Romantisch-atmosphärisch ist das historische Gemäuer angestrahlt, als wir die Zitadelle Spandau betreten. Heute locken uns zwei äußerst lieb gewonnene Acts in das während der Renaissance erbaute Gemäuer.
ZEAL & ARDOR zeigen als Support drückend und knallhart auf, wie es sich anhören würde, wenn sich die (damals) unterdrückte und versklavte afroamerikanische Bevölkerung statt dem aufgezwungenen christlichen Gott eher Satan zugewandt hätte. Eine erfrischend nüchtern gehaltene Bühnendeko lenkt das Auge (und vor allem das Ohr) auf das Wesentliche: Die Musik. Nur Lucifers Siegel mit dem integrierten Lettern Z und A, die für die Initialen der Band stehen, prangt im Hintergrund. Im Gepäck des Opening-Acts befinden sich neben etlichen früheren Stücken auch quasi pressfrische Songs des neuen, erst vor einer Woche erschienenen Albums „Greif“.
Man steigt sofort atmosphärisch ein, als Intro „The Bird, the Lion and the Wildkin“ vom eben erwähnten neuen Longplayer dargeboten wird. Anschließend schmettert uns die Band eines ihrer härtesten Stücke „Götterdämmerung“ entgegen. Spätestens jetzt ist jeder im Publikum voll dabei. Die gesamte Setlist ist ein gelungener Mix aus bekannten Klassikern und neuem Material.
Mich flashen vor allem die „alten“ Sachen vom 2016 erschienenen Erstlingswerk „Devils is Fine“. Was hab’ ich damals Stücke wie „Come On Down“, „Blood In The River“ und eben „Devil Is Fine“ abgefeiert. Vor allem die Leadstimme von Manuel Gagneux weiß aufgrund ihres Blues-Einschlags zu fesseln. Tatkräftig unterstützt wird er hierbei von Denis Wagner und Marc Obrist. Ich werde fast schon nostalgisch, während das Konzert an uns vorbeirast und schon vorbei ist. Kurzweil par excellence.
Fotogalerie: ZEAL AND ARDOR
Nachdem man nun den passenden Soundtrack zu Filmen wie Django Unchained oder The Hatefull 8 erst mal zu verdauen hat, wird die Bühne verhüllt. Schließlich will man das Publikum mit einem besonderen Bühnenbild überraschen.
Etwa eine halbe Stunde dauert der Umbau. Angesichts der Bühnengestaltung eine krasse Leistung. Denn man fühlt sich plötzlich fast wie in einen mitteleuropäischen Urwald versetzt. Knochen, Geweihe, Äste, Laub, diffuses gelb-grünes Licht, Vogelgezwitscher… Und plötzlich ist er da: Mastermind und einer der beiden Erfinder von HEILUNG Kai Uwe Faust.
Gekleidet in Lumpen, auf dem Kopf ein mit Sonnenrädern verziertes Geweih, das Gesicht hinter einer Art Vorhang verhüllt fächert Kai Uwe mittels eines Straußes aus Laub Räucherware aus einem kleinen Tonschälchen ins Publikum.
Auch vor der Bühne baut sich eine faszinierende Stimmung auf, als die ersten aus dem Gefolge Wolfsgeheul in Richtung Podium erklingen lassen. Selbst innerhalb des Pits zündet manch einer Räucherware an und bringt sich somit in Stimmung.
Das ganze Bühnengefolge stellt sich Kreis auf, mit Geweihen in den Händen wird eine Choreografie dargebracht, anschließend hält man sich an den Händen und beginnt mit der Eröffnungszeremonie:
„Remember that we all are brothers.
All people.
And beasts and trees.
And stone and wind.
We all descent from the one great being.
That was always there,
Before people lived and named it,
Before the first seed sprouted.“
Wichtig und gewichtig steigt man also ein. Gleich zu Beginn zeigt die Künstlergruppe so ihren Standpunkt und legt die Seele von HEILUNG offen dar.
Kai Uwe (mit dem Mikrofon in der Hand), HEILUNG’s zweites Gründungsmitglied Christopher Juul (mit dem Rufhorn) und Leadsängerin Maria Franz mit der Schamanentrommel in der Hand positionieren sich. Ein markerschütterndes Trompeten ertönt, das Horn lässt die alten Mauern der Zitadelle dreimal erzittern. Dann steigt Marias Trommel mit ein, rhythmisch schallen weitere Trommeln, bringen allen zum Beben. Es beginnt das Stück „In Maidjan“, in welchem im Chor das ältere Futhark vorgetragen wird. Einer der vielen Einflüsse von HEILUNG: Germanische Mythologie.
Textlich und klanglich widmet man sich aber auch anderen Regionen und Zeitepochen. So wird neben der Eisen- auch die Bronzezeit behandelt. Schamanismus trifft auf Moderne. Als das Stück „Hakkerskaldyr“ erklingt, zeigt die Band eine weitere Inspirationsquelle. Die Maori. Die Haka sind historische zeremonielle Tänze der neuseeländischen indigenen Bevölkerung. Heute beispielsweise gerne bei Footballspielen oder entsprechenden ehrenhaften Beerdigungen dargebracht. Also reisen wir kurzfristig um den halben Globus, nur um uns danach wieder in germanischen Urwäldern in Trance zu tanzen. Selbst ohne ‘flüssige Unterstützung’ ist die Musik schier berauschend. Man stürzt in ein Meer aus Musik und Licht. Eine surreale Atmosphäre entführt das Publikum in ferne Zeitepochen, zu vergessenen Legenden, zum Ursprung von allem und droht es förmlich zu ertränken.
Das Bühnenbild ist unbeschreiblich authentisch und faszinierend. Neben unzähligen Accessoires aus Wald und Natur sind auch die Outfits faszinierend.
So tanzen da oben beispielsweise nicht nur die Herren der Schöpfung oben ohne. Auch die Frauen zeigen sich zum Teil oben rum recht freizügig – allenfalls Körperbemalung und Tattoos unterstreichen den Eindruck, dass man es hier mit einem uralten Ritual zu tun hat. Das alles ist Teil der Zeremonie und typisch für HEILUNG.
Die Zeit verschwimmt und ehe wir uns versehen, sind bald zwei Stunden an uns vorbeigegangen. Wir befinden uns wieder auf dem Boden der Tatsachen, verlassen spätabends allmählich die wunderschön angestrahlten Mauern der Zitadelle, um uns anschließend, ganz dem Berliner Alltag entsprechend, in eine unklimatisierte, völlig überfüllte und nicht ganz saubere U-Bahn zu quetschen.
Was bleibt sind, nebst einigen Tausend Fotos auf den Speicherkarten, uns tief berührende Eindrücke, die surreale Stimmung wird nicht mal durch die lautstarken und lattenstrammen Nachtschwärmer an den Bahnhöfen der Hauptstadt zerstört – es ist Samstagabend in Berlin. Das ist uns aber egal. Wir sind irgendwo anders, nur nicht im Hier und Jetzt.
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