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LED ZEPPELIN: Presence – Deluxe Edition [2CD][Re-Release]

Trotz oder gerade wegen seiner Macken und Unklarheiten hat das Album eine ganz eigene Größe und gehört wie alle bisherigen Re-Releases der LED ZEPPELIN-Reihe in jede Sammlung.

Jetzt hat er mich doch erwischt, der sympathische Promomensch. Wo bisher bei zahlreichen Re-Releases von Rockklassikern eher Kramen im Plattenkeller und im eigenen Gedächtnis angesagt war, steh ich bei Presence und In Through The Outdoor nahezu jungfräulich da, die haben es – Klassiker hin oder her – nie in meine Sammlung geschafft. Und das war sicher auch ein hinsichtlich der aktuellen Charterfolge offensichtlich erreichtes Ziel der Re-Release-Reihe der LED ZEPPELIN-Studioalben: Sie alten Fans wieder oder neu ans Herz zu legen und vor allem den jungen Rockern zu präsentieren, die durch die aktuelle Retro Rock-Welle erst auf die alten, echten Helden aufmerksam wurden und werden.

Aber was bitte sollten Rock-Giganten wie LED ZEPPELIN nachliefern, wenn sie gerade ein gefeiertes Doppelalbum veröffentlicht haben wie Physical Graffiti, das alles enthält, wofür die Band steht? Versuchen, das zu toppen? Selbstmord! Ganz was anderes? Wer will das!? Oder sie lassen es einfach laufen und haben – soweit es die Umstände zuließen – Spaß am Rocken. Nach allerlei Quälereien untereinander und mit dem Musikbiz machen LED ZEPPELIN einfach das, was sie am besten können: Rockmusik! Zudem das Album fast scheitern sollte, Sänger ROBERT PLANT hatte im August ´75 auf Rhodos einen schweren Autounfall, die Band schrieb die Songs und Plant musste die Songs unter Schmerzen im Rollstuhl sitzend einsingen. Vielleicht trug das dazu bei, dass die Texte eine recht dunkle Note haben, hauptsächlich geht es um Verluste und Rückschläge. Anfangs denkt man vielleicht zu Recht, dass Plants Stimme merklich nicht so rockig und kraftvoll kommt wie auf den frühen Alben. Bedenkt man, dass er mitten im Genesungsprozess war fernab von Sex & Drugs & Rock`n´Roll und der geliebten Familie, dann gibt das nach erstem Stirnrunzeln eben genau so eine neue Nuance, die gut ins Album passt. Ebenfalls neu, sicher auch mit begründet durch die schwierige Entstehungssituation, war der Verzicht auf Keyboards und Akustikinstrumente, auch stand man mit 18 Tagen unter derben Zeitdruck, die ROLLING STONES hatten das Münchener Studio gebucht und wollten pünktlich loslegen. Hier auf Presence liegt der Fokus daher auf den vier Musikern und ihren Songs in reinster Form. Und das tut den Songs richtig gut!

Das längste Studiolied der Bandgeschichte überhaupt, Achilles Last Stand, kommt zwar weitaus zurückhaltender, als so mancher älterer Bandklassiker, enthält aber wie kein anderer unfassbar viel von dem, was gut vier Jahre später als New Wave Of British Heavy Metal über uns hinweg rollen sollte. Man mag auch Parallelen zu JUDAS PRIEST erkennen, die mit ihrem zweiten Album Sad Wings Of Destiny, welches zeitgleich Ende 1975 entstand und Ende März 1976 veröffentlicht wurde. Ebenso waren die Herren anscheinend von den Nachbarn von UFO beeindruckt. Das Spiel mit hoppelndem Groove, eingängigen Melodien und lauten Ausbrüchen zieht schnell in den Song, man merkt kaum, dass Achilles Last Stand in epischer Länge daher kommt, dazu ist er viel zu spannend. Schnell macht sich die Erkenntnis breit, wie sehr dieser Song die ersten beiden fantastischen IRON MAIDEN-Alben geprägt haben muss, aber auch so viele andere bald durchstartenden Helden der ersten und zweiten NWOBHM-Riege. Sperrig und ausgebremst dagegen For Your Life, die Drogeneskapaden von Herrn Plant aus seiner Zeit in L.A. wurden hier vertont. Fast fremd anmutend hier erstmal der schneidende, klare Klang einer Fender Stratocaster, wo doch sonst immer der cremige Sound einer Gibson Les Paul den Gitarrensound ausmachte. Kurz und knackig und zappelig funky Royal Orleans, sowas entsteht halt, wenn man in New Orleans mit einem Transvestit im Hotel landet und der fackelt mit einem Joint das Hotelzimmer ab. Nobody´s Fault But Mine, wieder sperrig, zappelig, irgendwie uneinig, mit schönem Southern Rock-Style-Solo. Hier mag man auch wieder heraus hören, wie sich Plant durch die Aufnahmen gequält hat mit seinen körperlichen und auch psychischen Problemen. Hört man Candy Store Rock, dann findet man sich fast wieder bei den aktuellen Sachen von ROBERT PLANT, der Oldie würde super live zu seinen THE SENSATIONEL SPACE SHIFTERS passen, ebenso wie das etwas alberne Hots On For Nowhere. Auch wenn der Blues bei den Engländern immer präsent war, mit Tea For One gibt es abschließend knapp 10 Minuten den für mich schönsten, ergreifendsten Slow-Blues der Bandgeschichte, Gänsehaut macht sich breit! Nicht nur Plant hatte mit Heimweh und Sehnsucht nach seiner Familie zu kämpfen, und das wird hier hör- und greifbar.

