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FVNERALS: Let the Earth Be Silent

FVNERALS sehnen das Ende der Menschheit herbei. „Let The Earth Be Silent“ ist eine vertonte Auslöschung, Katharsis des Ascheregens. Mit beeindruckender Radikalität gestaltet das Duo einen Abgrund aus hallenden Doom-Gitarren, sirenenhaften Gesängen und erdrückend schweren Klangkulissen. Das ist verstörend, beängstigend – und teils erhaben schön.

Na, endlich mal wieder Lust auf Musik, die sich durch und durch unkomfortabel anfühlt? Musik, die in die Knochen fährt wie ein eisiger Nordwind, während man bei zwölf Grad Minus, nur mit T-Shirt begleitet, vor einer verlassenen Ruine steht, das Gesicht schon bläulich vom beißenden Frost? Die Ruine war einst ein Hotel, aber das Dach ist fortgeweht, in der Lobby gefrorene Leichen, am Empfang wartet der Sensenmann. Und Ihr erkennt: Ihr seid der letzte Mensch auf dieser Erde, alles Leben ist erloschen. Tretet ein, lasst alle Hoffnung fahren. Und herzlich willkommen im Soundkosmos von FVNERALS!

„Dark Ambient Doom“ nennt das Duo Tiffany Ström und Syd Scarlet seine Musik. Seitdem die beiden 2013 auf der Bildfläche erschienen sind, sind sie bekannt für ihre pechschwarzen, abgründigen Klänge. Das neue Album, ihr mittlerweile drittes, steigert aber alles bisher Gewesene. Denn tatsächlich ist „Let The Earth Be Silent“ eine vertonte Auslöschung. Es ist ein Requiem für die Menschheit, ein in Klang gemeißeltes Krematorium. Wie fühlt es sich an, wenn alles Leben ausradiert ist? Entgegen dem Titel muss gesagt werden: nicht wie Stille. Es ist ein Dröhnen, Choral für einen gottlosen Himmel. Beschwörung der Trauer. Es ist, als würde man hinabblicken in ein geöffnetes Massengrab. Die von Menschen geschaffene Hölle.

FVNERALS liefern mit “Let There Be Silent” ein mutiges Album ab

Spätestens an diesem Punkt der Rezension sollte klar sein: die beiden Wahl-Leipziger, ursprünglich im südenglischen Seebad Brighton beheimatet, machen es dem Hörer nicht leicht. Und das ist gut so. Es ist ein mutiges Album, das auf Prophecy Productions ein würdiges Zuhause gefunden hat. Seit Jahren bietet Prophecy musikalischen Grenzgängern eine Plattform, kümmert sich nicht um Genre-Erwartungen. Hier fanden die blackmetallischen Trauma-Metaller LIFELOVER ebenso eine Bleibe wie die finnischen Schamanen TENHI und die deutsche Avantgarde-Wave-Legende DEINE LAKAIEN.

Death Doom Ästhetik: Die Gitarren stellen sich in den Dienst der Schwermut

Es ist zugleich ein Album, auf das man sich in Gänze einlassen muss. Müßig, einen Song hervorzuheben. Der Opener „Ashen Era“ ist noch einer der zugänglicheren. Ein Sirren setzt ein, ein Dröhnen: Soundeffekte wie die Trompeten der Apokalypse. Sie werden lauter, schwellen an, ein dumpfes Schlagen tritt hinzu – und ein betörend schöner, aber von Schwermut zersetzter Soprangesang. Erinnerungen an DEAD CAN DANCE werden wach, die ähnlich betörend in rituelle Gefilde entführt haben. Doch dann die schweren Gitarren und Bässe. Es ist die Ästhetik des Death Doom, denn hier werden keine schneidig groovenden Riffs gefahren. Die Gitarren stellen sich stattdessen in den Dienst der Schwermut, sie dröhnen und hallen und hallen, sie legen sich monolithschwer über die Musik.

Bereits beim zweiten Song „Descent“ wird deutlich, dass Sängerin Ström keineswegs nur auf ihren betörend schönen Gesang setzt. Im Gegenteil: oft überwiegt ein dunkler Sprechgesang, manchmal die Form eines schamanischen Murmelns annehmend, dann wieder sirenenhaft anschwellend. Gelegentlich spitze, schmerzhafte Schreie. Die Stimme ist in den Hintergrund gemischt, die Texte sind mitunter kaum zu verstehen. Sie dient als weitere Facette im Klangbild. Die Gitarren sind hier deutlich von Postpunk und Shoegaze beeinflusst: auch das ist eine Facette des FVNERALS-Klangs. Oft tönen die cineastischen Klangkulissen wie die Holzbläser eines Orchesters, oft erinnert das Schlagzeug an Pauken. Das trägt zum ernsten Soundbild bei. Unterstützt wird das Duo von Perkussionist Thomas Vaccargiu, der gleichmäßig schreitende, aber variable und geheimnisvolle Rhythmen kreiert.

Die Musik öffnet dunkle Assoziationsräume

Auf eine Songstruktur im Sinn von Strophe und Refrain verzichtet die Band vollends. Und doch haben die einzelnen Titel eine Dynamik, die Songs entwickeln sich: mäandern um musikalische Muster und Motive, Schichten überlagern sich und schieben sich übereinander wie tektonische Platten. Ständige Bewegung: Gebirge falten sich auf. Kein Instrument sticht hier hervor, in dem Sinne, dass es die Musik dominieren würde. Stattdessen wird alles dem Sog der Musik untergeordnet, ein meditativer Rausch, sakrale Klänge von berstender Kälte. Ohne Frage hat der Sound auch etwas Erhabenes, er wäre in einer gotischen Kirche nicht Fehl am Platz. Die Katharsis von Trauer und Schmerz ist Bestandteil vieler kirchlicher Choräle und Instrumentalstücke: nur dass hier die Hoffnung fehlt und die Aussicht auf Erlösung. Es weht ein eisiger Wind vom Altar her.

Die konzeptuelle Strenge, mit der FVNERALS über sieben Songs und 40 Minuten hinweg ihr geisterhaftes Alptraum-Panorama gestalten, ist beeindruckend. Es ist Musik, die vielfältige Assoziations-Räume öffnet, doch selten sind diese behaglich. Die eröffnenden Schläge in der vorab veröffentlichten Single “For Horror Eats the Light”: Sind das Gongs eines tibetischen Tempels? Grabesglocken? Wie ein nahendes Unheil tönen die Rhythmen und Soundeffekte herüber. Trost spendet die -oft- meditative Atmosphäre sowie die unterschwellige Schönheit der Songs. Zwar ist es kein neues Konzept, mit tief hallenden Lärmwänden den Hörer in einen kathartischen Fiebertraum zu versetzen, Bands wie SWANS oder Sunn O))) verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Aber der Abgrund, den die Leipziger Band hier öffnet, funkelt in einem eigenen Schwarz.

VÖ: 03.02.2023

Spielzeit: 40 Minuten 22 Sekunden

Line-up:
Vocals / Bass : Tiffany Ström
Guitars / Writing / Arrangements : Syd Scarlet
Drums / Percussions : Thomas Vaccargiu

Written and produced by FVNERALS

Label: Prophecy Productions

Let the Earth Be Silent-Tracklist:

1. Ashen Era (Official Video bei Youtube)
2. Descent
3. For Horror Eats the Light (Official Video bei Youtube)
4. Annihilation
5. Rite
6. Yearning
7. Barren

Mehr im Netz:

Offizielle FVNERALS-Band-Webseite

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