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WARPATH: Disharmonic Revelations

Noch immer haben WARPATH keine Lust auf liebliche Melodien. Auch auf ihrem siebten Album „Disharmonic Revelations“ liefert die Institution des harschen Thrashcore Brutalo-Nummern voller Wut und Groove ab, deren Aggressionslevel fast immer am Anschlag ist. Aber sogar einige ruhigere Momente haben sich eingeschlichen: auch eine Folge der neuen Bandbesetzung, da nun zwei Gitarristen zu hören sind.

Eine Portion Hass gefällig? Ja kommt: Die Zeiten sind beschissen, in der Ukraine wütet ein Krieg, die Corona-Krise ist immer noch da. Querdenker ziehen mit hässlichen Parolen durch die Straßen, und nachdem das Thema Corona etwas aus den Schlagzeilen verschwunden ist, haben sie ihre neue Liebe zu Kriegsfürst Wladimir Putin entdeckt. Mit anderen Worten: Wer nicht komplett durchdrehen und Amok laufen will, der braucht giftige, Wut spuckende Töne auf den Lauschern. Musik, die mit der Urgewalt eines Kinnhakens alle Fragen beiseite wischt. Zum Glück gibt es seit 31 Jahren eine Hamburger Band, die wie keine andere Brutalität und Aggression zu ihrem Markenzeichen erkoren hat. Ja, WARPATH sind wieder da!

„Disharmonic Revelations“ mit dezenten Neuerungen

WARPATH waren nie eine Band, die durch besondere spielerische Raffinesse aufgefallen wäre. Gitarrensoli ließ man gern einmal weg, Tempowechsel reduzierte man auf das Allernötigste. Neben Thrash Metal war und ist die primitive Wucht des Hardcore eine Konstante im Sound der Hansestädter. Doch virtuose Momente brauchten sie auch nicht. Was die Band stattdessen auszeichnet: Intensität, ein gnadenloser Groove, eine nicht zu bändigende Energie. Und ungezähmte Wut. Es gibt wohl kaum eine Thrash-Band, die eine derartige Brutalität in ihrem Sound hat. Das bescherte WARPATH einen Underground-Kult-Status: und eine überschaubare, aber sehr treue Anhängerschaft.

Die klassischen Trademarks hat die Band auch auf ihrem neuen Album nicht abgelegt. Zum Glück. Über allem thront nach wie vor das unglaubliche Organ von Sänger Dirk „Dicker“ Weiß, ohnehin eine Geheimwaffe, die den Neid vieler Mitkonkurrenten auf sich ziehen dürfte. Für alle, die nicht eingeweiht sind: eine enorm kehlige, raue und dennoch voluminöse Stimme, tief hallend, bedrohlich. Der Gesang hat der Band immer wieder Vergleiche zu CARNIVORE eingebracht: Pete Steele (R.I.P.), dieser Zwei-Meter-Riese, wenn er mal nicht tief hauchend die Gothic Girls dieser Welt bezirzte. Sondern seinen Hass und Sarkasmus hinausschrie. Dirk, wie alt bist Du? Schon in den 50ern? Sorry, ich habe die Info bei Google nicht gefunden. Egal: Alter schützt vor Volumen nicht. Die Gesangsleistung ist intensiv, ist amtlich.

Also keine Neuigkeiten im WARPATH-Sound? Das stimmt so nicht. Zwei neue Gitarristen sind an Bord: definitiv ein Novum, nachdem die Kogge zuletzt auf ihrem Debüt von 1992 mit einer Doppelbesetzung an den Äxten unterwegs gewesen ist. Claudio Illankes und Roman Spinka sind ihre Namen: Wie Bandkopf „Dicker“ im Interview mit dem Legacy Magazin verriet, waren sie auch wesentlich am Songwriting beteiligt. Claudio war zuvor bei UNDERCROFT aktiv, eine Band, die auch schon seit 1992 zockte: und Musiker von Chile bis nach Schweden vereinte, oft mit SEPULTURA verglichen wurde. Beide Musiker haben die DNA von WARPATH verinnerlicht: Sie liefern brutal groovende und prügelnde Riffs, die sich zurücknehmen, auf das Wesentliche beschränken: und enorm hart klingen. Effektiv. Nackenbrecher.

