Das kleine, feine Label ANTIQ hält nach dem sagenhaft guten Album „Par Le Sang Versé“ der mittelalterlichen Black Metaller VÉHÉMENCE und dem Debüt „Samaon“ der österreichischen Post Rock-Band GJOAD die nächste Überraschung bereit: WŸNTËR ÄRVN ist das Pseudonym des Musikers Simon Brette (AORLHAC) und auch der Name seines Neofolk-Projektes. Zusammen mit Klarinettist Vittorio Sabelli gibt es auf dem zweiten Album „Abysses“ ein paar unwahrscheinlich schöne Kompositionen zu entdecken. Kompositionen der Marke: Trinken wir im Frühjahr eine Glas Wein auf der Terrasse und schauen in den Nachthimmel.
„Abysses“ klingt dabei wunderschön melancholisch und herrlich frei vom üblichen Kitsch der Folkszene. Viel mehr ist „Abysses“ eine verträume Realitätsflucht. Weil sich Wÿntër Ärvn nicht allein auf die Gitarre verlässt, sondern Raum für die betörenden Beiträge von Vittorio Sabelli lässt, entsteht eine echte Tiefe und mehr als nur das Bild des einsamen Musikers auf dem Berg in Caspar David Friedrich-Optik – das Artwork ist wohl nicht zufällig eine Reminiszenz daran. Das ist aber ein gutes Stichwort, denn die Musik auf „Abysses“ lebt davon, Momente der Einkehr und Ruhe zu unterstreichen, ganz fern der modernen, stressigen Welt.
Trotz aller Schönheit lauert auf „Abysses“ auch die Finsternis: WŸNTËR ÄRVNs Neofolk ist stark vom Black Metal inspiriert
Es bleibt durchgehend spannend, die vielschichtigen Klanglandschaften zu erkunden, denn hinter all dem Frieden steckt auch die Finsternis. So richtig deutlich wird das erst im XASTHUR-Cover „Marcheurs De Monde Dissonants“, bei der sich der Himmel plötzlich zu verdunkeln scheint und erstmals auch Black Metal-Geschrei zu hören ist. Auch das abschließende „Quand Tombe Le Jour“ lässt die Black Metal-Wurzeln von Wÿntër Ärvn erkennen, nicht nur wegen dem Gesang, auch wegen der dunklen Aura, die dieses Lied bereit hält. Aber um ehrlich zu sein ist es schade, dass diese wundervolle halbe Stunde mit zwei düsteren Songs beendet wird. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, „Abysses“ würde konsequent in märchenhaften Regionen bleiben.
In Regionen, wie sie „Sentiero Dell’Eternia“, das mit einem zum Sterben schönen Cello versehene „Aux Aureole“, „Contemplation“ mit seinem zauberhaften Gesangsbeitrag oder das Titelstück bieten. Hier sind WŸNTËR ÄRVN genau das Richtige für Freunde von SANGRE DE MUERDAGO und ULVESANG oder auch von ULVERs „Kveldssanger“: Musik für die Zeit allein im Wald, im Vorfrühling, wenn zum ersten Mal das Aroma des frischen Lebens in der Luft hängt. Schade, dass „Abysses“ nicht bis zum Schluss so bleibt. Aber es scheint, dass sich Wÿntër Ärvn so von purer Wohlfühlmusik abzugrenzen versucht. Es ist also noch Luft nach oben, aber so oder so ist dieses Album ein Geheimtipp für Freunde von mittelalterlich geprägtem Neofolk.
Wertung: 5,5 von 8 Glühwürmchen
VÖ: 1. März 2021
Spielzeit: 31:08
Line-Up:
Wÿntër Ärvn – Gitarren, Bouzouki, Percussion, Vocals
Vittorio Sabelli – Klarinette
Gastmusiker:
Hexenn – Vocals auf „Contemplation“
Raphael Verguin – Cello auf „Aux Auroles“
Geoffroy Dell’Aria – Dudelsack auf „Quand Tombe Le Jour“
Label: Antiq
WŸNTËR ÄRVN “Abysses” Tracklist
1. Nocturne II
2. Sentiero Dell’Eternita (Audio bei Invisible Oranges)
3. Aux Aurores
4. Nocturne III
5. Contemplation
6. Abysses
7. Marcheurs de Mondes Dissonants (XASTHUR Cover) (Audio bei Bandcamp)
8. Quand Tombe le Jour
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