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DISPERSE: Living Mirrors

Kreativer, proggiger Djent ohne Aggressionspotential

Wenn man als zwar nicht überaus frenetischer, aber zumindest immer interessierter Metal-Sympathisant an Polen denkt, dann gibt’s da irgendwie nur VADER und dann war’s das irgendwie auch. Fernab von deren Death-Geballer tummelt sich dort jedoch mit den vierköpfigen DISPERSE auch eine wesentlich schöngeistigere Formation, die sich auf ihrem neuen Album Living Mirrors komplett dem Progressive Metal mit einigen Klecksern Djent und einer gewissen Hippie-Attitüde verschrieben haben.

Schon die ersten Klänge des Openers Dancing with endless love stimmen auf den orchestralen Tenor des Albums ein, wenn er auch nicht unbedingt ein Vorbote für die virtuose Arbeit mit Polyrythmen und grandiosem Gitarrenspiel ist. Viel eher könnte der zweite Abschnitt des Songs auch ein Instrumentalintro von Poprockern wie 30 SECONDS TO MARS sein, was im Hinblick auf Qualität gar nicht mal abwertend gemeint ist. Der tatsächliche Beginn des Progmetal-Epos ist das wirklich, wirklich außerordentlich gute Enigma of Abode, dessen Intro mich als 90er-Jahre-Kid an das Gedudel erinnert, das aus den Menüs alter japanischer Autorennspiele auf der ersten Playstation plärrt. Dabei bleibt es zum Glück nicht, denn die Synthpads werden schlagartig durch dynamisches Riffgewitter und Stakkato-Drums abgelöst.

Absolut in den Fokus drängt die begnadete, stark von Fusion-Musik wie z.Bsp. TRIBAL TECH beeinflusste Gitarrenarbeit von Jakub Zytecki, der allen Fans des gehobenen Gitarrengegniedels die Freudentränen in die Augen treiben dürfte. Von irrwitzigen Sweep-Pickings, versteckten Verschnörkelungen in den Riffs sowie geschmackvoll zurückhaltenden Soli ist hier wirklich alles dabei. Auch die Arbeit der Rhythmusgruppe lässt keinerlei Wünsche übrig, lediglich Keyboarder & Sänger Rafael Biernacki kann mit seinen streckenweise eintönigen Vocals den Spannungsbogen nicht konstant oben halten. Stellenweise kommt er unfreiwillig durch mangelnde Variation ein wenig tranig daher, wobei fraglich wird, ob hier bewusst der Musik nicht die Schau gestohlen werden sollte. Übrigens: wer brachiale Shouts/Growls oder ein gewisses Agressionspotential als zwingende Voraussetzung für ein Metal-Album ansieht, wird hier wenig bis gar nicht bedient.

Abgesehen von dem stimmlichen Manko macht es immer noch eine Menge Spaß daran teilzuhaben, wie sich die 4 Polen ihren Djent-Himmel gestalten, in dem 7-Saiter an den Bäumen wachsen und sich Synthie-Bäche ihren Weg durch Rifflandschaften bahnen. Leider bringt diese Farbenprächtigkeit auch einen weiteren Kritikpunkt mit sich. Auf der einen Seite hegt man eine gewisse Sympathie für die abrupten Sprünge, die mit einem sanften Abgleiten in Synthiewolken nebst Gitarrensoli verbunden sind, die an und für sich dem Trommelfell wirklich schmeicheln, aber leider total aus dem Kontext gerissen sind und sich oft wie Fremdkörper anfühlen. Living Mirrors bietet neben Enigma of Abode“ wirklich neuartige, aufregende Ideen in Songs wie dem stringenten Unbroken Shiver, dem dynamischen Message from Atlantis oder dem Stampfer Universal Love, die mit Ihrer positiven Grundstimmung und Ihren intelligenten Harmoniewechseln ein erfrischendes Kontrastprogramm zu Waffenbrüdern wie z.Bsp. TESSERACT oder FELLSILENT abgeben.

Es zwingt sich stellenweise der Eindruck auf, dass die Songs auf Biegen und Brechen mit einem Klebstoff aus Synthesizern und Gitarrensoli zu etwas Ganzheitlichem verkittet werden sollten. Bestes Beispiel ist der nach meinem Empfinden völlig überflüssige Filler Butoh, bei dem meine Aufmerksamkeit angesichts des klischeebehafteten Rumgedudels schnell dankend ihren Hut nimmt. Da Living Mirrors ein nicht nur wirklich innovatives und gutes, sondern sogar hervorragendes Album hätte werden können, ist diese Klebstoffnote ein bitterer Beigeschmack. Also bleibt nur zu hoffen, dass die überdurchschnittlich talentierte Band ihre scheinbar an ADHS erkrankte Kreativität zumindest in eine etwas geregeltere Bahn zu lenken lernt, um gerade DIE Schippe draufzulegen, die den Unterschied zwischen einem guten und einem exzellenten Album ausmacht.

Veröffentlichungstermin: 15.02.2013

Spielzeit: 56:00 Min.

Line-Up:
Rafał Biernacki – vocalsm keyboards
Jakub Żytecki – guitar, voices
Wojtek Famielec – bass
Maciek Dzik – drums

Produziert von DISPERSE
Label: Season of Mist

Homepage: http://www.disperse.pl

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/disperseofficial

Tracklist:
1. Dancing With Endless Love
2. Enigma of Abode
3. Profane the Ground
4. Prana
5. Message from Atlantis
6. WOW!
7. Universal Love
8. Be Afraid of Nothing
9. Unbroken Shiver
10. Touching the Golden Cloud
11. Butoh
12. Choices Over Me
13. AUM

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