DAS METAL-UTENSIL DES MONATS: Die erste Gitarre oder: Und wo bleibt Amnesty International?

Abertausende armselige Existenzen fristen ihr Dasein eingesperrt in dunkle, feuchte Kellerräume, spinnwebenverhangene Schränke oder gar lebendig begraben in nahezu luftundurchlässigen Kisten! Gehalten werden sie wie Sklaven, dabei wollten sie doch nur ihrem Herrn dienen. Nur gelegentlich noch werden sie aus ihrem Verschlag ins grelle Licht gezerrt, um ihren Dienst zu versehen, wenn die neue Flamme des Meisters unerwarteterweise nicht spurt. Doch eine Erwähnung im Jahresbericht von Amnesty International sucht man vergebens…

Heute möchte ich von einer der traurigsten Schattenseiten des Metals berichten. Abertausende armselige Existenzen fristen ihr Dasein eingesperrt in dunkle, feuchte Kellerräume, spinnwebenverhangene Schränke oder gar lebendig begraben in nahezu luftundurchlässigen Kisten! Gehalten werden sie wie Sklaven, dabei wollten sie doch nur ihrem Herrn dienen. Nur gelegentlich noch werden sie aus ihrem Verschlag ins grelle Licht gezerrt, um ihren Dienst zu versehen, wenn die neue Flamme des Meisters unerwarteterweise nicht spurt. Doch eine Erwähnung im Jahresbericht von Amnesty International sucht man vergebens…

Wovon ich rede? Natürlich von der ersten Gitarre! Doch von vorne: Jeder Metaller, den in jungen Jahren der Ruf der Kreativität (oder eine falsch verstandene Einmischung der Stimmen in seinem Kopf…) ereilt, zerrt seine Eltern in den nächstgelegenen Musikalienladen, um sich dort das Lärminstrument seiner Wahl zu sichern und fortan die eh schon geplagten („Was haben wir nur falsch gemacht, dass unser Junge so einen Krach als Musik bezeichnet!?“) Erzeuger endgültig mit noch völlig talentfreiem, aber umso ausgiebigerem Üben in den Wahnsinn zu treiben.

In dem Musikalienladen laufen sie – nach längerem Ignoriertwerden vonseiten der Belegschaft – einem gelangweilten langhaarigen Typen in die Arme, der für die Gitarrenabteilung zuständig ist und dort ein grausames Regiment führt. Aus seiner Sicht völlig zurecht, denn er hat es in zwanzig Jahren mit seinen grandiosen Ideen nur zu einem Auftritt in der Stadthalle und einer Tour durch fast leere Punkkneipen gebracht, und nun kommen hier ständig solche Stöpsel an und meinen mal eben, sie wären als Gitarristen ausersehen. Pah, die werden schon sehen, wo der Hammer hängt. Sollen sie doch durch die ganz harte Schule gehen! Prompt hält Papas Schützling (nur selten kommt Mama mit, denn E-Gitarren haben was mit Technik zu tun, dafür ist Vattern zuständig) eine wahlweise hellblaue, altrosane oder quietschgrüne Gitarre in den Händen, deren Firma dem Rockstar in spe leider von keinem seiner Lieblingsgitarreros her bekannt ist, und entlockt dem mit Features wie einem Zentimeter Saitenabstand vom verzogenen, bundunreinen Hals oder einen leicht angerosteten Tremolohaken, an dem das Schild „fabrikneu“ baumelt, auffallenden Instrument quäkende Geräusche, die eine entfernte Ähnlichkeit mit „Smoke on the Water“ oder „Highway to Hell“ nicht ganz abstreiten können. Die knallharte Verachtung des Verkäufers („Mannmannmann, wir sollten auf dem Monsters of Rock spielen, aber unser Herr Sänger musste ja unbedingt mit seiner Freundin in den schon gebuchten Urlaub, statt wie geplant die Frau des Veranstalters zu entführen…“) geht in diesem Moment eine unheilige Allianz mit dem Geldbeutel des Herrn Papas ein, da jener das Preisschild am Hals der Gitarre entdeckt hat, es reflexartig mit den restlichen im Raum baumelnden Preisschildern abgeglichen hat und erfreut feststellt, dass sein Spross das bei weitem günstigste Angebot um den Nacken hängen hat.

DasDaheim angekommen, wird der ebenfalls erstandene 20 Watt-Kofferverstärker angeschlossen, die Gitarre mit dem in Komplementärfarbe gehaltenen Kabel (ein Naturgesetz, siehe “Zusammenleben mit einem Gitarristen“) eingestöpselt und wochenlang wie wild zu SLAYER-, METALLICA– und IRON MAIDEN-Songs abgemosht, bevor eine Tante Erbarmen hat und zum Geburtstag ein Songbook springen lässt, damit die Tonfolgen der Gitarre wenigstens ansatzweise in ähnliche Bahnen wie der Sound aus der Anlage gelenkt werden. An dieser Stelle betritt zudem ein überaus notorischer Zeitgenosse über das Medium Buch und Tonträger (früher noch in Gestalt dieser sonst nur aus der Micky Maus bekannten Flexidiscs) die Szene: Peter Bursch und seine Heavy Rock-Gitarrenschule. Ja, eure Nackenhaare stellen sich zurecht auf und versuchen, sich selbst zu entwurzeln. Daher will ich es kurz machen und auf Frank Goosens wunderbaren Roman „Liegen lernen“ (ISBN: 345386977X) verweisen, wo zudem die Gestalt des ersten Gitarrenlehrers stilecht beschrieben wird.

