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SKINDRED: Roots Rock Riot [Re-Release]

Skindred legen nach 13 Jahren ihr legendäres zweites Album „Roots Rock Riot“ wieder auf. Die Wut von Metal und Hardcore mischt sich hier mit bittersüßen Reggae-Harmonien, Jungle und Drum and Bass. Macht immer noch Spaß, die Texte gegen soziale Missstände und Polizeigewalt sind so aktuell wie eh und je.

Wir schreiben das Jahr 2007. Die Welt steuert auf die größte Finanzkrise der Nachkriegszeit zu, die viele Menschen, speziell in Schwellenländern, in bittere Armut stürzen wird. Ein Song namens „Ein Stern (der deinen Namen trägt)“ von DJ Ötzi und Nik P. ist auf dem besten Weg zur erfolgreichsten Single in Deutschland zu werden. Bei einem Amoklauf in Blacksburg/Virginia werden 32 Student*innen erschossen. Und erstmals besaßen die zwei reichsten Menschen der Welt mehr Geld, als die 45 ärmsten Staaten zusammen erwirtschaften konnten. Mit anderen Worten: auch damals war die Kacke gewaltig am Dampfen und es gab reichlich Gelegenheit, den Kopf rhythmisch gegen eine Tischplatte zu schlagen. Für allzu nostalgische Rückblicke besteht kein Anlass, auch wenn die Coronakrise damals noch keiner erahnen konnte.

Der ideale Soundtrack für die wütende und angepisste Jugend kam damals ausgerechnet aus dem beschaulichen Wales. SKINDRED veröffentlichten ihr zweites Album „Roots Rock Riot“, das nun via Hassle Hindsight eine Neuauflage erlebt. Erstmals übrigens auch auf Vinyl, denn seinerzeit war das Album nur als CD zu haben. Doch Wales führt in die falsche Richtung, klangen und klingen SKINDRED doch wie ein Schmelztiegel, der Einflüsse verschiedenster Kulturen auf höchst stimmige Weise miteinander vereint.

Für die Metal- und Hardcore-Gemeinde gibt es giftig groovende Gitarren und kraftvolle Rock-Hymnen, die auf einem hohen Aggressionslevel angesiedelt sind. Die Eltern des bulligen Sängers Benji Webbe waren Migranten aus Jamaika: und so ist Reggae bzw. Dancehall die zweite Säule des SKINDRED-Sounds. Weniger der Sommer-, Sonnen-, Gute-Laune-Reggae, der oft fälschlicherweise mit der Musik verbunden wird. Sondern der dick groovende, der komplex sein konnte und politische Missstände thematisiert hat. Wer mit der Diskografie von BOB MARLEY vertraut ist, wird bestätigen, dass es da harte, schwere Rocknummern gibt. Doch auch Jungle, Dub sowie Drum and Bass werden beigemischt. Sounds der Vororte in den englischen Metropolen, inzwischen gentrifiziert, doch damals gekennzeichnet von Schmutz, Industrie-Baracken und Arbeitslosigkeit. Und oft Ausgangspunkt für spannende musikalische Trends.

SKINDRED: Die Musik ist mehr als „Crossover“

Das alles vermischte die Band aus Newport in Wales auf höchst ansprechende und harmonische Weise. Will man es sich einfach machen, wäre wohl „Crossover“ der passende Begriff. Wenn er nur nicht so furchtbar nichtssagend und abgedroschen wäre. Unter „Crossover“ werden Bands zusammengefasst, die ganz unterschiedlich klingen und wirklich nichts miteinander zu tun haben. Außer, dass sie eben in verschiedenen Genres fischen. „Crossover“ ist, sorry: ein Unwort, oft geboren aus der Hilflosigkeit des Rezensenten.

Gleich der Opener „Roots Rock Riot“ macht klar, dass SKINDRED gern mal den Tanzflur unter Feuer setzen, um Blut, Schweiß und Pogo zu verbreiten. „Call the police we come to murder“, shoutet Sänger Benji im Refrain: ein Refrain, für den Bands wie DISTURBED oder SYSTEM OF A DOWN töten würden. Der Mord wird natürlich nur musikalisch vollzogen, wie die Band zugleich klar macht. „The energy’s ecstatic as you’re smashing up the place“. Und jetzt alle springen! Die tiefer gestimmten, wuchtigen Gitarren von Mikey Demus treiben den Song voran. Das ist ideales Moshpit-Futter. Eine schmutzige Party-Hymne.

Das folgende „Trouble“ ist ebenfalls hart groovend, kommt aber melodischer daher. Der Refrain erinnert an die späten LIVING COLOUR. Was war das für eine geile, wegweisende Band. In der Strophe croont Benji Webb in Patois, jene jamaikanische Sprache, die so typisch für den Reggae-Sound wurde. Ein häufiges Stilmittel auf dieser Platte: Webb croont abgehangen in bester Reggae-Manier (man muss die Stimme mögen), nur um dann plötzlich loszubrechen und kraftvoll zu shouten. Das kam damals auch in den Metal-Zines gut an: 10x Dynamit im Rock Hard, in einer Zeit, als man die Empfehlungen noch blind kaufen konnte.

