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PAYSAGE D’HIVER: Die Berge

Ein letzter Ausflug in die erbarmungslos-lebensfeindliche Welt abseits der beliebten Schweizer Postkartenmotive? So oder so, PAYSAGE D’HIVER legen mit „Die Berge“ ein breites, episches Panorama an, an dem sich künftig das gesamte Subgenre des Raw Black Metal messen muss.

Dass die Bergwelt erbarmungsloser und lebensfeindlicher ist, als so ein verschneiter Winterwald, ist jetzt nicht die große Neuigkeit. Wintherrs Projekt PAYSAGE D’HIVER, das nach einem eher missglückten Black and Roll-Ausflug in die jenseitige Welt mit „Geister“ wieder den Winter als solchen huldigen, lassen den zweistündigen Ausflug ihres bisherigen Referenzwerkes „Im Wald“ mit „Die Berge“ fast schon wie ein Spaziergang anmuten. Die lebensfeindliche Welt der schroffen, verschneiten Berggipfel, die kargen Felsen, der schneidende Wind auf den spitzen Gipfeln, das vertont „Die Berge“ – und bettet den Protagonisten, den Wanderer, den PAYSAGE D’HIVER nun zum vierzehnten Mal durch den Winter geleiten, zur Ruhe.

„Die Berge“ sind wie eine Reise, auf der wir uns selbst verändern. Angekommen in der tristen, dunklen Welt zwischen den Gipfeln, agieren PAYSAGE D’HIVER zunächst noch vollkommen abweisend. Als wäre man zu „Urgrund“ in diesem lebensfeindlichen Kosmos gestrandet, überrollen die sich stoisch wiederholenden Riffs, die monotonen Rhythmen zwischen Blast Beats und Midtempo-Double Bass und Gesang, der selbst wie eine Gerölllawine klingt, die Rezipienten. Bei diesem Auftakt beginnen die Grenzen zwischen PAYSAGE D’HIVER und Wintherrs zweitem Spielfeld DARKSPACE zu verschwimmen, und es bleibt doch geerdet. „Urgrund“ wird auf knapp 20 Minuten gestreckt, doch Hörer*innen von PAYSAGE D’HIVER wissen, dass die sich ausdehnende Zeit ein Stilmittel der Band ist. Hektischer und nervöser, und ebenso auslaugend wie meditativ ist „Verinnerlichung“, das dank der Vocals und den Synthesizern, wieder mehr zum Urkern des Projektes zurückkehrt.

Repetition, die Trance erzeugt: Durch die ausufernde Länge von „Die Berge“ erzeugen PAYSAGE D’HIVER die maximale Wirkung.

„Die Berge“ beginnen darauf, die Hörer*innen zu annektieren – das wird ab der halbstündigen Trilogie „Transzendenz“ deutlich: PAYSAGE D’HIVER nutzen den harten Aufschlag der ersten beiden Stücke des Albums, um die Basis zu schaffen, in diesem Szenario aufzugehen. Durch das repetitive Element, das der Schweizer in „Transzendenz“ so effektiv nutzt, wie kaum ein anderer Künstler in diesem Genre, reicht das Album den Hörer*innen sozusagen die Hand, vereinnahmt das Publikum und zieht es so endgültig in diese Welt. Hier beginnt die Transformation: Frieden kehrt ein, da sich die Barriere zwischen dem Protagonisten und der lebensfeindlichen Umgebung aufzulösen beginnt. „Transzendenz III“ fährt die Gitarren zurück, lässt Field Recordings fast gleichberechtigt erscheinen und hat einen schleppenden Rhythmus, als Antithese zum ersten Teil der Trilogie. Hier liegt vielleicht der Schlüssel zu PAYSAGE D’HIVER in den 2020ern: „Im Wald“ ist das Album, um zu sich zu finden, auf einer Pilgerschaft durch den Schnee, „Die Berge“ ist das Werk, das einlädt, das Selbst aufzugeben und um Ursprung zurückzukehren.

