Letztes Jahr war es, am 14.04.2023, da durfte ich NEÀNDER im Cassiopeia Berlin erstmalig live erleben. Waren mir die vier Berliner Jungs bis dahin allenfalls namentlich ein Begriff, so habe ich mich allerdings bis zum besagten Tag im April noch nicht ernsthaft mit ihrem Wirken beschäftigt. Kaum dass das Quartett also vor eineinhalb die ersten Töne in diesem kleinen Club angespielt hat, haben sie mit mir prompt einen Fan dazugewonnen. Seither begleitet mich die Musik immer wieder und überall. So konnte ich das Erscheinen ihres dritten Albums “III” kaum abwarten.
NEÀNDER, das sind Jan Korbach (Gitarre), Michael Zolkiewicz (Gitarre), Patrick Zahn (auch Gitarre) und früher Sebastian Grimberg, neuerdings Flo Häuser (Drums). Eigentlich mehr aus diversen Jam-Sessions von Jan und Sebastian heraus entstanden, formte sich 2017 aus einem Wust an Ideen heraus die Band. Rein instrumental.
„Es hat sich für uns vollständig angefühlt. Ohne Gesang sind wir freier, wir können machen, was wir wollen.“ So sagt Jan Korbach.
2018 ließen sie dann ihr erstes, selbstbetiteltes Album auf die Szene los, wofür sie überwiegend positives Feedback bekamen. Einst noch rauer (Black Metal-Einflüsse waren gut erkennbar), entwickelte sich der Stil von NEÀNDER binnen der folgenden zwei Veröffentlichungen, 2019 „Mãlven“ als EP und 2020 „Eremit“ als zweites Album, immer weiter. Nun sind wir mit dem aktuellen Full-Length namens “III” am Ende einer Reise angekommen. Oder doch erst am Anfang?
Stilistisch lässt sich das Schaffen nur schwer definieren. NEÀNDER passen in keine Schublade und beschreiben sie sich selbst als sie auf sinnvolle Weise keinem Genre zuzuordnen sind.
Ihre Musik vereint Einflüsse aus Postrock, Grunge, Metal, Prog, Ambient und sogar Pop, bleibt dabei jedoch unverkennbar eigenständig. Ihr neuer Longplayer, „III“, lässt sich am besten als eine Vorstellung beschreiben, in der Künstler wie GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR, PRONG, MOGWAI, BLACK SABBATH, ENNIO MORRICONE, PINK FLOYD, FAITH NO MORE und VENOM im Jahr 2024 gemeinsam eine Session spielen.
Meine persönlichen Erwartungen waren groß. Gespannt wie’n Kind zu Weihnachten fieberte ich dem 08. November 2024 entgegen. Kaum erhältlich habe ich mir das Werk selbstredend zu Gemüte geführt und war von Beginn an einfach nur überwältig.
Das Album beginnt mit dem Geräusch einer zuschlagenden Autotür, gefolgt von einem leisen Rauschen – Titel 1 “Hiatus (Fragment 1)”. Man könnte meinen, man stünde am Beginn einer Reise. Es folgt übergangslos der Titel “Ultra”, eingeleitet durch ein kurzes aber sehr intensives Piano, gespielt von Konrad Betcher (MINNEAPOLIS), welches von den Streichern von Judith Retzlik begleitet wird. Doch dann, urplötzlich, wird das Klavier vom Druck der Gitarrenwände abgelöst. Tongewordene Wogen aus purer Energie rollen über den Hörer herein. Ähnlich den Wellen am Sandstrand ziehen sich auch die kraftvoll eingespielten Gitarren immer wieder zurück, um wunderbaren Harmonien Platz zu machen, nur um anschließend wieder über einen hereinzubrechen. Es ist dieses Spiel aus Dynamik und hinreißenden Melodien, welches den Song so ungemein fesselnd und verträumt erscheinen lässt. Schließt man die Augen, malt die Musik Bilder vor das innere Auge. Einfach wunderschön.
