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SABATON: The War To End All Wars

Wie bitte kann man angesichts des Ukraine-Krieges, des massenhaften Elends und Leids mitten in Europa, ein neues SABATON-Album rezensieren? Gar zu fröhlich, heroisch und unbedarft kommen ihre neuen Schlachthymnen daher. Dabei haben sie durchaus zu alten Stärken zurückgefunden: Eingängigkeit und Catchyness sind wieder da. Es bleibt ein flaues Gefühl im Magen.

Wie fröhlich und bierselig dürfen Songs klingen, die den Krieg und massenhaftes Sterben thematisieren? Sorry, dass ich diese Frage an den Anfang meiner Rezension stelle. Aber vielleicht lässt sich mein Konflikt anhand des Videos zu „The Unkillable Soldier“ verdeutlichen, eine der Singles zum neuen Album. SABATON thematisieren auf ihrem Werk den Ersten Weltkrieg. Und im Clip sieht man, wie sich die Band in die Schlacht wirft. Wohlgenährt, in historischen Uniformen, stehen da die Musiker im Schützengraben, dicht an dicht, sie strecken die Köpfe heraus, so dass sie für jeden Feind eine perfekte Zielscheibe abgeben würden. Bei jedem erschossenen Feind jubeln sie, recken die Fäuste in die Lüfte, beglückwünschen sich gegenseitig. Das alles wird in wunderbar ästhetische Hochglanzbilder gepackt, unterlegt mit einem flotten Metal-Song, der zum Mitgrölen und Bierschwenken einlädt. Ein Song, der geradezu euphorisierend und fröhlich klingt. Man bekommt Lust, sich mitten ins Getümmel zu stürzen. Mit der Realität des Ersten Weltkrieges, dieser grausamen Massenvernichtung, hat das herzlich wenig zu tun. Selten wurde der Krieg naiver glorifiziert.

Nein: Ich bin niemand, der SABATON schlechte Absichten unterstellen will. Ich nehme ihnen ab, dass ihr Wirken – bei aller Faszination für den Krieg und das Schlachtgetümmel – auch eine pazifistische Note hat. Es sollen dufte Typen sein, mit denen man super ein Bier trinken kann, Fan-nah und sympathisch. Das berichten viele Bands und Fans, die schon einmal mit ihnen im Backstage-Bereich abgestürzt sind. Aber es geht mir hier um die Frage der Angemessenheit:

SABATON beanspruchen für sich, zu ihrem Thema genau zu recherchieren und sich an historischen Fakten zu orientieren. Und dieses Thema ist eben immer: Der Krieg, und was der Krieg mit den Menschen macht. Das alles kommt dann in einem Soundgewand daher, das zugeschnitten ist auf große Festivalbühnen wie “Wacken” – und das nach verschwitzten Nächten in Bierlaune tönt. Nach Spaß. SABATON sind, kein Scheiß: eine Party-Band. Auch auf dem neuen Album gibt es reichlich Mitsing-Nummern, gibt es eine manchmal fast unverschämte Fröhlichkeit, viel Dur und nur dezent Moll. Ich bin niemand, der hier die Wokeness-Keule herausholen will, denn das Problem ist zunächst ein anderes. In den schlimmsten Momenten ist das hier einfach unsagbar kitschig.

Mit heroisierenden Songs geht es mit SABATON in die Schlacht

Zu den Fakten: „The War To End All Wars“ ist SABATONS mittlerweile zehntes Studioalbum. Und, wie bereits erwähnt, widmen sich die Schweden diesmal ganz dem Ersten Weltkrieg, angefangen mit der Ermordung des Österreichisch-Ungarischen Thronfolgers in Sarajevo bis hin zum Versailler Vertrag. Es ist, gemessen an den Maßstäben der Band, beileibe kein schlechtes Album. Man merkt, dass sie an den Details gefeilt haben, dass hier viel Arbeit drin steckt. Wirkte der Vorgänger „The Great War“ (2019) noch sehr uninspiriert, so als würde die Band ihr einmal gefundenes Erfolgsrezept nur noch reproduzieren, so gibt es hier tatsächlich wieder ziemlich amtliche Power-Metal-Songs mit der gewohnten Catchyness, mit einprägsamen Melodien, mit Hits. Das hier klingt hungriger, ambitionierter. Es ist ihr wohl bestes Werk seit „Carolus Rex“ von 2013, für das SABATON immerhin eine Platin-Platte eingeheimst haben. Ihr bisher bestverkauftes Album.

