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AVRIGUS: Musik aus der Dämmerung

Die zurückgezogen lebende Sängerin und Multinstrumentalistin Judy erklärte sich zu einem Interview bereit – doch leider nur per E-Mail. Raum für Rückfragen und spontane Gesprächswendungen blieb ergo nicht, und dennoch umreißen die digitalen Zeilen den außergewöhnlichen Charakter der Befragten auf ganz eigentümliche Art und Weise…

Ein großes Werk nannte ich The Secret Kingdom, das erste Full Length-Album des australischen Duos AVRIGUS in meiner Rezension. Ein Album für die schwarzromantischen Naturen unter uns: Ätherisch, düster, monumental, zwischen Engelsgesang, gotischer Atmosphäre, mittelalterlichem Kerzenschein, klassischer Klangpracht und der erhabenen Schwere des Doom Metals: So umschrieb ich die Musik Simon Gruers und Judy Chiaras, und schwelgte ein ums andere mal in den elegischen Klanglandschaften der beiden. Meine Neugier war geweckt: Welche Menschen mochten sich wohl hinter dem geradezu mystisch anmutenden Konzept AVRIGUS verbergen? Die zurückgezogen lebende Sängerin und Multinstrumentalistin Judy erklärte sich zu einem Interview bereit – doch leider nur per E-Mail. Raum für Rückfragen und spontane Gesprächswendungen blieb ergo nicht, und dennoch umreißen die digitalen Zeilen den außergewöhnlichen Charakter der Befragten auf ganz eigentümliche Art und Weise. Lest selbst…

Judy, kannst Du uns einen kurzen Abriß über die Geschichte der Band geben?

AVRIGUS wurde ursprünglich 1993 von Simon Gruer und mir ins Leben gerufen. Wir begannen aber erst 1995, ernsthaft an die Arbeit zu gehen und haben schließlich Anfang 1998 eine Mini-CD namens The Final Wish trug. Auf dieser waren neben dem Titelsong noch die Stücke `As Ivy Groweth Green` und `Desolate And Flesh`, die auch auf The Scret Kingdo zu finden sind. Simon ist für die ganzen technischen Dinge verantwortlich, also für den Sound und die Produktion, außerdem steuert er einige Keyboards, die Gitarren und die Drums bei. Von mir stammt fast das gesamte Songwriting, alle Texte, der Großteil der Keyboards und Vocals sowie einige akustische Gitarrenparts.

Was bedeutet der Name AVRIGUS?

Der ist frei erfunden. Simon hatte einen Freund von ihm gebeten, sich einen Namen auszudenken. Dieser Freudn ist ein großer Dungeons & Dragons-Fan (eine Rollenspiel-Reihe – der Verf.) und schlug ihm am Telephon einen Namen aus diesem Spielsystem vor. Simon hatte Avrigus verstanden, hatte sich aber, wie sich im Nachhinein herausstellte, verhört. Aber er mochte den Namen und es ist dabei geblieben.

Was ist AVRIGUS? Projekt, Band oder eine Art allumfassendes Konzept, innerhalb dessen Du Deiner Kreativität freien Lauf lassen kannst?

AVRIGUS ist einerseits ein Studio-Projekt, aber definitiv auch MEHR als eine Band. Als Konzept steht es symbolisch für ein Medium, das den persönlichen Träume und Vorstellungswelten von Simon und mir eine Gestalt verleiht. Und dieses Konzept ist auch umfassend genug, um den Vorstellungswelten eines jeden Hörers Raum zu geben. Das gibt uns in gewisser Hinsicht das Gefühl, uns auf einer gemeinsamen Ebene mit unserem Publikum zu befinden.

Mir scheint, es ist Euch sehr wichtig, daß Musik, Texte, Artwork, Photos, Homepage etcetera ein geschlossenes Ganzes repräsentieren…

Absolut. Wir beide messen jedem einzelnen Aspekt von AVRIGUS sehr hohe Bedeutung bei…

AVRIGUS ist zwar als Studio-Projekt angelegt, aber ich könnte mir vorstellen, daß Eure Musik in einem bestimmten Live-Rahmen auch eine sehr intensive Wirkung entfaltet. Habt Ihr jemals daran gedacht, doch Live-Shows zu spielen?

Nun, in naher Zukunft haben wir nicht vor, live aufzutreten. Aber sollte es uns gelingen, ein Konzert-Konzept zu erarbeiten, das gewährleistet, daß auch eine Bühnen-Show das Konzept von AVRIGUS adäquat widerspiegelt, dann wäre so etwas denkbar.

Die Musik von AVRIGUS ist sehr dicht inszeniert, dennoch vermag man sehr viele unterschiedliche stilistische Einflüsse wahrzunehmen. Kannst Du mir etwas über Deinen und Simons musikalischen Background erzählen?

