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BOHREN UND DER CLUB OF GORE: Geheimnis und Poesie

München, Ende Oktober, Scheißwetter, vorher mit dem Auto noch wo angefahren. Überall Hektik, Stress, Stau. Aber dann kommt sie, die wundervolle Langsamkeit, dargestellt von vier Westfahlen, die schon einige Jahre des Musikmachens hinter sich haben. Saxophonist und Pianist Christoph Clöser sowie Pianist und Vocoder-Fan Morten Gass sitzen mir plaudernd gegenüber, sind lakonisch, freundlich, auskunftsfreudig. BOHREN UND DER CLUB OF GORE, die kürzlich ihr neues Album "Dolores" unter die Menschheit gebracht haben, verzeichneten deutliches Wachstum ihres Publikums und sind trotzdem die kaputten Typen von nebenan. Ein 45-minütiges Gespräch über gebrochene Knochen, Karin Dor und Unwörter.

München, Ende Oktober, Scheißwetter, vorher mit dem Auto noch wo angefahren. Überall Hektik, Stress, Stau. Aber dann kommt sie, die wundervolle Langsamkeit, dargestellt von vier Westfahlen, die schon einige Jahre des Musikmachens hinter sich haben. Saxophonist und Pianist Christoph Clöser sowie Pianist und Vocoder-Fan Morten Gass sitzen mir plaudernd gegenüber, sind lakonisch, freundlich, auskunftsfreudig. BOHREN UND DER CLUB OF GORE, die kürzlich ihr neues Album Dolores unter die Menschheit gebracht haben, verzeichneten deutliches Wachstum ihres Publikums und sind trotzdem die kaputten Typen von nebenan. Ein 45-minütiges Gespräch über gebrochene Knochen, Karin Dor und Unwörter.

 

Der Titel Dolores kommt allein von den Schmerzen; mit einer Frau, welche diesen Namen trägt, hat das nichts zu tun, stellt Christoph Clöser gleich zu Beginn klar. Dennoch sei erwähnt, dass Dolores beim Hören weniger Schmerzen bereitet als seine Vorgängerin Geisterfaust. Christoph relativiert: Uns hat sie mehr Schmerzen bereitet. Aber so soll es sein. Dass Dolores verglichen mit Geisterfaust ein wahrer Geschwindigkeitsrausch ist, hat nichts mit kreativen Schwierigkeiten zu tun. 15 Minuten stehende Töne sind albern. Es ging nie darum etwas bis zum Exzess zu treiben. Diese Diskussionen, ob wir nun die langsamsten sind oder nicht, sind wir eigentlich leid. Weiter: Geisterfaust war die Platte, die wir damals einfach machen wollten, eben etwas Unzugänglicheres als Black Earth. Wir brauchten dieses Album eben genau zu dieser Zeit. Ansonsten wäre Dolores, so wie es jetzt ist, auch gar nicht möglich gewesen. Es ist eine Fortsetzung zu Geisterfaust, kein Gegenentwurf. Und trotzdem ist es ganz anders geworden. Christoph Clöser meint: Kann man das Prinzip unserer Musik auch auf kürzere Lieder umsetzen? Können wir in unserem Kosmos Singles machen und funktioniert das? Das waren unsere musikalischen Prämissen zu Dolores.

Warum war die Entstehung von Dolores nun so schmerzhaft? Das Schreiben der Musik war schön einfach und hat Spaß gemacht. Die Aufnahmen waren hart, so Pianist Morten Gass. Christoph erläutert: Ich habe mir während der Aufnahmen beim Boxen die Hand gebrochen. Dann waren wir zeitlich im Hintertreffen und es wurde recht eng. Das Klavierspielen war dann natürlich etwas schwierig. Hat auch der Arzt gesagt. Aber auch ansonsten war es ein langwieriger Prozess. Christoph: Man wusste aber, es lohnt sich, egal wie sehr wir uns quälten. Aber ernsthaft, es geht doch nicht, ein Album von BOHREN UND DER CLUB OF GORE im Frühling zu veröffentlichen. Wir haben uns nicht verspätet, wir wollten Dolores auch jetzt im Herbst veröffentlichen. Es wurde eben nur etwas knapp, das aufgenommene Material pünktlich zum Mixtermin bei dem bereits gebuchten Studio einzureichen. Das wurde ein bisschen stressig.

