blank

UULLIATA DIGIR: Uulliata Digir

Extremer Avant Metal, der diese Attribute zurecht trägt: UULLIATA DIGIR schicken ihr Publikum auf Entdeckungsreise, liebäugeln mit jazzigen Elementen und haben eine Frontfrau, die zu einer außergewöhnlich intensiven Performance fähig ist. „Uulliata Digir“ ist das erste Highlight des Jahres.

Verschwimmende Formen, abgegrenzte Farben, kaum Symmetrie, wie im Fiebertraum schälen sich daraus bizarre Figuren. UULLIATA DIGIRs Musik ist perfekt in das Artwork gefasst. Harmonie und Disharmonie, Kinderbuchmotive und freudsche Symbole, „Uulliata Digir“ hat ein Cover, das die drei Songs bestens in Szene setzt. Kein Wunder, dass UULIIATA DIGIR sofort eine Faszination ausüben. Dieses musikalische Paralleluniversum zwischen Metal und Jazz ist für die Abenteuerlustigen, für diejenigen, die sich in ein musikalisches Rabbithole oder Owl Cave verkriechen und alles Gehörte auseinandernehmen und sezieren können, um festzustellen, dass die Ratio alleine nicht ausreicht. Musik, ganz im Sinne des jüngst verstorbenen David Lynch, ganz nach dem Motto: „I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange.“

Doch statt in Twin Peaks zu verweilen, geht es zurück auf den alten Kontinent. Polens aus dem Black Metal hervorgegangenen Avant-Szene ist in Europa, viel sogar weltweit führend. DOLA, LUX OCCULTA, vielleicht auch FURIA und MORD’A’STIGMATA heben mit Experimentierfreude große Teile der Black Metal-Szene vom Rest der Welt ab, UULLIATA DIGIR gehen aber weiter. Vielleicht liegt es in der künstlerischen DNA des Landes, in dem Komponisten wie Penderecki und Gorecki die Traumata des zweiten Weltkrieges aufarbeiteten. Und nun ist da eine junge Generation, die sich nach den Jahren des kalten Krieges zu emanzipieren versucht, oft abgestempelt wird, als diejenigen, die ihrer Nähe zum alten Westen wegen vom Reichtum der Anderen profitieren und die in ihrer Entwicklung von den konservativen Kräften ausgebremst werden sollen. Dass in so einer Umwelt (Black) Metal einen guten Nährboden hat, versteht sich von selbst. Dass Kunst nicht in diesem Genre endet, zeigen UULLIATA DIGIR.

UULLIATA DIGIR stechen selbst aus der lebendigen Avant-Szene Polens hervor: „Uulliata Digir“ sind zwischen den Welten zu Hause.

Wer es sich leicht machen will, schmeißt „Uulliata Digir“ in die IMPERIAL TRIUMPHANT-Ecke. Aber das Debütalbum des Sextetts hat nicht nur einen anderen musikalischen, sondern auch inhaltlichen Fokus. UULLIATA DIGIR sind spiritueller angehaucht und schaffen den Spagat zwischen Improvisation und abenteuerlicher Komposition ziemlich gut. UULLIATA DIGIR haben außerdem zwei stilistische Asse im Ärmel, die sie viel, viel konsequenter und mutiger einsetzen als die meisten anderen Bands: Madgalena Andrys an der Trompete hat einen großen Anteil am Charakter der Musik. Das jazzige Feeling, die Dissonanz und Melancholie, die ihr Spiel in das Album bringt, wirkt nicht wie ein Fremdkörper, sondern ist sehr natürlich in die Musik gewoben. Mal erzielt die Band damit ein komplexes Sounddesign wie zu den besten Zeiten von EPHEL DUATH, dann wieder wie zu ULVERs „Perdition City“ oder „Here Be Dragons“ von THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE. Kurz: Dieses Instrument trägt enorm zur Atmosphäre und zum Charakter von „Uulliata Digir“ bei.

Dann ist da Sängerin Julita Dąbrowska, der eigentliche Star von „Uulliata Digir“, die mit ihrer Performance über ihre Grenzen geht und weniger Vokalistin als Performerin ist. Das Maß an Schmerz, Wahn und Wut, das sie in die Stücke legt, raubt den Atem, und es finden sich neben ihren lauten Momenten viele kleine Passagen, bei denen sie mit ihrer Intensität für Gänsehaut sorgt – selbst in den leisen Stellen. Julita Dąbrowska erschafft ein breites Spektrum mit ihrem ihren markerschütternden Schreien und der präsenten Art des harmonischen Gesanges. Dabei lässt sie ihren Partner Michał Sosnowski mit seiner klassischen Death Metal-Stimme fast schon blass wirken, doch seine Performance bildet die andere Hälfte von UULLIATA DIGIR ab und erzeugt ein Fundament für die Musik. Die kraftvolle Stimme bietet Halt in dem ansonsten teils fremdartig wirkenden Klangkonstrukt. Und doch: Mit krassen Screams und Sprechgesang zeugt auch Sosnowski den Willen zur Abwechslung – wenn auch nicht so extravagant wie sein Counterpart.