JudySimon ist als Gitarrist absoluter Autodidakt. Seine Kenntnisse als Soundtechniker hat er sich während der goldenen Ära des Metals, also Anfang bis Mitte der 90er Jahre in Sydney erworben. Ich selbst habe während meiner Schulzeit zehn Jahre lang Klavier gespielt und mir dort musiktehoretisches Wissen angeeignet. Außerdem habe ich Orgel gespielt und hatte fünf Jahre lang Gesangsunterricht, grundlegende Gitarrenkentnisse habe ich mir selbst beigebracht. Simon und ich haben uns innerhalb der Metal-Szene getroffen. Wir beide mochten ANATHEMA und BATHORY, und Simon hat mich mit MY DYING BRIE bekannt gemacht. Aber ich bin auch sehr von klassischer, insbesondere geistlicher Musik beeinflußt, während Simon jahrelang ein großer DEAD CAN DANCE-Fan war. Wir verarbeiten aber noch eine Menge weiterer Einflüsse.

Mir scheint, die hiesigen Metal-Publikationen haben eher verhalten auf The Secret Kingdom reagiert, während die Gothic-Szene Euer Album mit offenen Armen aufgenommen hat. Überraschen Dich diese Reaktionen? Macht Ihr Euch überhaupt Gedanken um ein etwaiges Zielpublikum?

Mir ist bewußt, daß die Gothic-Szene sehr enthusiastisch auf The Secret Kingdom reagiert hat, aber es gab auch schon aus dem Metal-Bereich schon sehr positives Feedback. Es ist, denke ich, auch eines dieser Alben, das mit der zeit wächst. Bislang ist es wohl noch zu früh, dazu etwas Abschließendes zu sagen. Generell möchten wir uns nicht an ein bestimmtes Publikum wenden. Wenn ich einen Song schreibe, dann folge ich ausschließlich meinen Eingaben und entwickle die Ideen weiter, die mir gefallen. Bestimmte Vorgaben gibt es nicht, allerdings sind wir beide sicher, daß es irgendwo ein Publikum für unsere Musik gibt.

Könntest Du bitte folgende Namen und Stile kurz kommentieren:

MY DYING BRIDE…

Ich war hin und weg, als ich sie vor rund einem Jahr in Deutschland habe spielen sehen. Sie haben meiner Ansicht nach nichts an Glaubwürdigkeit und Integrität eingebüßt. Sie waren stets einer große Inspirationsquelle für mich und sind es immer noch.

DEAD CAN DANCE…

Simon liebt alles, was Lisa Gerrard (ex-Sängerin von DEAD CAN DANCE – der Verf.) macht. Ich mag DEAD CAN DANCE aufgrund der Atmosphäre ihrer Musik.

Klassische Musik…

Bach, Beethoven Mozart, Vivaldi, Albinoni… ich mag sie alle, insbesondere die Requien.

Folk Music…

Zählt zu meinen Einflüssen, insbesondere sehr alte englische und irische Folk Music…

Heavy Metal…

Diese Musik habe ich mit METALLICA und Master of Puppets entdeckt, das ich immer noch liebe. Daneben schätze ich die Bands, die ich bereist erwähnt habe, außerdem BOLTTHROWER und Klassiker wie SLAYERs South of Heaven. Natürlich nicht zu vergessen: BLACK SABBATH…

Doom…

Damit wären wir wieder bei ANATHEMA, insbesondere bei Serenades, und bei MY DYING BRIDE…

Ambient…

Simon hat die beiden Ambient-Stücke des Albums geschrieben, aber ich mag diese Musikrichtung ebenfalls sehr. Zum nächsten Album werde ich wohl auch mindestens ein Stück dieser Art beitragen…

Gothic…

Ich mochte die Bildhaftigkeit dieses Stils schon immer. Ich bin aber kein Gothic, ich bin einfach nur gothic (man beachte bitte den Unterschied zwischen Subjekt und Adjektiv – der auch irgendwie gothige Verf.) …

Die Musik von AVRIGUS klingt generell melancholisch, oft auch dramatisch oder gar pathetisch. Wie sehr entspricht all das den Persönlichkeiten ihrer Schöpfer?

SimonIch muß gestehen: Das bin wohl definitiv ich. Liegt wohl auch nahe, da ich ja die Songs schreibe. Simon hingegen würde ich nicht so charakterisieren, aber er versteht es sicherlich, das Drama, das schon angelegt ist, ein wenig aufzubauschen.

Was bedeutet Dir die Möglichkeit, Musik zu machen?

