Sind das etwa Babysteps in Richtung „seien wir mal etwas weniger kryptisch“? BLOOD ABSCISSION wagen sich hauchdünn aus der Deckung, und wenn das nur daraus besteht, dass sie nun ein anständiges Label im Rücken haben. Vor etwas mehr als anderthalb Jahren sah das noch anders aus: Die Band unbekannter Herkunft schmiss ihr Debüt „I“ kommentarlos auf Bandcamp. Doch manchmal setzt sich Qualität eben durch und so fanden BLOOD ABSCISSION in kürzester Zeit ihr Publikum und dessen Wohlwollen. Wenig verwunderlich, dass BLOOD ABSCISSION für ihr kryptisch, aber chronologisch betiteltes Zweitwerk einen starken Partner fanden und das eh schon beachtliche Debüt weiterentwickeln.
Weil BLOOD ABSCISSION ihr Songwriting äußerst gut im Griff haben, entstehen auch so relativ kurz nach dem Erscheinen des Debüts keine Ermüdungserscheinungen; im Gegenteil: „II“ ist ein äußerst kurzweiliges Album. Schon der Opener „II – I“ erzeugt eine repetitive, beinahe meditative Atmosphäre trotz all des Furors, der in diesen zwölf Minuten zu spüren ist. Auch die darin enthaltene Melodieverliebtheit ähnelt der von AARA, die somit als nahe Verwandte von BLOOD ABSCISSION gelten dürften. Mehr Grimm und Wut steckt in „II“ verglichen mit „En Ergô Einai“ doch. Zusammen mit Dynamik- und Tempowechseln schinden bereits die ersten zwölf Minuten des Albums Eindruck und erinnern an EMPERORs Rastlosigkeit und Manie von „Anthems To The Welkin At Dusk“.
Ihrer Anonymität zum Trotz präsentieren sich BLOOD ABSCISSION physisch durchaus greifbar; die Band zeigt auf „II“ die Zähne.
Im zweiten Stück funkt die Band dann ins All. Es herrscht eine spacige Atmosphäre, nicht so kalt wie bei DARKSPACE, eher wie bei MARE COGNITUM und STARER, mit immer wieder epischen, getragenen Momenten dazwischen. Diese Epik wird in „II – III“ ausgebaut; hier nutzen BLOOD ABSCISSION die Spielzeit von zehn Minuten gut aus, um die Riffs, Leads und Rhythmen passend in Szene zu setzen. In diesem Stück wirkt nichts überfrachtet, nichts gehetzt, nichts aufgesetzt, als hätte die Band eine künstlerische Eingebung aus den endlosen Weiten erhalten. Das ist richtig beeindruckendes Songwriting, und klug eingesetzte Musikalität. Allerspätestens jetzt darf vermutet werden, dass sich hinter BLOOD ABSCISSION keine unbedarften Musiker*innen verstecken. Im Gegenteil, es würde nicht überraschen, gäbe sich die Band irgendwann als bekannte Protagonisten auf der isländischen Szene zu erkennen.
Insofern klingen BLOOD ABSCISSION aggressiver als viele andere Kollegen aus dem Atmospheric Black Metal. Ihre Songs treffen zielgerichtet in die Magengrube, doch der rohe und verwaschene, aber voluminöse Sound sorgt für eine gewisse Abstraktion, eine Unnahbarkeit gar. Dass das Klangbild genau darauf abzielte, dürfte nach der einzigen Aussage der Band deutlich werden: „United in pain, we step into the abyss – not as mere individuals, but as a collective force seeking meaning within the chaos, finding a voice in the silence between the stars.“ (Zitat aus dem Presseschreiben – Anm. d. Verf.)
Das verwaschene Soundbild von „II“ hat Methode: BLOOD ABSCISSION verbergen unter der rohen Schale Momente der Brillanz.
Dass das Sounddesign von BLOOD ABSCISSION dabei kein Zufall ist, zeigt „II – IV“, das kürzeste Stück des Albums, und gleichzeitig eher ein Interlude. Doch hier spielt die Formation mit Drones, Synthesizern und Harmonien und erzeugt die größte klangliche Transparenz im Laufe von „II“. Versteht man die Herangehensweise, öffnet sich auch der Rest des Albums schneller: BLOOD ABSCISSION sind vordergründig wütend und kalt, die Soundwand aus Blast Beats, rohen Tremolo-Riffs und Geschrei droht alles zu erdrücken, doch große Momente – sei es mit eisigen Synthesizern oder erhabenen Leads – sind allgegenwärtig. Dass ausgerechnet das abschließende „II – V“ am Anfang droht, sich zu überfrachten, ist schade. Glücklicherweise ist mit dem epischen BLUT AUS NORDesken Finale des Songs – Erinnerungen an deren Meisterwerk „Memoria Vetusta II – Dialoge With The Stars“ blitzen auf, und man meint kurz Vindsvals Stimme zu hören – die Band dann schnell wieder auf Kurs.
Trotz der relativ kargen Gestaltung des Albums mit einem random wirkenden Coverfoto und der Abwesenheit von Informationen, schaffen es BLOOD ABSCISSION allein durch ihre Musik sehr viel rüberzubringen und Raum für Reflexionen und eigene Gedanken zu erzeugen. Das lässt „II“ zu einem nicht ganz unerwarteten Highlight werden. Wer das Debüt „I“ schon gut fand, oder dem Charme dieses Underground-Phantoms bereits gänzlich erlegen war, wird von „II“ nicht enttäuscht werden. Und wer angesichts der zahllosen Atmospheric Black Metal-Bands dieser Tage übersättigt ist, sollte dennoch BLOOD ABSCISSION eine Chance geben. Selbst wenn sie dem Genre keine großen Impulse geben, „II“ hat Tiefgang und ist meisterhaft gespielt und geschrieben.
Wertung: 4 von 5 Nachrichten aus Outer Space
Spielzeit: 41:16
Line-Up:
BLOOD ABSCISSION
Label: Debemur Morti Productions
BLOOD ABSCISSION „II“ Tracklist:
1. II – I (Official Audio bei Youtube)
2. II – II
3. II – III (Official Audio bei Youtube)
4. II – IV
5. II – V