BON JOVI, NICKELBACK, FATRO: Stuttgart, Cannstatter Wasen, 27.05.2006

Der letzte Hardrock-Gigant: eine traumhafte Setlist, ein verschlossener Sänger und ein zurückhaltendes Publikum. Kein Regen.

Das BON JOVI-Konzert in Stuttgart war wahnsinnig toll!!!!! Zum Glück hielt das Wetter. Jon sah toll aus und die Band rockte ordentlich. Natürlich spielten sie alle ihre Hits… die Lichtshow war cool – besonders am Ende, als es dunkel wurde. Leider fehlten Bed Of Roses und Always. War aber trotzdem ein schöner Abend mit Partystimmung!!

Ich bewundere die Leute, die ihre Eindrücke derart kompakt schildern können, und ich beneide sie um ihre naive Freude. Ernsthaft. Der Großteil des Publikums würde den obigen Bericht wohl bestätigen. Aber eben dieser Großteil hat wahrscheinlich keinen Schimmer, worum es bei Last Man Standing geht und auf welchem Album The Radio Saved My Life Tonight zu finden ist. Ich will damit nicht sagen, dass ich mich für etwas Besseres halte. Ich will lediglich feststellen, dass ich das Konzert anders erlebt habe als die Leute um mich herum.

Ich habe es auch anders erlebt als die eingefleischten Fans, die sich bereits Stunden vor Einlass in den Startlöchern befanden, um einen Platz direkt vor der Bühne zu ergattern. Überhaupt führen die gigantischen Dimensionen des Ereignisses zwangsläufig zu Verzerrungen. Ich habe keine Ahnung, ob weiter hinten, weiter vorne oder weiter rechts mehr Stimmung war als dort, wo ich stand. Ich weiß nicht, ob der Einlass später noch flüssiger wurde, oder ob jeder eine halbe Stunde warten musste.

Im Mittelpunkt des Geschehens stand natürlich das Geld. 60 Euro Eintritt, 30 Euro für ein T-Shirt – ich finde es immer wieder faszinierend, dass die Rechnung hohe Preise = große Nachfrage aufgeht. In dieser Hinsicht passte die erste Vorband nicht ins Bild: FATRO – bis dato ohne Plattenvertrag – spielten soliden Hardrock ohne große Höhepunkte. Sänger Dave machte eine gute Figur und genoss den 30-minütigen Auftritt sichtlich.

NICKELBACK rockten anschließend relativ heftig los. Der Soundbrei wurde zum Glück mit jedem Song differenzierter, so dass auch sanftere Songs wie Photograph (Natalie Imbruglia lässt grüßen!) gut zur Geltung kamen. Dass bisweilen Lückenstopferpercussion vom Band mitlief, störte wahrscheinlich nur mich. Chad Kröger und seine Mannen – wie viele es tatsächlich waren, war aufgrund der vielen Ein- und Auswechslungen nicht klar erkennbar – boten eine unterhaltsame Show, die mit How You Remind Me schön endete. Hier kam zum ersten Mal richtige Konzertstimmung auf und vertrieb das Gefühl, dass die Anwesenden lediglich bei zu lauter Hintergrundmusik auf Godot warten.

Nach einer überraschend kurzen Umbaupause startete das Intro für BON JOVI. Aber wo war Jon? Und wo war mein Kumpel, der eben noch kurz Bier holen wollte? Jon Bon Jovi stand vorne auf dem halbkreisförmigen Laufsteg vor der Bühne. Er trug eine steife Uniform und war mit einer Akustik-Gitarre bewaffnet. Man konnte fast meinen, er selbst wäre der letzte aufrechte Mann, den er im Opener Last Man Standing besang. Groß war meine Freude über diesen Einstieg! Groß war auch mein Bedauern über die Diskrepanz zwischen der Zeile so keep your pseudo-punk, hip-hop, pop-rock junk and your digital downloads und dem Kommerzoverkill vor Ort sowie in der Mainstream-Musikwelt generell.

Viele Leute schienen von dem relativ unbekannten Song eher irritiert als fasziniert zu sein. Entsprechend hätte die Stimmung beim anschließenden You Give Love A Bad Name steigen sollen. Doch die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Einige Leute reagierten ausgesprochen verhalten, woran sich im Laufe des Abends wenig ändern sollte. Jon hatte sich mittlerweile auf die Bühne zu seinen Bandkollegen Richie Sambora (Gitarre), Tico Torres (Schlagzeug) und David Bryan (Keyboards) gesellt, die zusätzlich von Hugh McDonald (Bass), Jeff Kazee (Keyboards) und Bobby Bandiera (Gitarre) unterstützt wurden.

Captain Crash & The Beauty Queen From Mars änderte wenig an der reservierten Haltung des Publikums. Direkt vor der Bühne war natürlich wesentlich mehr los, besonders als mit Born To Be My Baby ein musikalisches Sahnestück folgte. Die Stimmung beruhigte sich jedoch bei den beiden Have A Nice Day-Songs Story Of My Life und Complicated wieder. Schon kurz hinter der Laufstegabsperrung herrschte wenig mehr Begeisterung als in einem Flughafenterminal.