Aber diese Perfektion ist zugleich ein Problem. Hier gibt es von allem mehr: mehr Singalongs, mehr Chöre, mehr Pomp und Tschingderassabum. Die Keyboards blasen fanfarenhaft zum Angriff. Das muss man nicht gut finden. Im Zweifel klingt das: pathetisch und aufgeblasen, wie ein Luftballon, der jeden Moment zu platzen droht. Ich gebe es ja zu, dass ich mir diese Band gern mal anhöre, wenn auch selten. Früh unter der Dusche, um meine Nachbarn mit meinem Gesang zu nerven. Beim Grillen mit Freunden. Nach vier oder fünf Bier. Fast immer in Situationen, in denen ich in fröhlicher Stimmung bin. Da passen diese herrlich eingängigen Nummern zum Gemütszustand, da stören sie nicht. Auch wenn das der Grund ist, weshalb die Band im Metal-Fanlager sehr polarisiert, wovon unzählige Diskussionen in Foren künden. SABATON sind wie die Zinnsoldaten, mit denen man als Kind gern im Sandkasten spielte. Der Krieg als Thema wirkt unschuldig. Ist er aber leider nicht. Ein bisschen scheint das Konzept der Band – sorry, dass ich dies so deutlich ausspreche – infantil.

Schon der erste Song „Sarajevo“ macht wieder mächtig viel Spaß. Eine Hörspiel-Artige Spoken-Word-Passage leitet den Song ein, die Gitarren sind raffiniert und schneidend, der Chorus heroisch und pompös. Verdächtig gute Laune stellt sich ein. Doch dann sieht man die aktuellen Kriegsbilder aus der Ukraine, sieht das unendliche Leid und die Verzweiflung, das massenhafte Sterben. Die Ausweglosigkeit der Opfer und die Feigheit der Täter. Und sofort ist da bei mir dieses Unbehagen, sind da Bauchschmerzen und Fragen. SAGT MAL, SABATON, WAS ZUR HÖLLE MACHT IHR HIER? GEHT ES AUCH EIN BISSCHEN WENIGER FRÖHLICH? HABT IHR EIGENTLICH NOCH ALLE TASSEN IM SCHRANK?

SABATON verlieren ihre Unschuld

SABATON verlieren just in dem Moment ihre Unschuld, in dem Europa mit der Realität eines neuen Krieges konfrontiert wird. Plötzlich wirkt ihre Musik unangemessen, im Zweifel peinlich. Und das Gefühl will bis zum Ende des Albums nicht so recht weichen. Denn die meiste Zeit kennen sie genau drei Gemütsverfassungen: heroisch, triumphierend und draufgängerisch. Also eigentlich nur eine.

Fast durchgehend haben wir es hier mit Songs zu tun, die zur Schlacht blasen, die jede Nuance vermissen lassen. Es ist eine fragwürdige Qualität dieser Band, dass sie eigentlich – obwohl doch Metal – fast nie wütend klingt, nicht verzweifelt, nicht aggressiv, nicht abgründig. Dass sich hier nie Traurigkeit einstellt. Hatte ich das schon erwähnt? SABATON sind eine Party-Band. Sie sind durch und durch: eine fucking Party-Band! Eine Band für Trinkspiele, für Open-Air-Konzerte, für vier Promille in strahlenden Sommernächten. Wenn du eine Metal-Band suchst, zu der du fröhlich vögeln kannst: Es sind im Zweifel SABATON.

So bin ich mit vorliegendem Werk maximal überfordert. Schlimmer noch: Streng genommen habe ich keine Ahnung, wie man es rezensieren kann, ob man es überhaupt rezensieren sollte. Ich möchte die Band ja gern dafür loben, dass sie ihren Hit-Appeal und ihre unverschämte Eingängigkeit wiedergefunden hat. Dass sie: eben wieder Spaß machen. Aber selten zuvor wurde so offensichtlich, dass hier Thema und musikalische Umsetzung weit auseinander klaffen. Dass hier millionenfaches Sterben und Leid in Melodien übersetzt werden, die im Zweifel auch auf dem Kindergeburtstag funktionieren würden. Wenn Kinder in realen Kriegen sterben, ist das alles nicht mehr lustig.

