Ich geb es ja zu: seit zwanzig Jahren im Musikgeschäft, mittlerweile sechzehn Alben aufgenommen, aber RAY WILSON hab ich erst mit dem letzten CD/DVD-Set GENESIS vs. STILTSKIN und da vor allem dem neuen STILTSKIN-Album Unfulfillment wirklich für mich entdeckt. Ok, damals, 1997 auch mal kurz mit seinem einzigen GENESIS-Album Calling All Stations, das dann aber sehr bald den Typen beglückte, der mein geliebtes Autoradio aus meinem noch mehr geliebten Opel Ascona geklaut hatte. Geschichten, die das Leben schreibt, und die Songs und Geschichten des RAY WILSON begleiten mich seit fast zwei Jahren wie keine anderen. Nach tollen Livekonzerten war die Freude auf das neue Album groß, diesmal wieder unter dem Solo-Banner, obwohl auch hier auf Chasing Rainbows reichlich STILTSKIN vorhanden ist.
Ok, die wirklich rockigen Klänge von STILTSKIN gibt es hier nicht, im Gegenteil, Chasing Rainbows ist locker, entspannt und oft auch mal nachdenklich, Musik zum Zuhören und Genießen. Keine Ahnung, ob Herr Wilson mein Lebensmotto kennt: stay slow! Das Leben ist so schnell und emotionslos geworden, da muss man einfach mal die Bremse ziehen, um nicht unterzugehen und zu sich selbst zurück zu finden. Auch wenn der Opener Take It Slow textlich in eine andere Richtung zielt, Herr Wilson weiß garantiert, was ich meine. Und der Song eignet sich als Auftakt perfekt, einen zurück auf den Boden zu holen, den Stress und Erwartungsdrang um einen herum zu vergessen. Einfach mal das Tempo rausnehmen aus dem Leben, mit dem Song klappt das sofort. Schnell präsentier sich auch ein neuer Gast, einige Songs werden vom Saxophon von Marcin Kajper aufgepeppt. Das kann leicht danebengehen, Beispiele gibt es genug, hier auf diesem Album fügt es sich stimmig ein, wirkt nie überladen oder kitschig, fügt sich passend in die Songs ein, um im richtigen Moment auch mal herauszubrechen. Eine gute Idee und ein willkommener neuer Farbtupfer im Sound von RAY WILSON. Die erste Single Easier That Way hat den typischen Groove, den man vom letzten STILTSKIN-Album kennt, ebenso der überaus eingängige Titelsong. Shouting In My Sleep hat diesen schwebenden Flow, bei dem WILSONs vielleicht kleinster großer Fan, genauer eine Hälfte meiner Twins Of Doom, wie schon bei seinen früheren Lieblingsliedern seine Arme ausbreitet und sich mit verträumten Blick tanzend im Kreis dreht. Ebenso beim folgenden, nachdenklichen Wait For Better Days, klar, da macht Papa gern mit. Wieder der vertraute, pumpende Groove bei She Don´t Feel So Loved mit fast poppigem Refrain, dass die STILTSKIN-Kollegen Ashley und Lawrie Macmillan oft zu hören sind, daran besteht kein Zweifel, vor allem das typische Bassspiel erkennt man sofort. Da lohnt es sich, allein dabei mal genauer hinzuhören. Mehr STILTSKIN gibt es immer wieder durch die fantastische Gitarrenarbeit von Ali Ferguson, das entrückte Rhianne schmückt er auch mit seiner hellen Stimme, der Song hätte etwas minimiert genauso auch auf seinem tollen 2011er Soloalbum The Windmills And The Stars stehen können.
Wie schön das Leben doch sein kann, zeigt das sehr simple, fröhliche She´s A Queen, das akustisch mit viel Hippieflair daher kommt und eine unbeschwerte Leichtigkeit mit sich bringt. Die betont auch das Video zum Song, so einfach, ganz ohne Schnickschnack, und mit kleinen Bildern eine klare Aussage, die so mache Kinoproduktion gern hätte. Wie einfach ist es, wildfremden Menschen mit einem kleinen unerwarteten Lächeln oder einer netten Geste Freude zu breiten. Einfach mal dem gestressten Businessschnösel im fetten BMW nebenan an der Ampel ein freundliches Lächeln schenken, der klapprigen Oma oder gern auch der jungen Lady die Tür aufhalten (die erwartet das am wenigsten!), der Dame im Rollstuhl im Supermarkt die unerreichbaren Kekse aus dem Regal geben, es ist so einfach – und kommt tausendfach zurück! RAY WILSON, optisch ja eher der raue Typ, hat das anscheinend verstanden, das Video schaut man sich gerne an. Gute Laune verbreitet auch das kurze Whatever Happened, dass mich immer wieder an die 70er Rocker SMOKIE erinnert, und das ist absolut positiv gemeint. Die waren richtig gut und hatten auf den Alben und Single-B-Seiten richtig starke Rocksongs fernab der Tralala-Hits. Kann man gern mal wieder rein hören! Auch hier auf Chasing Rainbows laden die letzten Songs dann zu genauer hinhören ein, sind eher nachdenklich mit Tiefgang. Allein wieder das Violinenspiel der entzückenden Polinnen Alicja und Barbara, das viele der Songs schmückt, lässt beim sperrigen I See It All den Kopfhörer raus kramen, damit einem nichts entgeht. Da kommt auch das melancholische The Life Of Someone richtig gut, wie auch der sehr schwermütige Schlusstrack. Hier kommt ein Hauch Prog-Rock-Atmosphäre auf, vielleicht etwas PINK FLOYD, und irgendwie schließt No Dreams Are Made Of This einen Kreis zum Opener Take It Slow.
