blank

PARADISE LOST: At The Mill

PARADISE LOST covern PARADISE LOST – und verschrecken damit jetzt vielleicht sogar die loyalsten Fans. „At The Mill“ ist der Mitschnitt des Live-Streams vom Herbst 2020, der nun auch in verschiedenen Formaten wie DVD, CD oder LP (wieder)veröffentlicht wurde.

Was habe ich dieser Band nicht schon alles vergeben: Ausflüge in die Popmusik – die sich für die Band übrigens überhaupt nicht auszahlten. Glaubt man der offiziellen Bandbiografie „No Celebration“, so war das Album „Host“ ein finanzielles Fiasko. Desaströse Live-Auftritte. Nicht einmal Greg Macintoshs Ausführungen Mitte der Neunziger, er sei kein Heavy Metal-Fan und das auch nie gewesen, kann ich nachvollziehen – entscheidend dabei ist schließlich, wie und über welche Bands man „Heavy Metal“ definiert. Sogar mit der Liveplatte “Symphony Of The Lost”, die das 2015er Konzert mit Chor und Orchester im bulgarischen Plovdiv zeigt, kann ich mich anfreunden – weil unübersehbar ist, dass sich an diesem Abend für Macintosh ein Traum erfüllt hat. Und das wiegt meine Vorbehalte gegenüber diesen ganzen sinnlos aufgeblasenen Musical-Versionen von an sich schon perfekten Songs auf.

Warum verzeiht man PARADISE LOST IMMER wieder?

Auf der anderen Seite haben PARADISE LOST mit „Gothic“ einen ganzen Metalgenre einen Namen gegeben – und es geprägt, wenn nicht gar erfunden. Greg Mackintosh hat einen ganz eigenen, seltsam dissonanten und wehmütigen Stil Gitarre zu spielen, den man unter Tausenden sofort erkennt. Auch der größte Skeptiker sollte zugeben können, dass PARADISE LOST mehr als einen Klassiker geschrieben haben. Alben wie „The Plague Within“ (2015) oder „Medusa“ (2017) und „Obsidian“ (2019), Greg Mackintoshs Bands VALLENFYRE und STRIGOI sowie Nick Holmes Beitrag zu BLOODBATH beweisen außerdem, dass PARADISE LOST bis heute umsetzten können, was sie einst so besonders machte, wenn sie wollen.

Wie seelenlos kann ein Live-Album sein?

Und jetzt veröffentlichen die Briten diesen Mitschnitt. Man könnte sagen, dass „At The Mill“ komplett ungeschönt ist, authentisch und mit Sicherheit nicht nachbearbeitet. Auf der anderen Seite gibt es so viele Momente auf diesem Album, die einen zusammenzucken lassen. „Shadowking“ zum Beispiel: Von Schlägen auf die Snare kann man kaum sprechen, so klingt ein Drumstick, der ganz sachte aus dem Handgelenk auf das Fell plumpst. Aber wir sind hier nicht beim Jazz, wo man Drums streichelt. Das ist verdammt nochmal „Shadowkings“!

Schaurig, nicht schön: Nick Holmes klarer Gesang

Nick Holmes Klargesang kann einem Schauer über den Rücken jagen. Wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, vergreift er sich nochmals im Ton. Zugutehalten muss man ihm aber seine Growls, die sind absolut überzeugend und retten so manchen Moment auf „At The Mill“.  Dafür hapert es an anderen Stellen: „Gothic“ ist dermaßen klinisch und lieblos umarrangiert, dass es wehtut: Wo im Original eine sehr zarte und sehr zerbrechliche Frauenstimme Holmes Growls noch finsterer wirken lässt, wähnt man sich bei dieser Version kurzzeitig in der Oper. Technisch ist der Gesang der Dame einwandfrei, aber eben auch seelenlos. Dazu gibt’s eine klassische Orchestrierung aus der Konserve, die reichlich blechern klingt.

Können Konzerte ohne Publikum überhaupt funktionieren?

Die Songauswahl führt in gut 75 Minuten einmal durch die PARADISE LOST-Diskografie und zeigt eindrucksvoll, wie vielseitig und wandelbar diese Band ist – und was für ein grandioser Gitarrist und Songwriter Greg Mackintosh ist. Vielleicht dokumentiert „At The Mill“ aber einfach auch nur, dass auch gestandene Musiker wie PARADISE LOST Publikum, direkte Reaktionen und Konzertatmosphäre brauchen, um ihre Songs auf einer Bühne umsetzen zu können. Ich gönne Musikern in diesen Zeiten jeden Cent, den sie einnehmen. Aber vielleicht sollte man sich statt „At The Mill“ lieber ein Bandshirt kaufen. Daran hat man mehr Freude.

VÖ: 16. Juli 2021

Label: Nuclear Blast

Spielzeit: 1h 14 min

Besetzung:
Nick Holmes – Gesang
Greg Mackintosh – Gitarre
Aaron Aedy – Gitarre
Steve Edmondson – Bass
Waltteri Väyrynen – Schlagzeug

PARADISE LOST “At The Mill” Tracklist

Widow (Live)
Fall From Grace (Live)
Blood And Chaos (Live)
Faith Divides Us – Death Unites Us (Live)
Gothic (Live)
Shadowkings (Live)
One Second (Live) (Video bei YouTube)
Ghosts (Live)
The Enemy (Live)
As I Die (Live)
Requiem (Live)
No Hope In Sight (Live)
Embers Fire (Live)
Beneath Broken Earth (Live)
So Much Is Lost (Live)
Darker Thoughts (Live) (Video bei YouTube)

Mehr im Netz:
paradiselost.co.uk
facebook.com/paradiselostofficial

 

 

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner