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SPECK, FIREBREATHER, GUITAR SMASHED FACE: Gaswerk, CH-Winterthur, 20.03.2008

Wenn die CATARACT-Releaseparty zu metalcorig und trendig ist, gibts eine abgefahrene, asslige Alternative…

Das lange Osternwochenende steht vor der Tür. Im Großraum Zürich bedeutet das für Freunde verzerrter Gitarren, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Entweder man geht an die CATARACT-Releaseparty im Zürcher Rohstofflager – inklusive Trendkiddies, Metalcore und – vielen Trendkiddies. Natürlich kann man sich dann auch in einer Wall of Death grün schlagen lassen – ganz wie das die Römer mit Jesus gemacht haben (darum heißt es ja Gründonnerstag).

Doch es gibt eine Alternative, welche dem geneigten Undergroundler mit Hang zu kaputten Klängen eher entgegenkommt. Auf der kleinen Bühne des Winterthurer Gaswerks spielen an diesem Abend SPECK, FIREBREATHER und GUITAR SMASHED FACE. Klein, intim und asslig. Keine Trendkiddies, billige Getränkepreise und die typische familiäre Gaswerk-Atmosphäre. Man diskutiert über Tibet, Studioprobleme und die erfolgreiche Vermeidung des Osterstaus.

Guitar
GUITAR SMASHED FACE im Element

Bald erklingen die ersten Quietscher von GUITAR SMASHED FACE, die an diesem Abend den Opener stellen. Das Quintett füllt die Bühne mehr als gut aus und so beansprucht der Shouter spontan auch noch den Halbkreis vor der Bühne für sich – man ist ja schließlich publikumsnah. Dieses reagiert positiv auf die Partystimmung, welche die Jungs mit ihrer Mischung aus Death Metal und Grindcore fabrizieren. Hier und da schleichen sich Melodien in das derbe Gebräu und die Songs sind zu lang, um als kleine Grindcorekracher durchzugehen. Stimmungsmäßig hat das Quintett die Meute aus Punks und Metallern gut im Griff, wenngleich der Sound reichlich verwaschen rüberkommt. Außerdem wirken die Songarrangements noch nicht allzu ausgereift, oft kommt das Gefühl auf, dass jeder mal hat mitreden durfte beim Songwriting und Willkür das Wohl des Songs übertrumpft hat. Trotzdem – Applaus gibt es für die Songs genauso wie für die Ansagen gegen Manager und Neoliberalismus und so ist der Abend nach etwa 20 Minuten Spielzeit offiziell eröffnet.

Firebreather
Simpel, geradlinig, effektiv – FIREBREATHER

Als nächstes bereitet sich das FIREBREATHER-Trio auf seinen Gig vor. Der Seitenwechsel des Drumkits ist rasch vollzogen und so locken die Zürcher das Publikum von der oberen Bar bald wieder hinunter zur Foyer-Bühne. Das musikalische Motto von FIREBREATHER lässt sich unter simpel, geradlinig, effektiv zusammenfassen und so wird fortan eine richtig hässliche Crustcore-Breitseite serviert, die an Truppen wie TRAGEDY und DISCHARGE gemahnt. Man merkt, dass die Jungs, die sich ihre Sporen seit Jahren im Black- und Death Metal-Bereich abverdient haben, mit Herzblut bei der Sache sind und leidenschaftlich die asslige Schlichtheit zelebrieren. Dass dabei weder Humor noch kritischer Geist zu kurz kommen, beweist Basser Mike (EYES SEE RED), dessen NAPALM DEATH Nazi Punks Fuck Off-Shirt eh eine klare Sprache spricht, mit Ansagen der Marke Wir sind FIREBREATHER aus Tel Aviv. Heute ist es politisch, der nächste Song ist für Marcel Ospel – Order of the bloodsuckers. Downsized wird dann allen gewidmet, die im Rahmen von Restrukturierungen ihren Job verloren haben, so dass der UBS-Boss Ospel nicht der einzige ist, der an diesem Abend zu zweifelhaften Ehren kommt. Und auch huäre dummi Hooligans bekommen ihr Fett weg (in Shaved Monkeys)…

