leben und das anderer gleichzeitig, zumindest geht es mir immer so. Bei uns ist es so, dass ein Song nie eine Sache ganz direkt anspricht. Ich denke das ist bei den meisten anderen Musikern ähnlich. Das ist ja auch albern, ich mein dann sollte man auch wirklich die Namen nennen, oder es eben sein lassen.

Siehst du einen unterschied in der Wertschätzung von klassischer Musik und Musik wie sie DEINE LAKAIEN machen?

Ja klar. Klassische Musik ist zeitlose Musik die letztendlich über allem steht. Wobei es natürlich viele Leute gibt, grad die Jüngeren, die das langweilig finden. Das ist eben gerade so ein Trend, dass diese Musik für Kinder nicht ansprechend ist. Sie müssen eben einfach anerkennen, dass das hohe Kunst ist – aber die strengen sich ja nicht an.

Bei uns ist das ein bisschen was anderes. Diese Popmusik ist immer Musik zur Zeit, Musik für den Augenblick, die Themen der Zeit behandelnd. Da sind wir natürlich voll im Ganzen.

Ich würde mir vom Jugendkulturmarkt wünschen, diese Profineurosen und Pubertätsdingsbums weg zu lassen. Bei diesen Kämpfen von Szene zu Szene, dieses „ah, blöde HipHopper, Drecks Grufties; bäh dieses und jenes“ geht es doch gar nicht mehr um die Musik. Im Gegensatz dazu ist bei der klassischen Musik sehr wohl die Musik im Vordergrund.

Heißt das, du siehst die aktuelle Musik eher als Lebensstil oder Identitätsfindung, während Klassik eher einen universellen Anspruch hat?

Ja. Das ist manchmal auch ein bisschen frustrierend für einen Musiker, weil man natürlich schon will, dass das als Musik anerkannt wird. Deshalb sind auch so viele Bands wirklich unglücklich, weil sie in irgendeiner Szene festgelegt werden, die meisten Bands hassen das. Aber es gibt auch genug, die das so wollen und dann enttäuscht sind wenn sie wo anders eingeordnet werden. Wenn ein Gothicmusiker sich mal abfällig über die Gothicszene äußert, oder ein HipHopper sagt, die Kerle wollen nur die Faust recken und irgendwo einen Acker pflügen und dann mal etwas melodiöseres macht oder sonst wie musikalisch aus der Reihe tanzt, gibt das Probleme. Das ist wirklich sehr ärgerlich, aber da kann man anscheinend nichts machen, es wird ja auch von den Plattenfirmen ganz bewusst gesteuert.

Es hängt mit Sicherheit auch mit dem Aufbau eines Kults um eine Szene zusammen, bei der es eben gewisse Regeln gibt, wie man darf das nicht tragen oder diese Band nicht anhören.

Ja, sicher. Das ist vor allem am Anfang bequem, weil man da die Öffnung zum Publikum findet und merkt, das ist mein Ding und damit schon ein paar Leute auf seiner Seite hat. Es ist natürlich erst mal verlockend. Vielleicht kommt man auch aus dieser Szene, aber insgesamt es ist schon verblüffend, wie viele Leute überhaupt nicht aus so einer Szene kommen, in der sie an Land sind.

Hast du eine Vorstellung was in zwei, dreihundert Jahren als die Musik und das Kulturgut aus der Zeit der Jahrtausendwende gelten kann?

Hu, keine Ahnung. Da müsste man schon Prophet sein, das weiß ich jetzt wirklich nicht. Also puh… wenn ich das wüsste dann würde ich es machen.

Würde sich anbieten. Es ist einfach interessant, dass es Dinge gibt, die Jahrhunderte überdauern und andere, die in der Versenkung verschwinden.

Ja, Qualität hält. Aber es ist anscheinend schwer, Qualität in der Gegenwart zu erkennen. Darüber kann man sich aber auch nicht so viele Gedanken machen, und so macht eben jeder sein Ding und irgendwann sind wir alle tot und bekommen sowieso nichts mehr mit. Manche Menschen denken zwar, sie seien wunder wie auf die Welt gekommen, aber ich glaub, selbst die wissen es nicht.

Wenn man irgendwo in einer Küche als Froschschenkel landet ist einem auch egal, ob man vor dreihundert Jahren mal „Love Me To The End“ geschrieben hat.

Stört es dich, dass du in gewisser Weise etwas reduziert wirst, indem man sagt „Ernst Horn, der klassische Musiker, macht jetzt…“

Mein Gott, sollen sie halt schreiben was sie wollen. Man muss auch ausblenden können, sonst macht man sich ja über alles und jeden Gedanken.

Gibt es etwas Besonderes zum 20-jährigen Bestehen?

Wir werden mit Sicherheit etwas machen. Und mit Sicherheit weniger Auftritte, also keine Riesentour sondern nur ein Paar Auftritte, die dann aber in größerem Rahmen, damit die ganze Sache ein bisschen ein Festivalcharakter bekommt. Entweder durch größere Befestungen oder mit Gästen, vielleicht etwas in der Richtung. Da müssen wir uns eben noch mal zusammen setzen und reden. Hast schon recht, man sollte sich langsam Gedanken machen. Aber man denkt immer eins nach dem anderen, und jetzt kommt die Tour und das neue Album, und so muss man alles hintereinander schichten. Aber planen sollte man so was natürlich schon lange im Voraus.

Das Interview führten vampi & Der Praktikant

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