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Рожь: В​с​ё

Musik, die tief ins Herz schaut: Рожьs Zweitwerk „В​с​ё“ ist ein außergewöhnliches Post Black Metal-Album, tief wie die Wälder Kareliens und wärmend wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem langen Winter.

Die sagenumwobenen Weiten Kareliens als ultimativer Sehnsuchtsort für diejenigen, die sich abseits der Zivilisation wünschen, dienen natürlich als stimmige Kulisse für tief bewegende Musik. РОЖЬ ist das Soloprojekt des Musikers Vladimir Frith, der eine beeindruckende Bandbreite an Musik beherrscht, wie ein virtuoser, musikalischer Handwerker mit einem großen Werkzeugkasten. Sein zweites Album lässt uns das feuchte Moos riechen, Baumrinden unter den Fingern spüren, die Luft des Nordens schmecken und ist – das darf schon eingangs erwähnt werden – eines der ganz großen Alben der vergangenen Monate.

„В​с​ё“ ist ebenso geerdet wie abstrakt, und eigentlich will es gar nicht mit Worten beschrieben werden. Das, was das zweite Album von РОЖЬ auszeichnet, ist die Tiefe, die erzeugt wird, und vermutlich ist es egal, welche Musik Vladimir Frith spielen würde, denn das Gefühl hinter „В​с​ё“ passt in viele Genres, entsprechend viel findet sich im Gesamtsound von РОЖЬ wieder. Das klingt dabei alles natürlich und fließt ineinander, denn „В​с​ё“ nimmt sich alle Zeit der Welt, um ein großes Panorama zu entfalten, und holt mit großer Liebe und Zugewandtheit seine Hörer ab.

In der Schnittmenge aus Post Black Metal, Funeral Doom, Ambient und Drone erschaffen РОЖЬ mit „В​с​ё“ Großes.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass „Вс​ё“ mit „Alles“ übersetzt werden kann. Grob kann „В​с​ё“ im Post Black Metal verortet werden. Beim Vorgänger „В​е​ч​н​о​е“ waren die Eckpfeiler klarer: Zwischen Funeral Doom und Black Metal steckten РОЖЬ ihre Grenzen ab, was nun, knapp zwei Jahre später mit viel mehr Zwischentönen gefüllt wird. Lag das Debütalbum noch zwischen BELL WITCH und ALTAR OF PLAGUES, ist da nun zusätzlich mehr Ambient und Atmosphäre im Stil von WOLVES IN THE THRONE ROOMs „Celestial Lineage“ und der zeremonielle Ernst von AMENRA und die Energie und Sperrigkeit von DOWNFALL OF GAIA zu finden.

Diese großen Namen als Referenz sind für РОЖЬ aber nicht zu groß. Denn Frith ist ein souveräner Songschreiber, der meisterhaft mit seinen Werkzeugen umgeht und es beherrscht, seine Einflüsse zu einem homogenen Ganzen zu verarbeiten und dabei sein ganzes Herzblut und tiefe Emotionen in die Musik fließen zu lassen. Fast nebenbei sind da große, erlösende Momente wie im rasenden „Истина“, im zeremoniellen „Навсегда“ sowie dem vierzehnminütigen Schlusstrack „Аминь“, die allesamt tief ins Herz schauen, ohne dass dabei Pathos oder Theatralik benötigt wird. Wer offensivere Musik braucht, dem könnte „В​с​ё“ zu zäh und träge wirken, wer aber sein Herz öffnet, in den wird diese Musik fließen wie ein Bachlauf, der die Flora und Fauna am Rand davon ernährt.

РОЖЬ schreiben große und großartige Stücke – „В​с​ё“ schaut tief ins Herz, auch ohne Pathos und Theatralik.

Es passiert viel, aber nicht zu viel auf „В​с​ё“. In einer Dreiviertelstunde pendelt das Album zwischen den Extremen, profitiert von einem dichten, rauschhaften Sound, ist wuchtig und doch zart. Zwischen den zentnerschweren Riffs mit ihrem schleppenden Drumming und den immer wieder eingestreuten Blast Beats kommen keine Lücken auf, Synthesizer füllen jede Ritze und sorgen so dafür, dass die Musik ihren Griff nicht lockert. Dann sind da wieder sanfte Ambientwelten, die mehr als nur Interludes sind, sondern „В​с​ё“ maßgeblich prägen. Dass Vladimir Frith auch eine breite Gesangspalette bietet, mit seiner Stimme aber stets im Hintergrund bleibt, erschafft eine weitere Dimension.

Auch wenn die Sprache uns von Vladimir Friths Projekt trennt, das Herz braucht diese Grenze nicht zu fürchten. Die Musik von РОЖЬ erfüllt und wärmt trotz all ihrer introspektiven Dunkelheit wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem langen Winter. РОЖЬ mögen auf „В​с​ё“ keine Innovationen und bahnbrechenden Neuerungen im Post Black Metal-Bereich bieten, es ist aber eine Seltenheit, wie viel Seele in dieser Meditation über die Vergänglichkeit steckt. Und wenn am 2. Januar eines neuen Jahres schon das erste der zehn besten Alben der kommenden zwölf Monate feststeht, sagt das vermutlich mehr aus als der obige Text.

Wertung: 5,5 von 6 Lebenszyklen

VÖ: 2. Januar 2023

Spielzeit: 46:34

Line-Up:
Vladimir Frith – Instuments, Vocals

Label: Reflection Nebula

РОЖЬ „В​с​ё“ Tracklist:

1. Прощай
2. Трехногая слава
3. Истина
4. Зовёт меня
5. Навсегда
6. Аминь

Mehr im Netz:

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