Der 11. Februar 2023 war insofern ein besonderer Tag, da an diesem Abend ROLO TOMASSI endlich ihre Tour von 2022 nachholten, deren Absage nicht überraschend kam, aber dennoch weh tat. Und so wirklich easy war an diesem Tag dennoch nichts: Zum ersten Mal war der örtliche, höllische Kinderfasching mit der älteren Tochter des Verfassers angesagt, während der Kleine, damals noch kein Jahr alt, und dessen Mutter Fieber hatten. Das wird jetzt nicht unbedingt ein Outing als „Vater des Jahres“, aber der Verfasser fuhr an diesem Abend trotz alldem auf das Konzert, verpasste HERIOT, aber genoss jede einzelne Sekunde von HOLY FAWN und ROLO TOMASSI. Lässt das Livedokument „Live At Electric Ballroom“ nun diese Gefühle von vor anderthalb Jahren wieder aufleben? Ja, irgendwie schon.
Es ist ja so eine Sache mit Livealben (und der Autor hat an anderer Stelle bereits darüber subjektiv schwadroniert): Die wirklich guten, unverzichtbaren lassen sich an einer Hand abzählen. ROLO TOMASSIs Mitschnitt ihrer bisher größten Headliner-Show in ihrem Heimatland UK, hat aber davon abgesehen keinen Unterschied zu dem Konzert vom 11. Februar 2023 in München. Und da ist sie schon, die Verbindung, deretwegen „Live At Electric Ballroom“ eigentlich schon gewonnen hat. Der Fokus auf „Where Myth Becomes Memory“, gemischt mit dem Besten von „Time Will Die And Love Will Bury It“, sowie den unverzichtbaren Songs von „Grievances“ ist per 2024 schlicht und ergreifend unschlagbar – und genau das zu konservieren ist gelungen.
ROLO TOMASSI überzeugen mit einer ausgewogene, wenn auch nicht ganz „Best Of“-würdige Setlist auf „Live At Electric Ballroom“
Deshalb freut es den verklärt denkenden Reviewer, dass keine überraschende Setlist auf diesem Livealbum zu hören ist, für ihn sollten genau die Songs auf „Live At Electric Ballroom“ stehen, die auch auf der restlichen Tour gespielt wurden. Nostalgie eben. Es kann also nicht mehr viel schiefgehen, für das subjektives Glück, richtig? Und in der Tat passen hier viele weitere Faktoren: ROLO TOMASSI waren gegen Ende der zweiwöchigen Tour richtig gut eingespielt, gleichzeitig immer noch motiviert und hungrig genug, um einerseits eine saubere Performance zu bieten, andererseits zwingend genug zu klingen. Die Anordnung der Songs funktioniert außerdem bestens: Atmosphäre und Harmonien wechseln sich klug mit Wut ab und auch trotz der Heaviness des Livesounds.
Apropos Sound: Der mag für diejenigen, die es poliert und transparent mögen, zu roh und brachial sein, aber hey: Es klingt neben nach einer Liveshow und ähnelt dennoch der Produktion von „Where Myth Becomes Memory“. Sprich, eine einschüchternde Wand aus Gitarren, Bass und Drums dominiert das Klangbild, bei dem die Synthesizer manches Mal Mühe haben sich durchzusetzen. Immerhin: Eva Korman, egal ob melodiös singend oder wie besessen schreiend, hat keine Probleme, sich bemerkbar zu machen. Und auch die Stimme ihres Bruders James Spence, bekommt in diesem Szenario mehr Raum. Verglichen mit den Studioalben ist sein Gesang deutlich präsenter und wertet die Songs auf.
„Live At Electric Ballroom“ spielt alle Stärken ROLO TOMASSIs in über 70 Minuten Spielzeit aus und liefert Riots ebenso wie große Gefühle.
Die großen Emotionen, die ROLO TOMASSI mit „Almost Always“, dem an Spannung kaum zu übertreffenden „To Resist Forgetting“, dem düsteren „Stage Knives“, dem maximal brachialen Schlusspunkt „Drip“ und bei beiden Highlights des Sets, dem fast-schon-Indie-Hit „Aftermath“ und dem großen Post Metal-Epos „A Flood Of Light“ erzeugen, stehen den Studioversionen in nichts nach und berühren in den Liveversionen ganz genau so. Eine „Best Of“-Zusammenstellung ist „Live At Electric Ballroom“ indes nicht geworden, es fehlen mit „Closer“ und „The End Of Eternity“ zwei der besten Songs von „Where Myth Becomes Memory“. Dafür sind ein paar Stücke wie „Prescience“ enthalten, die wohl in 3 bis 5 Jahren neuem Material weichen müssen. So ist ROLO TOMASSI eine starke Standortbestimmung gelungen, und noch dazu eine wirklich epische: „Live At Electric Ballroom“ spielt alle Stärken der Band in über 70 Minuten Spielzeit aus und liefert Riots, ebenso wie große Gefühle.
Die Formation aus UK gibt das volle Konzert wieder, selbst mit ein paar kleineren Unsauberkeiten, die aber kaum auffallen. Das lässt ROLO TOMASSI, die sowieso schon immer bodenständig und grundsympathisch waren, weiterhin authentisch wirken. „Live At Electric Ballroom“ wird so zu einem liebevollen Livealbum, das vor allem sich an die wirklichen Fans richtet – vielleicht gerade, weil es ein rein digitaler Release ist. Und schade ist es trotzdem, dass es keine eine physische Veröffentlichung noch audiovisuelle Veröffentlichung gibt. Ob sich die Band so unter Wert verkauft? Künstlerisch vielleicht, doch kommerziell haben es Künstler mit der Reichweite ROLO TOMASSIs auch so schon schwer genug. Aber sie bleiben am Ball, wie James Spence bei einer Ansage verspricht: „Solange ihr auf unsere Konzerte kommt, werden wir auch touren.“ Der Verfasser nimmt euch beim Wort, damit es weiter so schöne Erinnerungen wie an den 11.02.2023 geben wird.
VÖ: 27. September 2024
Spielzeit: 73:02
Line-Up:
Eva Korman – Vocals
James Spence – Keyboards, Vocals
Chris Cayford – Guitar
Nathan Fairweather – Bass
Al Pott – Drums
Label: MNRK heavy
ROLO TOMASSI „Live At Electric Ballroom“ Tracklist
1. Almost Always
2. Cloaked
3. To Resist Forgetting (Official Live Video bei Youtube)
4. Labyrinthine
5. Rituals
6. Prelude III (Phantoms)
7. Opalescent
8. Unseen And Unknown
9. Stage Knives
10. Aftermath (Official live Video bei Youtube)
11. A Flood Of Light
12. Mutual Ruin
13. Contretemps
14. Prescience
15. Drip
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