Gestern auf einem Konzert gewesen! Ein kleiner Raum mit Holzboden, vielleicht zehn zahlende Gäste waren gekommen, die meisten saßen in der Ecke oder auf dem Teppich vor der Bühne, die keine war. Eine riesige Loopstation trennte Musikerin vom Publikum, das Licht schummerig, es durfte geraucht werden. Und da stand diese Frau, die Knöpfe drückte, an Reglern drehte, in einem Kimono-artigen Anzug und mit großer silberner Gürtelschnalle. Und mit einer betörend schönen Stimme.
Die Frau ist Anna Illenberger. Sie hat zunächst mit dem Dream-Pop-Duo ANNAGEMINA auf sich aufmerksam gemacht, hat für das Theater und für Filme komponiert. Sie ist auch bildende Künstlerin mit einem eigenen Atelier. Seit knapp fünf Jahren aber ist sie solo als KITZ aktiv. Und hat im Februar mit „Blase“ ihr erstes deutschsprachiges Album veröffentlicht. Viel besprochen wurde es bisher nicht, wenn mich meine kurze Online-Recherche nicht trügt, das könnte ein Fehler sein. Denn gute deutschsprachige Musik, die aus dem Raster fällt und auf ihre Art eigenständig ist, die auch berühren kann (wenn man sich darauf einlässt) gibt es so zahlreich nun auch nicht.
KITZ: Songs, aus der Improvisation geboren
Die Musik von KITZ als Pop zu bezeichnen, wäre nicht ganz korrekt: ebenso wenig, sie als Klanginstallationen zu bezeichnen. Sie bewegt sich irgendwo dazwischen. Die Songs sind reduziert, manchmal fast bis auf das Gerippe, sie umkreisen wenige Motive. Sie ist zugleich sehr konzentriert. Der Fokus liegt auf Stimmungen und Gefühlen, die abgetastet und aufgefaltet werden, manchmal losgelassen zum großen Sprung. Sie ist introspektiv und zuweilen überwältigend.
Das Besondere dabei ist: Die Lieder sind komplett aus der Improvisation geboren. Illenberger setzt die Musik spontan in Bewegung, lässt sich von ihr treiben, lässt Überraschendes zu. Schließlich werden die Strukturen ausgearbeitet und im Studio mit allerlei digitalen und analogen Instrumenten live eingespielt.
Auf „Blase“ wurde sie hierbei vom Produzenten Ralv Milberg unterstützt: einer, der sich mit experimentellen Ansätzen auskennt. Er hat einige der wichtigsten deutschen Postrock-Alben der letzten Jahre in Szene gesetzt, Bands wie DIE NERVEN oder HUMAN ABFALL. Bands also, die krautrockige Nerdigkeit mit der eruptiven Wut des Punk verbinden.
Bei KITZ stehen andere Qualitäten im Vordergrund: die Innenschau, fragile Strukturen, und wenn hier Wut durchkommt, dann die zärtliche Wut, die aus der Beschäftigung mit den eigenen Emotionen, mit zwischenmenschlichen Konflikten und Sehnsüchten resultiert.
Assoziative Auslotung der Gefühle
Durch den Improvisationscharakter erhält die Musik von KITZ etwas Assoziatives. Musikalische Motive und Melodien werden abgetastet, manchmal fast zärtlich und leise, dann wieder aufwühlend und tosend, eine Spiel mit Annäherung und Distanz. Auch die Texte sind assoziativ: ein Kaleidoskop der Gefühle, oft eingefangen durch Bilder und Farben, die aufblitzen und wieder verschwinden, mal wie Trugbilder, dann wieder hell und klar. Illenberger ist auch als Fotografin aktiv: Der Blick durch das Objektiv ihrer Kamera findet seinen Widerhall in ihrer Musik.
„Halt mich fest, bevor ich falle/ Meine Augen trüb wie Milch/ aber innerlich Kristalle“, heißt es da zum Beispiel im Eröffnungstrack „Fallen“. Ein Liebeslied vielleicht, dass die Flüchtigkeit der Gefühle mit dem Wunsch nach ewiger Bindung kontrastiert: „Und wir werden immer neu/ Und wir formen uns immer neu/ Und wir wachsen immer neu“. Die Liebe hat keine feste Form, sie fließt und verändert sich, sie will immer neu erkundet und im fluiden Zustand neu erfahren werden: mit der Gefahr, dass sie sich verflüchtigt.
