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Rock die Sau II (mit DELIRIOUS, CARTHAGO, OSYRIS, CENTAURUS -A & CARPATHIAN DREAM), Beckum, Altes E-Werk, 30.03.2002

Gothic Metal, Hardcore, Power- und Thrash Metal an einem Abend. Solche abwechslungsreichen und qualitativ guten Metal-Konzerte sind es, die die Szene braucht.

Nach dem großen Erfolg des letzten „Rock die Sau“-Festivals riefen die Beckumer Lokalhelden CARTHAGO als Organisatoren die versammelte Metallkopfgemeinde erneut in die beschauliche Stadt im Münsterland, um dem Heavy Metal zu huldigen und die Sau rauszulassen. Wer allerdings zum ersten Mal das Alte E-Werk betrat, war zunächst geschockt, fand er sich doch in einer Art zu groß geratener Waschküche wieder, in deren Ecke man eine Bühne hingestellt hatte, um daraus so etwas wie einen Konzertsaal zu machen. Dies war leider gründlich mißlungen, denn sowohl der geschmackvoll geflieste Boden als auch das durchgehend aus dem Kassenbereich in den Raum strömende Licht nahmen irgendeiner aufkommen wollenden Atmosphäre jede Chance. Blieb also nur noch sich die Sinne zu betäuben, dies am besten mit Bier, das erfreulicherweise nur einen Euro kostete – toll, mochte man sich denken, vergaß es aber schnell wieder, denn auch hier hatten sich die Menschen vom E-Werk einen besonderen Gag ausgedacht: wer zum ersten Mal zur Theke ging, wurde wieder weggeschickt mit dem Hinweis, sich bei der Kasse eine Wertmarke zu kaufen. Tat der trinkwillige Metallkopf dies und stand nun erwartungsvoll und nach einem Tropfen Bier lechzend mit der Wertmarke vor der Theke, wurde ihm nahegelegt, sich einen zweite zu kaufen, denn es galt eine Marke Pfand. Nun schon etwas genervt, schlich man sich also von dannen und kaufte eine zweite Marke. Durch diese dann endlich am kühlen Naß angelangt, stürzte man selbiges schnell hinunter, um den aufkommenden Frust zu betäuben. War dies geschehen, holte man sich das Pfand, denn man hatte noch Bier im Rucksack und hieß nicht Krösus. Da jedoch ein jämmerliche Papierschnipsel nichts wert ist, mußte man nochmal zur Kasse, um diesen in Geld umzutauschen. Mal ehrlich: Das ist doch absurd!

Aber egal, denn man war nicht primär zum Trinken, sondern zum Musik hören und Band gucken gekommen. Und da machten den Anfang die Hannoveraner CARPATHIAN DREAM, die in mir zunächst die Frage aufkommen ließen, was man denn in den Kaparten für Träume haben kann. Da dieser Landstrich für gewöhnlich in Sprichwörtern als leer und recht unattraktiv beschrieben wird, liegt hier die Vermutung nahe, daß es sich um Träume von sonnendurchfluteten Stränden, üppigen Landschaften und riesigen Villen handelt. Nun, die Vermutung war falsch, denn in der Musik der Band kommen wohl eher recht düstere, aggressive Träume zum Ausdruck. Stilistisch im Gothic Metal/“Death Rock“-Bereich angesiedelt, spielte sich die Band recht sicher und ungemein spielfreudig durch ihren Set, obwohl noch nicht allzu viele Menschen anwesend waren. Die Songs an sich sind weder langsam noch schnell, sondern irgendwas dazwischen, und orientieren sich grob an Bands wie DARKSEED oder SENTENCED, denen mit einem Cover von „I´ll throw the first rock“ gehuldigt wurde. Auch einige moderne Einflüsse, die sich im groovigen Charakter mancher Passagen bemerkbar machten, konnten herausgehört werden. Besonders gut gefiel mir der Schreihals der Band (sie besitzt zwei Sänger), der mit seinen aggressiven Shouts die nötige Härte in die Musik einbrachte. Aber auch der zweite Sänger, dessen Vorbild deutlich Ville von SENTENCED ist, wußte zu überzeugen. Zu arbeiten ist indes noch an der Qualität der Songs, die für meinen Geschmack noch zu beliebig und durchschnittlich klingen – sofern man das nach einmaligem Hören bei einem Gig beurteilen kann.

Nach diesem angenehmen Einstieg in den Abend frönte man erneut dem Biergenuß, um sich auf die als „DeathCore“ angekündigte Band CENTAURUS -A einzustimmen. Diese begannen mit einem atmosphärischen Intro, bei dem wohl Dunkelheit hätte herrschen sollen, was aber durch das schon angesprochene Kassenlicht verhindert wurde. Als der Sänger dann in einem Ausbruch ungestümer Aggression anfing zu schreien und zu toben, mußte man leider auch feststellen, daß der Gesang viel zu leise abgemischt war. Nun ja – das waren die Mankos des Auftritts. Der Rest wußte voll zu überzeugen. Geboten wurde extrem aggressiver Hardcore mit Death Metal/Grindcore-Anleihen. Gedanken an Bands wie FORCED TO DECAY oder LOXIRAN wurden wach, denn hier wiederholte sich kaum etwas, Aggression und schräge Harmonien wurden groß geschrieben, und zwischen den Songs hörte man immer wieder Samples und atmosphärische Geräusche. Aber auch CRYPTOPSY wurden als Vergleich herangezogen, wenngleich der Sänger nicht oder nur wenig grunzte. Beeindruckend aus meiner Sicht ist das hohe Niveau der Musiker, die wirklich eine Menge drauf haben und konzentriert und engagiert ihr Programm spielten. Ins Publikum sprang der Funke auch über, so daß man von einem rundum gelungenen Auftritt einer wirklich vielversprechenden Band sprechen kann.

