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ICE NINE KILLS, SKYND, LANSDOWNE, DEFYING DECAY: Konzertbericht – TonHalle, München – 23.05.2023

Mit einer Mischung aus hitverdächtigen Melodien, unerbittlicher Härte und einem visuellen Horror-Konzept für Film-Liebhaber zählen ICE NINE KILLS derzeit zu den angesagtesten Metalcore-Acts aus Übersee. Eigentlich logisch also, dass die “Wurst Vacation”-Tour mit dem umfangreichem Vorprogramm aus SKYND, LANSDOWNE und DEFYING DECAY vielerorts ausverkauft ist. Wir haben dem Tour-Paket in der Münchner TonHalle einen Besuch abgestattet.

Als ICE NINE KILLS Anfang des Jahres ihre Europatour hinsichtlich der bevorstehenden Stadion-Shows mit METALLICA auf das Frühjahr 2023 verschoben hatten, hatte das zumindest für die Münchner Fans einen angenehmen Nebeneffekt: Der neue Termin ermöglichte zugleich den Umzug von der ausverkauften Muffat- in die größere TonHalle. Dass selbst in der geräumigeren Location die Tickets bald darauf restlos vergriffen waren, spricht nur für die Popularität der Metalcore-Formation, die sich auch ohne große Präsenz im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren zu einem der angesagtesten Acts entwickelt hat.

Aus gutem Grund übrigens, denn neben einem Gespür für absolut hitverdächtige Melodien und Singalongs präsentieren sich die US-Amerikaner mit ihrer Horrofilm-Thematik als wahre Meister der Inszenierung. Dieselbe Liebe zum Detail, die uns in den Texten und Musikvideos der Band begegnet, finden wir auch in der Live-Darbietung wieder. Daher überrascht die enorme Warteschlange im Münchner Werksviertel bei unserer Ankunft keineswegs. Zahlreiche Fans warten schon geduldig vor den Toren, nicht wenige im thematisch passenden Make-up.


DEFYING DECAY

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Den ersten Schock am heutigen Abend versetzen uns aber weder gruselig geschminkte Clown-Fratzen noch die stolzen Merch-Preise von 45,-€ pro T-Shirt, sondern der unangekündigt vorgezogene Show-Start. Statt planmäßig um Acht, stehen DEFYING DECAY fast eine ganze Stunde früher bereits auf den Brettern, während wir nebst einer Vielzahl weiterer Besucher:innen noch vor den Einlasskontrollen ausharren. Kommuniziert wurde die Planänderung – eigentlich sollten sich um sieben gerade mal die Tore öffnen – weder auf der Club-Homepage noch über Social Media, weshalb wir lediglich die drei letzten Songs der thailändischen Alternative / Metalcore-Band in voller Länge erleben können.

Besonders schade ist das angesichts der schieren Spielfreude, welche die Band unverkennbar an den Tag legt. Sänger Jay, der heute im türkisen Anzug ein wenig Abschlussball-Flair versprüht, ist derweil ein natürlicher Fixpunkt, dessen energiegeladenen Ausbrüche die Müncher:innen ihrerseits zum Mitmachen anstacheln. Dementsprechend werden auf Bitten des Frontmanns gerne die Handylichter gezückt, bevor sich die TonHalle im MY CHEMICAL ROMANCE-Cover „Welcome To The Black Parade“ erstmals stimmlich verausgabt.

DEFYING DECAY haben die ungünstigen Startbedingungen nicht verdient

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Dass schließlich im finalen Track in den Seitenflügeln der Location aufgrund des unausgewogenen Mix nicht viel mehr als ein Dröhnen ankommt, kann der guten Stimmung zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise kaum etwas anhaben. Somit immerhin ein kleines Happy End für DEFYING DECAY, welche die ungünstigen Startbedingungen am heutigen Abend ganz offensichtlich nicht verdient haben.


LANSDOWNE

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Immerhin ist der Innenraum eine Viertelstunde später bereits ziemlich gut gefüllt, als die Lichter zum zweiten Mal ausgehen. LANSDOWNE fallen stilistisch mit ihrem Alternative / Hard Rock zunächst komplett aus dem Rahmen, bemühen sich während ihres kurzen Sets aber eifrig um den Rückhalt des Publikums. Mit Erfolg, denn trotz anfangs höflicher, doch etwas verhaltener Resonanz tauen die Müncher:innen in den kommenden Minuten spürbar auf.

Anteil daran hat vor allem das motivierte und hochengagierte Auftreten der Bostoner, wobei vor allem Schlagzeuger Glenn Mungo hinter seinem Instrument kaum zu stoppen ist. Unmittelbar davor stehen die beiden Gitarristen Shaun Lichtenstein und Josh Waterman ihrem Kollegen in nichts nach, während Frontmann John Ricci in Songs wie „Medicine“ oder „Savage“ eine grundsolide Performance abliefert und zwischendurch den direkten Draht zur Menge sucht.