Und auch das Publikum dankte es ihnen: Verkaufszahlen im hohen sechsstelligen Bereich. Das alles ist bei der mitunter wilden Mischung keine Selbstverständlichkeit. Aber es war (und ist) eine Stärke der Band, ihren „Crossover“ (sorry) sehr schlüssig klingen zu lassen: Hier spielt eine tighte Band, die genau weiß, wie sie ihre Stilmittel einsetzt. Und so klingt und klang eben keine andere Band. SKINDRED sind SKINDRED: Reggae meets Pop meets Metal meets Punk, auch wenn es mit den legendären BAD BRAINS aus Washington D.C. mächtige Vorbilder gab, die ähnliche Einflüsse vermischten. Aber rauer, punkiger, direkter musizierten. Nicht diese schönen, -ja- poppigen Harmonien hatten.

Party-Hymnen treffen Protest

Eine Stärke der Platte ist ihr Abwechslungsreichtum. Auch wenn die Songs eingängig sind und auf den Dancefloor schielen: SKINDRED verstehen es, mit Details und stilistischen Brüchen zu überraschen. Da steht ein Song wie „Ratrace“, der mit zuckersüßen Harmonien daherkommt, neben wütenden Punk-Rock-Ausbrüchen wie „Spit Out The Poison“. In der Strophe hören wir gebrochene Rhythmen, die an Underground-Club-Sounds der Zeit erinnern: nervös, tanzbar, gebrochen. Im Refrain: pure Wut. „Schlachte mich mit deinen schädlichen Worten,/ viel zu lang hast du mich verwirrt,/ mich heruntergezogen,/ mich meiner Seele und meines Verstandes beraubt/ aber in dieses Grab werde ich mich nicht legen!/ Ich werde zu dir kommen/ Spuke das Gift aus!“, singt und schreit Benji Webbe.

Keine Frage: Der charismatische Frontmann hat in seinem Leben ordentlich Scheiße gefressen. Mit acht Jahren wurde er zur Vollwaise, beide Eltern starben: Aufgezogen wurde er von seinem Bruder. Er wuchs in Armut auf. Die Musik hat ihn gerettet: Erst mit den legendären DUB WAR, dann mit SKINDRED. Mittlerweile ist er Opa, schreibt – neben der Musik – an einem Kinderbuch. Ein Charakterkopf, ein Original. Vielleicht, ich will nicht übertreiben: der Lemmy des Crossover.

Ja: Man muss die Mischung mögen. Die Metal-Gemeinde muss mit Reggae und Club-Sounds klarkommen. Damals hat das scheinbar super funktioniert (Daumen nach oben). “Rude Boy For Life” ist eine erstklassische Party-Hymne, die man auf jeder Party spielen könnte, wo zu viel Weed geraucht wird und die Crowd Rastas trägt. Wobei: auch hier beißt der Refrain heftig. In der Bridge ist tatsächlich eine Widmung an BOB MARLEY zu hören. Bläser wurden dezent in den Hintergrund gemischt. Einer der Hits des Albums. Dann wieder so eine super eingängige Alternative-Metal-Reggae-Popnummer: “Killing Me”. Drum-and-Bass-Rhythmen. Sehr einprägsamer Refrain. Man versteht, warum SKINDRED damals so erfolgreich waren. Die Texte über Armut, Ausgrenzung, Hass und Polizeigewalt: Sind leider noch immer so relevant wie damals auch.

Fazit: Ein Album, das sich lohnt wiederzuhören. Wenn man sich reingehört hat und den Sound mag, ist die Hitdichte groß. Und, auch das muss positiv hervorgehoben werden: Seit ihren Anfangstagen im Jahr 1998 spielt die Band in derselben Besetzung. Soeben haben sie einen Vier-Album-Vertrag mit Earache Records unterzeichnet. Da kann noch einiges kommen, auch wenn sie auf den letzten Alben weniger drängend (aber auch reifer) klangen. Für jene, die das Album schon besitzen, gibt es mehrere Bonus-Songs: teils akustisch, teils unveröffentlicht. Das hittige “It’s A Crime” sollte man sich als Fan nicht entgehen lassen.

Dauer: 56:20
Label: Hassle Records
VÖ: 23.04.2021

SKINDRED “Roots Rock Riot” Re-Release 2021 Tracklist

Roots Rock Riot (Audio auf Youtube)
Trouble
Ratrace
State Of Emergency
Alright
Destroy The Dancefloor
Rude Boy For Life
Killing Me
Spit Out The Poison0
Cause Ah Riot
Ease Up
Choices And Decisions
It’s A Crime (Bonus)
Struggle (Bonus, Video auf Youtube)
Destroy The Dance Floor – Acoustic (Bonus)

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