Der Wanderer, den PAYSAGE D’HIVER auf einen Zen-artigen Marsch schickten, wandelt tatsächlich auf einem Weg der Spiritualität: Diese immer wiederkehrende Kontinuität der Musik, der einzelnen Themen in den Songs, das gleicht einer Pilgerreise. Das Zenkloster ist in diesem Fall „Die Berge“ selbst. Somit ist diese gnadenlose Überlänge Trance und Mediation in einem. Und die ist auf ein Ziel ausgerichtet, denn nach der transzendenten Vereinigung mit der Natur, der Bergwelt folgt das Ende: „Ausstieg“ bringt rasend die schmerzende Kälte zurück und findet nach und nach zu einem Frieden machenden Ende, deckt dabei fast nebenbei das gesamte Spektrum des Albums ab. Am Ende erklimmen die Hörer*innen und ihr Alter Ego den „Gipfel“, das mit extrem epischen, vergleichsweise verspielten Riffs im langsamen Tempo wie ein Nachhall „Die Berge“ ausklingen lässt.

„Im Wald“ war das Album, um zu sich selbst zu finden, läutet „Die Berge“ PAYSAGE D’HIVERs Dissoziation des Selbst ein.

War „Im Wald“ ein Album, dessen zahlreichen Facetten für relative Kurzweil sorgten, geht „Die Berge“ einen anderen Weg – es könnte auch aus nur einem einzigen, 102minütigen Riff bestehen, und würde auch funktionieren. Es sind schlicht sieben Stücke, die im Schnitt länger als 15 Minuten dauern, dabei aber nur aus vergleichsweise wenigen Teilen und viel mehr auf dem Aufbauen und Variieren von Ideen bestehen, denn auf komplexen Songstrukturen. PAYSAGE D’HIVER lassen ihren Klangkosmos auf der Liebe zum Lo-Fi fußen, mit einem gewaltigen Gitarrensound, der roh und doch natürlich voluminös ist und eine Lärmwand aufbaut, unter der Gesang, Synthesizer und Drums eingewoben werden, wie unter einer Schneedecke – hier versteckt sich die Komplexität von „Die Berge“. Und dieses Sounddesign über so viele Jahre hinweg stets weiter zu verfeinern zeugt vom Können PAYSAGE D’HIVERs.

Unter den abertausenden Raw Black Metal-Bands gibt es keine, die dieses Genre so perfekt bespielt wie PAYSAGE D’HIVER. Und gerade wegen der stilistischen Limitierung schafft es Wintherr, dass dieses Album wie eine Reise klingt und mehr Facetten bereithält, als man meinen möchte; irgendwie kommt das der Quadratur des Kreises beängstigend nahe. „Die Berge“ ist ein majestätisches Stück Black Metal – vielleicht das Majestätischste seit Jahren –, rein und pur, gesegnet mit der ultimativen Repetition. So funktioniert es, dieses Genre mit Leidenschaft und Detailverliebtheit relevant zu halten, auch wenn es oberflächlich betrachtet nur sich endlos wiederholendes Gesäge ist. Aber die, die im Schneesturm lieber in der kuscheligen Hütte bleiben, statt einen Berg zu erklimmen, dürfen getrost an der Oberfläche bleiben, sie werden diese Faszination nur schwer nachvollziehen können. Wer dieser Form von Musik indes etwas abgewinnen kann, kann gar nicht umhin als zu anzuerkennen, dass „Die Berge“, sollte dies tatsächlich PAYSAGE D’HIVERs letztes Album gewesen sein, einen würdigen Abschied darstellt.

Wertung: 6,5 von 7 Arasensuis

VÖ: 8. November 2024

Spielzeit: 102:56

Line-Up:
Wintherr

Label: Kunsthall Produktionen

PAYSAGE D’HIVER „Die Berge“ Tracklist:

1. Urgrund (Official Audio bei Youtube)
2. Verinnerlichung (Official Audio bei Youtube)
3. Transzendenz I
4. Transzendenz II
5. Transzendenz III
6. Ausstieg
7. Gipfel

PAYSAGE D’HIVER „Die Berge“ Full Album Stream bei Youtube

Mehr im Netz:

https://paysagedhiver.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/PaysagedHiver.Official/

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