Das neue Album scheint alles stimmig zu vereinen, was RAY WILSON seit Jahren ausmacht, abgesehen vielleicht von der ganz rockigen Seite STILTSKINS. Vielleicht auch, weil Rays´s bisheriger Sidekick Uwe Metzler hier nicht vertreten ist, der die letzten beiden STILTSKIN-Alben mit geprägt hat. Hier auf Chasing Rainbows hat WILSON, abgesehen vom allein geschriebenen Whatever Happened, die Songs gemeinsam mit Peter Hoff erarbeitet. Auffällig ist auch, wie durchdacht die Gesangslinien sind. Hier hat man sich deutlich bemüht, neue Wege zu erkunden. Auch als Weltklassesänger kann man sich immer weiterentwickeln, wenn man mit Leidenschaft Musiker ist, das wird hier schnell klar. Dass er seinen Bandkollegen so viel Raum gewährt, spricht für das gute Verhältnis im Hause WILSON. Auch Keyboarder/Pianist Darek Tarczewski ist zu hören, alle Beteiligten sind alte oder neuere Bekannte, wenn man RAY WILSON kennt. Wer ihn kennt, der weiß auch, dass es persönliche Texte gibt, die man mitfühlen und mitleben kann, alles wirkt vertraut, wie aus dem eigenen Leben. Yogi Lang von den Münchner Proggies RPWL hat dem Album einen stimmigen Mix verpasst, der den Songs eine wohlige Wärme und Vertrautheit verpasst und doch genug Raum lässt für die einzelnen Instrumente und natürlich die Stimme des Hausherrn. Der bietet alles, was man sich als Fan wünscht, lässt aber vieles offen und zeigt damit, dass er immer noch auf der Reise ist und sicher noch reichlich neue Ideen aus seinem rührigen Leben als echter Rockmusiker mitbringen wird. Bleibt zu hoffen, dass RAY WILSON diese Reise nie beenden wird, als Großverdiener könnte er heute bequem ein paar Festivalshows abliefern und ansonsten das große Leben genießen. Aber das schein zum Glück nicht sein Ding zu sein, er zieht mit seinen tollen Musikern lieber durch die Clubs und lebt seine Musik. So lässt er auch auf dem Cover den Zuhörer allein mit seinen Gedanken zurück, die kleine Bühne in einem schummrigen, intimen Pub ist leer, RAY WILSON schon wieder on the Road und auf der Suche nach neuen musikalischen Abenteuern.
Manche Leute drücken dem neuen Sound von RAY WILSON einen Pop-Stempel auf, er selbst findet einige TOM PETTY-Elemente, aber in erster Linie ist das hier ein echtes RAY WILSON-Album, das jeden Fan begeistern wird und genug Neuerungen bietet, damit nicht nur die ihren Helden wieder und neu für sich entdecken können. Bei mir hat´s funktioniert, bei meinen Twins Of Doom auch, echte Geschmacksmenschen sollten unbedingt zugreifen.
Veröffentlichungstermin: 19.04.2013
Spielzeit: 53:25 Min.
Line-Up:
Ray Wilson – Vocals, Acoustic-Guitar
Ali Ferguson – Lead-Guitar, Backing-Vocals, Lead-Vocals (7)
Steve Wilson – Acoustic-Guitars, Backing-Vocals
Darek Tarczewski – Piano, Keyboards
Lawrie MacMillan – Bass, Backing-Vocals
Ashley MacMillan – Drums
Alicja Chrzaszcz – Violine
Barbara Szelagiewicz – Violine
Sebastian Schlecht – Viola
Philipp Thimm – Cello
Marcin Kajper – Saxofon
Marie Claire Schlameus – Cello (11)
Mara Simpson – Vocals (9)
Peter Hoff – Keyboards, Programming
Label: Jaggy D/Soulfood
Homepage: http://www.raywilson.net
Mehr im Netz: http://www.facebook.com/ray.wilson.773981
Tracklist:
1. Take It Slow
2. Easier That Way
3. Follow The Lie
4. Shouting In My Sleep
5. Wait For Better Days
6. She Don´t Feel So Loved
7. Rhianne
8. She´s A Queen
9. Whatever Happened
10. I See It All
11. The Life Of Someone
12. No Dreams Are Made Of This