Ein wenig grooviger geht’s hingegen beim dritten Titel “Krater” einher. Fast schon hypnotisch verträumt gelingt es den drei Gitarren (btw. gibt’s bei NEÀNDER keinen Bass) nebst Schlagzeug, dass man sich gänzlich fallen lassen möchte. Zwar schaffen es die tief gespielten Klampfen, dass der Song zeitweise drückt, aber Schwere ist nirgends erkennbar. Bei “Achse” wird der Zuhörer kurz (wirklich kurz, bei einer Spiellänge von 1:26) von den dahinplätschernden Gitarren emporgehoben. Kennt man von der Band auch erdrückend tiefe, teilweise doominge E-Gitarren, so schwelgt man hier, bedingt durch die Leichtigkeit, in einer ganz eigenen Welt. Den krassen Kontrast hierzu bildet anschließend “Staub”. Unbarmherzig donnern die Musiker mit ihren Instrumenten von 0 auf 100 drauf los. Allerdings ist das Stück nicht unnötig hart komponiert, sondern vielmehr ausdrucksstark. Und auch hier ist eine faszinierend schöne Grundmelodie permanent präsent.
Im Titel “In Zungen (Fragment II)” ist nichts als reines Meeresrauschen zu hören. Der Klang der Brandung. Die Field Recordings auf “III” wurden von den Bandmitgliedern übrigens selbst aufgenommen. Dem Rauschen der Wellen folgt der Track “Schwarzer Sand”. Auch hier wird, mit gedrosseltem Tempo, akustisch gemalt. Tatsächlich entstand in meinem Kopf beim ersten Anhören des Liedes ein Bild von Sommer, Sandstrand, Sonnenuntergang – alles in warme gelbe und rote Farben gehüllt. »Unsere Songs sind wie Vehikel, die uns an neue Orte und Plätze bringen. Indem wir sie spielen, treten wir mit anderen, völlig fremden Menschen in Verbindung.« So Michael Zolkiewicz.
Den Closer der Platte bildet “Meteor 7”. Der 8. und damit letzte Track von „III“ steigt mit einer beinahe kratzigen Gitarre ein, die mich schon fast an ein Black Metal-Intro erinnern. Nach einer anschließenden wirklich schweren Gitarrenwand bestehend aus allem, was NEÀNDER instrumental aufbieten können, wird wieder Platz für eine himmlische, einen an weite Ferne denken lassende, Melodie gemacht. Sich stets mit den Salven der schwereren Klampfen abwechselnd wirkt der Titel, so wie schon „Ultra“ zu Beginn des Albums, wie die Wogen des Meeres, die sich zum vermeintlichen Ende hin endgültig zurückziehen und erneut einem Klaviersolo Platz machen.
Es folgt eine lange, bedächtige Stille. Aber der Song läuft noch…hidden Track! Nach über fünf Minuten andächtigen Schweigens donnern Gitarren und Schlagzeug erneut drauf los. Fast schon doomig drücken diese Klänge auch das letzte bisschen Romantik aus den Köpfen der Zuhörer. Begleitet von einer langsam vorgetragenen Rede (ja, es gibt tatsächlich eine Stimme auf dem ansonsten ganz ohne Gesang auskommenden Werk), wird so ein fulminantes, nicht zu softes, Finale geschaffen.
Und das war’s dann auch schon. Nach bereits 35 Minuten kommt “III” zum raschen Ende.
„Reduktion war so wichtig wie nie zuvor“, sagt Korbach. „Wo wir früher eine Passage endlos ausgespielt hätten, haben wir uns dieses Mal auf das Wesentliche beschränkt.“
Und das hört man auch. Selten habe ich in den letzten Jahren ein so fokussiertes, aufgeräumtes und somit stringentes Album gehört. Die Hörerfahrung lässt sich am besten mit ‘extrem intensiv’ beschreiben.
Wer einen ersten Eindruck von “III” haben möchte, dem sei das Musikvideo zu “Ultra” empfohlen.
VÖ: 08. November 2024
Spielzeit: 35:00
Jan Korbach: Gitarre
Michael Zolkiewicz: Gitarre
Patrick Zahn: Gitarre
Flo Häuser: Drums
Label: Through Love Records
Vertrieb digital: The Orchard
Vertrieb physisch: Indigo
NEÀNDER „III“ Tracklist:
- Hiatus (Fragment I)
- Ultra
- Krater
- Achse
- Staub
- In Zungen (Fragment II)
- Schwarzer Sand
- Meteor 7
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