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AWAKE AGAIN: No Matter How The World Turns

Mit ordentlich Pop-Appeal kommt der Alternative Metal der Finnen AWAKE AGAIN daher. Das funktioniert auf ihrem Debüt “No matter how the world turns“ über weite Strecken sehr gut, weil die Hooks tatsächlich im Ohr bleiben. Für die Songs holten sie sich tatkräftige Unterstützung erfahrener Songwriter.

Hey, Boys und Girls da draußen! Und auch alle anderen. Hier gibt es einen Newcomer, der alle Vorurteile von Metal-Fans der alten Schule bedient. Poppiger Metalcore mit ganz viel Pathos, ein wenig kalkuliert vorgetragen, mit poppigen Harmonien und super eingängigen Refrains. Eine Band, die sich beim Songwriting nicht allein auf eigene Qualitäten verlässt, sondern sich auch Unterstützung externer Komponisten hinzu nimmt: Komponisten, die für zahlreiche andere Acts geschrieben haben. Die Band hört auf den Namen AWAKE AGAIN. Und allen Kuttenträgern, denen nun gerade das Dosenbier hochkommt, muss ich ein Geständnis machen. Ich mag den Sound der jungen Finnen. Ich höre ihn gern nach dem Aufstehen und beim Duschen. Weil sie eben doch ordentlich Ear Candy bieten. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich auf dem Weg ins Büro oder beim Einkaufen plötzlich -ich bekenne mich schuldig- einen Song der Jungs im Ohr hatte.

AWAKE AGAIN: Hooks statt Experimente

AWAKE AGAIN sind ein Quintett aus Turku, und keineswegs blutige Anfänger. Seit 2013 sind die Finnen bereits mit ihrem Sound unterwegs. Mehr als 100 gespielte Shows können sie bisher auf ihrem Konto verbuchen. Und vier Millionen Streams. Hier zeigt sich bereits der Wandel in den Hörgewohnheiten, denn es stimmt schon: mit ihren Songs zielen sie auf ein jüngeres Publikum. Ist der MAIDEN-Fan stolz, das neue Album in 50 streng limitierten Ausgaben auf farbigem Vinyl zu besitzen, wird bei jüngeren Hörern eben gestreamt. Ihr wisst schon: von oben bis unten tätowiert, aber mit smarter Frisur, gut gepflegtem Bart, Sneakers und bunten Blümchen-Shirts. Mein Gott, bediene ich hier gerade Klischees? Ja kommt, ich war schon auf einigen Metalcore-Konzerten. Und es ist sehr sympathisch, dass dort der Frauen-Anteil weit höher ist als beim „klassischen“ Metal. Sympathisch ist es auch, dass es dort mitunter bunter zugeht.

Zehn Songs präsentieren uns AWAKE AGAIN auf ihrem Debüt, in 38 Minuten Spielzeit. Das zeigt schon, hier geht es eher kompakt zu. Sie verlassen sich auf Hooks, auf Melodien, eingängige Refrains. Es gibt zahlreiche „Das klingt doch wie…?“-Momente. Eine Band wie BRING ME THE HORIZON schimmert des Öfteren durch, THE RASMUS, die frühen ESKIMO CALLBOY, LINKIN PARK. Gerade der Gesang von Matti Österman erinnert mehr als einmal an Chester Bennington, Gott habe ihn selig. Und das ist an dieser Stelle eher als Kompliment gemeint. Zwischen Screams und Shouts streut er immer wieder auch melodische Gesangs-Passagen ein.

Denn die Nordlichter verstehen ihr Handwerk. Ist der Einstieg mit dem Opener „Enmity“ noch ein bisschen egal, wenn auch flott vorgetragen, so zeigt sich spätestens bei Song Numero zwei „Into Two“ diese fast unverschämte Eingängigkeit. Ein Song, der sich wie ein Parasit in die Gehörgänge frisst. Den du so schnell nicht wieder los wirst. Du kannst den Song daneben finden, aber: die Hook wird sich ganz fies in dein Gehirn eingraben. Sorry, ich will das gerne hassen. Aber das hat eben schon eine gewisse Qualität. „I’m cutting you out/ I’m shutting you down/ I’m breaking into two ’cause I know that you/ Want more, more, more/ You want more!“, singt Österman im Refrain. Chester Bennington blinzelt belustigt von seiner Wolke, denn klar ist: So ähnlich hätte das auch auf einem frühen LINKIN PARK-Album klingen können, der existentielle Pathos inbegriffen.

Melodrama, Baby!

Keine Sorge. Die Produktion ist fett: der Sound ausreichend aggressiv. Die Gitarren grooven ordentlich. Statt endloser Breakdowns gibt es hier eher rockige Momente. Produziert hat der Schwede Jonas Olsson, der auch bereits mit THE OCEAN zusammen gearbeitet hat. Und mit einigen Casting-Stars aus Schweden, für die er auch Songs schrieb. Denn das ist eine weitere Besonderheit bei AWAKE AGAIN: Sie ließen sich beim Songwriting von mehreren Komponisten unter die Arme greifen, die auch mit anderen Künstlern aus sämtlichen Genres zusammengearbeitet haben. Olsson ist einer von ihnen. Man könnte sagen: Auftragsschreiber, die notfalls auch Schlager für den Eurovision Song Contest kredenzen würden. Im Metal eigentlich ein No-Go. Im Pop längst Standard. Die anderen beiden Namen: Lauri Hämälainen und Christoffer Stjerne. Schaut einfach bei Discogs nach, für wen sie noch tätig waren. Es ist auch Euro-Pop dabei.