LANSDOWNE finden durch ihr spielfreudiges Auftreten den Draht zum Publikum

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So stellt er nicht nur mit einem Augenzwinkern die Zuschauerschaft auf der hinteren Galerie unter Beobachtung, sondern findet alsbald lobende Worte für die aufwendig geschminkten Fans in den vorderen Reihen. Einer davon darf sogleich klatschenderweise den Takt für „Watch Me Burn“ vorgeben, nachdem zuvor in „Falling Down“ zahlreiche Smartphone-Lampen den Raum erhellt hatten. Auf diese Weise verwandeln LANSDOWNE in nur 25 Minuten die anfängliche Skepsis in Wohlwollen – recht viel besser kann man sich die Außenseiterrolle nicht zu eigen machen.

LANSDOWNE – Setlist – ca. 25 Minuten

1. Medicine
2. Savage
3. Falling Down
4. Halo
5. Watch Me Burn
6. One Shot

Fotogalerie: LANSDOWNE


SKYND

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Die Umbauzeiten bleiben heute angenehm kurz – wobei das anonyme Duo SKYND natürlich nicht die umfangreichste Backline mitbringt. Ein ebenfalls maskierter Tour-Schlagzeuger sorgt an der Seite von Multi-Instrumentalist Father, der neben Sampling heute den Live-Bass übernimmt, für das instrumentale Fundament, so dass die Bühne ansonsten ganz der namengebenden Sängerin gehört.

Begleitet von Backing Tracks und diversen Stimmeffekten kommt der elektronische Industrial-Rock-Mix den Studioaufnahmen der Band sogar überraschend nahe, wobei die exzentrische und bisweilen theatralische Performance Skynds das knapp 45-minütige Set zu einem echten Erlebnis macht. Berührungspunkte mit dem Headliner des Abends sind zwar durch den True-Crime-Fokus im Stile MACABREs eher inhaltlicher denn musikalischer Natur, in der bayerischen Landeshauptstadt wird das dargebotene Material dennoch mit frenetischem Beifall quittiert.

Das audiovisuelle Konzept SKYNDs wird schnell zu einer Lektion in Performance-Art

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Dass die Müncher:innen ansonsten tendenziell lieber aufmerksam zuhören als den Pit aufzuwühlen, liegt eher im musikalischen Ansatz der Formation begründet, der durch satten Bass und repetitive Strukturen in den besten Momenten eine fast hypnotische Sogwirkung entfacht. Dazu kommt Sängerin Skynds vereinnahmende Präsenz, die in „Columbine“ auf makabre Weise den Moment einschlagender Gewehr-Salven mimt oder im schaurigen „Michelle Carter“ die unterkühlten Textzeilen mit einer einstudierten Choreografie untermalt.

Im Zusammenspiel mit dem verstörenden Make-up samt Kontaktlinsen wird aus der Live-Show schnell eine Lektion in Performance-Art, die durch die eingespielten Intros vom Band inhaltlich abgerundet wird: Vor jedem der acht Stücke erhalten wir eine kurze Zusammenfassung der besungenen Mörder:innen, wohingegen sich SKYND selbst den Auftritt über bedeckt halten. Das kurze, aber aufrichtige „Thank You“ vor dem finalen „Gary Heidnik“ wirkt dadurch allerdings umso stärker nach, wie die lautstarke Reaktion der TonHalle naheliegen lässt.

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SKYND Setlist – ca. 45 Minuten

1. Richard Ramirez
2. Michelle Carter
3. Robert Hansen
4. Columbine
5. Jim Jones
6. Edmund Kemper
7. Tyler Hadley
8. Gary Heidnik

Fotogalerie: SKYND


ICE NINE KILLS

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Bei allem Respekt für das Vorprogramm, ist es doch kaum zu überhören, warum die 2000 Besucher:innen heute den Weg ins Münchner Werksviertel auf sich genommen haben: Als sich die Halle nach langen 30 Minuten ein letztes Mal verdunkelt und man die Bühne in ein tiefes Blau taucht, durchzieht ein ohrenbetäubender Aufschrei die Räumlichkeiten. Es ist nicht das letzte Kreischen an diesem Abend und doch spricht es bereits während des gesprochenen Intros im Cryptkeeper-Stil Bände: ICE NINE KILLS zählen aktuell sicherlich zu den angesagtesten Acts der Szene.

