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ALL FOR METAL: Gods Of Metal (Year Of The Dragon)

„Gods of Metal“ prangt auf dem Cover, aber wir alle wissen, was das hier ist: Schlager pur, wie ihn nur Powermetal-Bands spielen können. Der Sangriaeimer mit den Kotzbröckchen. Eine gar nicht mal so gelungene Täuschung, Jungs! Auch wenn das alles gut gemacht ist. Gibt es ein richtiges Hören im Falschen?

Hey Freunde, alle mal antreten! Vorausgesetzt, dass ihr früh um neun schon besoffen seid. Wo sind die Party-People? Hände hoch und ab geht’s! Heute hauen wir auf die Pauke! Jetzt alle zusammen: Dreht euch im Kreis! Macht die Welle! Und jetzt das Ruderboot! Klatscht in die Hände! Hakt euch ein und los geht’s! Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse! Fühlt ihr schon das innere „Hossa!“ in eurer Bauchhöhle aufsteigen? Dann lasst doch mal das künstliche Hüftgelenk kreisen! Da bleibt kein Auge trocken!

Könnt ihr noch? Jetzt bloß nicht schlappmachen! Ich habe hier den idealen Soundtrack für alle Animateure und Drill-Instruktoren. Für Gummiboot-Kapitäne und Schaukelpferd-Ritter. Damit verwandelt ihr jedes Familienfest und jede Grillparty in eine große Polonaise. Oma Erna schwankt ganz vorne, Onkel Dieter wankt ganz hinten. Ein Prosit der Gemütlichkeit! Tim „Tetzel“ Schmidt und Antonio Calanna haben unter dem Banner ALL FOR METAL ihr zweites Album draußen.

Ralf Siegel, offenbare dich!

In letzter Zeit lässt sich ein seltsames Phänomen beobachten: Labels wie Napalm Records oder – wie hier – Reigning Phoenix schicken maximal generische Bands ins Rennen (natürlich haben sie auch großartige Acts), die direkt auf den Ballermann des Wacken-Festivals zielen. Ohne Umwege und Subtilitäten wollen die an euer Geld. Was, auf dem Wacken gibt es gar keinen Ballermann? Das Prinzip ist das gleiche. Songs für lebende Promille-Leichen, maximal eingängig und maximal stupide. Jedes Klischee muss bedient werden, möglichst oberflächlich. Musik, die den Hörer bloß nicht überfordern darf. Wer hier auch nur einen Widerhaken wirft, wird wahrscheinlich aus dem Team geworfen.

Auf Platte kommt das dann maximal gefällig daher, die Produktion hat einen höheren Plastikanteil als jeder Hochseefisch, aber auf jedem Promozettel und in jeder Metal-Hammer-Review lesen wir, mit wie viel Liebe und Leidenschaft das alles gemacht ist. Und wie supersupergeil das alles klingt. Ich finde das konsequent. Warum soll die Metalszene vor den Mark Fosters und Max Giesingers dieser Welt verschont bleiben? Fast Food für den Massenkonsumenten. Die Metal-Szene bietet ja viele Anknüpfungspunkte. Als MANOWAR das erste Mal ihren Lederwams anzogen, hatte die Musik ihre Unschuld verloren. Stolze Krieger, feuerspeiende Drachen, bedrohte Prinzessinnen, viel Machismo: Das große Weltfluchtpanorama wird hier aufgemacht. Da sind Ralf Siegel und seine DSCHINGHIS KHAN nicht weit.

Und ich schwöre: Nach Ralf-Siegel-Kompositionen klingt hier fast jeder Song. Der Opener „Gods of Metal“ wäre mir sympathischer, würde er „Gods of ZDF Hitparade“ heißen. Alle Klischees, die du mit DSCHINGHIS KHAN verbindest, kannst du eins zu eins auf diese Band übertragen. Märchenerzähler-Stimmen, die dir irgendwas von irgendwas erzählen. „Oh-oh, oh-oh, oh-oh-oh“ im Refrain. „Oh-oh, oh-oh, oh-oh-oh“ in der Strophe. Exotismus und alberne Kostüme. Tragen die beiden Musiker wirklich eine Samurai-Rüstung auf dem Cover? Hakama heißt der Kilt, Sode nennt man die Schulterpolster. Den Brustpanzer (Dō) haben sie weggelassen, damit man die muskelgestählten Oberkörper sieht. Na, da habt Ihr doch wieder was gelernt. Und noch ein bisschen unnützes Wissen: DSCHINGHIS KHAN haben ihren Song „Samurai!“ im Jahr 1979 auf dem gleichnamigen Debüt veröffentlicht. Ralf Siegel, offenbare dich!

