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AARA: Die großen Themen der Moral und des Leidens

Das Tempo, mit dem AARA ihre Alben veröffentlichen, ist geradezu unheimlich. Dass mit Triade I: Eos nun ein drei Alben umfassendes Konzept zum Roman „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin gestartet ist, ist selbst für AARAs Verhältnisse ehrgeizig. Doch das Album hämmert sich mit Komplexität, Finesse und einem feinen Gespür für exzellente Melodien ins Herz der Hörer und ist ein weitrer Beweis dafür, dass AARA kein One-Hit-Wonder sind, sondern viel mehr erneut das Zeug dazu haben, in der Bestenliste des Jahres ganz oben zu stehen. Berg und Fluss antworten bereitwillig per E-Mail auf unsere Fragen.

Melmoth, der Wanderer ist eine ungewöhnliche Wahl für ein Konzeptalbum. Geht ihr mit Maturins Gedanken aus dieser Ära konform? Was fasziniert euch an diesem Werk und diesem Autor? Wie das Thema Religion und Atheismus verwoben wird? Oder das das Thema sehr archetypisch ist und den Menschen aus allen Epochen beschreibt, mit der Sucht nach Wissen und Macht?

Fluss: Melmoth hat uns besonders als ein sehr abwechslungsreiches und überraschendes Beispiel der Schauerroman-Literatur inspiriert. Faszinierend war für uns besonders der durch Maturins Ansichten erlebbare Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Maturin kritisiert in seinem Roman „Melmoth der Wanderer“ den Katholizismus und verschiedene Religionen, sowie den Ungläubigen in der Person von Melmoth, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Er stellt seine eigene protestantisch-anglikanische Sichtweise als einzige Wahrheit über alles andere und folgt dabei den Aspekten, die er selbst in anderen Ansichten verurteilt. Mit der Albumtrilogie versuchen wir, dieses Spannungsfeld aus heutiger Sicht zu beleuchten und durch das Erzählen der Geschichte neu zu beleben. Dies, die verschiedener Aspekte der Entwicklung des Menschen und der Kulturgeschichte, steht für AARA dabei im Vordergrund, uns geht es nicht darum in irgendeiner Form eine politische oder religiöse Aussage zu treffen. Wir sehen die verschiedenen Religionen allesamt als einen faszinierenden und prägenden Teil der Menschheitsgeschichte und betrachten all das durch sie verursachte Übel eher als eine Entfremdung und ein Versagen durch den menschlichen Aspekt dahinter. Uns macht es einfach Freude uns mit gewissen Themen näher zu beschäftigen und dadurch, dass wir diese in die Musik und das Gestaltungskonzept einfließen lassen, ein eigenes und neues Kunstwerk zu schaffen.

Ich kam durch das Album etwas ins Nachdenken über den berühmten Pakt mit dem Teufel. Wir schließen den tagtäglich, z.B. wenn wir auf Facebook aktiv sind, wenn wir einen Spotify-Premium-Account haben, etc. Und ähnlich wie Tantalus sehen wir immer und überall glückliche Menschen (in der Werbung und als Influencer, etc.), die es geschafft haben, während wir das Glück nie erreichen, obwohl es vor unserer Nase ist. Haben euch ähnliche Gedanken inspiriert, dieses Konzept zu wählen?

Fluss: An diesen Gedanken erkennt man die Aktualität vieler Aspekte die Maturin in seinem Roman aufgreift, der ohnehin stellenweise überraschend modern erscheint und deshalb auch heute noch sehr interessant zu lesen ist. Ich denke diese ewigen Themen, wie der Pakt mit dem Teufel oder die Tantalusqualen, finden wir in allen grossen Werken der Menschheitsgeschichte seit den ersten Aufzeichnungen immer wieder. Wir denken zwar gerne, dass wir uns sehr weit entfernt haben vom „altertümlichen“ Menschen und in gesellschaftlicher Hinsicht stimmt dies sicherlich. Doch bleiben die Grundthemen und die großen Fragen der Moral und des Leidens des Menschenlebens immer dieselben und tauchen stets wieder auf, sei es bei den alten Griechen oder in der Bibel. Unumgänglich also sind auch wir von diesen Themen inspiriert wenn wir uns mit einem Werk wie „Melmoth“ auseinandersetzten. Durch seine Vielschichtigkeit und die Struktur der Geschichten in der Geschichte birgt die Erzählung viele dieser urtümlichen Aspekte. Darüber hinaus haben wir den Roman für eine Trilogie gewählt, weil sich die Literatur der Romantik besonders gut für Adaptionen in Form von Musiktexten und Musik eignet, da sie so Bilderstark und atmosphärisch ist und somit natürlich viel hergibt für das Auge und Ohr des Betrachters, bzw. Hörers.