Das klingt nach Hetze. Gibt es das ansonsten überhaupt im Kosmos von BOHREN UND DER CLUB OF GORE? Ja, vor allem auf Tour. Morgen fahren wir nach Polen, übermorgen sind wir dann wieder in Stuttgart. Zweimal siebenhundert Kilometer, seufzt Christoph. Überhaupt ist die Tour zu Dolores sowieso sehr lange – vier Wochen, das gab es bei den vier Rheinländern noch nie. Wenn eine Platte rauskommt, gibt es normalerweise eine längere Tour mit etwa 14 Terminen. Bisher hat sich so eine lange Tour noch nicht ergeben. Dass wir von Dolores mehr überzeugt wären als von den anderen Alben und somit mehr Konzerte spielen als vorher, können wir nicht bestätigen.

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Abhängig sind wir nur von Alkohol. Geld wird morgens mit der Post gebracht. Christoph Clöser frönt einem dekadenten Leben.

Wie inspirierend ist die Umgebung für BOHREN UND DER CLUB OF GORE? Lauft ihr nachts durch die Straßen von Köln und zieht euch daraus Inspiration? Morten verneint: Als wir damals Sunset Mission aufgenommen haben, fuhr ich eines Nachts durch einige nebelige Straßen und hatte eine Demoversion von Nightwolf im Auto laufen, das war schon sehr passend. Aber so etwas hat uns noch nie zu einer Nummer inspiriert. Christoph bestätigt diesen Gedanken: Wir laufen recht oft nachts durch die Straßen, aber da schreiben wir dann nicht mehr viel Musik. Wo wir unsere Inspiration hernehmen, ist schwer zu sagen. Unsere Musik hat in der Tat sehr viel mit uns zu tun, das kommt nicht gezwungenermaßen aus der Nacht. Morten und Christoph sind die beiden Bandmitglieder, die den größten songschreiberischen Anteil an den Alben haben. Jeder macht was, wir setzen uns an einem bestimmten Punkt zusammen und probieren dann ein paar Sachen aus. So läuft das, lacht Christoph. Dabei gehen BOHREN UND DER CLUB OF GORE aber erst in ihr bandeigenes Studio, wenn das Material für ein Album komplett ist.

Durch die Konzerte, bei denen alle Bandmitglieder für sich allein stehen, vermitteln BOHREN UND DER CLUB OF GORE den Eindruck, dass die Musiker nur dann zusammen kommen, wenn es Arbeit gibt. Doch der Schein trügt: Genau das Gegenteil ist der Fall, versichert Morten Gass. Also ist die Bühnenaufstellung durchaus beabsichtigt. Auch, dass die Konzerte des Vierers oftmals bestuhlt sind. Das ist ein Vorschlag an den Veranstalter. Das Konzert wird so zu einer Art Messe. Außerdem lässt sich das Ganze besser ertragen: Es ist dunkel, es passiert nicht viel und wenn die Leute uns noch nie gehört haben, können sie ein wenig wegknicken. Das ist angenehm. Für scheinbar schüchterne Musiker wie Christoph Clöser hat die Bestuhlung noch einen zusätzlichen Vorteil: Die Stühle schaffen eine Barriere zu den Musikern. Ansonsten drücken sie gegen die Bühne und hängen ins Mikrofon rein, das ist dann für die Konzentration nicht besonders förderlich. So langsames Zeug zu spielen ist gar nicht einfach. Apropos Langsamkeit und Schwierigkeitsgrad… Der Zuschauer hört alles. Jeder kann sich Gedanken machen, wie er nach dem Ton weitermachen würde, ist sich Christoph Clöser bewusst. Da kommt das altbekannte Zitat von Gustav Mahler zum Einsatz: Wenn dann Publikum sich langweilt, spiele langsamer, nicht schneller. Stößt das bei den beiden Musikern auf Zustimmung? Wenn es nur um Aufmerksamkeit geht, muss man etwas Extremes machen, und das ist doof. Letztendlich muss die Musik gut sein, egal ob sie ultraschnell oder ultralangsam ist.