Als wüssten die US-Amerikaner um ihr Standing, scheinen sie ihre Rolle auch sichtlich auszukosten. Fein im Anzug betreten die sechs Musiker die Bretter und legen mit dem erbarmungslosen „Funeral Derangements“ direkt den Hebel um. Frontmann Spencer Charnass zeigt sich dabei stimmlich voll auf der Höhe, während er den Spaten in der linken Hand zum Himmel reckt. Unterstützung bekommt der Sänger dabei aus nahezu jeder Ecke: Gesang und Screams teilt sich Charnas mit Bassist Joes Occhiuti und Gitarrist Ricky Armellino, wobei die Meute zu seinen Füßen nicht einmal ein Mikrofon braucht, um im Refrain die erste Stimme zu übernehmen.

Für nahezu jeden Song im Set haben sich ICE NINE KILLS eine passende Inszenierung überlegt

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Mitunter ist das textsichere Publikum nämlich lauter als die Band selbst, was einem Singalong wie „Hip To Be Scared“ natürlich besonders zugutekommt. Hier mimt Spencer Charnas mit Sonnenbrille und später PP-Jacke den fiktiven Serienkiller Patrick Bateman („American Psycho“), während er sich mit der Axt an seinem Berufskollegen Paul zu schaffen macht. Derlei Inszenierungen weben ICE NINE KILLS nahtlos in so ziemlich jeden Song ihrer Show ein, um die Horrorfilm-Thematik der beiden Alben des „The Silver Scream“-Zyklus visuell entsprechend einzurahmen. So repliziert die Band in „The Shower Scene“ die ikonische Szene aus Hitchcocks „Psycho“ effektiv mittels eines Schattenspiels, nachdem wir in „IT Is The End“ zuvor das Schicksal des kleinen Georgies im gelben Regenmantel hautnah nacherleben durften – noch Minuten später erinnert der knallrote Luftballon an der Hallendecke an das jüngste Opfer des mörderischen Clowns Pennywise.

Auf diese Weise verwandelt das Sextett seinen Auftritt in ein audiovisuelles Event, bei dem uns allein die schiere Fülle an Requisiten neugierig raten lässt, was wohl als Nächstes kommen mag. Für den Hit „The American Nightmare“, zu dem die Menge begeistert auf und abspringt, zieht Charnas beispielsweise Freddy Krugers klingenbewehrten Handschuh über, wohingegen im rockigen „Savages“ ein maskierter Komparse zur Kettensäge greift. Vor der Bühne wird derweil ausgelassen gefeiert, gesungen und natürlich gemosht – hin und wieder findet gar ein Crowdsurfer den Weg nach vorne, um sich die mühevollen Showeinlagen aus der Nähe anzusehen – oder Tour-Gitarrist Miles Dimitri Baker (INTERLOPER) auf die Finger zu schauen, wenn er in „Assault & Batteries“ oder der Ballade „A Grave Mistake“ jeweils ein kleines Solo zum Besten gibt.

Mit drei Gitarristen setzen ICE NINE KILLS ihre Arrangements noch eindringlicher um

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Zusammen mit Kollege Doc Coyle macht Baker sogar den leider verhinderten Dan Sugarman vergessen – mit drei Gitarren lassen sich die vielschichtigen Arrangements ICE NINE KILLS‘ schließlich live noch besser umsetzen. Dass sich in „Stabbing In The Dark“ unter Blaulicht der Pit ein weiteres Mal öffnet, ist daher quasi Ehrensache. Genau wie die folgende Zugabe „Welcome To Horrorwood“, deren Finale Sänger Spencer auf den Händen des Publikums bestreitet und so einen intensiven, aber mit 65 Minuten arg kurzen Auftritt gebührend beschließt.

Neben des deutlich vorgezogenen Showbeginns ist das letztlich der einzige Wermutstropfen an einem Abend, der trotz seiner musikalischen Vielfalt ansonsten nur positiv zu überraschen wusste – und uns darüber hinaus in der Vorahnung zurücklässt, dass wir ICE NINE KILLS womöglich das letzte Mal in einem überschaubaren Rahmen gesehen haben. Denn wenn die derzeitigen Horror-Könige weiterhin die Erfolgswelle reiten, indem sie hitverdächtige Melodien mit schaurigem Bühnentheater vermählen, dürften den US-Amerikanern auch hierzulande schon bald die großen Hallen ihre Tore öffnen.

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ICE NINE KILLS Setlist – ca. 65 Minuten

1. Funeral Derangements
2. Wurst Vacation
3. Hip To Be Scared
4. Ex Mortis
5. IT Is The End
6. Communion Of The Cursed
7. The American Nightmare
8. The Shower Scene
9. Assault & Batteries
10. A Grave Mistake
11. Savages
12. Farewell 2 Flesh
13. Stabbing In The Dark
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14. Welcome To Horrorwood

Fotogalerie: ICE NINE KILLS

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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