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Foto: (c) Debemur Morti Productions

Wie auf „En Ergô Einai“ stammen die Texte und Konzept von Fluss, die Musik von Berg. Beeinflusst das Konzept das Komponieren? Mit anderen Worten, wäre „Triade I: Eos“ musikalisch ein anderes Album geworden, würde es sich nicht um das Melmoth-Konzept drehen?

Berg: Das würde ich schon meinen. Der Inhalt des Buches hat einen wesentlichen Einfluss auf die Musik, da einzelne Stellen musikalisch wiedergegeben werden. Allerdings ist es auch schwierig abzuschätzen, wie viel tatsächlich aus der Interpretation des Textes stammt und was sich sowieso mal in einer Melodie manifestiert hätte. Die Songstruktur orientiert sich aber sehr nah am Ablauf, daher ist dies bereits vorgegeben gewesen.

Triade I: Eos“ hat musikalisch wie lyrisch eine sehr narrative Struktur. Es wirkt wie die sechs Szenen eines Aktes. Habt ihr euch beim Komponieren so vorangetastet, dass die Musik den Inhalt erzählen soll? Wie seid ihr genau vorgegangen?

Berg: Die vorherige Ausführung beantwortet dies teilweise. Wir haben vorab entschieden welche Stellen sich für eine musikalische Umsetzung eignen und wie weit jeder Abschnitt reichen soll. Die Komposition ist simultan zum Lesen des Buches entstanden, daher wussten wir teilweise noch gar nicht wohin sich Melmoth entwickelt. So können die Handlungsstränge unvoreingenommen interpretiert werden.

“Wenn es mal gut läuft, schaffe ich ein ganzes Lied an einem halben Tag zu komponieren und grundlegend wird das Lied so veröffentlicht, wie es beim Schreiben entstanden ist.” – Berg über seine effektive Art des Songwritings.

Hat sich eure Arbeitsweise im Vergleich zu „En Ergô Einai“ verändert, gerade in Bezug darauf, dass J. nun festes Mitglied und kein Gast mehr ist?

Berg: Nein, die Abläufe sind nahezu identisch geblieben. Wir haben J. bei „En Ergô Einai“ auch nicht rein als Gastmusiker gesehen, sondern als Teil des Ganzen wahrgenommen. Der offizielle Schritt seines Beitritts kam einfach etwas später.

Generell passt das Album ja hervorragend in unsere Zeit. Es fühlt sich so ruhelos an, so getrieben. Und passend dazu merke ich, dass sich viele Menschen sehr getrieben fühlen, wegen der unendlichen Möglichkeiten, die es bis vor einem Jahr gab. Jetzt hocken alle daheim rum, keiner kann und mag sich auf irgendwas konzentrieren. Ist die Empfehlung deshalb, das Album zum ersten Mal in Ruhe zu hören – weil es sehr herausfordernd ist und durchaus auch Kraft kostet, bis es sich setzt?

Berg: Die Lieder sind definitiv ein Produkt ihrer Zeit. Das Rastlose hat sicherlich auch etwas mit mir persönlich zu tun. Die Anderen bei AARA sagen häufiger, dass sich bestimmte Stellen länger ziehen könnten oder schon arg viele Riffs und Wechsel enthalten sind, aber letztendlich kommt es einfach so raus. Es gibt meiner Meinung nach nur wenige Bands, die monotone Lieder schreiben können, welche wirklich gut sind. Das ist einfach nichts für mich. Gleichzeitig ist das Album am Buch orientiert, in welchem, vor allem am Anfang, viel passiert. Ich denke, dass man bei AARA vieles entdecken kann, was man vielleicht beim ersten oder zweiten Mal anhören nicht mitbekommen hat.

