ANTIMATTER, AUTUMNBLAZE – 6.11.2003, Esslingen, Ad Astra

Kneipenbesucher können ganz schön nervig und Künstler ganz schöne Mimosen sein.

Kneipenbesucher können ganz schön nervig und Künstler ganz schöne Mimosen sein. Dieser Eindruck entstand zumindest an diesem Abend in der Kneipe Ad Astra, die ANTIMATTER und AUTUMNBLAZE als Örtlichkeit für ihren letzten Gig der Tour ausgewählt hatten. Der musikalisch begeisternde und durch die akustischen Versionen vieler ANTIMATTER- und ANATHEMA-Songs faszinierende Auftritt wurde zunächst von einigen wenigen Nichtzuschauern gestört, die die geringe Lautstärke der gefühlvollen Songs zum ausgiebigen und lautstarken Plauschen nützten. Dies wiederum erzürnte ANTIMATTER-Sänger Mick so sehr, dass er sich gegen Ende gar zu einem griesgrämigen „Shut up!“ und einem so gar nicht zum ruhigen Liedgut passenden frustrierten Schrei hinreißen ließ. Und die knapp 100 Zuschauer, die einfach nur ANTIMATTER live sehen wollten, fanden sich zwischen den Fronten wieder…von hinten drang entnervendes Geplapper einiger Weniger an´s auf die Musik fixierte Ohr, und vorne auf der kleinen Bühne saß ein wütender und grimmiger Musiker, der zusehends die Lust an seinem Auftritt verlor und nicht zu merken schien, dass seine Bitten um Ruhe durch seinen wüsten Dialekt von den Betroffenen gar nicht verstanden werden konnten.
Dabei hätte man dem stiernackigen, eher einem Liverpooler Hafenarbeiter ähnelnden Mick etwas mehr Contenance und Nerven zugetraut, zumal er zusammen mit Duncan und dessen ANATHEMA-Songrepertoire eine perfekte Begleitung hatte für die ebenfalls grandiosen ANTIMATTER-Tracks. Bevorzugt wurden die leichter in Unplugged-Versionen umsetzbaren Songs vom Debüt “Saviour“ und einige Klassiker von „Eternity“, „Alternative 4“ und „The Silent Enigma“. Besonders ergreifend waren trotz der ungünstigen Situation „Lost Control“, „Eternity Pt. 2“ und „Feel“. Gerade ersteres war unsagbar packend, vor allem, als man merkte, dass nahezu jeder Anwesende bis auf die wenigen Unverbesserlichen ohne Absprache oder Animation von Musikerseite her den kompletten Text für sich mitsang und so ein vielstimmiger, anschwellender, dunkler Chor anhob, um den von AUTUMNBLAZE-Sänger, Schlagzeuger und Gitarrist unterstützten Song zum Höhepunkt und nahe gehenden Abschluss des Abends zu machen. Gänsehaut pur! Doch bevor man ANTIMATTER auf Duncans frühere Glanztaten reduziert, sei gesagt, dass auch der Titeltrack vom aktuellen Longplayer “Lights out“, „Everything You Know Is Wrong“ und „Black Sun“, eine DEAD CAN DANCE-Coverversion, äußerst exquisit klangen und sehr gut in den akustischen Kontext eingebunden wurden. Mick sang zudem weitaus sicherer und emotionaler als noch auf der Liveaufnahme, die sich auf dem Debütalbum befand. Die Musik genügte so, um ein Gros der Anwesenden auch ohne Bühnenshow und Lichtanlage zu fesseln. Tja, wenn da eben nicht dieser Zwist zwischen empfindlichem Musiker und mitteilsamen Kneipengästen gewesen wäre. Dass trotz minutenlanger Beifallsstürme keine Zugabe gespielt wurde, lag allerdings daran, dass Mick und Duncan bereits alle umsetzbaren Stücke in der regulären 1 ¼-Stunde zelebriert hatten, denn auch anderswo gab es keine Zugabe.

Zuvor hatten AUTUMNBLAZE schon gegen den Lärmpegel anzukämpfen. Ihnen fiel dies noch schwerer, da ihr Liedmaterial nicht annähernd so packend ist wie das der Hauptband. Sie trugen es jedoch mit Fassung, dass nur etwa die Hälfte der Anwesenden ihren Kompositionen lauschte, während der Rest an der Theke sich um Getränkenachschub und Konversation kümmerte. AUTUMNBLAZE konnten sich das teilweise selbst zuschreiben, denn ihren Songs fehlt es an Tiefe und Intensität. Kitsch soll die Lücken füllen, die das Fehlen von ergreifenden Ideen und wirkungsvoller Umsetzung hinterlässt. Man konnte sich einfach nicht des Eindrucks erwehren, dass die Band viel zu verkopft an ihre Musik herangeht. Statt den Emotionen freien Lauf zu lassen, werden diese erstmal durch den Intellekt gejagt und auf vermeintlichen Anspruch geprüft. Das erstickt jeglichen Fluss der Rhythmik und jeglichen Ansatz von mitreißenden Melodien. Obendrein mangelt es dem Sänger trotz unbestrittenen Fähigkeiten an einem nahe gehenden Timbre. Somit entstand der Eindruck, den man hat, wenn man statt eines Gedichts von Blake, Byron oder Wordsworth eine wissenschaftliche Abhandlung über die literarische Umsetzung von Gefühl in deren Lyrik zu lesen bekommt. Schade, denn so konnten AUTUMNBLAZE den nicht besonders guten Eindruck von ihrem letztjährigen Auftritt im Lande der Schwaben nicht nach oben korrigieren.

Bericht: Rachendrachen
Fotos: Tammi
Layout: Fierce

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