Die dritte Band des Abends sollte nun für die „Balladen“ zuständig sein, denn es war die einzige mit klarem Gesang. OSYRIS aus Ahlen bescheinigte ich schon in meinem Review zum ersten Demo große Qualitäten, die auch schon live einige Male unter Beweis gestellt worden sind. Man mag mir Befangenheit vorwerfen, weil ich die Band auch persönlich kenne, aber ich kann euch versichern, daß ich eine solche Professionalität und vor allem eine solch hohe „songwriterische“ Klasse selten zuvor bei einer Demo-Band gehört habe, noch dazu im melodischen Metal-Bereich, wo ja ungemein viel Schund veröffentlicht wird. Auch an diesem Abend nun bot die Band ihren hochmelodischen, aber nie die Aggressivität vermissen lassenden Power Metal (mit Thrash-Einflüssen) souverän dar – trotz eines nicht gerade kleinen Hindernisses; verhindert wurde der Fluß des Gigs nämlich dadurch, daß anfangs zwischen jedem Song fünf Minuten lang die Fußmaschine des, gelinde gesagt nicht sehr großen, Schlagzeugs neu angeschraubt werden mußte. Diese logistische Herausforderung sorgte jedoch bei den Fans nicht für großen Verdruß, dafür macht die Musik der Band einfach zu großen Spaß. Und so wurden „Gassenhauer“ wie „Faster Than Light“ oder das brillante „Taken By Force“ mit gewohnter Präzision dem begeisterten Publikum entgegen geschmettert; ein „Katastrophen-Gig“, wie von Sänger Bastian Becker konstatiert, war das jedenfalls trotz der Probleme nicht, und spätestens beim abschließenden METALLICA-Medley (bestehens aus „Masters Of Puppets“ und „Damage Inc.“) blieb kein Auge mehr trocken, und die Haare flogen bis zum Umfallen. Das ist melodischer Metal, wie er sein muß – melodisch, aber nicht kitschig, eingängig, aber nicht lasch. Klasse!

Nun waren die Organisatoren des Abends an der Reihe: CARTHAGO. Die Beckumer Düster Metaller, die sich einst „Black Metal“ nannten, aber niemals welchen gespielt haben, haben gewaltige Fortschritte gemacht, soviel läßt sich zunächst einmal feststellen. Verflogen ist der typische Gothic-Durchschnittskitsch, den ich an der Band früher nicht mochte – hinzugekommen ist eine Menge Aggressivität. Ja, CARTHAGO spielen anno 2002 eine sehr wohltuende Mischung aus schnellem Gothic- und mittelschnellem Death Metal mit einem sehr sympathischen Augenmerk auf Melodien. Auch die Growls von Sänger Marc wissen inzwischen zu gefallen, auch wenn er es einmal wieder nicht lassen konnte, ein Extra-Mikro für besonders „düstere“ Sounds zu bemühen, was ja nun wirklich recht albern ist. Ansonsten ist die Albernheit allerdings stark zurückgegangen, so daß man die Band endlich richtig ernst nehmen kann. Im Verlauf des Gigs, bei dem leider schon einige Zuschauer den Ort des Geschehens verließen, so daß die riesige Waschküche noch unatmosphärischer wurde, verloste man dann noch einige Exemplare des neuen Demos der Band, „Melodies Of Death“. Ich hätte allerdings lieber noch mehr Songs gehört anstelle des „Mosh-Contests“ und des „Stagedive-Contests“, die beide viel Zeit in Anspruch nahmen und leider nicht den Zweck erfüllten, den sie wohl erfüllen sollten, nämlich: lustig zu sein. Macht aber nichts, im Endeffekt war es ein guter Gig mit wirklich guten Songs, der viel Lust auf die neue CD machte. Daß CARTHAGO überdies ausgezeichnete Musiker sind, braucht hier nicht extra erwähnt zu werden (wird es aber ;-)).

Als späten Abschluß des Abends waren DELIRIOUS an der Reihe. Leider war es wohl für viele zu spät, so daß sich die Underground-Thrash-Heroen einer fast leeren Halle gegenüber sahen. Nur vor der Bühne tobte noch der Mob, als der Koloß eines Sängers, der selbst MEAT LOAF erbleichen lassen würde, loslegte. Unglaublich, was für eine Spielfreude und was für eine Energie diese Band an den Tag (bzw. die Nacht) legen kann, und unglaublich, wie sie abgefeiert wurde, trotz der geringen Zuschauerzahl. Ich für meinen Teil kann mit dem Old School Bay Area Thrash der Hammer zwar wenig anfangen, muß aber zugeben, daß die, die dies können, DELIRIOUS einfach lieben müssen. Das merkten sie dann auch selber und spielten unheimlich lange, powerten sich richtig aus und ließen den leider, wie gesagt, nur sehr wenigen Fans, kaum eine Verschnaufpause. Beeindruckend, auch im Kontext der Tatsache, daß der Sänger angeblich erkrankt ist und deswegen alle anderen Konzerte abgesagt werden mußten – krank sah der junge Mann nun wirklich nicht aus.

Nach DELIRIOUS ging dann nun ein wirklich schöner, lauter, feuchtfröhlicher Abend zu Ende. Die, die gekommen waren, haben es nicht bereut, und die, die nicht da waren, sind selbst schuld. Solche abwechslungsreichen und qualitativ guten Metal-Konzerte sind es, die die Szene braucht. In diesem Sinne – auf das nächste „Rock die Sau“, dann bitte woanders und ohne Wertmarken.

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