Eines Tages dann kommt es zu einer dramatischen Entwicklung. Die erste Band ist so langsam formiert, der Drummer und der Basser wurden darüber informiert, dass ihre Ideen nicht willkommen sind, und der erste Gig im Jugendhaus im Nachbarort wurde schon unter dem Titel „Destroying the World Tour“ angekündigt. Da beschleichen den mittlerweile sogar in Profunditäten wie Takt, Rhythmus und C-Dur-Tonleiter eingeweihten Gitarrero leise Zweifel. Ob hellblau, altrosa oder quietschgrün wirklich die richtige Farbe ist, um wie geplant die krasse MARILYN MANSON-Verehrerin aus der Neunten beim Konzert gebührend zu beeindrucken und so das Problem mit den ausbleibenden Groupies hinzubiegen? Also wird erneut der Instrumenteladen gestürmt und das gesparte Taschengeld auf den Tisch gehauen. Einer kurzen Ernüchterung angesichts der Preise einer Gibson Flying V oder einer Marty Friedman-Jackson folgt der Kauf eines im Vergleich zur zuvor erstandenen Klampfe technisch etwas weniger grausigen Japanripoffs einer Flying V, während der Verkäufer gerade über die Ungerechtigkeiten im Business angesichts des Erfolgs solcher unbegabten Greenhorns wie SLAYER, METALLICA und IRON MAIDEN nachsinniert.

Fortan ist es vorbei mit der innigen Beziehung zwischen Jung-Yngwie und seinem hellblauen, altrosanen oder quietschgrünen Gefährten. Die tiefsten Kellerräume, der vermodertste Schrank, selbst sie sind noch zu gut für diese gerade noch verhinderte optische Blamage. Doch nachdem die „Destroying the World Tour“ mit einer gerissenen Saite und einem vergessenen Inbusschlüssel abrupt geendet hatte, wird die so Verschmähte fortan bei jedem Gig hervorgekramt und vor die neu erworbene Marshallbox gestellt, um solch eine Schmach nicht nochmal erleben zu müssen und notfalls eine Ersatzgitarre zur Hand zu haben. Und so fristet das arme, verbogene, mit den Jahren mit kleinen Flechten besetzte Stück Holz mit rostenden Saiten, das einst fast wichtiger als das berühmte erste Mal zu sein schien, sein jämmerliches Leben, bis es an den nervigen Sohn der Nachbarn vercheckt werden kann, der laut Eltern mal ausprobieren soll, ob er musikalisch ist…

Abschließend sei noch auf drei Varianten der obigen Geschichte verwiesen:

1. Als unser zukünftiger Rockstar und Groupiebezwinger nach dem Kauf der ersten Gitarre an der dritten Sehnenscheidenentzündung und dem Frust andauernder Talentfreiheit herumlaboriert, wird das gute Stück gleich ohne Umweg in die oben genannten Verliese gesperrt, um nie wieder hervorgezerrt zu werden. Bei Parties wird allerdings gerne noch erwähnt, dass er ja Gitarrist sei, und sie könne gern mal vorbeischauen, dann schreibt er ihr einen Song, kein Thema.

2. Die Frustration und die folgende Aufgabe der Rockstarkarriere setzt erst nach der „Destroying the World Tour“-Abrechnung im Jugendhaus des Nachbarortes ein, als dem jungen Gitarrengott auf „Wie sollen wir uns um alles in der Welt bei fünf zahlenden Gästen verrechnet haben!?!?!“ keine passende Antwort mehr einfällt und die treulose MARILYN MANSON-Tusse nicht mal unter den fünf Zuschauern gewesen war, dafür aber die eigenen Eltern. Tritt dieser Fall ein, so ist der weitere Berufsweg vorgezeichnet…Wir haben es oben bereits erfahren: Es gibt genügend Gitarrenabteilungen, die auf erfahrene, hoch motivierte Mitarbeiter warten, die dort dann der kommenden Generation von Slashs, Hetfields und Youngs fachkundige Beratung angedeihen lässt…

3. Ältere Semester werden sich noch bestens daran erinnern: Es gab eine Zeit in Deutschland, da war es nicht nötig, Paps erst langwierig zum Gang ins Instrumentengeschäft zu überreden. Ein selbstloser Geschäftsmann namens Roadstar Rolf hatte sich erbarmt und gab der Republik, nach was es ihr verlangte: billige Gitarren, im Komplettset mit Gurt, Verstärker, Kabel und einem Grifftabellenposter. Geradezu legendär waren die schwarz-weiß gedruckten Kataloge, in denen Äxte mit zackigen Formen und so verlockenden Namen wie „Ironbird“ und „Warlock“ lockten. Das klang schon beinahe nach Rock in Rio! Dank rekordverdächtiger Unbespielbarkeit der Klampfen hielt sich lange Zeit noch das Gerücht, dass sich hinter Roadstar Rolf ein weiterer desillusionierter Ex-Gitarrist verbirgt…Vielleicht sollte man mal bei ihm daheim im Keller nach einer hellblauen, altrosanen oder quietschgrünen Gitarre fahnden?

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