EVEREVE: Studioreport, 14.12.2002, Frankfurt

`e-mania` markierte einen bedeutenden Schritt in der Geschichte EVEREVEs: Die deutsche Band brach aus ihrem angestammten Genre aus und brach mutig mit zahlreichen Konventionen des herkömmlichen Gothic Metals. Ob das neue Studioalbum `.enetics` mit ähnlichen Stil-Überraschungen aufwarten würde, erfuhren diverse Medienvertreter bei einer exklusiven Listening-Session…

`e-mania` markierte einen bedeutenden Schritt in der Geschichte EVEREVEs: Die deutsche Band brach aus ihrem angestammten Genre aus und brach mutig mit zahlreichen Konventionen des herkömmlichen Gothic Metals. Insbesondere der massive Einsatz elektronischer Klangelemente und das moderne, aber auch etwas kühle Flair des Albums überraschte selbst Band-Kenner nicht wenig.

Zwar hatten EVEREVE schon auf der Vorgängerveröffentlichung `Regret` eng mit Jörg Hüttner zusammen gearbeitet, doch bei den Aufnahmen zu `e-mania` etablierte sich der DORSETSHORE-Soundtüftler endgültig als inoffizielles sechstes Bandmitglied. Entsprechend eng wuchsen Gitarren und Synthesizer zusammen und das neue Klangbild EVEREVEs erblühte in einer Grauzone zwischen Gothic Metal und modernem Dark Wave zu neuem Leben. Kompakte, kraftvolle Songs traten an die Stelle melancholischer Elegien und wurden erstmals von Keyboarder Michael Zeissl intoniert, nachdem Sänger Benjamin Richter die Band nach den Aufnahmen zu `Regret` verlassen hatte. Passend zur General-Modernisierung des EVEREVE-Konzepts schmückten sich die Musiker mit vordergründig futuristisch anmutenden Pseudonymen, deren Wahl indes auf angenehm selbstironischen Humor schließen ließen.

Ja, EVEREVE hatten Wort gehalten, als sie im März 2001 einer kleinen Gruppe Medien-Vertretern eine Überraschung versprachen und schließlich `e-mania` präsentierten.

Rund eineinhalb Jahre später, im Dezember 2002, erging wieder eine Einladung an die Presse: Im Frankfurter Cream-Studio stellte die Band erstmals ihr neues Album `.enetics`, Untertitel `11 orgies of massenjoyment on the dark side of the planet` der Öffentlichkeit vor. Und einmal mehr sollten die – diesmal weitaus zahlreicher – Erschienenen eine Überraschung erleben. Denn: Schon das Eingangsriff des Openers `This Heart` fällt ungewohnt hart aus. Daß EVEREVE ihr Melodie-Gespür indes keineswegs verloren haben, beweist der Refrain. Explosiv, eingängig, und in seiner Eindringlichkeit an PARADISE LOST in der Blüte ihrer Tage erinnernd, kurz: Ein Hit!

Der`The More She Knows` folgt und setzt gleich zu Beginn dank interessanter Bass-Parts O-IQ, den Neuzugang der Band, ausgezeichnet in Szene (rechts sein Konterfei). Der Bassist hatte Ende August Smart Basstard aka Stefan Müller abgelöst, der sich in beiderseitigem Einvernehmen aus zeitlichen Gründen von der Band getrennt hatte.

`Abraza La Luz` verblüfft mit spanischen Vocals und beeindruckt mit treibenden Riffs, atmosphärischer Synthesizer-Untermalung und einmal mehr einem hymnische Refrain. Das folgende `Last Summer` beginnt hingegen ruhig, fast schon balladesk und mit einprägsamer, DEPECHE MODE-ähnlicher Melodieführung. Spätestens, wenn das Stück vor dem Refrain an Härte gewinnt, um später wieder ruhiger zu werden, wird offensichtlich, wie geschickt EVEREVE inzwischen mit Dynamik zu spielen wissen. Immer wieder setzen sie auf den spannungsreichen Kontrast zwischen laut und leise, zwischen harten Gitarren und sphärischen Intermezzi, zwischen klarer Stimme und rauhem Gesang, ohne sich dabei aber in allzu vorhersehbaren Mustern zu verliere.