Trotz des experimentellen Ansatzes sind die Songs kein bloßes Stückwerk, denn da ist noch die andere Seite: die poppige, melodische. Fast beiläufig schälen sich schöne Melodien heraus, sanft streichelnd zuweilen, dann umarmend und zupackend, emotional: Melodien, die allerdings in jedem Moment auch wieder abbrechen und sich verflüchtigen können, manchmal verschleppt und verzögert werden. Und da ist Illenbergers Stimme: Sie ist schön und markant, sie kann sanft klingen, dann wieder voll und kräftig. Manchmal erinnert sie mich sogar an Sinéad O’Connor in ihren tieferen Stimmlagen, dann wieder an Björk, in anderen Momenten flüstert und erzählt sie wie in einem Fiebertraum.
So ist der Titelsong „Blase“ fast schon eine Soul-Nummer, unterlegt aber mit experimentellem Fieben und wabernden Bass-Effekten aus der Loop-Maschine. So ist ‚Gehe‘ beinahe eine Pop-Ballade, im Duett gesungen mit Ralv Milberg – ein Song über einen schmerzhaften Abschied, der beinahe gescheitert wäre: „Ja, ich gehe/ Die Koffer sind gepackt/ Und das Herz ist schwer/ Und nein, ich sehe keinen Ausweg mehr/…Und doch ich warte/ Vielleicht noch einen winzigen Moment/ Weil ich glaube/ Vielleicht kommst du mit/ Das wäre ein Geschenk.“ Distanz und Nähe sind hier, in den Texten und in der Musik, oft keine Widersprüche.
Hallraum zwischenmenschlicher Begegnung
Ihre Stimme unterlegt Illenberger mit elektronischen Klängen und Effekten, die mal an einen Soundtrack oder neue Klassik erinnern, dann wieder trippig klingen mit viel Hall – und das Spiel zwischen Nähe und Ferne auch im Sounddesign greifbar machen. Die Klänge ziehen einen hinein, stoßen einen dann wieder ab, sie umkreisen und durchfluten dich, sind fragmentarisch aufgebrochen. Oft nur wenige Töne, die hypnotisierend pulsen, dann wieder kalt und abweisend klirren. Aufgezeichnet wurde das Album, so verrät es ihre Webseite, in einer aufwändigen 180-Grad-Installation aus verschiedenen Lautsprechern und Verstärkern: live eingespielt und ohne Begradigungen.
Und sie liebt das Spiel mit Stimmen. Diese werden gesampelt und geloopt, verfremdet und rhythmisch wiederholt, sodass sie in manchen Momenten einen Soundteppich bilden, in anderen Momenten fast selbst zum Rhythmusinstrument werden. Der Song ‚Schwarz‘, bedrückend schwer, fußt auf wenigen gesprochenen Silben. Die Worte ‚Schwarz‘ und ‚Weiß‘, die im Song rezitiert werden, bilden das Rhythmusfundament und sind von einem absteigenden Drei-Ton-Bogen aus klirrenden Effekten begleitet. Im Hintergrund ein tiefes, beunruhigendes Bassbrummen.
Über acht Songs und 30 Minuten faltet KITZ so ihr musikalisches Panoptikum der Gefühle auf. Es ist Musik, auf die man sich einlassen muss, die auch fordert: und in der deutschen Poplandschaft ein Unikat darstellt. Man kennt solche Klänge am ehesten von EMILY WELLS und LUCY KRUGER, auch von BJÖRK, die auf ähnliche Weise poppige Zugänglichkeit mit sperrigen Momenten kontrastiert.
Aber gerade in einer Zeit, in der viele Songs und Interpreten immer kalkulierter und austauschbarer klingen, ist dieser experimentelle Ansatz sehr willkommen. Die Improvisation verleiht den Songs einen offenen Charakter, mit jeder Aufführung ändern sie sich, die Brüche und Kontraste führen zu unerwarteten Wendungen. Es entstehen kleine Pausen und Verzögerungen, die Raum lassen für das, was nicht gesagt werden kann: wie in einem Zwiegespräch, das plötzlich stockt und wo man zu verstummen droht. Das hier ist radikaler Pop – radikal gut. Ein emotionales Abenteuer.
veröffentlicht am 9. Februar 2024
Label: Ghost Note Records / Selfcare Records
Line-Up:
Anna Illenberger: Gesang, Kompositionen und Instrumente
Ralv Milberg: Produktion
KITZ „Blase“-Tracklist
1. Falle
2. Blase
3. Gehe
4. Platz
5. Heimlich
6. Warm
7. Schwarz
8. Herz
Mehr im Netz: KITZ-Webseite