Auch Song Numero zwei, „Stormtroopers“, ist eigentlich eine amtliche Uptempo-Nummer. Das Gitarrenduo Chris Rörland und Tommy Johansson schüttelt flotte, doppelläufige Gitarrenharmonien aus dem Ärmel, der Song ist treibend, Joakim Brodéns Stimme rau und markant. Wieder ein heroischer Refrain mit reichlich Chören. Und dann, im Mittelteil, ein Männerchor, mit dem man jeden „Herr der Ringe“-Soundtrack untermalen könnte. Viel Aaahaaahaaa und viel Ooohooohooo. Ganz ehrlich: Würden SABATON über Drachen und Elfen singen, es würde weniger weh tun. Aber hier geht es um einen Krieg, dem mehr als neun Millionen Menschen zum Opfer fielen. So will sich die gute Laune einfach nicht einstellen: natürlich nicht. Dass die reichlich vorhandenen Sprechpassagen auf diesem Album im Märchenerzähler-Duktus daher kommen, mit viel Effekten angereichert: Wind und Kanonen und Regen und unheimliche Sound-Effekte, ist da auch nicht gerade förderlich.

Bei SABATON kennt der Krieg nur Gewinner

Es tut mir ja Leid. Denn wie gesagt: Eigentlich knüpfen SABATON hier wieder an alte, ehemals lieb gewonnene Tugenden an. Die Gitarren sind weit bissiger als auf den letzten Alben. Die Songs sind mal treibend, mal heroisch stampfend. Und es gibt Ansätze, die eigentlich interessant sind, gutes Storytelling versprechen würden:

Der bereits erwähnte Song “The Unkillable Soldier” ist dem “unverwüstlichen” Sir Adrian Carton De Wiart gewidmet, einem britischen Generalleutnant. Spannende Sache: ein Soldat, „der Schüsse in sein linkes Auge, seinen Schädel, seine Hüfte, sein Bein, seinen Magen, seinen Knöchel und sein Ohr sowie zahlreiche Flugzeugabstürze überlebte und dennoch weiterkämpfte“, so verrät der Pressetext zu vorliegendem Album. Ein Kriegsheld, zu dessen Biographie Winston Churchill das Vorwort schrieb. Aber genau DAS ist ein Problem bei SABATON: es gibt der Kriegshelden-Geschichten zu viele. Die mutigen Kämpfer, die siegreich aus der Schlacht hervorgehen. Als gäbe es nicht die unschuldigen Opfer, die Hoffnungslosigkeit, die massenhafte Vernichtung. Bei SABATON hat der Krieg fast immer ein Happy End. Kein Wunder, dass sie viel Euphorie verbreiten. Das ist nicht nur einseitig: Es ist im Zweifel historisch falsch, glorifizierend.

Ähnlich “Lady of the Dark” – Milunka Savić gewidmet, eine serbische Frau, die den Platz ihres Bruders in der Armee einnahm und als Mann verkleidet zu einem der höchstdekorierten Soldaten des Ersten Weltkrieges wurde. Eine beeindruckende Lebensgeschichte: Die SABATON in einen eingängigen, stampfenden Metal-Song mit einprägsamem Refrain übersetzen. In den besten Momenten laden die Schweden dazu ein, sich mit historischen Personen zu beschäftigen, tatsächlich außergewöhnliche Biographien aufzuspüren. Savić lebte in Zeiten des real existierenden Sozialismus Jugoslawiens in Armut, verdiente sich etwas als Putzfrau hinzu. Erst auf öffentlichen Druck hin wurde ihr eine auskömmliche Rente zuerkannt. Heute sind in Serbien Straßen nach ihr benannt, wurde ihr ein Denkmal gebaut: Ihr Erbe wird von Nationalisten missbraucht und beansprucht. All diese Brüche und Widersprüche finden bei SABATON nicht statt. Im Zweifel kennt der Krieg nur Gewinner. Selbst wenn die Protagonisten grausam sterben, ist ihnen immer noch der Status als Legende sicher.