Mag sein, dass es hier Situationsbedingt die schlechtesten Vocals von ROBERT PLANT gibt, er selbst sieht es definitiv so. Aber er hat das Beste daraus gemacht und verbreitet teils einen unbekannten, neuen Ausdruck in den Vocals, geprägt von Schwäche, Frust und psychischen Problemen. Dem gegenüber steht eine unglaublich cool aufspielende Rhythmussection, Jones und Bonham hatten sich spürbar der Situation ergeben und zaubern fantastische Momente, spielen hier miteinander wie vielleicht nie zuvor. Ein Fest unter dem Kopfhörer! Und Jimmy Page scheint ebenfalls die Freiheit zu genießen, ohne Keyboardgewabbel und Akustikspielereien einfach Rockgitarrist zu sein. Ich persönlich fühlte mich noch nie so eingeladen, mir die Soli richtig anzuhören, die oft nach dem weniger ist mehr-Prinzip genau auf den Punkt kommen. Fast jeder Song für sich hat die Klasse der früheren Meisterwerke, auch wenn immer etwas durchklingt, dass die Band selbst nicht wusste, ob das nun das letzte Album sein wird oder ob man sich aufrafft und weiter macht. Egal ob man Presence erst jetzt für sich entdeckt, es gehört in eine Reihe mit den bisherigen Bandklassikern.

Dass Jimmy Page wie bei den bisherigen Re-Releases mit Feingefühl einen tollen Sound erarbeitet hat, der den Zeitgeist des Albums weiterhin trägt und trotzdem zeitlos und nicht zu modern klingt, steht außer Frage. Dazu gibt es auch wieder eine an die Original-LP angelehnte Aufmachung. Einziger Kritikpunkt bleibt hier der heute leider verbreitete Pappschuber, wo man die CDs nervig rausfummeln muss, was diesen bei regelmäßiger Nutzung nicht wirklich gut tut. Da ist wieder das Eintüten in eine Papierhülle unabwendbar, die man dann noch schlechter aus der Packung kriegt, vielen Dank! Unvermeidbar bleibt wie bei den bisherigen Re-Releases der Griff zur Deluxe-Edition mit einer Companion-CD, welche erste Aufnahmen einiger Songs aus der Recording-Session enthält, natürlich auch von Page passend remastered. Die Unterschiede halten sich im Vergleich zu den Bonustracks der früheren Re-Releases in Grenzen, abgesehen vom Pianobasiertem Instrumental 10 Ribs & All/Carrot Pod Pod und der Frühversion von Royal Orleans. Die ist dann aber mit fettem Augenzwinkern zu sehen, die quäkigen Vocals klingen eher nach Grobi aus der Sesamstraße als nach ROBERT PLANT. Wahrscheinlich hat hier eher einer seiner Kollegen zum Mikro gegriffen, lustig schräg klingt es auf jeden Fall. Mit einer guten halben Stunde ist das Material auch sehr sparsam ausgefallen. Rosinenpopler mögen nun nörgeln, man hätte die Bonus-CD sicher auch mit sicher vorhandenen Live-Schätzen vollstopfen können. Ja, hätte man, ich find die Konsequenz ok, nur Aufnahmen zu verwenden, die in direktem Zusammenhang stehen mit der Entstehung der Alben.

Überraschung, da hab ich mir fast 40 Jahre ein Highlight aus dem LED ZEPPELIN-Katalog entgehen lassen, Schande über mich! Trotz oder gerade wegen seiner Macken und Unklarheiten hat das Album eine ganz eigene Größe, besser spät erkannt als nie! Auch Presence gehört wie alle bisherigen Re-Releases der LED ZEPPELIN-Reihe in jede Sammlung, auch hier trotz mangelnder Must have-Versionen definitiv als Deluxe-2CD-Version.

Veröffentlichungstermin: 31.07.2015

Spielzeit: 44:47 / 31:33 Min.

Line-Up:
Robert Plant – Vocals
Jimmy Page – Guitars
John Paul Jones – Bass
John Bonham – Drums

Produziert von Jimmy Page

Label: Swan Songs/Warner Music

Homepage: http://www.ledzeppelin.com

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/ledzeppelin

Tracklist:
1. Achilles Last Stand
2. For Your Life
3. Royal Orleans
4. Nobody´s Fault But Mine
5. Candy Store Rock
6. Hots On For Nowhere
7. Tea For One

Companion-CD:
1. Two Ones Are Won (Achilles Last Stand – Reference Mix)
2. For Your Life (Reference Mix)
3. 10 Ribs & All/Carrot Pod Pod (Pod) (Reference Mix)
4. Royal Orleans (Reference Mix)
5. Hots On For Nowhere (Reference Mix)

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