Was das folgende `SilverGod` belegt: Der Song beginnt mit einer Collage aus elektronischen Geräuschen und Sprachsamples, bevor plötzlich harte, rauhe und fast punkige Gitarrenriffs einsetzen, die das Stück auch weiterhin prägen. Von einem kurzen digitalen Soundzwischenspiel einer der geradlinigsten Songs des Album, inklusive eingängigem Refrain.

Mit einem solchen kann auch das hitverdächtige `X-istence (I`m Free)` aufwarten, das ausgesprochen bombastisch beginnt und im weiteren Verlauf – insbesondere dank der einmal mehr PARADISE LOSTartigen Melodieführung im Refrain – hymnische Qualitäten entwickelt.

`December Wounds` schöpft in puncto unprätentiöser Dramatik aus dem Vollen. Der ruhige Beginn schafft eine fast schon ambientartige Stimmung, die jäh von einem heftigen Riffgewitter zerrissen wird. Geschickt bauen EVEREVE in den Strophen eine dichte, sinistre Atmosphäre auf, die sich im harten, aggressiv intonierten Refrain entlädt. Vielleicht der kreative Höhepunkt auf `.enetics`.

In `Along Comes A Fool` verschmelzen Dark Wave und Gothic/Industrial-Metal zu einer nahezu perfekten Symbiose. Nach dem Cello-Intro setzen schwere Gitarrenklänge ein, und eröffnen ein angenehm dynamische Wechselspiel aus ruhigen und harten Passagen, das sich durch die gesamte Komposition zieht.

`One More Day` erinnert in den Strophen erneut an PARADISE LOST, wenn auch an deren `Host`-Album und somit auch nicht wenig an DEPECHE MODE. Im leidenschaftlichen Refrain indes explodiert der Song und entwickelt dank einiger Schrägen eine etwas beklemmende Ausstrahlung.

`Eat-Grow-Decay` hingegen begeistert mit fast schon rotziger Attitüde, spielt einerseits einmal mehr mit den bewährten Laut-Leise-Mustern, ist andererseits aber ausgesprochen roh gehalten und in den gittarendominierten Momenten vielleicht der härteste und schnellste Track des Albums. Ein idealer Live-Kracher. Fand wohl auch der Studio-Hund, ein kleiner Jack Russel Terrier, der bislang um die Beine der Pressebesucher herumgewuselt war, bei den Klängen von `Eat-Grow-Decay` allerdings dazu überging, sich plötzlich über einen Pappteller herzumachen und munter in kleine Stücke zu reissen…

Die Listening-Session näherte sich ihrem Ende und mit `1951`erklang der letzte Song des Albums, der getragen und atmosphärisch beginnt, langsam Spannung aufbaut und schließlich – fast schon eruptiv- in harte Gefilde ausbricht.

Ein überzeugender Abschluß einer überzeugenden Präsentation. Mit `.enetics` haben EVEREVE ein modernes Album geschaffen, das sich der besten Elemente solch unterschiedlicher Genre wie Dark Wave, EBM, Gothic und Industrial Metal bedient und in einem homogenen Ganzen zusammenführt. `.enetics` überzeugt in puncto Songwriting mit ähnlichen Qualitäten wie sein Vorgänger `e-mania`, klingt indes roher, erdiger und somit vielleicht auch zugänglicher. Die eher konventionellen musikalischen Gefilde haben sie indes längst hinter sich gelassen, was ihnen auch mit diesem Album die Gunst der Fans früherer Tage verwehren mag. Aber ich bin mir sicher: EVEREVE denken und fühlen viel zu zukunftsorientiert, um nicht dennoch ihren eigenen Weg zu gehen…

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