Und da wären wir wieder beim Ausgangsthema: Hier herrscht fast ausschließlich Heroismus vor, hier fehlen zu oft die Nuancen. Hier wird gar zu fröhlich und optimistisch der Krieg thematisiert. Am ehesten fällt da noch die Ballade „Christmas Truce“ aus dem Rahmen: Sie thematisiert, wie die verfeindeten Soldaten der Kriegsparteien an Heiligabend 1914 das Kriegbeil begruben, Deutsche und Briten gemeinsam feierten, Fußball spielten und sich beglückwünschten: nur, um am nächsten Tag wieder einander abzuschlachten. Obwohl wahnsinnig kitschig, ist der Song doch auch berührend: und kommt am ehesten einer Antikriegshymne nahe. „And today we’re all brothers/ Tonight we’re all friends/ A moment of peace in a war that never ends/ Today we’re all brothers/ We drink and unite/ Now Christmas has arrived and the snow turns the ground white“, singt Brodén. Das hat was. Ein bittersüßer Song. Auch die Single “Soldier of Heaven” klingt düster und getragen. Ein Highlight des Albums.

Aber dann wieder: Heroismus, Pathos, fröhliche Schlacht-Hymnen mit Kindergeburtstag-Feeling. Dabei ist auch nicht gerade behilflich, dass SABATON ihre sehr ernsten Themen gern mal ins „Reim dich oder ich fress dich“-Schema packen. Da reimt sich „Madness“ auf „Sadness“. „Never die!“ auf „Shot through the Eye“, „Fire“ auf „Wire“. Das hat im Zweifel weit mehr Sorgfalt verdient. “Haus” auf “Maus”? Ich tue mich gerade sehr schwer damit, mir dieses Album in Zeiten eines realen Krieges freiwillig anzuhören.

Fazit: Fans der Band werden wohlwollend honorieren, dass SABATON zu alten Tugenden zurückgefunden haben, spannende Biographien ausgraben und Hits vom Stapel lassen. Kritiker und Hasser werden sich in vielen Vorurteilen bestätigt finden: wohl nicht zu Unrecht. Zu sorglos werden hier ernste Themen in fröhliche Mitgröl-Hymnen übersetzt. Ich wette, dass SABATON dennoch wieder die Spitze der Charts erobern werden. Im Zweifel, weil es der hungrigen Crowd nach langer Corona-Abstinenz wieder nach “Wacken”-Momenten dürstet. Die sie ohne Zweifel bedienen können. Und ich warte schon auf den – fragwürdigen – Einwand, dass die tapfer kämpfenden Ukrainer die euphorisierenden Schlachthymnen der Schweden auch zur Motivation in einem schier aussichtslosen Kampf hören könnten.

PS: Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Band auf Instagram auch zum Ukraine-Krieg geäußert hat. In durchaus mahnender, pazifistischer Weise: „Unser kommendes Album THE WAR TO END ALL WARS handelt von einem Konflikt, der vor über einem Jahrhundert endete. Und wir sind zutiefst betrübt, dass die Menschheit nun die Fehler vergangener Generationen wiederholt. Im Lauf der Geschichte gab es mehr als genug Blutvergießen.

Wir brauchen nicht noch mehr.

Veröffentlichungstermin: 04.03.2022

Line-Up:
Joakim Brodén | Gesang, Keyboard
Pär Sundström | E-Bass
Chris Rörland | Gitarre
Tommy Johansson | Gitarre
Hannes Van Dahl | Schlagzeug

Label: Nuclear Blast Records

SABATON “The War To End All Wars” Tracklist

1. Sarajevo 4:37
2. Stormtroopers 3:56
3. Dreadnought 5:18
4. The Unkillable Soldier 4:27 (Video bei Youtube)
5. Soldier of Heaven 4:21 (Video bei Youtube)
6. Hellfighters 3:56
7. Race to the Sea 3:55
8. Lady of the Dark 3:42
9. The Valley of Death 4:35
10. Christmas Truce 5:29 (Video bei Youtube)
11. Versailles 4:14

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