Doch Mike ist nicht der einzige, der sich gesanglich betätigen darf. So liefert Gitarrist Mäff (EYES SEE RED) tiefe Grunzer dazu, während der D-Beat-fanatische Drummer Kov (KNOWHERE) mit seinem Headset bewaffnet harsches Gekeife von sich gibt. Egal ob im supergroovigen Neocunt oder beim NASUM-Cover Time to act – das Trio ist aufeinander eingespielt und sichtlich mit Freude an der Sache. Diese greift auch auf die Anwesenden über – seelig bangen der JUDAS PRIEST und der NILE-Fan in der ersten Reihe, einige Punk-Kämme bewegen sich genauso und die Widmung eines Songs an das Mousse au chocolat, das zur Bandverpflegung des Clubs gehört, wird ebenfalls positiv aufgenommen. Mit Songs wie Axis of Stupid, White Scum, Don`t call me skinhead und dem BLACK SEPTEMBER-Cover Ariel Balloon runden FIREBREATHER ihren Gig ab. Nach lauten Zugabe-Rufen liefern die Zürcher noch I Believe nach und schließen ihren Auftritt verschwitzt und mit einem zufriedenen Grinsen ab.

Speck
SPECK gewohnt sportlich

Danach ist es Zeit für die irren Basler SPECK. Das Quartett bewegt sich galant zwischen Mathcore, progressivem Chaos und klaren Melodien und besticht auch an diesem Abend mit unberechenbarer, schwer fassbarer Live-Energie. Abgedrehte Harmonien treffen auf anspruchsvolle Rhythmen, der Tom Seleck-Schnauz von Drummer Niels korrespondiert visuell mit den großflächigen Wadentattoos von Shouter Lars und die Bühnenperformance ist gewohnt nervös, ja fast schon spastisch. Ähnlich abgedreht sind die Baseldiitsch-Ansagen zwischen den Songs, die zwischen Ernst und Humor pendeln – im Sinne von Wir sagen zum ersten Mal etwas Politisches. Wir haben noch nie abgestimmt, sind nie ins Militär – aber wir sagen etwas wegen China und Tibet… und schon beginnt der nächste Song.

Abwechslungsreichtum wird bei den verrückten Baslern groß geschrieben, gleichzeitig vernachlässigen sie ob aller Abgefahrenheit nie das Timing oder das Zusammenspiel. SPECK präsentieren einen wahren Exzess an Abwechslungsreichtum und sprengen Genregrenzen. Mit anderen Worten: Das tonnenschwere Doom-Riff hat genauso seine Berechtigung wie eine absolut geil gerappte Hip Hop-Zugabe im Sinne des authentischen Hip Hop der 80er Jahre, die hundertmal mehr mit diesem Musikstil zu tun hat, als der ganze Müll, der heute unter diesem Etikett verkauft wird. Doch Fingerzeige Richtung PRIMUS (nach einer Überdosis Acid), ELECTROCUTION oder an die überraschungsfreudigen EPHEL DUATH kommen zum Zug. Lyrisch zeigen sich die Basler neben ihren lustigen Ansagen ebenfalls experimentell und Kostproben à la Winterthur – dein Kiefer knackt so laut erinnern dann auch eher an abgefahrene Lyrik-Performances. Songs wie Sollbruchstell, Furia und Prisoners of Ultralove, Widmungen à la Für alli alte Punks – wänns no welchi git – Punks häts gar nie geh und Grimassen ziehen das Publikum gleichermaßen in den SPECK-Bann. Immer wieder lassen die Basler jedoch auch Melodien einfließen und Basser Marlon entlockt einem altmodisch aussehenden Effektboard abgefahrene Klänge, welche einigen Passagen einen fast schon DOORS-esken Anstrich verleihen.

Speck
SPECK von ihrer melodiösen Seite

Das Publikum lässt die Basler kaum gehen, nach zahlreichen Zugaben kennt die Meute dann doch Erbarmen. Ein inspirierender, abgefahrener Abend geht zu Ende und das Gehirn fühlt sich an, als hätte es eine musikalische Umsetzung von David Lynchs Inland Empire erlebt und dazu eine Infusion der Snacks des ersten Psychedelia Kongress` erhalten, der just an diesem Wochenende in Basel stattfindet…

Fotos: Andreas Szabo

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