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WHITECHAPEL: Kin

„Kin“ zeigt WHITECHAPEL inmitten eines Transformationsprozesses: Die US-Amerikaner verfolgen den eingeschlagenen Weg seit „The Valley“ noch konsequenter und zeigen auch keine Scheu, den Metal-Pfad zwischendurch komplett zu verlassen.

Es war ehrlich, es war persönlich und es war ultimativ mitreißend. Dass „The Valley“ (2019) trotz stilistischer Aufgeschlossenheit so gut funktionierte, lag auch an der schonungslosen Aufarbeitung der eigenen Kindheit, die Frontmann Phil Bozeman lyrisch betrieb. Ein solcher Prozess ist mit einer Platte natürlich noch lange nicht abgeschlossen, weshalb uns die Fortführung dieser Introspektion mit „Kin“ alles andere als verwundert. Es ist der nächste logische Schritt für WHITECHAPEL. Ein Schritt, den sie mit aller Konsequenz auch in musikalischer Hinsicht vollziehen.

Die stilfremden Experimente, der Klargesang, die Prog-Einflüsse – all das haben die US-Amerikaner in der Folge ausgebaut. Eigentlich sogar aus gutem Grund: Der Testlauf mit „The Valley“ überzeugte und auch konzeptionell bringen die neuen Klangfarben die nötige Dynamik für einen emotional so ambivalenten Charakter, wie ihn Bozeman auf „Kin“ darstellen möchte. Dabei ist der technische Death Metal / Deathcore der Vergangenheit nicht gänzlich verschwunden, auch wenn „I Will Find You“ mit Akustikgitarren und einem angenehm offenen Mix startet. Die melodische Leadgitarre führt uns durch die Strophe, während uns der Sänger mit der gesamten Wucht seiner Stimme konfrontiert.

WHITECHAPEL zeigen keine Scheu, den Metal-Pfad zwischendurch komplett zu verlassen

Die markanten Growls geben uns Halt, wo der Rest des Songs für WHITECHAPEL eher ungewohntes Terrain beschreitet. Das hat schon etwas von Progressive Death Metal, auch wenn der Track sich nicht in allzu ausladenden Strukturen verliert. Der zwischendurch eingestreute Klargesang ist ein angenehmer Kontrast, den die Band nun offensichtlich mutiger zu setzen weiß als noch auf „The Valley“. Der Nebeneffekt: „Kin“ büßt im Gesamtbild einiges an Härte ein, da neben der Ballade „Orphan“, die ähnlich wie „Hickory Creek“ auf dem Vorgänger eine melancholische Zäsur setzt, auch im Titeltrack und „Anticure“ der durchaus angenehme Klargesang Bozemans im Zentrum steht.

Richtig eingesetzt muss das kein Manko sein: mehr Dynamik und eine größere Bandbreite sind schließlich keine Wermutstropfen. Was WHITECHAPEL allerdings verpassen, ist den ruhigeren Stücken ein individuelles Profil zu schenken. Die ruhigen Parts des Albums zeigen einerseits keine Scheu, den Metal-Pfad komplett zu verlassen, ähneln einander aber zu stark, um ohne den übergreifenden Charakter des Albums für sich alleine zu stehen. Oder anders ausgedrückt: Zu oft wirken die Arrangements zwar nett und harmonisch, zugleich jedoch auch zweckmäßig.

„Kin“ zeigt WHITECHAPEL inmitten eines Transformationsprozesses

Das andere Extrem beherrschen WHITECHAPEL dafür nach wie vor, wenn sie denn wollen: „Lost Boy“ ist ein furioser Tech-Death-Knüppel, der mit einem proggigen Zwischenpart à la TOOL überrascht, wohingegen „The Ones That Made Us“ mit tief gestimmten Gitarren und etwas MESHUGGAH-Einfluss vor allem im rhythmischen Bereich zu packen weiß. Dank des simplen Groove funktioniert auch ein Stampfer wie „A Bloodsoaked Symphony“ hervorragend, obwohl das Sextett hier wohl kaum seine technischen Fähigkeiten, geschweige denn die Möglichkeiten von drei Gitarristen ausnutzt.

Irgendwie ist exakt das symptomatisch für „Kin“: Die Platte zeigt WHITECHAPEL in vielerlei Hinsicht in einem Transformationsprozess. Auf den Aufbruch mit „The Valley“ (2019) folgt nun die Suche. Am Ziel ist die Band dabei noch nicht angelangt, weshalb das neue Material zwar nicht unbedingt unbeholfen zwischen den Stühlen sitzt, aber sein Potenzial nicht vollständig entfalten kann. Die explosiven Tracks wie „To The Wolves“ machen Spaß, setzen aber keine Maßstäbe, während die anderen Kompositionen Mühe haben, sich dauerhaft Gehör zu verschaffen. Immerhin: „Kin“ lässt sich als Gesamtwerk ausgesprochen gut am Stück hören, wenngleich ein solides bis gutes Album nach dem überragenden Vorgänger nichtsdestotrotz einen schwierigen Stand hat.

Auch „Kin“ ist ein persönliches und ehrliches Werk geworden

Wohin also diese Orientierungsphase die sechs Musiker führen wird, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt natürlich noch nicht absehen. Im besten Fall sprechen wir in Zukunft dann von „Kin“ als Wegbereiter-Album, in jedem Fall jedoch als mutigen Zwischenschritt. Denn auch das achte WHITECHAPEL-Werk ist wie sein Vorgänger so ehrlich wie persönlich. Nur die dritte Eigenschaft bleibt leider ein wenig auf der Strecke.

Veröffentlichungstermin: 29.10.2021

Spielzeit: 47:49

Line-Up

Phil Bozeman – Vocals
Ben Savage – Guitar
Alex Wade – Guitar
Zach Householder – Guitar
Gabe Crisp – Bass
Alex Rüdinger – Drums

Produziert von Mark Lewis, David Castillo (Mix) und Ted Jensen (Mastering)

Label: Metal Blade

Homepage: https://www.whitechapelband.com/
Facebook: https://www.facebook.com/whitechapelband

WHITECHAPEL “Kin” Tracklist

1. I Will Find You
2. Lost Boy (video bei YouTube)
3. A Bloodsoaked Symphony (Video bei YouTube)
4. Anticure
5. The Ones That Made Us
6. History Is Silent
7. To the Wolves
8. Orphan (Video bei YouTube)
9. Without You
10. Without Us
11. Kin

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