RICH WILSON: Lifting Shadows – The Authorized Biography of DREAM THEATER (Taschenbuch)

Eine absolut lesenswerte (englischsprachige) Biographie, egal welche Schaffensperiode der Band man besonders mag. Praktisch jede Episode wird mit O-Tönen der beteiligten Personen ausgeschmückt (Bandmitglieder, Manager, Produzenten, Sängerkandidaten, Cover-Designer usw.).

Es war Liebe auf den ersten Ton, als ich Anfang der 90er zum ersten Mal DREAM THEATER hörte. Ein so faszinierendes Progressive Metal-Album wie Images And Words hatte es bis dato nicht gegeben – und sollte es auch nie wieder geben. Und dann war da natürlich das Götter-Album When Dream And Day Unite, dessen traumhafte Melodien mich auch heute noch jedesmal verzaubern. Awake sorgte bei mir für Irritation, bevor mit Falling Into Infinity Resignation folgte. Keines der weiteren Alben konnte mich nachhaltig in seinen Bann ziehen. Ich habe allergrößten Respekt für die Konstanz, mit der die Band ihren Weg geht. Aber emotional lassen mich Alben wie Black Clouds And Silver Linings oder jüngst Dream Theater kalt. Dementsprechend habe ich mit dem Kauf (und damit verbunden der Lektüre) der Bandbiographie auf die (aktualisierte) Taschenbuchausgabe gewartet, die nun – ergänzt um den Mike-für-Mike-Schlagzeugerwechsel – online erhältlich ist.

DREAM THEATER waren schon immer für ihre Fanfreundlichkeit bekannt. Da überrascht es wenig, dass auch die authorisierte Biographie keine Mogelpackung geworden ist. Für knapp 15 Euro sollte man natürlich keine Enzyklopädie erwarten, die alle Texte, Konzertdaten und Roadienamen auflistet. Stattdessen erzählt der Musikjournalist Rich Wilson die Bandgeschichte vom Anfang bis heute. Bei jedem Bandmitglied gibt es einen kleinen Exkurs zur Herkunft, ansonsten verläuft der Handlungsfaden weitestgehend chronologisch. Praktisch jede Episode wird mit O-Tönen der beteiligten Personen ausgeschmückt. Dabei kommen neben den Bandmitgliedern auch Manager, Produzenten, Sängerkandidaten (John Arch!), Cover-Designer und viele andere Personen zu Wort. Die Eckpunkte – MAJESTY, Berklee, Besetzungswechsel, Plattenfirma-Probleme – sind nicht nur eingefleischten Fans sicher bekannt. Man erfährt bei der Lektüre von Lifting Shadows allerdings viele zusätzliche Details, wobei auch Kontroversen und Krisen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Die schillerndste Figur ist hierbei vermutlich David Prater, der sowohl Images And Words, als auch die A Change Of Seasons-EP produzierte und dabei wiederholt mit der Band im Clinch lag.

Man kann diese Episoden so sehen, dass ein überheblicher Produzent die Genialität der Künstler nicht begriffen hat. Man kann aber auch die Band als eine Gruppe von Dickköpfen sehen, die bei all ihrer spielerischen Virtuosität den Blick fürs Ganze verloren hat. So entwickelt sich die Befreiung von der Meinung Außenstehender – sprich von Plattenfirmenleuten und Produzenten – zum Leitmotiv der Bandgeschichte. Dabei begann alles, wie es immer begann. Beinahe zumindest. Außergewöhnlich ist sicher die Besessenheit, mit der beispielsweise John Myung sein Instrument studiert. Neben fünfmal pro Woche 6 Stunden im Proberaum mit der Band übte er mal eben bis zu zehn weitere Stunden *pro Tag*. Es sind diese Feinheiten, die mir als Fan besonders an der Biographie gefallen. Natürlich wusste ich, dass die Plattenfirma Mitte der 90er versuchte, Einfluss auf den Stil der Band zu nehmen. Auch die Stimmprobleme von James LaBrie seinerzeit (infolge einer Lebensmittelvergiftung), waren bekannt. In Lifting Shadows bekommt man nun einen reflektierten Rückblick zu all diesen Episoden, bei dem die Freude am Musizieren über allem anderen thront. Die wollen nur spielen! wäre ein passender Alternativtitel für das Buch gewesen.

Mehr als einmal nimmt die Geschichte tragische Züge an, weil man natürlich weiß, dass Kevin Moore die Band nach der Veröffentlichung von Awake verließ, dass Derek Sherinian zu viel Rock`n`Roll für DREAM THEATER war. Weil ich als Altfan immer noch vergeblich auf ein weiteres Meisterwerk des Kalibers der beiden ersten Alben warte. Natürlich gibt es auch viele positive Momente. Einmal mehr wird bei der Lektüre deutlich, wie sehr die Band ihre Fans schätzt. Man bekommt auch einen tiefen Einblick in die eigenwillige Bandchemie. Spätestens hier wird klar, warum ein halbwegs normaler Musiker in dieser Band fehl am Platz wäre. (Leider werden auch jede Menge Gitarristen beim Lesen zum Leidwesen ihrer Mitmusiker Allmachtsfantasien entwickeln.)

Die Biographie ist dermaßen mit Informationen, Anekdoten und Erinnerung vollgestopft, dass man angestrengt nachdenken muss um festzustellen, wo es Lücken gibt. Klar, es gibt keine rückblickenden Kommentare von ex-Keyboarder Kevin Moore, der DREAM THEATER vollständig hinter sich gelassen hat. Im Buch wird dabei unterschlagen, dass Moore zumindest auf den ersten beiden OSI-Alben noch einmal mit Mike Portnoy zusammengearbeitet hat. Generell werden die zahlreichen Nebenprojekte nur sehr selektiv und knapp erwähnt. Gleiches gilt für die Familien der Musiker, die zwar als wichtiger Beistand erwähnt werden, aber weder persönlich zu Wort kommen, noch systematisch vorgestellt werden. Diese klare Trennung zwischen Beruf und Privatleben geht natürlich völlig in Ordnung. Ich hätte lediglich gerne etwas mehr als einen Nebensatz darüber gelesen, dass die Ehefrauen von Petrucci, Portnoy und Myung mit ihrer Band MEANSTREAK einst vor DREAM THEATER ihr erstes Album veröffentlichten und wie die Beteiligten seinerzeit damit umgegangen sind.

Insgesamt ist Lifting Shadows eine absolut lesenswerte Biographie. Sie ist im höchsten Maße interessant, egal welche Schaffensperiode der Band man besonders mag. Alle wichtigen Stationen werden gebührend aufgearbeitet. Entsprechend kann ich sie allen neugierigen Hörern und Fans der Band nachdrücklich empfehlen, sodenn sie zumindest Grundkenntnisse in Englisch haben. Ich weiß jetzt jedenfalls, warum die Band nach Images And Words vom rechten Weg abkam und auch nicht wieder zurückfinden wird beziehungsweise will.

Label: Rocket 88 Books

Mehr im Netz: http://www.liftingshadows.com

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