Foto: (c) Debemur Morti Productions
Foto: (c) Debemur Morti Productions

“Das Bildnis des wandernden Melmoth wird in Maturins Roman beschrieben, dabei wird besonders die Intensität der Augen beleuchtet, die dem, es betrachtenden, jungen Melmoth wie lebendig und zugleich auch tot erscheinen.” – Fluss über die Augen des Melmoth, brillant eingefangen von Coverkünstler Michael Handt.

Das Schöne ist, dass die stark ausgeprägte Melodik nicht so vehement klingt. Erstens sind die Melodien nicht billig, sondern etwas komplexer und gehen dadurch nicht sofort ins Ohr. Ist es eine Herausforderung, solche Melodien zu schreiben?

Berg: Die Melodien sind das einfachste am ganzen Komponieren. Schwieriger sind die Grundriffs, welche die Basis für eine gute Melodie bilden sollen. Meistens werden die Melodien einfach draufgesetzt. Es besteht also zuerst die Rythmusgitarre(n), bevor eine oder zwei Leadgitarren darübergelegt werden.

Trotz der kompositorischen Dichte, wirkt das Album von den Strukturen her wieder leicht und relativ spontan. Das war auf den ersten beiden Alben auch schon so. Was denkt ihr, könnte es euch ausbrennen lassen, wenn ihr weiter in diesem Tempo schreibt und veröffentlicht? Oder haltet ihr euch an die Devise: „Das Eisen zu schmieden, so lange es heiß ist.“

Berg: Man könnte es auch als effizient bezeichnen. Keiner von uns hat sonderlich viel Zeit übrig, um Musik zu machen. Unsere Arbeitsweise erlaubt es, relativ schnell zu sein und die Ideen so umzusetzen wie wir es möchten, ohne viel in einem Proberaum abzuhängen. Spontanität ist sicherlich eine der Voraussetzungen dafür. Wenn es mal gut läuft, schaffe ich ein ganzes Lied an einem halben Tag zu komponieren und grundlegend wird das Lied so veröffentlicht, wie es beim Schreiben entstanden ist. Es kommt selten vor, dass man die Datei erstmal zur Seite legt, um später nochmal nachzuarbeiten. Bisher funktioniert das erstaunlich gut.

“Diese religiösen bzw. ethischen Systeme sind menschgemacht und können schlussendlich nur vom Menschen verstanden – oder auch missverstanden – werden.” – Fluss über die widersprüchlichen Aussagen Maturins.

Ich fand ja, dass „En Ergô Einai“ mit anderer Instrumentierung nach Kammermusik geklungen hätte, „Triade I: Eos“ ist da eher ein Orchester oder gar eine Oper, vermutlich weil ihr dieses Mal ja eben narrativer vorgeht. Hat die lyrische Vorlage da auch damit zu tun, oder ist das purer Zufall?

Berg: Es kann gut sein, dass das Folgen der Handlung von Melmoth einen Einfluss darauf hat. „Triade I: Eos“ ist weniger von Barock beeinflusst als der Vorgänger. Hauptsächlich auch, weil es zu der Zeit von Melmoth nicht unbedingt gepasst hätte. Generell haben wir versucht möglichst alle Einflüsse auszusperren und uns nur mit dem Konzept zu beschäftigen.

Die Chöre treten auch vermehrt auf und sind wirklich sehr spannend eingesetzt. Im Review habe ich geschrieben, dass sie in „Naufragus“ wie der Lockruf von Sirenen wirken. Haben die Chöre also in diesem musikalischen Theaterstück auch eigene Rollen? Ansonsten, sind die Chöre gesampelt, oder tatsächlich eingesungen?

Berg: Die Chöre sind gesampelt und werden dem jeweiligen Riff angepasst. Sie werden, wie du bereits vermutet hast, bewusst für bestimmte Stellen im Buch eingesetzt, um die generelle Atmosphäre auszuschmücken. Ich finde es spannend mit einzelnen Sounds und Klängen zu arbeiten, um zu verdeutlichen wo man sich gerade im Geschehen befindet. Die Herangehensweise zieht sich auch über die weiteren beiden Teile, um dem „Erzählstil“ treu zu bleiben.

Als Gastmusiker ist Jonny Warren aka KUYASHII an dem Album beteiligt. Wie Vindsval zu „En Ergô Einai“ schrieb Jonny das Intro. Dieser Musiker ist sehr unbekannt – wie seid ihr auf ihn gekommen und was ist das für ein Projekt, das Berg mit ihm gestartet hat?