„Gods of Metal“ ist natürlich ein Banger. Du brauchst diesen Refrain gar nicht erst zu hören, um ihn mitgrölen zu können. Du weißt bereits vor dem ersten Hören, was du grölen musst. Es gibt ein Standardrezept, nach dem all diese Bands zu brauen scheinen: Viel Zucker ist drin, künstliche Süßstoffe, künstliche Aromen. Und viel Alkohol. Das alles ist natürlich gut gemacht, fuckingoberscheißecatchy. Der Refrain ist schon irgendwie auch geil. Die Melodie kann schon was. Aber das ist ja das Schlimme: Wäre es wirklich richtig schlecht, könnte man es wenigstens liebenswert scheiße finden. Hier hat man das Gefühl, dass die Zutaten ähnlich kalkuliert hinzugetan werden wie bei gepanschtem Wein.

Gut gemacht ist natürlich auch der zweite Song, „Year of the Dragon“. Ein Midtempo-Stampfer erster Kajüte. „Los Vadder, komm in die Socken/ Und Mudder schlüpft in ihre roten Pöms/ Hier geht was los, da bleibt kein Auge trocken/ Klaus-Dieter, setz ’n Halben ab. Jetzt kommt’s“, heißt es in der Strophe. Ach nee, jetzt habe ich versehentlich Gottlieb Wendehals zitiert. Die Rollen sind hier klar verteilt: Da gibt es diesen großen, muskulösen Typen, der auch bei einer Death-Metal-Band singt und tief ins Mikro knurrt. Und dann diesen anderen, etwas kleineren filigranen Sänger, der – das muss man anerkennen – eine sehr geile, hohe Sangesstimme hat. Zum Einstieg gibt es japanische Folklore und „Uh! Ah! Uh!“-Chöre. By the way: Hatte ich schon die Band DSCHINGHIS KHAN erwähnt? Man kann natürlich auch andere Referenzen zitieren. Wer die neue HAMMERFALL geil findet, könnte unter Umständen auch das hier geil finden. Die Klischees sind ähnlich.

All for Metal? Der Refrain nervt!

Spätestens bei Song Nummer drei wird das Problem dieser Musik wie unter dem Brennglas einer abgestandenen Bierflasche überdeutlich: der Refrain nervt. Er nervt fundamental. Dieses Trallala, dieses Offensichtliche. Ich habe es ja verstanden: Ihr wollt einen verdammten Hit schreiben, den jeder, wirklich JEDER auf dem Festival mitgrölen kann. Die ganze Familie. Auch Ernie, das dreijährige Kind auf wackligen Beinen. Der Song soll ins Ohr gehen, gegen alle Widerstände. Und jetzt ist er da und macht sich breit. Es ist kein schönes Gefühl. Es klebt und schmerzt. Ich finde das maximal übergriffig. Da hilft es auch nichts, dass die Strophe sehr ansprechend galoppiert und einiges Potential hat. Kennt ihr das Gefühl, euch komplett mit Süßigkeiten vollgefressen zu haben? Ihr habt immer wieder in die Schale gegriffen, konntet nicht aufhören, und nun ist euch schlecht? So fühlt sich dieser Song an. Die ganze verdammte Platte. Ach ja: Hier klingt man eher nach HELLOWEEN als nach HAMMERFALL. Was, beide Bands klingen ähnlich? Ein bisschen MANOWAR ist auch eingerührt. HEAVYSAURUS haben aber mehr Biss.

