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AARA: En Ergô Einai

„En Ergô Einai“ ist Black Metal, der eher den kultivierten, als den primitiven Menschen anspricht – und wird gerade deshalb vom Publikum schon kontrovers aufgenommen werden. Was sind das nur für Zeiten, in denen kluge Gedanken und intelligente Musik provozieren. Das Weltbild von Black Metal-Fans der zweiten Welle könnte Risse bekommen.

Nicht nur Weltmächte, auch Weltbilder fallen, werden durch neue ersetzt, bewähren sich, erodieren, fallen erneut, werden wieder ersetzt. Das Rad dreht sich ewig weiter und der Mensch, der arme Mensch, kann den Weg mit- oder eben untergehen. Diese Komödie erleben wir ständig, jedes Jahr wird aufs Neue eine ähnliche Geschichte erzählt, mit unterschiedlichen Ausprägungen. Und weil es so schön ist, servieren AARA uns diese Farce auf dem Silbertablett – kein Wunder, dass Komponist und Multi-Instrumentalist Berg eine Maske mit einem schelmischen Grinsen trägt.

Wer im vergangenen Jahr aufmerksam war und den starken Schweizer Underground im Blick hatte, dessen Weltbild könnte bereits durch „So fallen alle Tempel“, das Debüt von AARA, und die EP „Anthropozän“ ins Wanken gekommen sein. Wie war es möglich, dass Black Metal, so roh und nach Demo klingend, so intensiv und episch klingt? Ein gutes Jahr nach dem Debütalbum haben AARA nicht nur ihr zweites Album vorliegen, es ist auch noch sagenhaft produziert. Statt Drumcomputer trumpfen AARA mit einem Schlagzeuger auf, der komplex und mit Furor spielt. Dazu passen die krachenden, aber voluminösen Gitarren, wobei auch bei der vielschichtigen Arbeit nichts untergeht. Und dazwischen schreit sich Sängerin und Texterin Fluss die Stimmbänder blutig.

Black Metal Band trifft Kammermusik aus dem 18. Jahrhundert

„En Ergô Einai“ ist technisch sicherlich ein bemerkenswertes Album, aber das eigentlich begeisternde an diesem mit knapp 34 Minuten recht kompaktem Zweitwerk, ist das Songwriting. AARA haben die seltene Gabe, komplexe Musik einfach und zugänglich wirken zu lassen. Statt sich an den Genrestandards zu orientieren, klingen AARA, als hätte man die Kammermusik des achtzehnten Jahrhunderts von einer Black Metal-Band spielen lassen. Somit sind die Stücke ungeheuer melodiös, bleiben schnell haften und reißen durch ihre ungezähmte Leidenschaft mit.

Eingeleitet wird „En Ergô Einai“ allerdings von einem Gastmusiker: Vindsval von BLUT AUS NORD spielt ein Intro mit sphärischen Signature-Melodien, bevor „Arkanum“ eigentlich losbricht. Sofort wird die Intensität spürbar und je mehr sich das Lied ins Gehirn gräbt, umso besser wird es. Die zahlreichen, verwobenen, rasenden Gitarren, die klugen Wendungen, die rhythmischen Wechsel passen außerordentlich gut zusammen. „Stein auf Stein“ folgt demselben Weg, ist etwas sperriger, besticht aber sofort durch die Taktart – mit anderer Instrumentierung wäre das Stück ein Walzer geworden.

Magische Riffs, unglaubliche Melodien

AARA mögen erst seit 2018 existieren, was die Musiker von sich hören lassen, lässt darauf schließen, dass sie einige Erfahrung im Komponieren haben, egal ob in der Black Metal-Szene oder in einem anderen musikalischen Feld. „Aargesang (Aare II)“ ist wie eine fragmentarische, komprimierte Version eines ganzen Albums von WOLVES IN THE THRONE ROOM – das Ambientintro mit Field Recordings zerreißt es nach der Mitte, das Stück gipfelt schließlich in einem chaotischen Mahlstrom. „Entelechie“ schraubt die Anspruchsskala weiter nach oben und zeigt in sechs Minuten, wie vielschichtig Black Metal klingen kann. Naturgemäß ist dies das sperrigste Stück des Albums, und doch hat es magische Riffs, in denen ich mich nur zu gerne verliere. Und als wäre „En Ergô Einai“ noch nicht begeisternd genug, ist das abschließende „Telôs“ mit seinen Chören, den sägenden Riffs, den unglaublichen Melodien und seinem Aufbau das ganz große Glanzstück geworden.

Black Metal, der eher den kultivierten als den primitiven Menschen anspricht

Es ist schwer von diesem Album loszukommen, es ist bemerkenswert durchdacht, leidenschaftlich, energetisch und effizient. Apropos Effizienz: In dieser Hinsicht brillieren auch die Texte, die mit wenigen Worten umso mehr aussagen und die visuelle Gestaltung. AARA haben es geschafft und begeistern, da sie Herz, Hirn, Bauch und Geist gleichermaßen ansprechen. „En Ergô Einai“ ist Black Metal, der eher den kultivierten, als den primitiven Menschen anspricht – und wird gerade deshalb vom Publikum schon kontrovers aufgenommen werden. Was sind das nur für Zeiten, in denen kluge Gedanken und intelligente Musik provozieren. Das Weltbild von Black Metal-Fans der zweiten Welle könnte Risse bekommen.

Veröffentlichung: 3. April 2020

Spielzeit: 33:50

Line-Up:

Berg – Musik
Fluss – Gesang, Texte
J. – Drums
Vindsval – Intro

Label: Debemur Morti

Mehr im Netz: aara.bandcamp.com

AARA „En Ergô Einai“ Tracklist

1. Arkanum (Audio bei YouTube)
2. Stein auf Stein
3. Aargesang (Aare II)
4. Entelechie
5. Telôs

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