Im Gegensatz zu Geisterfaust eignet sich das Material von Dolores auch

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Ich habe mir während der Aufnahmen beim Boxen die Hand gebrochen. Das Klavierspielen war dann natürlich etwas schwierig. Hat auch der Arzt gesagt. Der Titel Dolores kommt nicht von ungefähr.

deutlich besser für die Liveperformance. Aus Rücksicht auf die Zuschauer haben wir es auf der letzten Tour immer bei dem Song Zeigefinger belassen. Das ist ein wunderbares Stück zum Einstieg für ein Konzert. Zwanzig Minuten lang erstmal wegschnarchen. Morten gibt zu bedenken: Aber wenn man einmal raus ist, dann ist das die Hölle, wieder hineinzufinden. Oder wenn man ein Stück Mohn zwischen den Zähnen hat, meint Christoph trocken. Aber zurück zum Thema. Ist der Schritt zurück, also in Richtung Black Earth und Sunset Mission, den Dolores darstellt, ein Schritt nach vorne für die Band? Morten relativiert: Für uns ist jede neue Platte ein Schritt nach vorne. Wir machen uns alle Gedanken, vom Cover über die Songtitel bis zur Musik. Für uns ist es auf jeden Fall logisch, ich glaube aber nicht, dass für Andere dieser Schritt logisch war, führt Christoph den Gedanken zu Ende.

Gar nicht mögen die Herren Musiker die Wörtchen Augenzwinkern oder Ironie, obwohl das deutlich in Songtiteln wie Unkerich schon zu erkennen ist. Das ist für mich total negativ. Unkerich klingt einfach gut und passt zur Musik. Wir sind auch total lustige Menschen, aber in den Songtiteln, beziehungsweise im Gesamtkonzept ist rein gar kein Humor enthalten. Christoph Clöser ist entsetzt. Obwohl ja Black Maja (Schwarze Biene) auch in diese Richtung schielt. Die Titel sind einfach harmlos, haben aber eine zweite Ebene, ist das Schlussfazit von Morten. Ein weiterer schöner Titel ist übrigens Orgelblut – sind das die Töne, die der Orgel entweichen? Dieses Stück war auf jeden Fall der Grund, sich wieder eine Orgel zu kaufen, und es war auch das erste Stück, dass wir für Dolores geschrieben haben. Eine Assoziation haben wir dazu nicht, gibt Morten zu Protokoll. Das kann man einfach nicht genau erklären, muss man auch nicht wirklich. Der Name passt einfach zur Musik. Ich kann dir jede Note erklären, warum was an welcher Stelle sein muss. Es ist auch für uns noch geheimnisvoll, und das soll es auch bleiben. Orgelblut besitzt viel von dem, was uns ausmacht: Geheimnis und Poesie. Besser als Christoph kann man das kaum zusammen fassen.

Nur eines lässt dem Interviewer keine Ruhe – ist mit Karin etwa Karin Dor, Star aus unzähligen Edgar Wallace-Filmen, gemeint? Das nicht, dann eher noch der Kommissar. Aber das würde super passen, lacht Christoph Clöser. Das Lied ist nicht in unserem Live-Set, weil das eingesetzte Vibraphon so schwer ist und unhandlich zum mitnehmen ist. Beim Soundcheck kostet das auch immer eine Stunde, und klingt am Ende doch immer Scheiße. Und wenn nur ein Stück im Programm ist, bei dem das Instrument benötigt wird, dann lohnt sich das erst recht nicht. Arrangieren die vier Musiker ihre Musik nicht um, damit einige Stücke bühnentauglich werden? Manches funktioniert einfach nicht, wie ein Vibraphon durch eine Orgel zu ersetzen, aber in gewissem Rahmen machen wir das schon, meint Christoph. Super wäre es, wenn wir zu fünft wären, bei Stellen, wo ich eigentlich Klavier und Orgel spielen muss und Christoph Saxophon. Da bräuchten wir schon drei Leute. Aber in den Bus passen eben nur fünf Leute, also wir und unsere Merchandise Verkäuferin, stellt Morten fest.