Die obligatorischen Powerballaden gibt es mit Songs wie „Path of the Brave“ natürlich auch. Mit großer Geste vorgetragen. Da das hier ein Konzeptalbum über „das rätselhafte und kulturell reiche Land der aufgehenden Sonne“ ist, wie der Promozettel der Plattenfirma behauptet – „ein Ort, der von uralten Traditionen und legendären Geschichten durchdrungen ist“ (Ach was! Wir lösen das Rätsel: Japan!) – dürfen wir uns nur heimlich ein sanft schaukelndes Fischerboot vor einer verträumten Hafenanlage in einem Rosamunde-Pilcher-Roman vorstellen, vor der ein Lord einer schönen Gräfin einen Heiratsantrag macht. Das Sujet ist natürlich dasselbe: maximales Pathos, größtmögliche Geste. Und damit der Hörer die Melodramatik auch ja nicht überhören kann, wird er liebevoll erwürgt. „Forever“ wird auf „Together“ gereimt, und man weiß nicht so recht, ob es in dem Song nun um eine Liebe oder um einen Helden in der Schlacht geht. Vermutlich um beides. „This will be the final fight, Maybe we must die tonight!“ Vielleicht geht es auch um Liebe zwischen Kameraden. Und meine Güte – wie sehr war ich erleichtert, als ich merkte, dass “Who Wants To Live Forever” KEINE QUEEN-Coverversion ist. Das haben sie uns dann doch erspart.

So geht es weiter durch das Album, meist im stampfenden Midtempo, mal etwas flotter und mit netten Gitarrenharmonien, oft gefällig, oft generisch, aber nie herausfordernd oder überraschend. Das hier ist „Malen nach Zahlen“ in der Metalversion und mit einer ordentlichen Portion Schlager verrührt. Mal nickt man anerkennend, weil eine Melodie ja doch gelungen ist (zumeist die Strophen wie bei „Valkyries In The Sky“), aber noch viel öfter schüttelt man verzweifelt den Kopf, weil sich hier jede fucking Melodie auf sehr aufdringliche Weise in deinem Ohr festbeißen will, ohne Rücksicht auf Verluste. Man soll den Namen Voldemort nicht aussprechen, und deshalb geht mir auch erneut der Name Ralf Siegel nicht über die Lippen. Dass die Band im Herbst auf Mallorca bei “Full Metal Holiday” spielt, ist da nur konsequent – da gehören sie hin. Und ich verwette eine Kiste Met oder Reiswein, dass wir sie auch im ZDF Fernsehgarten sehen werden. Musik, die keinem weh tun will – und die gerade deshalb schmerzt.

Ich will den Jungs (und Mädels an der Gitarre) ja gar nicht absprechen, dass sie das alles aus vollster Überzeugung und ohne kommerzielle Hintergedanken tun. Dass sie diese Musik so spielen, weil sie Überzeugungstäter sind. Dass sie viel Arbeit in das Album investiert haben. Das Problem: Es klingt nicht so. Es ist alles nach Schema F gearbeitet, das Rezept ist bestenfalls biedere Hausmannskost, und wenn man hier einen großen Hai an der Angel wähnt, ist es bestenfalls ein Goldfisch. Und der „Ort, von uralten Traditionen und legendären Geschichten durchdrungen“, entpuppt sich als Doppelhaushälfte in der deutschen Provinz, wo die Koniferen blühen. Aber auch da soll ja hin und wieder ordentlich was los sein. Und wenn es den Plattenfirmen hilft, mit solchen Releases auch weniger erfolgreiche Alben mit mehr Substanz querzufinanzieren, sollen sie es gerne machen. Eine Zielgruppe, die bedient werden will, gibt es ja. Ich habe nur Angst, dass am Ende überwiegend das Generische übrig bleibt.

Veröffentlichungstermin: 23.08.2024

ALL FOR METAL Line-up 2024
Tetzel | Gesang
Antonio Calanna | Gesang
Jasmin Pabst | Gitarre
Ursula Zanichelli | Gitarre
Florian Toma | Bass
Leif Jensen | Schlagzeug
Christina Schulz | Showgirl
Luisa Lohöfer | Showgirl

Label: Reigning Phoenix Music

Homepage: https://allformetal.com/

ALL FOR METAL “Gods Of Metal (Year Of The Dragon)” Tracklist

Cry For Help (Intro)
Gods Of Metal (Video bei YouTube)
Year Of The Dragon
The Way Of The Samurai (Video bei YouTube)
Temple Of Silence
When Monsters Roar
Path Of The Brave (Video bei YouTube)
Like Thor And Loki
Valkyries In The Sky (Video bei YouTube)
Welcome
Who Wants To Live Forever
The Journey Will Not End (Outro)

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