Aber sie bringen auch überraschende Facetten in den Sound von WARPATH ein. Die Songs lassen mehr Raum, klingen dichter, zeigen sich für neue Einflüsse offen. Ja: Es gibt Soli auf diesem Album. Und Ausflüge in den Schweden-Death-Metal, melodische Leads, wenn auch dezent gesetzt. Dafür braucht es zwei Gitarren, wie schon der Ausdruck „doppelläufig“ verrät. Sogar vor Post Punk machen sie diesmal nicht Halt, auch vor dem Wall of Sound einer Band wie MOGWAI nicht. Das alles, wie gesagt: sehr dezent, fast unbemerkt. Aber doch sind diese Einflüsse da.

Gelungen auch die Produktion: Die hat Jörg Uken zu verantworten, der die Platte in den Soundlodge Studios (unter anderem DEW SCENTED, SINISTER, ANVIL!) aufgenommen hat. Er belässt den Sound in einem rohen Zustand, begradigt nicht zu viel: Das tut der Platte gut. Sie hebt sich ab von vielen zeitgenössischen, glattgebügelten Produktionen. Die Gitarren schneidend und manchmal gar leicht übersteuert, das Schlagzeug von Norman Rieck klingt organisch und detailverliebt. Und doch ist der Sound sauber. Live-Feeling stellt sich ein. Das kann man so machen!

Die Kunst des Primitiven

Zu den einzelnen Songs: Die Band legt bravourös und mit Geprügel los. Der Opener „The Last One“ eröffnet mit einer quietschenden Gitarre, einem schmerzhaften Schrei: dann Uptempo, eine rasende Nummer mit viel Aggression und geshoutetem Refrain. Dirk Weiß kotzt in einem sarkastischen Text seine Wut über Querdenker und Schwurbler und QAnon-Ideologen aus: Denn er ist ja eigentlich – bei allem vertonten Menschenhass – einer der Guten. Im Legacy-Interview berichtet er, wie sehr ihn die Gewaltbereitschaft und die rechten Parolen vieler sogenannter Spaziergänger verunsichert und wütend gemacht haben. Zum Glück: Im Gegensatz zu einigen anderen Metal-Musikern ist er für solche Idiotien nicht zu haben.

Song Numero zwei, „Disharmonic Revelations“, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Hart, schnell, groovend. Einfach gestrickt: zwischen rasenden Passagen und gnadenlosen Midtempo-Grooves wechselnd. Simpel, aber höchst effektiv und gekonnt. Man muss an dieser Stelle einfach mal hervorheben, dass nachfolgende Bands mit einem ähnlichen Rezept international mehr Erfolg hatten: HATEBREED und die fast zeitgleich gestarteten PRO-PAIN. Wobei Letztgenannten die Intensität des Thrash-Metal oft abgeht. Es zeichnete WARPATH schon immer aus, dass sie musikalisch eben doch mehr drauf hatten als viele im Hardcore verwurzelte Bands: auch wenn sie sich zurücknahmen, diese Fähigkeiten nicht ausspielten. Reduktion auf das Wesentliche: Es ist wie ein dreckiges 1:0, das der HSV gegen Sandhausen erringt.

Song Numero drei und vier: Brutal groovend, heavy, kompromisslos. Kritiker der Band könnten sich bis dahin bestätigt fühlen, dass es im Zweifel an Abwechslung fehlt. Macht nichts. Hört Euch einfach an, wie brutale Midtempo-Thrash-Grooves in schnelle Passagen wechseln: Das ist die Master-Class. Gerade das mittlere Tempo beherrscht die Band superb. Du kannst nicht derart brutale und heftige Riffs aus dem Ärmel schütteln – so simpel sie auch sein mögen -, wenn du nicht dein Instrument beherrschst. Gitarren, die herrlich rau und dreckig klingen: Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Rhythmus-Section, Bass und Schlagzeug, sehr gekonnte Arbeit abliefern. Das ist, ich hatte es der Band schon abgesprochen: eben doch raffiniert, auch wenn die Songs nie aus dem Strophe-Refrain-Strophe-Schema ausbrechen, wenn sie im Herzen – nun ja – ein wenig Punk Rock sind. Nimm weg, was stört: ähnlich wie der Maler Yves Klein, der am Ende nur noch eine blaue Fläche auf seinen Gemälden übrig hatte.

Dezente Experimente

Die Überraschungen auf dem neuen Album finden sich eher im zweiten Teil. „Visions and Reality“ ist ein groovender Song, der deutlich melodischer tönt als das Gros der Platte: und sogar leichte Einflüsse von Bands wie GOJIRA erkennen lässt. Hier leistet das doppelte Gitarren-Duo einen guten Dienst: hart groovend, aber fast in Postrock- und Sludge-Sounds vorstoßend. Fast! Ein Song, der sich immer noch nach WARPATH anfühlt.