Ursprünglich haben BOHREN UND DER CLUB OF GORE im Hardcore gewildert. Das war von 1988 bis 1990, erzählt Morten Gass. Das musiktheoretische Grundwissen, dass bei dieser Band durchaus erforderlich ist, wurde immer weiter ausgebaut. Aber: Selbst bei Hardcore-Geschrammel weißt du, welche Note als nächstes Sinn macht. Außerdem können drei von uns noch immer keine Noten lesen. Das würde die Arbeit sicher erleichtern und wäre auch schön, aber wer will das schon? Bei soviel – jetzt kommt´s – Selbstironie müssen wir alle lachen. Aber der Umstieg auf die Jazzinstrumente ist doch ein großer Schritt gewesen. Das war ein schleichender Prozess, BOHREN UND DER CLUB OF GORE hat sich über die Jahre hin entwickelt. Und sogar der Bass war bis vor ein paar Jahren noch der Gleiche, berichtet Morten.

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Drei von uns können immer noch keine Noten lesen. Das würde die Arbeit zwar erleichtern, aber wer will das schon? Morten Gass (zweiter von links) ist nicht von ausgebildeten Jazzern umgeben.

Sind BOHREN UND DER CLUB OF GORE abhängig von Plattenverkäufen? Abhängig sind wir nur von Alkohol. Wir bekommen morgens Geld mit der Post gebracht, lautet Christoph Clösers sarkastische Antwort. Davon kannst du dir höchstens einen neuen Vocoder nach der Tour kaufen – wenn du genügend Platten verkauft hast, sagt Morten. Aber das neue Label PIAS hat eine größere Basis als das ehemalige Label WONDER. WONDER gibt es nicht mehr, auch weil sie keine richtige Auslandspräsenz aufbauen konnten. Sie haben uns aber geholfen einen neuen Partner zu suchen. PIAS Deutschland hat mit uns Kontakt aufgenommen und mit deren Hauptquartier in Brüssel alles klar gemacht. Wir wollten zunächst nur einen Vertrag über eine Platte, um zu sehen wie sie arbeiten, aber die Zeit drängte, und da wir den Mitarbeiter von PIAS, der uns gesignt hat kennen, haben wir für drei Platten unterschrieben, erzählt Christoph weiter.

Über den großen Teich haben es BOHREN UND DER CLUB OF GORE nicht geschafft, obwohl viele große US-Bands sie als Einfluss angeben. Werden sie in Kürze die USA mit IPECAC RECORDINGS als Partner erobern? Die meisten von uns müssen nebenher natürlich arbeiten und nehmen ihren gesamten Urlaub für Bandaktivitäten. Wir haben dennoch schon viele Einladungen erhalten, nach Australien, Japan und die USA. Da müssen wir schon genau planen, was wir machen können. Gerade eben überlegen wir, wie wir am klügsten vorgehen, auch da Dolores im Gegensatz zu Black Earth zeitgleich in den USA und Europa veröffentlicht wird. Es macht auch wenig Sinn, einige Konzerte zu spielen und dann wieder für zwei, drei Jahre zu verschwinden. Obwohl wir sicherlich gut ankommen würden. Unter den Musikern in den USA haben wir einen recht guten Ruf. Am besten wäre es, wenn wir von oben einsteigen könnten und uns der rote Teppich ausgerollt wird. Auch die Leute von IPECAC würden wir gerne kennen lernen, holt Christoph aus. Wenn du in jedem Staat ein Konzert gibst, hast du über 50 Termine. Alaska wäre auch nicht schlecht, da wird es schneller dunkel, dann könnten wir schon eher anfangen zu spielen. Na dann, gute Nacht!

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