Dann erklangen die ersten Töne von I´d Die For You. Ich jubelte. Es war kein Traum; sie spielten den Song wirklich! Sporadisch ereigneten sich vergleichbare Begeisterungsstürme. Die Mehrheit der Leute schwieg allerdings. Auf der Bühne bot sich ein ähnliches Bild: Tico Torres und David Bryan hatten sichtlich Spaß und zeigten sich äußerst spielfreudig. Richie Sambora demonstrierte eindrucksvoll, dass er ein hervorragender Gitarrist ist. Ansonsten setzte er aber nur selten Akzente. Die drei Gastmusiker hielten sich erfolgreich im Hintergrund und wurden auch von der Bildtechnik der Videoleinwand weitgehend ignoriert. Folglich stand Sänger und Namensgeber Jon Bon Jovi im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit. Gesanglich war er voll auf der Höhe. Ansonsten wirkte er erschreckend verschlossen. Die knappen Ansagen wirkten erzwungen und auch sonst kommunizierte er kaum mit den Massen, die in erster Linie wegen ihm gekommen waren. Bisweilen griff er zur Gitarre und wurde noch introvertierter.

The Radio Saved My Life Tonight ist eigentlich kräftiger Melodic Rock. Leider erreichte bei diesem Song die Zurückhaltung sowohl von Jon, als auch vom Publikum ihren Höhepunkt. Mit Bounce, dem einzigen guten Song vom gleichnamigen Album, besserte sich die Lage ein wenig. Manche Leute trauten sich sogar und sangen den Refrain mit. Bis hier war der Auftritt eine Mischung aus genialen Songs und fehlender Begeisterung. Und auch die nächste Nummer – Wild In The Streets vom Klassiker schlechthin: Slippery When Wet – bot dasselbe Bild: Tico und David rockten, Jon begnügte sich mit einer guten Gesangsleistung. Ich war verzückt (Oh yeah!), viele andere Leute stutzig. Waren die BON JOVI-Konzerte vor nunmehr zwanzig Jahren etwa auch derart zahm?

Jon nutzte das anschließende In These Arms für einen Rundgang auf dem Laufsteg, was die Stimmung an der jeweilige Stelle sichtlich hob. Dass dieser erste derartige Ausflug auch der letzte sein würde, ahnten wohl die wenigsten. Die beiden neuen Singles Have A Nice Day und Who Says You Can´t Go Home sang er wieder von seinem Platz in der Bühnenmitte aus. Letztere wurde mit einem Mitsingteil versehen, bei dem es dem immer noch uniformierten Jon nicht gelang, die Besucher in der hinteren Hälfte zu motivieren. Erst It´s My Life hatte wieder den nötigen Biss, wenngleich der Hit keine derart ausgelassene Party-Stimmung auslöste, wie ich sie kürzlich bei ELÄKELÄISET erlebt hatte.

Bei I´ll Be There For You übernahm Richie Sambora den Gesang, während Jon sich (hinter der Bühne) umzog. Auch hier gab es einen Mitsingteil, der entschieden besser ankam, zumal der Gitarrist in wenigen Minuten eine stärkere Verbindung zum Publikum aufbaute als der eigentliche Sänger in den anderthalb Stunden zuvor. Jon hatte jedoch noch eine Geheimwaffe auf Lager: Mit schwarzer Jacke und engem Shirt kehrte er auf die Bühne zurück und machte einen Hüftschwung, der bei den Besucherinnen euphorische Reaktionen auslöste. Entsprechend gut kam der mit Fremdzitaten gespickte Stadionrocker Bad Medicine an, ehe sich bei Raise Your Hands wieder eine unerklärliche Passivität im Publikum ausbreitete. Beim abschließenden Livin´ On A Prayer sangen zwar die meisten Leute mit, verstummten jedoch direkt danach wieder. Wochenendpicknick statt Rockparty. Nur eine kleine Minderheit schien ernsthaft auf eine Zugabe erpicht zu sein. Immerhin gaben die ersten Reihen erst Ruhe, als die sieben Musiker zurückkehrten.

Statt fetziger Hits wie Runaway oder One Wild Night gab es leider zwei schwache neue Songs (I Want To Be Loved und Bells Of Freedom), die das Publikum bis an die Grenze zum Spontanschlaf besänftigten. Entsprechend langsam erwachten die Lebensgeister bei Someday I´ll Be Saturday Night und Wanted Dead Or Alive wieder. I´ll Sleep When I´m Dead rockte zwar erstaunlich druckvoll, verfehlte jedoch seine Wirkung, da in der hereingebrochenen Dunkelheit die überdimensionale Licht- und Videotechnik die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Musik zu sehr ablenkte. Nach dem soliden Keep The Faith verließen BON JOVI die Bühne schließlich ein zweites Mal. Schon nach wenigen Sekunden kehrte Jon jedoch zurück und stimmte Never Say Goodbye an. Richie gesellte sich alsbald zu ihm und für einen Moment lag tatsächlich Magie in der Luft. Ausgerechnet in dieser minimalistischen Form wirkte die Show am überzeugendsten. Die Lichttechnik war von dieser spontanen Technik offensichtlich überrascht und trübte den Genuss mit unpassenden Farben und Formen, was jedoch nichts an der Klasse der Musik änderte.

Dann war endgültig Feierabend und die Crew begann umgehend mit dem Abbau. Die Menschenmassen machten sich auf den Heimweg. Durch die sonderbare Absperrstrategie der Veranstalter lief man mehrere Kilometer zum benachbarten Cannstatter Bahnhof. Die Leute trugen es mit Fassung und es ging alles andere als wild auf der Straße zu. Gute Nacht.

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