„Decisions Fall“ hat dann reitende Heavy-Metal-Gitarren zu bieten und psychedelische Momente, in denen auch Sänger „Dicker“ teils melodischer singt, mit dunklem Sprechgesang in Erscheinung tritt. Im Mittelteil dann ein rasendes Blastbeat-Gewitter. Bis melodische Gitarren-Harmonien den Song ausklingen lassen. „Progressiv“ ist in diesem Zusammenhang ein großes Wort: aber sicher einer der progressivsten Songs, die WARPATH je aufgenommen haben.

Auch das folgende „Digitezed World“ hat dann überraschend (dis)harmonische, fast ein bisschen an VOIVOD gemahnende Gitarren und einen eingängigen Refrain. Der Refrain: fast hittig. Nun ja: im WARPATH-Universum. Und wieder, im Post-Chorus: melodischer Gesang. Man kann darüber streiten, ob dieser gelungen ist. Ich bevorzuge Dicker in seinen aggressiven Momenten. Aber misslungen ist dieser Song beileibe nicht. Kann man guten Gewissens vorzeigen.

Das folgende „The Unpredictable Past“ biegt dann komplett in Gothic-Rock- und Post-Punk-Gefilde ein, abgesehen vom heftig herausgebrüllten Refrain. Flirrender Bass, dunkler Sprechgesang in der Strophe. Die Plattenfirma möchte gern Parallelen zu den hitgeschwängerten Songs von TYPE O NEGATIVE sehen. Das passt nicht, ich fühle mich eher an die raueren Momente von 90s-Goth-Bands wie LOVE LIKE BLOOD erinnert. Was als Kompliment gemeint ist. Es ist ein Sound, der auch in der aktuellen Gothic-Szene eher selten zu hören ist, weil der Trend in Richtung Cold Wave geht: minimalistische Electro-Sounds, die nur dezent von hallenden, hoch gestimmten Gitarren begleitet werden. Fans des Genres wissen sicher mit Namen wie ASH CODE oder LEBANON HANOVER etwas anzufangen: alles gute Bands, aber eben anders.

Das Gros der Songs bietet aber genau DAS, wofür wir WARPATH zu schätzen gelernt haben: brutale und eingängige Brecher, begleitet von Dickers sarkastischen Texten, die das Unrecht der Welt oder persönliche Verletzungen („Scars“) behandeln. Nun angereichert mit mehr Liebe für Details und zwei – teils überraschend harmonischen – Gitarren: aber immer noch von primitiver Wucht. Mal ehrlich, genau dies wollen wir von den Hansestädtern hören. Wir wollen Hass und Attitüde.

Und kein Scheiß: Auch wenn es die Verkaufszahlen nicht widerspiegeln mögen, sind WARPATH ein Aushängeschild in Sachen deutscher Thrash. Die Mischung aus hart groovenden Metal-Riffs und Hardcore war schon Anfang der 90er ein Alleinstellungsmerkmal, das Old-School-Fans und Anhänger modernerer Sounds vereinen konnte. Die Bezeichnung „Metalcore“ verbietet sich nur deshalb, weil man damit mittlerweile ganz andere Klänge verbindet. Aber vielleicht hatten WARPATH ein bisschen auch eine Vorreiter-Rolle. Das neue Album klingt: frisch, brutal. Und es ist allemal Wert, angecheckt zu werden.

Label: Massacre Records
Webseite: WARPATH
Release Date: 04.03.2022
51:05 Min. (CD) • 44:12 Min. (LP)

LINE-UP
Dirk “Digger” Weiß – Vocals
Roman Spinka – Gitarre
Claudio Illanes – Gitarre
Sören Meyer – Bass
Norman Rieck – Drums

WARPATH “Disharmonic Revelations” Tracklist

01. The Last One
02. Disharmonic Revelations
03. Parasite (Lyric Video auf Youtube)
04. A Part Of My Identity
05. Visions And Reality
06. Scars (Video auf Youtube)
07. Egos Aspire
08. MMXX
09. Resurrection (Video auf Youtube)
10. Decisions Fall
11. Digitized World
12. The Unpredictable Past
13. Innocence Lost (Bonus Track)
14. MMXX (Alternative Version) (Bonus Track)

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