Mehr als ich sagen kann. Es ist meine Art, dem zu entrinnen, was ich die zerstörte Welt nenne. Was auch immer ich mache: Musik ist immer irgendwo in meinen Gedanken. Ich arbeiteb imemr an irgendetwas, Tag und Nacht. Da sind immer ein paar Kompositionen, die in verschiedenen Entwicklungsstadien in meinem Geist umherschwirren, und ich habe immer irgendwelche Artwork-Bilder oder andere Dinge vor meinem geistigen Auge. Ich gehe damit schlafen, ich wache damit auf. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die einfach abschalten können. Ich kann nie abschalten! Wenn andere denken, ich sei verrückt: Soll es eben so sein!

Was machst Du – abgesehen von Deiner Tätigkeit bei AVRIGUS – beruflich?

Momentan gehe ich verschiedenen Teilzeit-Jobs nach, um meinen Lebensunterhalt zu sichern und mir die Möglichkeit zu schaffen, meine künstlerischen Projekte zu verwirklichen. Außerdem reise ich sehr gerne! Ansonsten lebe ich relativ bescheiden und zurückgezogen und gehe nicht oft aus. Ich liebe meinen Garten und meine fünf Katzen und gehe – soweit möglich – immer zu Fuß. Mich interessieren die Dinge nicht, die andere Menschen scheinbar zu ihrem Glück zu brauchen glauben. Dinge wie Fernseher, jede Woche ins Kino gehen, auf Partys gehen, sich betrinken und so weiter. Ich ziehe dem einen Spaziergang im Wald vor, oder einen Besuch irgendwelcher Ruinen. Ich gehe auch gerne in fremden Ländern einfach nur die Straße entlang – allein. Aber ich schätze auch die Unterhaltung mit einem einzelnen oder einer kleinen Gruppe von Menschen.

Könntest Du Dir vorstellen, Dich auch einer anderen künstlerischen Ausdrucksform zu bedienen als der Musik?

Das könnte ich. Und ich tue es auch: Mit Bildern und Photographien. Und ich habe vor, mich in Zukunft noch intensiver mit diesen Kunstformen auseinanderzusetzen und zusätzlich noch mit dem Schreiben. Ich möchte allerdings die Musik nicht aufgeben und werde es auch nicht tun.

Was inspiriert Dich beim Schreiben Deiner Texte?

Das ist schwer zu sagen. Einfach Dinge, die so vor sich gehen und über die ich nachdenke. Irgendein überwältigendes Gefühl oder ein Problem, das plötzlich auftaucht. Außerdem gibt es da ein Reservoir an Bildern und Eindrücken nicht-weltlicher Natur, aus dem ich schöpfe, wenn sich eine neue Song-Idee regt.

Auf The Secret Kingdom gibt es zahlreiche Geräuscheffekte, die die einzelnen Songs miteinander verbinden. Handelt es sich gar um ein Konzeptalbum?

Das sind einfach nur DIE Geräusche und DIE Effekte, die wir mögen. Wir beide achten sehr auf Details und haben eine klare Vorstellung davon, was einfach zu AVRIGUS dazugehört.

In Deinen Texten verwendest Du oft sehr gegensätzliche Elemente: Licht und Schönheit treffen auf das Dunkel und die Tragödie. Machst Du das bewußt? Spielst Du gerne mit Gegensätzen?

AVRIGUS:Das hast Du sehr gut beobachtet. Bei Gemälden nennt man das Spiel mit Licht und Schatten Chiaroscuro, und das ist auch ein gutes Wort für das, was Simon und ich gerne im Rahmen unserer Musik machen. Eigentlich entwickelt sich das bei unserer Arbeit von alleine so, es ist aber dennoch ein Ansatz, der uns beiden sehr wichtig ist.

Eure Musik klingt sehr bildhaft. Zumindest habe ich sie als visuell sehr stimulierend wahrgenommen. Könntet Ihr Euch vorstellen, Euch künftig auch gelegentlich an Soundtrack-Musik zu versuchen?

Ja. `Flesh` wurde auch schon mal von jemandem für einen Amateur-Kurzfilm verwendet. Es ist einer unserer Träume, unsere Musik für einen Film zu verwenden. Natürlich sind wir beide auch selbst sehr von Soundtrack-Musik beeinflußt und möchten diese bildhafte Qualität ganz bewußt in unsere eigene Musik einbringen. Und in der Tat hören wir häufig von Fans, daß unsere Musik ihnen innere Bilder vermittelt. Das ist auch genau das, was wir zu erreichen hoffen: Die Vorstellungskraft des Hörers zu stimulieren.

Falls Du Dich für Filme interessierst: Was sind Deine Favoriten?