Aber oft funktioniert das eben. Auch Song Numero drei, „Look Around“, ist eine wunderbar einprägsame Metalcore-Hymne, mit sanfter Strophe und Piano, die sich im Refrain ordentlich aufbäumt und viel Energie freisetzt. Das ist Breitwand-Sound, das ist alles andere als subtil: aber gut. Wenn man dem Genre etwas vorwerfen kann, dann auch, dass hier standardmäßig viel Pathos ausgepackt wird, dass es immer um wenigstens ALLES geht. Man fällt in endlose Abgründe, man bangt wenigstens um sein Leben, da ist viel Innerlichkeit und Verzweiflung, viel Teenage Angst. Melodrama, Baby! Und im Zweifel ein bisschen too much. Wobei sich „Look Around“ als mutmachende Durchhalte-Hymne entpuppt. „Schaue um dich/ Es gibt keine Ketten/ Nichts, was dich unten hält/ Du kannst es loslassen/ Sie dich um/ Du bist nicht allein/ Du kannst aufhören, dich zu verstecken!“ Uff. Das ist fett aufgetragen.

Sind AWAKE AGAIN eine Single-Band?

Ja, es gibt Highlights auf dem Album. Bei „Busy Doing Nothing“ wird die Band von Lena Scissorhands begleitet: Sängerin der moldawischen Modern-Metal-Newcomer INFECTED RAIN. Eine Band, die ähnlich polarisiert: eine poppigere Version von JINJER. Mit beständig wachsender Fan-Crowd. Guter Song? Ja, leider.

Und so bieten AWAKE AGAIN ordentlich Futter für die kommende Metalcore-Party. „White Rage“: wieder so ein eingängiger Hit, einprägsamer Refrain, ordentlich heavy. „Martyr“? Der aggressiv geshoutete Refrain ist nicht zu verachten, während die Strophe mit elektronischen Spielereien und wieder LINKIN-PARK-Momenten daher kommt. Das kann man so machen. Und doch stellt sich die Frage: Sind AWAKE AGAIN vielleicht eine Single-Band? Nicht jeder Song hier zündet: manchmal sind die Wiedererkennungs-Momente zu groß. By the way: die potentiellen Hit-Singles füllen die Hälfte des Albums.

Denn klar ist: Es gibt in diesem Genre gerade tausende Acts, die sich mit einem ähnlichen Sound zu behaupten versuchen. Und Metalcore bzw. Modern Metal ist eben auch dadurch bedroht, dass es zu viele Stereotype gibt. Ein Label wie „Arising Empire“ lebt davon, genau DIESEN Sound zu verlegen. Und auch, wenn die Band ordentlich heavy Momente einstreut, das Tempo gekonnt variiert, elektronische Spielereien beherrscht, das Wechselspiel aus fetten Grooves und Harmonie, Breaks: Das ist nicht neu, das hat sich schlimmstenfalls schon abgenutzt. Die Überraschungen, die dieses Genre einst spannend machten, sind keine mehr. Metalcore muss aufpassen, nicht ähnlich zu erstarren wie Classic Rock.

Aber ich habe da schon viele Bands gehört, bei denen die Songs weit weniger einprägsam, weit weniger catchy waren. Ist so! Bei „Arising Empire“ wären die Finnen einer der vielversprechenderen Acts. Im Zweifel ist es gerade die verfluchte Eingängigkeit, die diese Band doch aus der Masse vergleichbarer Bands herausragen lässt. Wie gesagt: Ich kann einige Songs unter der Dusche mitsingen. Und das ist doch auch ein Kompliment.

Das Album abgemischt hat der Däne Jakob Hansen, den man sicher niemandem mehr vorstellen muss: zu seinen Auftraggebern zählen Bands wie VOLBEAT, PRETTY MAIDS, EVERGREY und HEAVEN SHALL BURN. So kann man den jungen Finnen hier bestenfalls vorwerfen, dass das alles zu perfekt umgesetzt ist, es zu wenig Reibung gibt: Das alles eben doch sehr kalkuliert daher kommt. Die Experimentierfreude von Genregrößen wie BRING ME THE HORIZON oder WHILE SHE SLEEPS geht ihnen eher ab. Und so wünscht man AWAKE AGAIN für das nächste Album: mehr Mut und mehr Bereitschaft, einen eigenen Sound zu entwickeln. Aber vielversprechend ist das vorliegende Debüt allemal, Spielfreude auch vorhanden. Wer diesen Sound mag, sollte ihnen eine Chance geben.

Veröffentlicht am 18.03.2022
Spielzeit: 38:03 Minuten

Offizielle Webseite: https://awakeagainband.com/home

Besetzung:
Matti Österman-Lead Vocals
Petteri Horn–Drums
Kasper Hellström-Guitar & Keyboards
Ville Loukola–Bass

AWAKE AGAIN “No Matter How The World Turns” Tracklist

1. Enmity
2. Into Two (Official Lyric Video bei Youtube)
3. Look Around
4. Rise
5. Busy Doing Nothing
6. Happy Place (Official Video bei Youtube)
7. White Rage (Official Video bei Youtube)
8. Fall
9. Martyr
10. Spark

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