Das Gesangsduett von UULLIATA DIGIR ergänzt sich gut: Eine klassische Death Metal-Stimme ringt mit einer unberechenbar wilden Gesangsstimme.

Abenteuerlich ist auch das Songwriting: Die beiden fünfzehnminütigen Stücke „Myrthyrs“ und „Eldrvari“, die den Eindruck erwecken könnten, zusammengestückelt zu sein, fließen größtenteils ineinander über. „Myrthyrs“, das nach zehn Minuten hochspannender Steigerungen in einen ruhigeren, jazzigen Teil wechselt und am Ende in einer surrealen Symphonie gipfelt, verlangt den Hörenden viel ab, erzeugt aber auch einen wahren Rausch. „Eldrvari“ mit seinem bizarren, langsamen Beginn in Richtung polyrhythmischer Heaviness, explodiert aber erst nach einem sinnlichen Ambient-Part in der zweiten Hälfte und zeigt, wie gut es funktioniert, einerseits eine in sich ruhende Atmosphäre zu halten, andererseits aber auch Impulsivität zuzulassen. Die zahlreichen dynamischen Push-and-Pull-Momente hinterlassen ein Gefühl der Unruhe und Beklemmung. Schön wäre es dennoch gewesen, hätte sich die Spannung am Ende entladen können. Als Cliffhanger funktioniert der Abschluss von „Uulliata Digir“ aber gut.

Dass das am ehesten verdauliche, weil kompakteste und gleichzeitig brutalste Stück „Omni Dirga“ mit knapp sieben Minuten in der Mitte des Albums steht, ist fast ein Meta-Moment. Hier fassen UULLIATA DIGIR ihre Musik kompakt zusammen, aber nicht um Aufmerksamkeit buhlend, am Beginn des Albums, oder als Conclusio am Ende. Und doch ist „Omni Dirga“ dicht gepackt und außerordentlich intensiv. UULLIATA DIGIR lassen hier kaum Platz zum Atmen, richten ihr Soundbild auf ein Maximum aus und schaffen es dennoch, eine gewaltige Steigerung am Ende einzubauen. UULLIATA DIGIR zeigen hier, dass sie ihre Kompositionen beherrschen, und nicht umgekehrt. Kein Wunder: Gitarrist Marcin Tuliszkiewicz setzt gerne auf repetitive Riffs, weiß sich im richtigen Moment zurückzunehmen und lässt auch gerne dem Bass von Bartłomiej Kerber die Führung. Das vielschichtige Drumming steht dem in nichts nach: Komplexe Rhythmen, Blast Beats, aber auch zurücknehmende Grooves spielt Krzysztof Kulis mit Verve und Leidenschaft.

„Uulliata Digir“ setzt auf komplexe Songstrukturen und organische Abstraktion: UULLIATA DIGIR locken abenteuerlustige Hörer*innen in ein musikalisches Rabbithole.

UULLIATA DIGIR brillieren mit Doppelbödigkeit, mit diesem exzellenten, exzentrischen Tanz zwischen Abstraktion und organischem Songwriting, mit starker instrumentaler Arbeit, und einer bemerkenswerten Sängerin. Dadurch, dass die Musik selbst sehr dynamisch ist, ist es zu verschmerzen, dass die Formation aus dem polnischen Poznan in den brachialen Momenten das Soundbild etwas zu sehr hochfährt. Aber wenn das schon alles ist, das an „Uulliata Digir“ auszusetzen ist, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, richtig? Wer es komplex, verschachtelt, bizarr und abenteuerlich, bei aller Komplexität aber direkt und doch frei mag, findet in diesen knapp 40 Minuten genügend, um sich auf eine wochenlange Entdeckungsreise zu begeben. Auf keinen Fall verpassen. Wer nun noch zweifelt, hält sich am besten wieder an Maestro Lynch: „It’s like I’m having the most beautiful dream and the most terrible nightmare, all at once.“

Wertung: 8,5 von 10 Ghostwood Spaziergänge

VÖ: 10. Januar 2025

Spielzeit: 38:37

Line-Up:
Michał Sosnowski – Vocals
Julita Dąbrowska – Vocals
Marcin Tuliszkiewicz – Guitar, Synths
Bartłomiej Kerber – Bass
Krzysztof Kulis – Drums
Magdalena Andrys – Trumpet

Label: Eigenproduktion

UULLIATA DIGIR „Uulliata Digir“ Tracklist

1. Myrthys
2. Asea
3. Omni Dirga (Live Video bei Youtube)
4. Atti
5. Eldrvari

UULLIATA DIGIR „Uulliata Digir“ Full Album Stream bei Youtube

Mehr im Netz:

https://uulliatadigir.bandcamp.com/
https://www.instagram.com/uulliata_digir
https://www.facebook.com/uulliatadigir
https://www.youtube.com/@UulliataDigir

Aktuelle Empfehlungen des vampster-Teams