Ja, ich interessiere mich für Filme, bin aber sehr schwer zufriedenzustellen. Normalerweise – von wenigen Ausnahmen abgesehen – kann ich vor allem amerikanische Filme nicht ausstehen. Meine absoluten Liebllingsfilme aller Zeiten sind wohl Pathfinder im Windwalker. Pathfinder ist ein lappländischer Film über uralte alte Legende, der vor rund 15 Jahren gedreht wurde und dessen Video-Fassung durch eine amerikanische Synchronisation leider völlig ruiniert wurde. Windwalker ist ein 20 Jahre alter amerikanischer Film mit unbekannten indianischen Darstellern. Obwohl ich natürlich auch manche Filme wegen ihrer Bildsprache mag, ist mir letztlich eine gute Story doch sehr wichtig. Und sowas gibt es nicht oft! Der letzte Film, den ich wirklich mochte, war Hymalaya, ich kam nach Hause und habe Rotz und Wasser geheult! Ich schätze, ich bin eine sentimentale Närrin…

Ich möchte Dir jetzt gerne noch einmal eine Liste an Wörtern und Ausdrücken vorlegen und Dich bitten, sie im Hinblick auf Eure Texte zu kommentieren:

Phantasie/Realität…

Darin geht es in `Flesh`. Natürlich verarbeite ich in meinen Texten auch Teile der weniger angenehmen oder gar schmerzvollen Realität, reichere das aber dann mit meiner Phantasie so sehr an, daß sich die Natur dieser Realität zu etwas Entrücktem und Schönem wandelt – zumindest für mich. Darüber hinaus noch zu sagen wäre: In dieser Welt ist sehr viel dessen, was Realität genannt wird, eigentlich Phantasie.

Spiritualität…

Der Song hierzu heißt `Solitude/Salvation`. Meine Aufmerksamkeit gilt dabei dem spirituellen Aspekt ALLER Dinge, wobei mir bewußt ist, daß meine Idee von Spiritualität wohl nicht viel mit der üblichen Auffassung dieses Begriffes zu tun hat. Ich fühle mich diesbezüglich am ehesten den amerikanischen Ureinwohnern und anderen Völkern verbunden, deren Spiritualität direkt mit der Natur verbunden ist.

Natur…

`Overture`: Das einzige Gesetz, das ich anerkenne…

Glaube…

`The Grail`: Glaube ist im Laufe der Jahrhunderte völlig mit Wunschdenken und Hoffen durchmischt worden. Der persönliche Glaube eines Menschen wird fast immer von anderen übernommen, als daß er einer Erkenntnis oder einem Erleuchtungs-Erlebnis entwächst. Wir können glauben, was immer wir wollen, aber Glaube kann nicht zur Wahrheit werden. Das ist nichts anderes als Phantasie…

Religion…

`As Ivy Groweth Green` (von The Final Wish – Anm. d. Verf.): Im einfachsten Sinne bedeutet Religion Lebensweg. In diesem Sinne hege definitiv religiöse Empfindungen bezüglich meiner Musik und meiner Kunst. Aber das Wort wird überschattet von der Bedeutung, die ihm heute allgemein zukommt: Der Fanatismus aller sogenannter Weltreligionen, egal ob orthodox oder nicht. In Wahrheit sind sie alle dürftig getarnte Machtapparate. Und ihre Macht beruht letztlich einzig und allein auf ihrer Fähigkeit, den Menschen auf irgendeine Art Angst einzuflößen. Bei den einen mehr, bei den anderen weniger.

Leben/Tod…

`Til Death Do Us Unite`: Im Alter von zwölf Jahren habe ich zwei Schwestern und einen Bruder bei einem Unfall verloren und mußte lernen, daß das Leben sehr plötzlich zum Tod werden kann. Und daß die unmittelbare Erfahrung des Todes Dein Leben für immer verändern, gleichzeitig aber auch Dein Bewußtsein und Dein Wahrnehmungsvermögen bezüglich des Lebens schärfen kann.

Himmel/Hölle…

`Veritas`: Beides findet sich auf der Erde…

Engel/Dämon…

`Dark Angels` Ascension`: Beide Wesen gibt es auf der Erde…

Chaos/Ordnung…

In `Qlipthoth` geht es um jene, die im Reich der unausgeglichenen kosmischen Kräfte leben. Welcher Mensch mit klarem Verstand würde das wollen? Und doch tun es so viele.

Welche Tages- und welche Jahreszeiten liegen Dir besonders?

Ich liebe den frühen Morgen und die späte Dämmerung. Ich hasse die Zeit von Mittag bis Nachmittag, insbesondere dann, wenn die Sonne sehr intensiv vom Himmel herabbrennt. Ich verabscheue daher auch den Sommer und mag stattdessen den Spätherbst und den tiefen Winter.

Fragt mich nicht warum, aber ich habe nichts Anderes erwartet…

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