Berg: Ich bin mit Jonny vor etwa einem halben Jahr durch Zufall ins Gespräch gekommen. Wir haben uns viel über Musik und vor allem Klang unterhalten und beschlossen auf verschiedenen Ebenen zusammen zu arbeiten. Er nutzt häufig Effekte und eher ungewöhnliche Sounds, was mir auf Anhieb gefallen hat. Für uns spielt es keine Rolle was für einen Status eine Person in der Musikwelt besitzt, sondern ob diese etwas Interessantes und Bereicherndes beisteuern kann. Die erste Veröffentlichung des neuen Projekts MODERN RITES wird in den nächsten Wochen angekündigt werden.

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Foto: (c) Debemur Morti Productions

Wenig überraschend: Das Cover stammt wieder von Michael Handt. Der junge Melmoth, der darauf zu sehen ist, schaut unauffällig aus, aber sein Gesicht ist interessant: Schaut er diabolisch oder traurig? Das liegt im Auge des Betrachters. Dabei durchbohrt sein Blick den Betrachter – so so als wäre es Absicht, dass dem Rezipienten unwohl damit wird. Was sagt ihr dazu?

Fluss: Das Bildnis des wandernden Melmoth wird in Maturins Roman beschrieben, dabei wird besonders die Intensität der Augen beleuchtet, die dem, es betrachtenden, jungen Melmoth wie lebendig und zugleich auch tot erscheinen. Wir hatten das grosse Privileg, das Cover dieses Albums extra von Michael Handt anfertigen zu lassen. Darstellen wollten wir dabei das Bildnis, wie es im Buch beschrieben wird, und wir sind sehr glücklich damit wie Michael es geschafft hat dies umzusetzen. Der durchdringende Blick des wandernden Melmoth, der vom ansonsten eher unauffälligen Cover hervorsticht, ist ihm hervorragend gelungen!

Die Special Edition hat ein zusätzliches Cover: Ist hier wieder der Trickster am Werk? Hier sehen wir das anthropozentrische Weltbild, aber genau das nimmt ja „Melmoth der Wanderer“ auch aufs Korn. Oder liege ich hier völlig falsch?

Fluss: Für Maturin stehen in dem Roman besonders die Religionskonflikte seiner Zeit, aus einer anglikanisch geprägter Sicht im Zentrum, dies zeigt, wie wir finden, eigentlich ein stark anthropozentrisch geprägtes Weltbild. Theozentrismus und Anthropozentrismus bilden aber im Christentum nicht unbedingt einen Gegensatz, und gehen (zum Beispiel durch Jesus) miteinander einher. Für uns passt das anthropozentrische Weltbild als Cover, da der Zeitgeist und Maturins oftmals wiedersprüchliche Aussagen definitiv menschgemacht sind und so aus ethischer Sicht als epistemische Tatsache bezeichnet werden könnten. Diese religiösen bzw. ethischen Systeme sind menschgemacht und können schlussendlich nur vom Menschen verstanden – oder auch missverstanden – werden.

Apropos anthropozentrisches Weltbild: Endlich wird auch die 1-Track-EP „Anthropozän“ als 7“ erscheinen. Wessen Initiative war das? AARA oder das Label? Das Artwork stammt dabei von Khaos Diktator Design – habt ihr euch ein Cover von ihm gewünscht?

Berg: Die Ideen für Re-Releases kommen immer vom Label, daher haben wir da nichts in die Wege geleitet. Auch das Design ist einfach weitergereicht worden, sodass ich ehrlich gesagt nicht einmal weiß, wer der Designer ist.

OK, die unvermeidliche Frage zuletzt: Wann erscheinen Teil II und III?

Berg: Die Aufnahmen vom zweiten Teil sind bald abgeschlossen und der dritte Teil ist bereits über die Hälfte komponiert. Daher sind die Fortführung und der Abschluss der Trilogie schon fast gesichert. Wann allerdings „Triade II“ erscheinen wird kann ich noch nicht sagen.

Vielen Dank für eure Antworten! Wenn ihr noch etwas loswerden wollt – jetzt ist die Gelegenheit!

Wir danken dir für deine spannenden, durchdachten Fragen und das Interesse an unserer Musik!

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