THE CHARIOT: One Wing

Explosiver Mathcore, der dank seiner größtenteils gelungenen Experimente zu gefallen weiß und Eindruck hinterlässt.

Nennt es Voreingenommenheit oder Vorurteil, doch bei christlichen Metal/Hardcore Bands schrillen bei mir normalerweise die Alarmglocken. Zu groß scheint der Kontrast von der ursprünglichen Ideologie des Rocks und dem Gedankengut dieser Religion hinsichtlich Freiheitsdenken und kirchlichen Zwängen. Doch es kommt die Zeit, da sollte man seine Scheuklappen ablegen, über seinen eigenen Schatten springen und den persönlichen Background einer Band ausblenden können um deren musikalisches Schaffen aus neutraler Sichtweise zu betrachten. Um genauer zu sein, ist dieser Zeitpunkt bei One Wing von THE CHARIOT gekommen, sofern man auf Mathcore der Prägung CONVERGE steht.

Die Amis nennen ihren Stil selbst Chaoscore und dieser Eindruck bestätigt sich auch auf den ersten Eindruck. Wilde Screams, Wirre Drumbeats, spontane Riffattacken alles verpackt in konfuse Songstrukturen, die oft nicht die 3 Minutenmarke knacken. Doch anders als zu erwarten strahlt diese Kompositionsweise auch eine Art Faszination aus, die einen nicht direkt verleitet sich schalldichte Ohrenstöpsel in die Gehörgänge zu stecken. Denn ist einmal der Schleier der Konfusion gelüftet, erkennt man eine gehörige Portion Energie und Emotionalität, die besonders in den Werken Forget oder auch In zu hören sind und der ausdrucksstarken Stimme von Fronter Josh Scogin zu verdanken ist.

Hätte ich jetzt aber nur den typischen Mathcore Songs Beachtung geschenkt, würde das der Flexibilität und dem durchaus vorhandenen Ideenreichtum der Platte nicht gerecht. So wartet One Wing immer mal wieder in seiner kurzen Spielzeit mit überraschenden Wendungen in den Songs und Zwischenstücken auf. Den ungewöhnlichsten Twist findet man dabei in First, der im ersten Teil etwas orientierungslos punkische Gefilde durchstreift um sich jedoch anschließend in einen reinrassigen Western-Soundtrack inklusive exzessiven Bläsereinsatz zu transformieren – Mexikofeeling pur! Auch hat es eine Ballade mit Speak auf das Album geschafft, die nur von einem Piano und den verzweifelten Vocals getragen wird. Mit Ausnahme dieses Songs, bei dem die christliche Botschaft am deutlichsten heraus zuhören ist, versucht die Band sich nicht den typischen Klischees zu bedienen und ihre Texte in einem metaphorischen Stil zu verpacken, der keinen direkten Rückschluss auf die Ideologie per se erlaubt.
Einen weiteren Ausreißer aus dem Standartsoundkäfig stellt Your dar, dass gänzlich ohne Bandbeteiligung dargeboten wird. Denn in diesem Zwischenstück kommt nur eine Frauenstimme zum Einsatz, die eine Art Choral anstimmt. Allerdings außer durch die Tracklist, deren Titel hintereinander die Sätze Forget Not Your First Love. Speak In Tongues And Cheek. ergeben, steht der Song in keinerlei Zusammenhang mit dem restlichen Material und wirkt etwas dadurch deplatziert.

THE CHARIOT schaffen ein sehr abwechslungsreiches und interessantes, wenn auch kurzes Werk. Durch seine vielen Zwischenstücke und Experimente bleibt auf dieser knappen halben Stunde jedoch die äußerliche Erscheinung als rundes Ganze auf der Strecke. Selbst wenn man das Genre Chaoscore liedübergreifend interpretiert will, wäre ein deutlicherer Roter Faden beim Aufbau des Albums angebracht gewesen. Besonders der Schlusspunkt, der mit einem sehr langen Zitat aus dem Film Der große Diktator aufwartet (welchem sich schon DER WEG EINER FREIHEIT in Neubeginn bedienten) lässt die Power und Durchschlagskraft der ersten Songs etwas vermissen.

Veröffentlichungstermin: 21.09.2012

Spielzeit: 31:25 Min.

Line-Up:
Gesang – Josh Scogin
Bass – Brandon Henderson/Stephen Harrison
Gitarre – Brandon Henderson
Gitarre – Stephen Harrison
Schlagzeug – David Kennedy
Label: Season of Mist

Homepage: http://www.thechariot.com

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/thechariot

Tracklist:
1. Forget
2. Not
3. Your
4. First
5. Love.
6. Speak
7. In
8. Tongues
9. And
10. Cheek.

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